Aber Merz macht das doch gut!

"Aber Merz macht das doch gut!"

Unsere Anforderungen an Menschen in Regierungsverantwortung sind derart ins Bodenlose gefallen, dass jegliches halbwegs staatsmännische Auftreten als eine angenehme Überraschung gilt. Es genügt jedoch nicht, sich mit dem Minimum zufrieden zu geben. Mit Minimalanforderungen kommen wir jedoch nicht weiter.

Von Bent Erik Scholz
Nach Merz' Auftaktbesuch im Oval Office herrschte allenthalben wohlfeile Erleichterung: der Pitbull hat nicht zugeschnappt, ja, gar diplomatisch zurückhaltend habe sich der deutsche Bundeskanzler gegeben. Und gut Englisch gesprochen überdies. Das ist doch besser als gar nichts! Soweit der Konsens in der deutschen Medienöffentlichkeit, viel tiefer reichten die Kommentare so genannter Politikanalysten, deren Mutmaßen über das Innenleben der Machthaber oft gleichauf ist mit dem Klatsch und Tratsch von Adelsexperten, leider nicht.

Ja, Friedrich Merz ist diplomatisch aufgetreten. Das ist sein Job. Für Interviews im Heimatfernsehen konnte er sich noch angemessen wichtigmachen und betonen, dass er den US-Präsidenten jederzeit anrufen könne (fraglich, ob er rangeht), im Weißen Haus selbst übte sich der Kanzler in höflicher Zurückhaltung. Bei Interviews für das US-amerikanische Fernsehen sprach er abwägend, erfreulich inhaltsleer, und sonderte ein paar Plattitüden ab. Endlich mal wieder ein Regierungschef, bei dem man sich zumindest oberflächlich aus Sorglosigkeit langweilen kann, und nicht aufgrund einer puren Wurschtigkeit, wie sein Vorgänger sie kultivierte.

Dem Bundeskanzler kommen die niedrigen Erwartungen zugute, die man durch seinen Wahlkampf an ihn hatte. Dort trug er seinen Populismus noch offen zur Schau, in seinem Bemühen um die Kanzlerschaft und dem Versuch, der AfD noch ein paar Stimmen streitig zu machen. Nun, da er sein Ziel erreicht hat, wirkt der Kanzler deutlich gelassener. Allzu schnell zieht man hier den Schluss, dass die Gelassenheit eines Staatsoberhaupts auch der Bevölkerung Anlass zur Entspannung geben müsse.

Jedoch, Obacht! Sich allzu sehr einsäuseln zu lassen von Merz ist keine gute Idee, man neigt sonst dazu, zu überhören, was zwischen den beharrlich gedroschenen Phrasen aus diesem Kanzler herausquillt. Sei es der unsägliche ,,Drecksarbeit"-Passus, den er jauchzend einer Journalistin abluchste, oder gar die eine oder andere Lüge. So beschwerte sich Friedrich Merz darüber, dass die Deutschen zu wenig arbeiteten - die durchschnittliche Arbeitszeit sei schließlich gesunken.

Dass der Durchschnitt gesunken ist, ist zwar richtig. Das liegt aber vor allem daran, dass es generell viel mehr Erwerbstätigkeit gibt. War es bis vor einigen Jahrzehnten noch üblich, dass in Familien der Mann Vollzeit arbeitet und damit die Hausfrau und die Kinder ausreichend versorgt sind, arbeiten heute insgesamt viel mehr Frauen, öfter auch in Teilzeit. Der Durchschnitt sinkt also, die Gesamtzeit der geleisteten Arbeitsstunden ist hingegen auf einem Rekordhoch.

Die Deutschen sind also alles andere als arbeitsfaul. Vielmehr reagieren sie darauf, dass die Zeiten sich geändert haben: die Preise steigen nach wie vor deutlich schneller als die Löhne, und ein durchschnittliches Gehalt reicht schlichtweg nicht mehr aus, um einen Haushalt zu stemmen. Gehen wir vom Mindestlohn aus, hat ein Arbeiter bei vierzig Wochenstunden pro Monat vor Steuer ungefähr 2.000 Euro zur Verfügung. Das ist schon für einen allein eine knappe Kiste, wenn er gleichzeitig wohnen und essen möchte und gelegentlich Gebrauch vom Stromnetz zu machen gedenkt. Realität ist, dass auch in Deutschland zunehmend Menschen mehrere Jobs annehmen, um sich über Wasser zu halten.

Aber selbst wenn man behaupten will, zu wenig Deutsche seien in Arbeit, stößt man hier auf ein logistisches Problem. Im Mai 2025 waren in Deutschland 2,92 Millionen Menschen bei der Bundesagentur für Arbeit als arbeitslos gemeldet. Offene Arbeitsstellen im April 2025 laut der BA: 646.065. Und schon ist es gar nicht mehr so leicht, dem blöden Pöbel seine Arbeitsfaulheit vorzuwerfen, wenn der gegebenenfalls nicht einmal in Arbeit gebracht werden kann. Mit seiner Aussage, der Deutsche würde durchschnittlich weniger arbeiten, hat Merz also schlichtweg die Unwahrheit gesagt - es sei denn, er wolle Menschen einen Vorwurf machen, die ihre Wochenarbeitszeit von 40 auf 38 Stunden reduziert haben, und damit die Wirtschaft kardinal ins Wanken bringen.

Kommentare über die Arbeitstüchtigkeit der Deutschen erscheinen zudem umso hanebüchener, wenn man sich mal die Zeit nimmt, die Lebensläufe und die Historie der Erwerbstätigkeiten derer anzuschauen, die diese Kommentare derzeit absondern. Zudem hier auch offensichtlich der Blinde von der Farbe fantasiert. Als Bundestagsabgeordneter muss man sich über sein Auskommen wahrlich keine Sorgen machen - man kann sich immerhin regelmäßig selbst die Diäten erhöhen und erhält überdies, zusätzlich zu den 11.227 Euro Diäten, steuerfreie Pauschalen und noch extra Geld zur Finanzierung von Büros und Mitarbeitern. Ein Bundestagsabgeordneter kostet den Staat somit das Vielfache eines Bürgergeldempfängers. Wie nützlich jeder einzelne Abgeordnete der Gesamtgesellschaft ist, obliegt mir nicht zu bewerten. Der eigenen Logik folgend müssten sich gewisse Abgeordnete diese Frage aber konsequenterweise mal selbst stellen.

Das Bürgergeld gilt der Union, wenn man CDU-Politiker Manuel Hagel lauscht, als ,,eine Ungerechtigkeit gegenüber den Fleißigen in unserem Land". Das Bürgergeld kostet 1,3% des Bruttoinlandsprodukts pro Jahr. Als Merz, noch nicht einmal gewählter Bundeskanzler, ein Rekord-Schuldenpaket verabschieden ließ und dazu die parlamentarischen Gepflogenheiten zurechtbog, fragte niemand aus Reihen der CDU, wie die ,,Fleißigen in unserem Land" das wohl so finden. Sind die ,,Fleißigen in unserem Land" begeistert von der neuerlichen Erhöhung der Militärausgaben auf 5% des Bruttoinlandsprodukts pro Jahr?

Merz hat sich de facto ins Amt gelogen. Im Wahlkampf geiferte er über das Aufnehmen weiterer Schulden, und wusste mutmaßlich schon damals, dass er sein Wort brechen wird, sobald die Wahl vorbei ist. Noch kurz nach der Wahl, Wochen vor der Abstimmung über die Sondervermögen, sagte er: ,,Es ist in der nahe liegenden Zukunft ausgeschlossen, dass wir die Schuldenbremse reformieren." Sparkurs? Haushalten? Zukünftige Generationen entlasten? Fehlanzeige. Wenn Großunternehmen, die die Innovation verpasst haben, oder die Rüstungsindustrie gestärkt werden sollen, ist das Vorhandene egal.

Wenn es darum geht, Stromsteuern für alle Bundesbürger zu senken, wie in dieser Woche, sagt Merz dann jedoch wieder: ,,Wir müssen auch einen Blick auf den Bundeshaushalt haben", die nächste Generation müsse die Schulden zahlen. Von der Senkung der Stromsteuer hätte jeder Einzelne profitiert. Vor allem die ,,Fleißigen in unserem Land". Friedrich Merz tritt die Interessen eines jeden Deutschen unterhalb eines gewissen Einkommensniveaus und ohne zumindest einer Teilhabe an einem Unternehmen mit Füßen. Arbeitende Menschen respektiert er nicht, solange er sie nicht gegen noch Ärmere ausspielen kann.

Nicht einmal die versprochene Mindestlohnerhöhung auf 15 Euro wird der Notwendigkeitskoalition gelingen. Sozialleistungen sollen eingekürzt werden, um Unternehmen Vergünstigungen zu ermöglichen. Für den Mittelstand sind das gute Nachrichten. Doch auch größere Unternehmen profitieren von dieser Mehrbelastung von Privatpersonen, obwohl diese Unternehmen die resultierenden Vergünstigungen oft nicht brauchen, weil sie auch so ganz gut darin sind, die eigenen Steuerbeträge zu optimieren. Die Hochrechnungen darüber, was dem Fiskus durch Steuervermeidung verlorengeht, lässt jeden Liberalkonservativen, der von Bürgergeld-Schmarotzern fabuliert, wie einen Suppenkasper und willfährigen Schoßhund der Reichen aussehen. Wenn die Liberalkonservativen damit leben können, dieses Bild abzugeben, ist es ihre Sache.

Das Staatsmännische darf uns nicht den Blick vernebeln für das, was sich dahinter verbirgt. Auch abseits der kriegerischen Rhetorik im Hinblick auf den Nahostkonflikt sowie den Ukrainekrieg, der wohl offensichtlichsten Brutalität in der Merz'schen Rhetorik, gibt der neue Kanzler teilweise Horrendes von sich. Bereits lange vor seiner Kanzlerschaft plädierte er beispielsweise auf starke Aufrüstungsbemühungen, um - wörtlich - ,,in der Welt seine [Deutschlands, Anm. d. Red.] Interessen zu definieren und durchzusetzen".

Drei Jahre Ampel wirkten für den Politikbeobachter partiell wie eine parlamentarische Doku-Soap, getrieben von persönlichen Befindlichkeiten und Unzulänglichkeiten. Der politische Journalismus hat sich vielerorts dem Bedürfnis nach Klatsch und Tratsch unterworfen, anstatt seiner Funktion gerecht zu werden, dem Publikum durch die staatstragenden Wortungetümer hindurch den Weg zum Verständnis der Zusammenhänge zu bahnen. Ein besonders absurdes Beispiel bot sich hierzu neulich bei Markus Lanz, wo der Journalist Gordon Repinski suggerierte, das SPD-Manifest, in welchem zu mehr Diplomatie aufgerufen würde, sei partiell eine Trotzreaktion von sich abgewiegelt fühlenden Parteimitgliedern, die auf ein Amt in der neuen Regierung gehofft hätten.

Wer auf diese Weise über Politik nachdenkt, um gleichzeitig zu suggerieren, dass dies mit Friedrich Merz besser würde, da dieser augenscheinlich sicherer auftritt und (zumindest bisher) über interne Streitigkeiten den Mund zu halten weiß, sollte sein Berufsethos hinterfragen. Als Konsument der Nachrichten ist man - wie heutzutage üblich - am Ende auf sich allein gestellt. Wir müssen genau hinsehen und zuhören, dieser Regierung und diesem Kanzler in dieser hochdramatischen Zeit ganz genau auf die Finger schauen. Sonst werden wir sehr schnell merken, wie uns die falsche Sicherheit ins eigene Fleisch schneidet, wenn wir uns allzu voreilig zurücklehnen und in guten Händen wähnen, weil Merz einigermaßen gut mit Donald Trump klarkommt oder ziemlich okayes Englisch spricht. Dass unsere Maßstäbe so tief gesunken sind, ist historisch verständlich. Trotzdem verdient eine vom Volk gewählte Regierung keine Samthandschuhbehandlung durch jene Menschen, die diese Regierung vertreten soll.

07.07.25
*Bent-Erik Scholz arbeitet als freier Mitarbeiter für den RBB

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