Das Zirkuszelt im Sommerloch
Nach Monaten geopolitischer Schreckensmeldungen auf tagtäglicher Basis (die, sofern man danach sucht, auch heute nicht abreißen) erhält die bundesdeutsche Gesellschaft nun zwei Anlässe um einmal kräftig durchzuatmen: 48 Stunden erhöhte Temperaturen und ein Wort, welches bislang unverfänglich eventuell mit dem ehrwürdigen Namen Roncalli in Verbindung gebracht wurde:
Das Zirkuszelt.
Von Dennis Bulinski
Das Zirkuszelt.
Von Dennis Bulinski
Es mutet ein wenig an, als könne man sich nach dem Schritt von 'Drecksarbeit' zu 'Zirkuszelt' bald nahezu nostalgisch wieder Formaten wie den ,,Killerspiel-Diskussionen" und ,,Kampfhund-Debatten", die zu Beginn des Jahrtausends endlose Talkshows füllten, in aller Fülle widmen. Nahezu ausgehungert und zerfressen wirken manche Vertreterinnen und Vertreter von Parteien und Verbänden wenn Sie ihre Kritik am Vergleich des Bundestages mit einem Zirkuszelt zum Besten geben. Der Begriff scheint nun unerwartet in Windeseile ebenso zu verbrennen wie ein Kölner Spielplatz. (Die Überlegung keimt auf das Zirkuszelt zukünftig ,,Begrenzung der Begegnungsfläche für Mensch und Tier zum Zwecke der Akrobatik, Jonglage und Unterhaltung" zu nennen.)
So viel Zustimmung man den Anliegen der Kritik äußernden Personen auch zusprechen mag, so stellt sich dennoch die Frage, ob die nun gewählten Mittel der Zielsetzung zuträglich sind.
Zu Zeiten in denen Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit die Währungen der Stunde zu sein scheinen, fallen andere Kriterien aufs Abstellgleis wie die dritte defekte S-Bahn in Folge am heißesten Tag des bisherigen Jahres. Dabei wären diverse Maßnahmen die hinsichtlich ihrer Effektivität und Legitimität untersucht würden ein sicherlich erfolgversprechender Weg für die Belange aller Menschen, die sich von einer Regenbogenflagge repräsentiert fühlen. Ob auf dem Südwestturm des Reichstagsgebäudes nun einmal oder zweimal in 365 Tagen eine andere Flagge als die schwarz-rot-goldene gehisst wird, wird keinen messbaren Effekt auf die bedauerlicherweise steigende Zahl von Gewalttaten gegen queere Mitbürgerinnen und Mitbürger nehmen. Dabei soll an dieser Stelle garantiert nicht in Abrede gestellt werden, dass symbolische Akte eine beachtliche Wirkung entfalten: Der Kniefall Willy Brandts hatte sicherlich ebenso wenig statistische Auswirkungen auf Delikte im Inland, gesellschaftlich bedeutsam ist er bis heute allemal (und bleibt es weiterhin, egal wer diesen auch kopieren mag).
Die Frage die sich stellt ist: wo möchten wir als Gesellschaft hin ? Als Anstoßpunkt für ein kurzes, gedankliches Hin-und-Her steht die folgende Forderung: Am 15. Oktober eines jeden Jahres soll auf dem Südwestturm des Reichstagsgebäudes keine Flagge gehisst werden, sondern ein gut sichtbarer weißer Langstock positioniert werden. Der von den Vereinten Nationen im Jahre 1969 ins Leben gerufene Tag des weißen Stocks dient Blindenverbänden weltweit dazu, auf die Belange von sehbehinderten Menschen aufmerksam zu machen. Und schon kann es losgehen: Befürworter und Unterstützer anderer Interessenverbände stellen ähnliche Forderungen, die spätestens dann im Streit enden, wenn derselbe Tag beansprucht wird; das Neutralitätsgebot wird angeführt und darauf verwiesen, dass man zu allen Menschen, unabhängig ihrer Lebensumstände, eine neutrale Distanz wahren muss und deshalb diskutiert werden muss, ob man doch gar keine Flagge mehr hisst. Zudem kommen Begriffe wie Erlass und Verordnung (wie in Erlass über die Beflaggung oder Brandschutzverordnung) zum Tragen und ersticken jegliches Hissen und Positionieren von irgendwas im Keim. Aktivisten entdecken den inneren Spiderman, erklimmen den Südwestturm und lösen unzählige Feuerwehreinsätze aus. Es entbrennt ein von unzähligen Seiten befeuerter Kulturkampf um symbolische Sichtbarkeit - in der Zwischenzeit, still und heimlich, arbeitet ein Arbeitskreis im Verkehrsministerium ein Konzept zur Erhöhung der Verkehrssicherheit für Menschen mit eingeschränktem Sehvermögen aus, die Umsetzung kostet nur einen Bruchteil eines Andreas-Scheuer-Projekts (egal welches, suchen Sie sich eines aus, teuer waren sie alle) und nachdem Effektivität und Legitimität kriteriengeleitet beurteilt wurden, wird ein tatsächlicher Mehrwert für eine marginalisierte Gruppe in unserer Gesellschaft geschaffen, ganz ohne Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit. Verzeihung, das gedankliche Hin-und-Her endete nun doch in einer albernen, nahezu absurden Idee.
Am 26. Juli findet in Berlin der Christopher Street Day statt. Unabhängig von gehissten oder nicht gehissten Flaggen, darf man eine erneut großartige Demonstration für Toleranz und Vielfalt erwarten, wobei dieser Umzug sicherlich mehr Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit (und das nicht nur wenn solche Veranstaltungen in der Hauptstadt stattfinden) hervorrufen wird, als jede Beflaggung das vermag. Jeglicher Form von Gewalt, egal von wem diese ausgeht und egal gegen wen sie gerichtet ist, muss so gut wie es der Gemeinschaft möglich ist, präventiv begegnet werden. Misslingt dies, und das ist es in den vergangenen Jahren leider wieder zunehmend, dann ist es eine gesellschaftspolitische Aufgabe diesem Problem zu begegnen. Das fängt nicht bei einer Beflaggung an und hört nicht mit einer Demonstrationsteilnahme auf. Und es sich hinter Neutralität bequem zu machen wird auf Dauer ebenfalls keinen Erfolg bringen.
Immerhin: das Bundesfamilienministerium wird auf dem CSD nach eigener Ankündigung mit einem Wagen vertreten sein. Unabhängig von den Wetterbedingungen (man wünscht strahlend blauen Himmel und angenehme Temperaturen) möchte man allen teilnehmenden Personen zurufen: einmal kräftig durchatmen und dann los!
15.07.25
Dennis Bulinski ist 35 Jahre alt und lehrt Englisch sowie Sozialwissenschaften an einer Gesamtschule am Rande des Ruhrgebiets in Nordrhein-Westfalen.
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So viel Zustimmung man den Anliegen der Kritik äußernden Personen auch zusprechen mag, so stellt sich dennoch die Frage, ob die nun gewählten Mittel der Zielsetzung zuträglich sind.
Zu Zeiten in denen Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit die Währungen der Stunde zu sein scheinen, fallen andere Kriterien aufs Abstellgleis wie die dritte defekte S-Bahn in Folge am heißesten Tag des bisherigen Jahres. Dabei wären diverse Maßnahmen die hinsichtlich ihrer Effektivität und Legitimität untersucht würden ein sicherlich erfolgversprechender Weg für die Belange aller Menschen, die sich von einer Regenbogenflagge repräsentiert fühlen. Ob auf dem Südwestturm des Reichstagsgebäudes nun einmal oder zweimal in 365 Tagen eine andere Flagge als die schwarz-rot-goldene gehisst wird, wird keinen messbaren Effekt auf die bedauerlicherweise steigende Zahl von Gewalttaten gegen queere Mitbürgerinnen und Mitbürger nehmen. Dabei soll an dieser Stelle garantiert nicht in Abrede gestellt werden, dass symbolische Akte eine beachtliche Wirkung entfalten: Der Kniefall Willy Brandts hatte sicherlich ebenso wenig statistische Auswirkungen auf Delikte im Inland, gesellschaftlich bedeutsam ist er bis heute allemal (und bleibt es weiterhin, egal wer diesen auch kopieren mag).
Die Frage die sich stellt ist: wo möchten wir als Gesellschaft hin ? Als Anstoßpunkt für ein kurzes, gedankliches Hin-und-Her steht die folgende Forderung: Am 15. Oktober eines jeden Jahres soll auf dem Südwestturm des Reichstagsgebäudes keine Flagge gehisst werden, sondern ein gut sichtbarer weißer Langstock positioniert werden. Der von den Vereinten Nationen im Jahre 1969 ins Leben gerufene Tag des weißen Stocks dient Blindenverbänden weltweit dazu, auf die Belange von sehbehinderten Menschen aufmerksam zu machen. Und schon kann es losgehen: Befürworter und Unterstützer anderer Interessenverbände stellen ähnliche Forderungen, die spätestens dann im Streit enden, wenn derselbe Tag beansprucht wird; das Neutralitätsgebot wird angeführt und darauf verwiesen, dass man zu allen Menschen, unabhängig ihrer Lebensumstände, eine neutrale Distanz wahren muss und deshalb diskutiert werden muss, ob man doch gar keine Flagge mehr hisst. Zudem kommen Begriffe wie Erlass und Verordnung (wie in Erlass über die Beflaggung oder Brandschutzverordnung) zum Tragen und ersticken jegliches Hissen und Positionieren von irgendwas im Keim. Aktivisten entdecken den inneren Spiderman, erklimmen den Südwestturm und lösen unzählige Feuerwehreinsätze aus. Es entbrennt ein von unzähligen Seiten befeuerter Kulturkampf um symbolische Sichtbarkeit - in der Zwischenzeit, still und heimlich, arbeitet ein Arbeitskreis im Verkehrsministerium ein Konzept zur Erhöhung der Verkehrssicherheit für Menschen mit eingeschränktem Sehvermögen aus, die Umsetzung kostet nur einen Bruchteil eines Andreas-Scheuer-Projekts (egal welches, suchen Sie sich eines aus, teuer waren sie alle) und nachdem Effektivität und Legitimität kriteriengeleitet beurteilt wurden, wird ein tatsächlicher Mehrwert für eine marginalisierte Gruppe in unserer Gesellschaft geschaffen, ganz ohne Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit. Verzeihung, das gedankliche Hin-und-Her endete nun doch in einer albernen, nahezu absurden Idee.
Am 26. Juli findet in Berlin der Christopher Street Day statt. Unabhängig von gehissten oder nicht gehissten Flaggen, darf man eine erneut großartige Demonstration für Toleranz und Vielfalt erwarten, wobei dieser Umzug sicherlich mehr Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit (und das nicht nur wenn solche Veranstaltungen in der Hauptstadt stattfinden) hervorrufen wird, als jede Beflaggung das vermag. Jeglicher Form von Gewalt, egal von wem diese ausgeht und egal gegen wen sie gerichtet ist, muss so gut wie es der Gemeinschaft möglich ist, präventiv begegnet werden. Misslingt dies, und das ist es in den vergangenen Jahren leider wieder zunehmend, dann ist es eine gesellschaftspolitische Aufgabe diesem Problem zu begegnen. Das fängt nicht bei einer Beflaggung an und hört nicht mit einer Demonstrationsteilnahme auf. Und es sich hinter Neutralität bequem zu machen wird auf Dauer ebenfalls keinen Erfolg bringen.
Immerhin: das Bundesfamilienministerium wird auf dem CSD nach eigener Ankündigung mit einem Wagen vertreten sein. Unabhängig von den Wetterbedingungen (man wünscht strahlend blauen Himmel und angenehme Temperaturen) möchte man allen teilnehmenden Personen zurufen: einmal kräftig durchatmen und dann los!
15.07.25
Dennis Bulinski ist 35 Jahre alt und lehrt Englisch sowie Sozialwissenschaften an einer Gesamtschule am Rande des Ruhrgebiets in Nordrhein-Westfalen.
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