Bekenntnisse eines Fanatikers

Bekenntnisse eines Fanatikers

Selten hat Jan Böhmermann seine Ideologie so klar und deutlich dargelegt wie jüngst in einem Gastbeitrag in der Zeit. Der Lieblingskabarrettistendarsteller des hiesigen medialen Mainstreams liefert aber nicht nur ein Psychogramm seines eigenen, erschreckend simplen Schwarz-Weiß-Denkens, sondern auch einen interessanten Einblick in einen immer autoritärer werdenden, um seine Hegemonie im Westen kämpfenden Linksliberalismus, der zunehmend religiöse Züge anzunehmen scheint.

Von Konstantin Schink
Seit 2020 moderiert Jan Böhmermann das ZDF-Magazin Royale, welches sich ähnlich wie der Vorgänger Neo Magazin Royale durch seichte Satire auszeichnet, die eine zumeist oberflächliche Eliten- oder Gesellschaftskritik beinhaltet, moralisch aber immer auf der richtigen Seite steht.

Als symptomatisch hierfür kann man die Folge zum Nahostkonflikt vom 15. Dezember 2023 betrachten. Hauptkritikpunkt war nicht eine rechtsradikale israelische Regierung, die zu diesem Zeitpunkt schon rund 20.000 Menschen in Gaza umgebracht hat und deren Verteidigungsmister die Blockade sämtlicher Lebensmittellieferungen damit begründete, dass Israel gegen menschliche Tiere kämpfe und entsprechend handle, oder eine Bundesregierung, die all dies durch Geldzahlungen und Waffenlieferungen unterstützt, sondern - kein Scherz - der ach so undifferenzierte Diskurs in Deutschland, der sich viel zu schnell auf eine Seite schlägt.

Dass undifferenziertes auf eine Seite schlagen bei anderen Konflikten für Böhmermann überhaupt kein Problem ist, werden wir gleich noch sehen. Dass eine Seite alle institutionelle Macht in ihren Händen hält und durch Demonstrationsverbote, Verfassungsschutzbeobachtung, Sperrung von Social Media Accounts und umfassender Kriegspropaganda in den meistkonsumierten Medien ihre Narrative durchdrücken kann, spielt für das ZDF Magazin Royale keine Rolle. Dass diese ganze Erzählung schlichtweg nicht stimmt, da sich so gut wie niemand Relevantes in Deutschland auf die Seite der Hamas geschlagen hat, ist egal, da die falsche Dichotomie notwendig ist, um zur Conclusio der Sendung zu kommen: Leute, haltet die Klappe! Sagt lieber nichts, wenn mit unserem Geld und unseren Waffen Verbrechen begangen werden, da der Normalbürger zu diesem schrecklich komplizierten Konflikt ja keine fundierte Meinung haben kann!

Aber schreiten wir nun zum besagten Gastbeitrag, in dem Böhmermann das größte Problem der heutigen Gesellschaft ausgemacht hat:

,,Menschen von gestern - so lieb wir sie auch haben - sind die gegenwärtig größte Bedrohung für unsere Welt, unser friedliches Zusammenleben und unsere Zukunft. Menschen von gestern - raus!"

Ihr habt richtig gehört. Nicht die steigende Ungleichheit oder die zunehmende Hochrüstung mitsamt steigender Weltkriegsgefahr sind unser größtes Problem, sondern die ,,Menschen von gestern". Doch woran erkennt man diese schlimmen ,,Menschen von gestern" und was macht sie so gefährlich?

,,Am Treffendsten lassen sich Menschen von gestern so beschreiben: Menschen von gestern sind jene, die verlernt (oder nie gelernt) haben, so zu denken und zu reden, dass sich aus ihren Gedanken und Worten wirksames Handeln ergeben kann."

Böhmermann scheint auch selbst gemerkt zu haben, dass diese Definition, mit der er seine Feinde charakterisiert, vollkommen beliebig ist:

,,Menschen von gestern ist - schon mal sehr hilfreich und produktiv! - keine besonders genaue Kategorie. Weder lässt sie sich näher parteipolitisch umreißen, noch altersmäßig, sozial oder geschlechtlich, weder nach Hautfarbe noch nach Herkunft. Menschen von gestern können links, rechts, jung, alt, männlich, weiblich oder irgendwas dazwischen und außerhalb sein, progressiv, konservativ, liberal, straight curious oder stock-bi - und genau darin liegen Charme und Stärke dieser innovativen gedanklichen Hilfskonstruktion. Menschen von gestern stehen nur in Abgrenzung zu den Kategorien Menschen von heute und den Menschen von morgen, die hier aus Platzgründen nicht näher behandelt werden können."

Die angeblich größte Gefahr für unsere Gesellschaft kann also nicht mal klar umrissen werden. Doch Böhmermann lässt uns nicht alleine mit seiner ,,innovativen gedanklichen Hilfskonstruktion", sondern gibt uns Beispiele für Standpunkte, die wir den ,,Menschen von gestern" entgegenschleudern sollen. Der Feind muss ja erkannt werden, um ihn bekämpfen zu können oder, um es mit Böhmermanns Worten zu sagen:

,,Wir müssen sie so oft und wo immer es geht an die Grenzen ihrer intellektuellen, politischen und moralischen Kapazität bringen, bis sie uns entweder eines Tages auf unserer Seite des Grabens als Besiegte die Hand zur Versöhnung reichen oder sich selbst zerreißen wie Rumpelstilzchen! Schrecken wir nicht davor zurück, gemeinsam und mit aller Kraft Menschen von gestern immer und immer wieder jene eiskalten Selbstverständlichkeiten entgegenzuschmettern, vor denen sie sich am allermeisten fürchten!"

,,Inklusive Sprache ist eine prima Idee."

Mit inklusiver Sprache sind so glorreiche Ideen wie das Gendern gemeint, welches von 80 % der erwachsenen Bevölkerung abgelehnt wird. Das macht schon einmal vier Fünftel der Deutschen zu ,,Menschen von gestern". ,,Menschen von heute und morgen" erkennt man übrigens daran, dass sie jede noch so dumme Sprachvorgabe akademischer, progressiver Eliten übernehmen, ohne kritische Fragen zu stellen. Denn ,,Es heißt Schokokuss." Und wer das nicht will, der ist wahrscheinlich ein Rassist und damit auch ,,von gestern".

,,Öffentliches Parken von Kfz ist viel zu billig, Bußgelder für Verkehrsverstöße sind viel zu niedrig."

Gerade Menschen auf dem Land, die auf das Auto angewiesen sind und eine Politik ablehnen, die das Autofahren immer weiter verteuert, während viel zu wenig in den ÖPNV und das Straßennetz investiert wird, sind somit auch ,,von gestern".

,,Wer aus dem Gefühl der Abgehängtheit freiwillig Menschen von gestern wählt, darf sich nicht wundern, wenn das Gefühl der Abgehängtheit danach noch stärker wird. Es wird ganz, ganz finster werden für Sachsen, Thüringen und Brandenburg."

Drei ganze Bundesländer sind jetzt also auch ,,von gestern", da sie laut Meinung dieses von unseren Gebührengeldern lebenden Politclowns falsch gewählt haben. Und auch hier zeigt sich eine ganz klare Dichotomie zwischen den erleuchteten ,,Menschen von heute und morgen" und den ,,Menschen von gestern", für die es ganz finster wird, wenn sie es wagen, AfD oder BSW zu wählen. Um es ganz klar zu machen: Das ist eine vollkommen fanatische Kriegsrhetorik, die nur noch Freund und Feind kennt, was Demokratie unmöglich macht.

,,Es gibt mehr als zwei Geschlechter, unendlich viel mehr Geschlechtsidentitäten, und allen Menschen stehen, unabhängig von Geschlechtsidentität oder sexueller Orientierung (die etwas vollkommen anderes ist!), dieselben Rechte zu."

Die Zustimmung zu realitätsverleugnenden Kulturkampfparolen, die nichts anderes als ein Zeichen vollkommener postmoderner Degeneration sind, wird jetzt zur Grundlage dafür gemacht, große Teile der Gesellschaft zu Auszustoßenden zu erklären. Das herrschende linksliberale Paradigma radikalisiert sich in einer Art und Weise, wie man es noch vor fünf Jahren nicht erwartet hätte. Die radikalen Ränder der intersektionalen Identitätspolitik sind zum Mainstream geworden, von dem man nicht abweichen darf, ohne zum Feind erklärt zu werden.

,,Wir brauchen eine Vermögenssteuer und eine signifikante Erhöhung der Erbschaftssteuer."

Dieser Punkt ist sehr interessant. Der progressive Neoliberalismus gibt sich weniger neoliberal, was bei genauerer Betrachtung auch keine Überraschung ist. Der globale Kampf der USA um ihre Vorherrschaft muss bei gleichzeitiger Einhaltung der Schuldenregeln im europäischen Teil des amerikanischen Großraums irgendwie finanziert werden. Nach über 40 Jahren der Umverteilung von unten nach oben ist bei denen unten nichts mehr zu holen und die Mitte ächzt unter der hohen Abgabenlast, während die Vermögen der Reichen explodiert sind.

,,Das Bündnis Sahra Wagenknecht ist in erster Linie nicht eine linkspopulistische, demokratische oder gar linke Bewegung, sondern eine autokratische."

,,Russland muss besiegt werden."

China steigt auf und bedroht die Vorherrschaft der Vereinigten Staaten über weite Teile der Welt, was in Washington zu einer Teilung der Politik in zwei Lager geführt hat. Das eine Lager, dem Donald Trump angehört, will sich gleich auf China konzentrieren und dessen Aufstieg durch einen langsam anziehenden Wirtschaftskrieg und eine Instrumentalisierung der Taiwanfrage bremsen. Das andere eher aufseiten der Demokraten befindliche Lager will den großen Endkampf zwischen den Autokraten, die aufseiten Chinas stehen, auf der einen und den westlichen Demokratien auf der anderen Seite. Russland ist in der Allianz mit China das schwächere Glied, weshalb es zuerst besiegt werden muss.

Es ist letzteres Lager, welches ein Interesse an einem immer fanatischeren, mit religiöser Überzeugung vertretenem Liberalismus hat. In den postheroischen Gesellschaften des Westens ist so gut wie niemand mehr bereit für ein höheres Ziel, einen Gott, eine Nation Opfer zu bringen. Also muss die Opferbereitschaft neu entfacht werden. Dafür braucht es Begeisterung und Hingabe für eine neue Ideologie, die postmodern, wie sie ist, täglich ihr Antlitz ändert. Deshalb das absurde Beharren auf Wörtern wie Schokokuss, der Gendersprache oder der Unendlichkeit der Geschlechtsidentitäten. Dies mag albern wirken, aber es dient einem höheren Zweck: Der Spaltung der Gesellschaft in zwei neoliberale Lager, die die eigentlichen ökonomischen Konflikte ausblenden und den globalen Machtanspruch der USA nicht infrage stellen.

Böhmermann kann in seiner Sendung israelische Kriegsverbrechen aus dem gleichen Grund nicht kritisieren, weshalb das BSW eine ,,autokratische" Bewegung ist. Diese Partei fordert nämlich eine multipolare Weltordnung, in der die Europäer ihren eigenen Standpunkt vertreten und kein Anhängsel der US-Außenpolitik wären. In so einer multipolaren Welt gäbe es keine Notwendigkeit einer wertebasierten Außenpolitik und einer innenpolitischen Dämonisierung jener, die den Autokraten nicht entschieden genug entgegentreten. Damit entfiele auch die wichtigste Grundlage eines postmodernen, fundamentalistischen Linksliberalismus.

Es geht in der Politik letztlich immer um Macht und nicht um Moral, um Interessen und nicht um Werte. Der Kern der Sache ist auch bei der immer radikaleren Propaganda eines Jan Böhmermanns nicht die Bedrohung unserer Freiheit und Demokratie durch die ,,Menschen von gestern", sondern schlicht und ergreifend Geopolitik.

Quellen


Quelle 1
Quelle 2
Quelle 3


12.09.24
Konstantin Schink (geboren am 8. November 2001) machte 2021 in Niedersachsen Abitur. Aktuell studiert er VWL und Politik im 2-Fach-Bachelor und betreibt die YouTubekanäle ,,Agitator der sozialen Marktwirtschaft" und ,,Die sekundäre Agitation"."
Kommentare
  • Marschall
    23.09.2024 12:34
    Böhmermann hat sich durchaus Verdienste erworben (Hohenzollern-Ansprüche, Zoophilie bestimmter Machthaber etc.) Aber es zeigt sich eben bei komplexeren Sachverhalten, daß er mit der Dialektik so seine Schwierigkeiten hat und dadurch auch von Politik nichts versteht. Das zeigt sich u.a. an der Frage: „Was unternehmen W I R gegen Rußland?“ Alle, die wann auch immer, was gegen Rußland unternahmen, scheiterten grandios. Das heißt nicht, daß man das Putin-System unkritisch akzeptieren soll- im Gegenteil. Und wer soll denn W I R sein? Die Frage beantwortet er nicht… Das betrifft natürlich auch den Nahostkonflikt. Aber wer kennt sich denn da mit Ursachen, Wirkungen und Wechselwirkungen wirklich aus (von mir mal abgesehen
  • Matthias
    16.09.2024 21:43
    Ich fand den Böhmermanntext auch doof, aber vor allem weil er inhaltlich so flach war.

    Aber, jungejunge, das BSW hie als Fackel des Guten und Böhmermann da als postmoderner Liberalismus-Cyborg in Diensten der NATOUSA-Weltverschwörung? Denkst du ernsthaft, dass Böhmermann den Endkampf USA/NATO - Chinarussland plant und propagiert?

    Dieser ganze intellektuell dürftige Text ist ein einziger linksliberaler Laberschiss, das glaube ich genau wie Du. Dieser ganze Mist mit Parkgebühren und was nicht alles ist Ehrenfelder Leberkäse vom feinsten, das kann einem nur auf dem Elektroroller einfallen während man sich den Flatwhite auf die Buxe gießt.

    Jetzt mal ernsthaft: Ganz ohne USA, ganz ohne Geschlechteridentitäten oder Elektroautos im Sinn zu haben hat Putin einfach versucht, sich die Ukraine zu greifen. Er hat dies gegenüber Tucker Carlsson aus seiner Perspektive historisch nachvollziehbar und geschlossen begründe, ist russisch, war russisch, nehm ich. Alles andere ist Kokolores.



  • Christine Toma
    15.09.2024 20:54
    Ein unfassbar guter Text, der hochkomplexe Zusammenhänge genau auf den Punkt bringt! Bin begeistert, vielen Dank. Das der fundamentalistische "Links"liberalismus mit seinem Ideologie-Paket aus amoralischen Gründen politisch vorangetrieben wird scheint leider vielen Menschen die ihm anhängen nicht klar zu sein, sie springen auf den Zug auf, im Glauben sie seinen die "Guten", ohne sich bewusst zu sein, wem sie hier dienen.
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