Laborunfall Corona - Hatten die ,,Schwurbler" recht?
Seit fünf Jahren geht es sehr schnell, dass einem der Bezug zur Realität abgesprochen wird. Mit Beginn der Corona-Krise verbreitete sich ein angstgetriebener Sozialdarwinismus, das Konzept: wer nicht dem Narrativ folgt, ist raus. Schwurbler, Verschwörungstheoretiker, tendenziell sogar Nazi war, wer die Corona-Politik infrage stellte. Nun scheint es zum wiederholten Male so, dass die damals Ausgestoßenen nicht völlig falsch lagen. Was ist daraus zu lernen?
Von Bent Erik Scholz
Von Bent Erik Scholz
Ungeimpfte seien unsolidarisch und eine Gefahr für die Gesellschaft, Kinder seien wie Ratten Krankheitsüberträger. Die gesamte Republik solle mit dem Finger auf jene zeigen, die die Impfung ablehnen. Nur bei einer gewissen Zahl an Infizierten, nur bei einem gewissen R-Wert, nur bei einer gewissen Inzidenz, nur bei einer gewissen Impfquote sei wieder an Freiheit zu denken - solange man die Voraussetzungen dafür erfüllt. Dies war bundesdeutsche Realität, vor gar nicht allzu langer Zeit. Vielen jungen Menschen ist ein relevanter Teil ihres Erwachsenwerdens durch verordnete Isolation verloren gegangen - manche würden sagen: er wurde ihnen weggenommen. Alten Menschen, die angeblich besonders geschützt werden sollten, wurde es aufgrund der Auflagen mindestens enorm erschwert, Zeit mit ihren Familien zu verbringen. Eine höchstpersönliche Entscheidung, nämlich die über einen gesundheitlichen Eingriff, wurde zum Politikum erklärt, die Betroffenen zur Offenlegung gedrängt, und die partielle Gewährung ihrer Grundrechte davon abhängig gemacht.
Heute haben wir es schwarz auf weiß: ein Großteil dieser Maßnahmen war maßlos übertrieben. Lockdowns wirken nicht über Monate hinweg, die Schulschließungen waren für das Infektionsgeschehen nicht erheblich, die Impfung immunisiert nicht vollständig - wer sie hat, kann das Virus immer noch bekommen und übertragen - ergo: Maßnahmen wie 2G waren wissenschaftlich kompletter Wahnsinn. Insbesondere letzteres war schon bei Beschluss dieser Regelung offensichtlich, denn bereits 2021 wusste man über die tatsächliche Schutzfunktion der Impfung (die deutlich geringer ausfiel, als ursprünglich verlautbart). Doch mit vergehender Zeit wurde immer offensichtlicher: zwei aufeinander folgende Bundesregierungen haben die Bevölkerung in ihren Grundrechten enorm eingeschränkt und erhebliche Traumata, Spaltung, und auch wirtschaftliche Unsicherheit hinterlassen - und es war an vielen Stellen sinnlos.
Am 13. März veröffentlichte die ZEIT eine Geschichte, die vieles, was wir zwischen 2020 und 2022 erlebt haben, in ein neues Licht zu rücken scheint. Dort liest man: ,,Das Coronavirus, davon ist der BND nach Auswertung aller Indizien überzeugt, stammt wahrscheinlich aus einem chinesischen Labor. Die Wahrscheinlichkeit taxiert der Nachrichtendienst anhand eines speziellen Systems, des ,Probability-Index', ein Maßstab für die Verlässlichkeit einer Information. Die Laborthese stuft der BND als ,wahrscheinlich' ein, er ist sich zu ,80 bis 95 Prozent' sicher."
Der BND, dem Kanzleramt unterstellt, trug bereits 2020 diese Bewertung dem damaligen Kanzleramtsminister Helge Braun vor. ,,Im Kanzleramt entscheidet man sich dafür, nichts zu tun", so die ZEIT. ,,Weder die WHO noch das dafür zuständige Gremium im Bundestag werden informiert. Der BND wird zum Schweigen verpflichtet." Auch Olaf Scholz wird nach seinem Amtsantritt informiert und regt den Nachrichtendienst an, die Ergebnisse seiner Untersuchung mit Christian Drosten zu diskutieren. Dazu kommt es nicht, auch hier versacken die brisanten Informationen des Geheimdienstes im System, und werden nicht ein einziges Mal im Expertenrat diskutiert.
Was ist nun das Bahnbrechende an dieser Meldung? Dass sie eine ungeahnte Wendung in der Herkunftsgeschichte des Coronavirus bedeutet? Eher nicht. Woher ein Virus konkret kommt, ist, sobald es erstmal grassiert, nicht mehr wirklich von Belang. Brisant ist der Umgang mit dieser Situation, denn die Labortheorie ist auch während der Pandemie immer wieder geäußert worden. Sie fand auch nicht nur in ominösen Telegram-Gruppen unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, in geraunten Mutmaßungen hinter vorgehaltener Hand. Sie war Teil des Mainstream-Diskurses: bereits im Juni 2021 hatte sie bereits ihren Weg in eine der größten US-amerikanischen Late-Night-Sendungen, die Late Show von Stephen Colbert, gefunden. In einem Gastauftritt sagte dort der Daily-Show-Host Jon Stewart vor mittlerweile dreieinhalb Jahren folgendes:
,,Die Wissenschaft hat uns auf vielen Ebenen geholfen, das Leiden an dieser Pandemie zu lindern, die höchstwahrscheinlich von der Wissenschaft verursacht wurde. [...] Oh mein Gott, ein neuartiges, die Atemwege befallendes Coronavirus breitet sich in Wuhan aus! Was sollen wir nur tun? Wisst ihr, wen wir fragen könnten? Das Labor für neuartige Atemwegs-Coronaviren in Wuhan."
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In den Medien wurde der Auftritt Stewarts damals vielerorts infantil, nahezu hysterisch aufgenommen. Jon Stewart solle ,,den Mund halten", schrieb ein Kolumnist der Washington Post, andernorts wurde der Satiriker als ,,Alt-right" beschimpft. In dem, was man allgemeinhin ,,die Wissenschaft" nennt - ein problematischer Begriff, da es sich nur selten um eine Masse handelt, die sich einig ist - war die Reaktion eher verhalten. Der US-amerikanische Kinderarzt und Impfstoffforscher Dr. Peter Hotez sagte kurz nach Stewards Auftritt gegenüber TMZ, man sei der Idee des Lab-Leaks durchaus offen gegenüber, doch es sei falsch, so zu tun, als handle es sich dabei um vollendete Tatsachen.
,,Follow the Science", so wurde es während der Corona-Pandemie häufig postuliert. Doch schon die Behauptung, es gäbe die eine Wissenschaft, der man zu folgen habe, ist im Kern zerstörerisch. Der Kerngedanke von Wissenschaft ist, sich selbst zu misstrauen - not even science follows science, könnte man also parieren. Jede wissenschaftliche Erkenntnis ist nur so lange richtig, wie man ihre Falschheit nicht beweisen kann. Alles andere wäre Ideologie, so geschehen auch hier, indem man eine Handvoll Wortführer auserkor, deren medizinische, virologische oder epidemiologische Kompetenz als unbestreitbar angesehen und deren Aussagen als Status Quo fraglos anerkannt wurden. Hinzu kommen Medien, die aufgrund der algorithmischen Logiken dem Problem ausgesetzt sind, dass Ambivalenz sich nur schwer in Aufmerksamkeit heischenden Schlagzeilen funktioniert.
Ein völlig verschobenes Bild von wissenschaftlichen Prozessen ist auf diesem Wege gezeichnet worden, vollkommen ignorant gegenüber dem debattenbasierten Austausch Forschender untereinander, bewusst übergehend, dass wissenschaftliche Erkenntnis immer auch ein Ringen um Beweise ist, das nicht bei einem vorläufigen Ergebnis endet. In einer Zeit großer gesellschaftlicher Unsicherheit darüber, was uns in naher Zukunft mit diesem Virus, der stetig thematisierten Angst und den Umbrüchen in unserem Lebensstil erwarten würde, wurde eine scheinbare wissenschaftliche Sicherheit konstruiert, deren Impuls jedoch lediglich spalterisch war. Sicher ist: die Impfung wirkt, und wer etwas anderes behauptet, ist ein Scharlatan. Sicher ist: wer sich nicht impfen lässt, gefährdet gegebenenfalls Menschenleben. Sicher ist: Freiheit ist nur dann wieder möglich, wenn genug Menschen sich haben impfen lassen.
Es gibt also einen Gott, passendermaßen in Weiß, und es gibt einen Teufel, von dem Unordnung und Schmutz ausgeht. Die Vertreter Gottes auf Erden war eine Regierung, die unter Kanzlerin Merkel parlamentarische Abläufe einfach mal eben so aus Zeitgründen umging und fröhlich-päpstlich durchregierte. Unter Olaf Scholz predigte Karl Lauterbach die Inhalte der Heiligen Schrift und übersetzte sie für den Pöbel, wobei es regelmäßig zu den Problemen kam, die es vor dem Buchdruck und der Reformation auch in der Kirche gab: eine Verschiebung der tatsächlichen Inhalte, mutmaßlich zugunsten des eigenen Narrativs.
Das Problem an Göttern ist: sie können nicht irren. Im Druck des Absoluten, das den Kampf um die Aufmerksamkeit immer gewinnt, ist es schwierig, Vermutungen zum Ausdruck zu bringen, weil ein Irrtum nicht einfach nur einen Fehler bedeuten würde, sondern einen Statusverlust - der Engel würde fallen. Und passend schreibt die ZEIT: ,,Die Gefahr einer Blamage sei zu groß, für den BND, aber auch für die Bundesregierung." Man hält lieber die Füße still, um einen Fehler zu vermeiden, anstatt zu riskieren, das Richtige zu tun. Es ist eine Not, die vollständig selbst erschaffen ist.
Während der Coronazeit ist viel über angebliche Demokratiegefährder gesprochen worden, und oft wurde so getan, dass Menschen, die Zweifel an der ,,Nebenwirkungsfreiheit" der Impfung hatten, genauso gut behaupten würden, die Erde sei eine Scheibe - beides sei doch nur eine Ablehnung wissenschaftlicher Tatsachen. Doch die neuerlichen Erkenntnisse zur Labortheorie, die schon unter Bundeskanzlerin Merkel offenbar eben doch debattiert wurde, zeigen, was eklatant ist: wir haben es hier allerhöchstens mit wissenschaftsfeindlichen Politikern oder Presseorganen zu tun.
Subtile Diskussionsverbote durch Androhung sozialer Ächtung oder gar Gewalt (wie zum Beispiel den Einsatz von Wasserwerfern) sind in unserer Gegenwart zur traurigen Realität der Debattenkultur geworden. Mit Rückverweis auf angebliche Sensibilitäten ist es erstaunlich, dass die Grenzen dessen, was ohne Konsequenz gesagt werden kann, oftmals von mächtigen Akteuren des öffentlichen Austauschs festgelegt werden. Menschen aus der Medienwelt, Influencer, Politiker oder Journalisten beweisen ihre moralische Integrität durch Abgrenzung von dem, was sie als verwerflich darstellen - und verschieben somit Kraft ihrer Wirkmacht als ,,vertrauenswürdige Sprecher" tatsächlich den Diskurs. Ihre angenommene Expertise (die teils schlichtweg in ihrer Medienpräsenz besteht) macht Eindruck, und so folgen freiwillig Menschen ihrem Vorbild.
Dass es in solchen sozialen Dynamiken, in denen öffentliche Sprecher eine moralische Vorbildfunktion ausüben, gar zu einem Wetteifern der Empörten kommen kann, hat nicht zuletzt der Philosoph Philipp Hübl in seinen Büchern nahegelegt. So reagiert der folgsame Zuhörer deutlich eher auf ,,klare Ansagen", was nun in Ordnung ginge und was nicht. Die ambivalenten, ausbalancierenden, eher selten forsch auftretenden Wissenschaften haben da einen schlechten Stand. Ebenso wenig wie die Widersprüche, die es im wissenschaftlichen Denken auszuhalten gilt. Denn: die Meldung besagt zwar, dass der BND offensichtlich Grund hatte, davon auszugehen, dass das Virus einem Labor entspringt, und trotzdem kann es aus Perspektive der Forschung sehr valide Anhaltspunkte für einen natürlichen Ursprung des Virus geben. Beides ist möglich, und beides war vor vier Jahren Realität. Wir haben es nur nicht erfahren, weil bei den Beteiligten die Sorge herrschte, Opfer der selbst mitgeschaffenen Mechanismen zu werden.
Hatten die ,,Schwurbler" also recht? Jene, die sich schon bei geringstem Widerspruch dem Vorwurf der Unvereinbarkeit mit dem Narrativ ausgesetzt sahen? Bei denen kein Unterschied mehr gemacht wurde, ob sie die Wirksamkeit einer Impfung anzweifeln oder die Existenz eines Virus leugnen, oder gar den Holocaust als Lüge bezeichnen - das mit dem Ausstoßen ging während dieser Jahre wirklich erstaunlich schnell.
Zu sagen, dass sie ,,recht" hatten, wäre in dieser Hinsicht verkürzt. Was jedoch eindeutig ist: schon während der Coronazeit gab es gewisse Thesen, Ideen und Fragen, die als indiskutabel gebrandmarkt wurden und sich später als durchaus relevant herausstellten. Vielleicht hätte es uns gut getan und Fehler vermeiden lassen, auch gesellschaftliche Debatten wissenschaftlicher zu führen. Statt also, wie der Volksverpetzer, in regelmäßigen Abständen Artikel mit Titeln wie ,,Sorry, Querdenker: Studien widersprechen Laborthese" (06.08.2022) zu schreiben, hätte man davon absehen können, Menschen, die diese Frage aufwerfen, direkt auf eine Art zu kategorisieren, die im Mainstream größtenteils der Delegitimation der Argumente dient.
,,Follow the science" hätte während der Pandemie folgendes geheißen: statt ,,ja" und ,,nein", ,,richtig" und ,,falsch", ,,Vernunft" oder ,,Schwurbelei" auch Mut zu haben zu: ,,vielleicht", ,,auch", und ,,kann sein". Wissenschaft heißt das Gegenteil vom Pachten der einzig richtigen Wahrheit, sondern das Zulassen und Zelebrieren von Zweifeln. Während Corona ließen wir uns in einen verbalen Krieg führen, in dem jedes Mittel recht war, um die eigene Position nicht angetastet zu wissen: juristische Druckmacherei, Denunziation, soziale Ausgrenzung, Beschimpfung. Dies betraf einerseits die Reihen der härteren Corona-Gegner, die teilweise bis heute mit knirschenden Zähnen Tribunale fordern - es war allerdings auch prävalent und viel zu oft unwidersprochen die Haltung vieler angeblicher Experten, Politiker und Medienpersönlichkeiten, abgebildet in großer Ausführlichkeit in den Talkshows, Panels und Nachrichtensendungen dieser Republik.
Die nun veröffentlichten Informationen über die BND-Untersuchungen zeigen uns, dass es eben auf komplexe Probleme mehrere mögliche Antworten geben kann. Und sie zeigen auch, dass diese der Bevölkerung zuzumuten gewesen wären - Teile der Bevölkerung sind ja schließlich von selbst auf diese Idee gekommen. De facto wurde medial ein Argument niedergeschmettert und für indiskutabel erklärt, das sich im Nachhinein als völlig legitim herausstellte.
Die Bevölkerung verdient es, ernst genommen zu werden - und man nimmt sie ernst, indem man ihr zutraut, dass sie selbstständig erkennt, welches Argument das bessere ist, ohne dass man ihr die leicht verdaulichen Teile der Realität häppchenweise verfüttert. Und es täte uns gut, Thesen, die unser eigenes Weltbild sprengen, nicht ausschließlich ablehnend zu empfangen und argwöhnisch den Sprechern zersetzendes Gedankengut zu unterstellen. Im Kern heißt dies: wir müssen mehr Neugier und Abwägung, und somit mehr wissenschaftliches Denken im Diskurs zulassen. Einander weniger unterstellen und mehr vertrauen. Wissenschaftler können sich Fehler eingestehen. Mal sehen, ob gewisse Politiker dies auch können.
24.03.25
*Bent-Erik Scholz arbeitet als freier Mitarbeiter für den RBB
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Heute haben wir es schwarz auf weiß: ein Großteil dieser Maßnahmen war maßlos übertrieben. Lockdowns wirken nicht über Monate hinweg, die Schulschließungen waren für das Infektionsgeschehen nicht erheblich, die Impfung immunisiert nicht vollständig - wer sie hat, kann das Virus immer noch bekommen und übertragen - ergo: Maßnahmen wie 2G waren wissenschaftlich kompletter Wahnsinn. Insbesondere letzteres war schon bei Beschluss dieser Regelung offensichtlich, denn bereits 2021 wusste man über die tatsächliche Schutzfunktion der Impfung (die deutlich geringer ausfiel, als ursprünglich verlautbart). Doch mit vergehender Zeit wurde immer offensichtlicher: zwei aufeinander folgende Bundesregierungen haben die Bevölkerung in ihren Grundrechten enorm eingeschränkt und erhebliche Traumata, Spaltung, und auch wirtschaftliche Unsicherheit hinterlassen - und es war an vielen Stellen sinnlos.
Am 13. März veröffentlichte die ZEIT eine Geschichte, die vieles, was wir zwischen 2020 und 2022 erlebt haben, in ein neues Licht zu rücken scheint. Dort liest man: ,,Das Coronavirus, davon ist der BND nach Auswertung aller Indizien überzeugt, stammt wahrscheinlich aus einem chinesischen Labor. Die Wahrscheinlichkeit taxiert der Nachrichtendienst anhand eines speziellen Systems, des ,Probability-Index', ein Maßstab für die Verlässlichkeit einer Information. Die Laborthese stuft der BND als ,wahrscheinlich' ein, er ist sich zu ,80 bis 95 Prozent' sicher."
Der BND, dem Kanzleramt unterstellt, trug bereits 2020 diese Bewertung dem damaligen Kanzleramtsminister Helge Braun vor. ,,Im Kanzleramt entscheidet man sich dafür, nichts zu tun", so die ZEIT. ,,Weder die WHO noch das dafür zuständige Gremium im Bundestag werden informiert. Der BND wird zum Schweigen verpflichtet." Auch Olaf Scholz wird nach seinem Amtsantritt informiert und regt den Nachrichtendienst an, die Ergebnisse seiner Untersuchung mit Christian Drosten zu diskutieren. Dazu kommt es nicht, auch hier versacken die brisanten Informationen des Geheimdienstes im System, und werden nicht ein einziges Mal im Expertenrat diskutiert.
Was ist nun das Bahnbrechende an dieser Meldung? Dass sie eine ungeahnte Wendung in der Herkunftsgeschichte des Coronavirus bedeutet? Eher nicht. Woher ein Virus konkret kommt, ist, sobald es erstmal grassiert, nicht mehr wirklich von Belang. Brisant ist der Umgang mit dieser Situation, denn die Labortheorie ist auch während der Pandemie immer wieder geäußert worden. Sie fand auch nicht nur in ominösen Telegram-Gruppen unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, in geraunten Mutmaßungen hinter vorgehaltener Hand. Sie war Teil des Mainstream-Diskurses: bereits im Juni 2021 hatte sie bereits ihren Weg in eine der größten US-amerikanischen Late-Night-Sendungen, die Late Show von Stephen Colbert, gefunden. In einem Gastauftritt sagte dort der Daily-Show-Host Jon Stewart vor mittlerweile dreieinhalb Jahren folgendes:
,,Die Wissenschaft hat uns auf vielen Ebenen geholfen, das Leiden an dieser Pandemie zu lindern, die höchstwahrscheinlich von der Wissenschaft verursacht wurde. [...] Oh mein Gott, ein neuartiges, die Atemwege befallendes Coronavirus breitet sich in Wuhan aus! Was sollen wir nur tun? Wisst ihr, wen wir fragen könnten? Das Labor für neuartige Atemwegs-Coronaviren in Wuhan."
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In den Medien wurde der Auftritt Stewarts damals vielerorts infantil, nahezu hysterisch aufgenommen. Jon Stewart solle ,,den Mund halten", schrieb ein Kolumnist der Washington Post, andernorts wurde der Satiriker als ,,Alt-right" beschimpft. In dem, was man allgemeinhin ,,die Wissenschaft" nennt - ein problematischer Begriff, da es sich nur selten um eine Masse handelt, die sich einig ist - war die Reaktion eher verhalten. Der US-amerikanische Kinderarzt und Impfstoffforscher Dr. Peter Hotez sagte kurz nach Stewards Auftritt gegenüber TMZ, man sei der Idee des Lab-Leaks durchaus offen gegenüber, doch es sei falsch, so zu tun, als handle es sich dabei um vollendete Tatsachen.
,,Follow the Science", so wurde es während der Corona-Pandemie häufig postuliert. Doch schon die Behauptung, es gäbe die eine Wissenschaft, der man zu folgen habe, ist im Kern zerstörerisch. Der Kerngedanke von Wissenschaft ist, sich selbst zu misstrauen - not even science follows science, könnte man also parieren. Jede wissenschaftliche Erkenntnis ist nur so lange richtig, wie man ihre Falschheit nicht beweisen kann. Alles andere wäre Ideologie, so geschehen auch hier, indem man eine Handvoll Wortführer auserkor, deren medizinische, virologische oder epidemiologische Kompetenz als unbestreitbar angesehen und deren Aussagen als Status Quo fraglos anerkannt wurden. Hinzu kommen Medien, die aufgrund der algorithmischen Logiken dem Problem ausgesetzt sind, dass Ambivalenz sich nur schwer in Aufmerksamkeit heischenden Schlagzeilen funktioniert.
Ein völlig verschobenes Bild von wissenschaftlichen Prozessen ist auf diesem Wege gezeichnet worden, vollkommen ignorant gegenüber dem debattenbasierten Austausch Forschender untereinander, bewusst übergehend, dass wissenschaftliche Erkenntnis immer auch ein Ringen um Beweise ist, das nicht bei einem vorläufigen Ergebnis endet. In einer Zeit großer gesellschaftlicher Unsicherheit darüber, was uns in naher Zukunft mit diesem Virus, der stetig thematisierten Angst und den Umbrüchen in unserem Lebensstil erwarten würde, wurde eine scheinbare wissenschaftliche Sicherheit konstruiert, deren Impuls jedoch lediglich spalterisch war. Sicher ist: die Impfung wirkt, und wer etwas anderes behauptet, ist ein Scharlatan. Sicher ist: wer sich nicht impfen lässt, gefährdet gegebenenfalls Menschenleben. Sicher ist: Freiheit ist nur dann wieder möglich, wenn genug Menschen sich haben impfen lassen.
Es gibt also einen Gott, passendermaßen in Weiß, und es gibt einen Teufel, von dem Unordnung und Schmutz ausgeht. Die Vertreter Gottes auf Erden war eine Regierung, die unter Kanzlerin Merkel parlamentarische Abläufe einfach mal eben so aus Zeitgründen umging und fröhlich-päpstlich durchregierte. Unter Olaf Scholz predigte Karl Lauterbach die Inhalte der Heiligen Schrift und übersetzte sie für den Pöbel, wobei es regelmäßig zu den Problemen kam, die es vor dem Buchdruck und der Reformation auch in der Kirche gab: eine Verschiebung der tatsächlichen Inhalte, mutmaßlich zugunsten des eigenen Narrativs.
Das Problem an Göttern ist: sie können nicht irren. Im Druck des Absoluten, das den Kampf um die Aufmerksamkeit immer gewinnt, ist es schwierig, Vermutungen zum Ausdruck zu bringen, weil ein Irrtum nicht einfach nur einen Fehler bedeuten würde, sondern einen Statusverlust - der Engel würde fallen. Und passend schreibt die ZEIT: ,,Die Gefahr einer Blamage sei zu groß, für den BND, aber auch für die Bundesregierung." Man hält lieber die Füße still, um einen Fehler zu vermeiden, anstatt zu riskieren, das Richtige zu tun. Es ist eine Not, die vollständig selbst erschaffen ist.
Während der Coronazeit ist viel über angebliche Demokratiegefährder gesprochen worden, und oft wurde so getan, dass Menschen, die Zweifel an der ,,Nebenwirkungsfreiheit" der Impfung hatten, genauso gut behaupten würden, die Erde sei eine Scheibe - beides sei doch nur eine Ablehnung wissenschaftlicher Tatsachen. Doch die neuerlichen Erkenntnisse zur Labortheorie, die schon unter Bundeskanzlerin Merkel offenbar eben doch debattiert wurde, zeigen, was eklatant ist: wir haben es hier allerhöchstens mit wissenschaftsfeindlichen Politikern oder Presseorganen zu tun.
Subtile Diskussionsverbote durch Androhung sozialer Ächtung oder gar Gewalt (wie zum Beispiel den Einsatz von Wasserwerfern) sind in unserer Gegenwart zur traurigen Realität der Debattenkultur geworden. Mit Rückverweis auf angebliche Sensibilitäten ist es erstaunlich, dass die Grenzen dessen, was ohne Konsequenz gesagt werden kann, oftmals von mächtigen Akteuren des öffentlichen Austauschs festgelegt werden. Menschen aus der Medienwelt, Influencer, Politiker oder Journalisten beweisen ihre moralische Integrität durch Abgrenzung von dem, was sie als verwerflich darstellen - und verschieben somit Kraft ihrer Wirkmacht als ,,vertrauenswürdige Sprecher" tatsächlich den Diskurs. Ihre angenommene Expertise (die teils schlichtweg in ihrer Medienpräsenz besteht) macht Eindruck, und so folgen freiwillig Menschen ihrem Vorbild.
Dass es in solchen sozialen Dynamiken, in denen öffentliche Sprecher eine moralische Vorbildfunktion ausüben, gar zu einem Wetteifern der Empörten kommen kann, hat nicht zuletzt der Philosoph Philipp Hübl in seinen Büchern nahegelegt. So reagiert der folgsame Zuhörer deutlich eher auf ,,klare Ansagen", was nun in Ordnung ginge und was nicht. Die ambivalenten, ausbalancierenden, eher selten forsch auftretenden Wissenschaften haben da einen schlechten Stand. Ebenso wenig wie die Widersprüche, die es im wissenschaftlichen Denken auszuhalten gilt. Denn: die Meldung besagt zwar, dass der BND offensichtlich Grund hatte, davon auszugehen, dass das Virus einem Labor entspringt, und trotzdem kann es aus Perspektive der Forschung sehr valide Anhaltspunkte für einen natürlichen Ursprung des Virus geben. Beides ist möglich, und beides war vor vier Jahren Realität. Wir haben es nur nicht erfahren, weil bei den Beteiligten die Sorge herrschte, Opfer der selbst mitgeschaffenen Mechanismen zu werden.
Hatten die ,,Schwurbler" also recht? Jene, die sich schon bei geringstem Widerspruch dem Vorwurf der Unvereinbarkeit mit dem Narrativ ausgesetzt sahen? Bei denen kein Unterschied mehr gemacht wurde, ob sie die Wirksamkeit einer Impfung anzweifeln oder die Existenz eines Virus leugnen, oder gar den Holocaust als Lüge bezeichnen - das mit dem Ausstoßen ging während dieser Jahre wirklich erstaunlich schnell.
Zu sagen, dass sie ,,recht" hatten, wäre in dieser Hinsicht verkürzt. Was jedoch eindeutig ist: schon während der Coronazeit gab es gewisse Thesen, Ideen und Fragen, die als indiskutabel gebrandmarkt wurden und sich später als durchaus relevant herausstellten. Vielleicht hätte es uns gut getan und Fehler vermeiden lassen, auch gesellschaftliche Debatten wissenschaftlicher zu führen. Statt also, wie der Volksverpetzer, in regelmäßigen Abständen Artikel mit Titeln wie ,,Sorry, Querdenker: Studien widersprechen Laborthese" (06.08.2022) zu schreiben, hätte man davon absehen können, Menschen, die diese Frage aufwerfen, direkt auf eine Art zu kategorisieren, die im Mainstream größtenteils der Delegitimation der Argumente dient.
,,Follow the science" hätte während der Pandemie folgendes geheißen: statt ,,ja" und ,,nein", ,,richtig" und ,,falsch", ,,Vernunft" oder ,,Schwurbelei" auch Mut zu haben zu: ,,vielleicht", ,,auch", und ,,kann sein". Wissenschaft heißt das Gegenteil vom Pachten der einzig richtigen Wahrheit, sondern das Zulassen und Zelebrieren von Zweifeln. Während Corona ließen wir uns in einen verbalen Krieg führen, in dem jedes Mittel recht war, um die eigene Position nicht angetastet zu wissen: juristische Druckmacherei, Denunziation, soziale Ausgrenzung, Beschimpfung. Dies betraf einerseits die Reihen der härteren Corona-Gegner, die teilweise bis heute mit knirschenden Zähnen Tribunale fordern - es war allerdings auch prävalent und viel zu oft unwidersprochen die Haltung vieler angeblicher Experten, Politiker und Medienpersönlichkeiten, abgebildet in großer Ausführlichkeit in den Talkshows, Panels und Nachrichtensendungen dieser Republik.
Die nun veröffentlichten Informationen über die BND-Untersuchungen zeigen uns, dass es eben auf komplexe Probleme mehrere mögliche Antworten geben kann. Und sie zeigen auch, dass diese der Bevölkerung zuzumuten gewesen wären - Teile der Bevölkerung sind ja schließlich von selbst auf diese Idee gekommen. De facto wurde medial ein Argument niedergeschmettert und für indiskutabel erklärt, das sich im Nachhinein als völlig legitim herausstellte.
Die Bevölkerung verdient es, ernst genommen zu werden - und man nimmt sie ernst, indem man ihr zutraut, dass sie selbstständig erkennt, welches Argument das bessere ist, ohne dass man ihr die leicht verdaulichen Teile der Realität häppchenweise verfüttert. Und es täte uns gut, Thesen, die unser eigenes Weltbild sprengen, nicht ausschließlich ablehnend zu empfangen und argwöhnisch den Sprechern zersetzendes Gedankengut zu unterstellen. Im Kern heißt dies: wir müssen mehr Neugier und Abwägung, und somit mehr wissenschaftliches Denken im Diskurs zulassen. Einander weniger unterstellen und mehr vertrauen. Wissenschaftler können sich Fehler eingestehen. Mal sehen, ob gewisse Politiker dies auch können.
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Mir fällt zu der Corona-Problematik nur immer wieder der Action-Bias ein. Ein Torwart springt lieber nach links oder rechts, um ein Gegentor zu verhindern, als stehenzubleiben. Mit anderen Worten: Er tut etwas dagegen. Und so verhält es sich meiner Meinung nach auch mit einem grassierenden Virus. Wenn mir eine - wenn auch noch nicht vollumfänglich auf Nebenwirkungen getestete - Impfung als Möglichkeit angeboten wird, dann klammere ich mich doch an diesen Strohhalm. Für mich und das Gemeinwohl. Wäre Passivität (sprich Impfverweigerung) die gesellschaftlich anerkanntere Alternative gewesen, dann wäre Corona heute noch in aller Munde und eine Gängelung seitens der Politik weiterhin die Folge. Wie soll man diesem Problem denn Herr werden? Alles ist besser als nichts zu tun. Und ja, auch Maßnahmen, die retrospektiv betrachtet Unsinn sind, sind besser als einfach mal abzuwarten und zuzusehen, wie man so klarkommt.
Seit Dezember 2020 haben die Impfungen (laut einer WHO-Studie) die Zahl der pandemiebedingten Todesfälle in der Europäischen Region um mindestens 57% reduziert.
Zehn der zwölf untersuchten Impfstoffe haben das Risiko einer symptomatischen Erkrankung erheblich verringert (Cochrane Deutschland).
Einfach mal nur so in den Raum geworfen, voller Vorfreude, wie solche Studien von potentiellen Lesern aufgenommen und dementiert werden.
Ich merke es in meinem privaten Umfeld, auch wenn ich es nicht exemplarisch für alle Corona-Leugner und Impf-Skeptiker heranziehen möchte: Die selben Leute, die vom Beginn der Krise bis heute auf die prominentesten Rädelsführer Bodo Schiffmann, Attila Hildmann, Michael Ballweg, Kayvan Soufi-Siavash etc. rekurrieren, sprechen sich heute pro Putin und pro Trump aus, glauben an die jüdische Weltverschwörung, können Sahra Wagenknecht Einiges abgewinnen (Oh Wunder!), sind aber weiterhin glühende AfD-Anhänger und greifen tief in die Rhetorik-Trickkiste, um politische Gegner zu diffamieren. Sämtliche Begriffe dürften jedem Leser hinlänglich bekannt sein und bedürfen wohl keiner Erwähnung. Es wird ein großer Bogen um Produkte mit einem "Rainforest-Alliance-zertifiziert"-Siegel gemacht, da sie mit einem Impfstoff versehen sein sollen. Der typische Querdenker-Schnack eben. Sorry, aber wer so argumentiert, den rücke ich, auch wenn ich mich noch so stark dagegen wehre, weiterhin in die "Flatearther-Ecke". Zumindest aber in die Ecke jener, denen das Internet nicht gut tut und die ihr Wissen aus dem Hörensagen beziehen und eifrige Telegram-Beitrag-Teiler sind.
Quellen:
https://www.who.int/europe/de/news/item/16-01-2024-statement---covid-19-vaccines-saved-at-least-1.4-million-lives-in-the-european-region
https://www.cochrane.de/angebote-informationen/informationen-zu-covid-19