SCHLECHTE DEBATTENKULTUR! UND WAS NUN?

SCHLECHTE DEBATTENKULTUR! UND WAS NUN?

Unsere Debattenkultur ist wesentlich personen- und emotionszentriert. Die Sache, das heißt die eigentlichen Themen und Argumente spielen kaum noch eine Rolle. Jedoch gibt es Ansätze, um die Debattenkultur zu verändern und wieder sachorientierter zu gestalten. Das Philosophieren kann dabei helfen.

Von René Kanzler
Wie oft hört man täglich davon, wie schlecht unsere Debattenkultur doch ist? Nun, nicht oft genug, denn die meisten scheren sich um so etwas gar nicht. Interessant ist aber, dass in der Mehrheit eine Kritik von denjenigen vorgebracht wird, die Teil dieser Debattenkultur sind und sie mit ihrem Gesprächs-, Schreib- und Postingverhalten fördern. Dieser Widerspruch lässt aufhorchen und vermuten, dass sich das Monieren eigentlich auf etwas Verborgenes, nicht Artikuliertes und Sachgegenstandsfremdes bezieht.

Was können aber Ansätze für eine bessere Debattenkultur sein? Eine Antwort ist: das Philosophieren. Ganz gleich, über was philosophiert werden soll; das Philosophieren weist besondere Spielregeln auf, die wir uns in der heutigen Zeit zunutze machen können.
Die wohl beste Spielregel ist: Es geht nie um Personen, ihr Geschlecht, ihre Religion, ihre Herkunft oder politische und sexuelle Ausrichtung oder welche Eigenschaften auch immer. Sie sind egal, sie interessieren nicht. Der Fokus liegt auf der Sache, den Zusammenhängen, den Argumenten und Theorien, aber vor allem auf dem Streben, etwas besser verstehen und erklären zu wollen. Stellen wir uns nur einmal vor, wie wohltuend eine Diskussion verlaufen könnte, in der nicht mehr taktiert werden muss, um sein Ansehen oder seine Anhängerschaft zu etwas zu wahren oder bestimmte Ziele wie Reichweite oder Prestige zu erlangen.

Eine weitere Spielregel ist, dass alle verwendeten Wörter und Phrasen in ihrer Bedeutung für alle Gesprächsteilnehmer zu klären sind. Es ist daher nicht genug, sich mit Kampfausdrücken und Floskeln abzugeben, die nichts weiter zum Ziel haben, als Stimmungen zu erzeugen. Erst einmal ist zu klären, was jemand beispielsweise unter ,,Rechtsstaat", ,,Demokratie" oder ,,Freiheit" versteht, eher weiterdiskutiert werden kann. Das Philosophieren führt dazu, skeptischer zu werden und sich nicht mit vorschnellen Äußerungen zufrieden zu geben. Jede Debatte kann so an Tiefe gewinnen und wir können uns davor schützen, zu schnell unsere Meinung zu etwas preiszugeben und dabei Gefahr zu laufen, etwas Undurchdachtes zu äußern.

Schließlich ist die wohl schwierigste Regel: Das beste Argument gewinnt. Das kann auch bedeuten, dass man sich beim Philosophieren eingestehen muss, dass die eigene Position widersprüchlich oder zu wenig begründet war und es daher ratsam ist, die Position zu überdenken oder vielleicht sogar ganz aufzugeben. Sieger ist auf jeden Fall nicht der, der am lautesten brüllt, die Diskussion wortlos verlässt oder anderweitig emotionalisiert reagiert. Laientheaterinszenierungen wie Politiktalkshows würden so an Bedeutung verlieren, aber auch pseudophilosophische Medienbeiträge, die nur darauf aus sind, jemandes Eloquenz und Auswendiglernen von Zitaten fälschlicherweise als Wissen und Können etikettieren.

Die Spielregeln sind nicht einfach umzusetzen. Da brauchen wir uns nichts vormachen! Es bedarf einiges an Übung, Konzentration und Mut. Vor allem aber benötigt alles Zeit. Philosophieren ist nichts, das man mit einem Hashtag, einem Ein-Satz-Statement oder einem Phrasengedresche erledigt. Das Gute daran ist jedoch: Das Philosophieren steht jeden offen - und das zu jeder Zeit. Je mehr es uns gelingt, uns diesen Spielregeln entsprechend im Gespräch zu verhalten, desto sachorientierter und gehaltvoller können Debatten wieder werden.


10.01.25
©René Kanzler
René Kanzler (*1990) ist promovierter Philosoph, Literat und Fotograf. Er befasst sich mit der Philosophie der Stoa, der antiken Philosophie der Lebenskunst und Logik. Literarisch lässt er klassische Textgattungen mit modernen Inhalten sowie Karl Ranseier wiederaufleben. Er stellt darüber hinaus Texte zum literarischen Schreiben und allgemein zum Kulturleben in Deutschland bereit - alles in dem Bestreben, zu mehr Dialog aufzurufen und einen Prozess der (Selbst-)Reflexion zu ermöglichen.
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