Immer weiter auseinander

Immer weiter auseinander

Dass unsere Gesellschaft immer weiter auseinanderdriftet, sollte niemanden mehr überraschen.

Familien trennen sich über COVID-Maßnahmen, Freundschaften brechen darüber, wer die richtige oder falsche politische Gesinnung hat und sich fremde Menschen gehen sich in völlig oberflächlichen und häufig inhaltslosen Diskussionen in Kommentarspalten an.

Eskalationen sind fast schon zum Alltag geworden. Und das selbst auf niedrigster Ebene.

von Pascal Danneberg
In meinem Beruf als Einzelhändler, in dem ich seit nun 13 Jahren arbeite, kriege ich das Tag für Tag mit, wie sich das entwickelt hat, und auf welch absurde und manchmal erschreckend niedrige Art Menschen miteinander umgehen.

Ich bin kein Akademiker und habe auch kein Abitur. Ich habe nach meinem wohl nur sehr mittelmäßigen Abschluss der Mittleren Reife, eine Lehre im Einzelhandel begonnen.

Schule war nie etwas für mich. Und gerade mich durch Themen durchzubeißen, für die ich absolut kein Interesse hatte, war für mein 15-jähriges Ich fast schon ein Ding der Unmöglichkeit. Da ich mit meinem Abschluss nur begrenzte Möglichkeiten hatte, suchte ich bevorzugt nach einer Ausbildung im Einzelhandel. Ich konnte dem ganzen Konzept, Menschen auf dieser sehr niedrigen Ebene der Befriedigung ihrer Wünsche zu helfen, einfach etwas abgewinnen. Außerdem hatte ich schon immer Interesse an Menschen an sich. Ich fand unterschiedlichste Charaktere und ihre Ausprägungen schon immer faszinierend. Und auf dieser Art und Weise, konnte ich jeden Tag Menschen kennenlernen. Ich fand es spannend für mich darüber zu philosophieren, wer diese Menschen waren, was sie wollten und natürlich auch sie zu beraten, zu helfen und sicherlich auch klein wenig zu lenken. Das klingt schlimmer als es wirklich war. Am Ende wollten die Menschen von mir auch nur Dinge für Ihr Hobby. Ich half lediglich dabei das richtige für Sie zu finden. Und wie es sich für einen Verkäufer gehört, tut er das im Einklang damit auch den Umsatz ein wenig anzukurbeln.

Mein erster Halt war in einem Geschäft für Motorradbekleidung im Jahr 2012. Der Umgangston war rau, aber freundlich. Die Kunden und Kollegen in ihren Persönlichkeiten wild gemischt. Zwischen dem, was die meisten wohl als klassischen Biker verstehen würden, mit Lederkutte auf der Harley, dem Anzug tragenden Businesstypen, der am Wochenende seine sehr teure Maschine auf eine Tour ausfährt, Eltern, die mit ihren Kindern die erste Ausrüstung kauften für die Führerscheinprüfung oder der 80-Jährige, der seine Maschine schon seit 30 Jahren jeden Tag fährt und nicht mal ein Auto hat. Neue Begegnungen jeden Tag. Als 16-jähriger musste man sich da auch häufig das Ansehen der Kunden erstmal verdienen und wurde auch mit einer gewissen Skepsis betrachtet. Aber wenn die Menschen erstmal gemerkt haben, dass man Lust darauf hat, ihre Wünsche und ihren Bedarf ernst nimmt und sich mit der Materie schnell und ordentlich vertraut macht, erntete man sich schnell auch den Respekt der Kundschaft.

Selten gab es irrationale oder überzogene Diskussionen. Natürlich gehen Dinge auch mal kaputt oder mussten reklamiert werden. Wir als Menschen sind nicht perfekt und auch das, was wir dementsprechend herstellen, ist leider niemals perfekt. Das liegt in unserer Natur und die allermeisten Menschen, haben dies auch verstanden und haben selten mit großem Unverständnis oder Ärger reagiert. Ein gegenseitiger Respekt war eigentlich immer gewahrt. Natürlich gab es dort bereits Ausnahmen, aber die kamen meiner persönlichen Erfahrung nach, wenn überhaupt, 2-3-mal im Jahr vor. Dies waren aber Geschichten an die erinnert man sich bis heute noch und lacht darüber.

Über die Jahre meiner Ausbildung hinaus blieb das zunächst so. Leider blieb ich nicht im Unternehmen und ich musste nach 3 Jahren Ausbildung und täglicher Routine mich nach einem neuen Job umschauen. Ich habe in den Jahren danach in 3 verschiedenen anderen Einzelhandelsunternehmen einen Job angenommen und habe da schon das Gefühl gehabt, dass häufig ein anderer Wind in der Kommunikation herrschte.

Dies hinterfragte ich nicht wirklich. Immerhin waren es andere Klientele in anderen Geschäften, mit anderen Wünschen. Wie sollte das auch gleich sein.

Allerdings habe ich dann Ende 2018 wieder in dem Betrieb angefangen, in dem ich meine Lehre absolviert hatte. Ich hatte mich gefreut wieder zurück zu sein und es hatte sich auch in den ersten Tagen so angefühlt, als wäre ich nur in einem sehr langen Urlaub gewesen. Leider ist mir da dann aber sehr schnell klar geworden, dass sich einiges verändert hatte. Der Ton der Kunden hatte sich verändert, die interessanten Gespräche und Geschichten waren verschwunden.

Es war kälter, distanzierter, einfach anders, obwohl es dasselbe Klientel war und stellenweise auch die sogar noch exakt gleichen Kunden waren, wie ein paar Jahre zuvor. Ich hatte daher nun einen direkten Vergleich und merkte dabei, dass sich zumindest oberflächlich irgendetwas verändert hatte. Mir fiel das auf, ich hinterfragte es aber nicht wirklich, zumindest nicht, welche Ursache das haben könne.

Im Nachhinein betrachtet, war dies der Anfang eines Trends, der immer weiter abnehmen würde und der Respekt und auch die Gemeinschaft untereinander immer weiter verloren gehen würde. Vielleicht haben schon die politischen Debatten seit 2015 und die damit verbundenen Konflikte erst Gräben in unserem gesellschaftlichen Miteinander aufgerissen.

Anfang 2020 fing ich in dem Job an, in dem ich bis heute befinde. Corona befand sich noch in den Startlöchern. Man hatte die ersten Meldungen aus der Welt gehört, aber dem ganzen erstmal den Anstrich der nächsten Vogel- oder Schweinegrippe gegeben. Ganz nach dem Motto, das wird jetzt wieder medial absolut in den Himmel aufgebauscht, nur um es dann in ein paar Wochen wieder in der Versenkung verschwinden zu lassen. Wie das weiterging, ist allen hinreichend bekannt.

Nun war ich da in einem fast noch neuen Job und man direkt in Kurzarbeit geschickt worden. Ein paar Wochen nach dem ersten Lockdown, haben wir den Laden mit Beratungsterminen wieder öffnen dürfen und damit fingen auch die ersten Diskussionen an, die einen zum ersten Mal an einem normalen und höflichen Umgangston untereinander haben zweifeln lassen. Menschen, die sich darüber aufregten, nicht in den Laden gelassen zu werden, weil sie keinen Termin hatten, die sich bei uns Verkäufern über die Maßnahmen beschwerten und nicht verstanden, warum wir uns an diese halten mussten. Diskussionen darüber, dass doch bitte die Masken getragen werden müssen, Abstände eingehalten werden sollen oder warum Sie ohne Test oder Impfung den Laden nicht betreten durften.

Corona hatte uns nicht nur physisch auf Abstand gebracht, meiner Erfahrung nach auch definitiv menschlich.

Nun befinden wir uns im Jahr 2025 und dieser Ton, dieser Abstand hat sich bis heute erhalten. Auch Freunde und Familie sprechen davon, dass seit Corona die Gesellschaft und der Umgang nicht mehr derselbe ist. "Seit Corona, sind alle verrückt geworden." hört man da gerne mal und ich kann mit meinem gelebten Alltag da nur selten oder bedingt widersprechen.

Ich muss als Teil der Filialleitung, mittlerweile immer häufiger mit Menschen interagieren, die sich oft so dermaßen abseits jeder Form des normalen und höflichen Miteinanders verhalten, dass man sich fast schon wöchentlich fragt, was in den Menschen passiert ist.

Vor Kurzem musste ich mich bei einer Kundin entschuldigen und bot ihr direkt eine Lösung an. Sie aber wollte ihrem Ärger unbedingt Luft machen. Immer wieder betonte sie, welchen Nachteil sie dadurch habe und wie viel Zeit sie verliere. Etwas, dass ich ihr nie abgesprochen habe. Im Gegenteil, in meiner Entschuldigung über die Unannehmlichkeit war ein Anerkennen Ihrer dadurch entstandenen Probleme bereits enthalten. Dennoch hielt Sie es für völlig relevant, diesen Punkt immer weiter auszuführen und ging kein bisschen auf mich ein. Es machte den Eindruck, als wolle Sie die gesamte Situation, fast schon bewusst eskalieren lassen.

Menschen echauffieren sich über derartige Kleinigkeiten, dass man sich fragt, woher sie die Energie nehmen, so viel Bedeutung in Nichtigkeiten zu legen. Und sollte es mal eine absolut berechtigte Beschwerde sein, wird ganz oft mittlerweile der Rechtsweg gesucht oder zumindest damit gedroht. Die Lösung auf menschlicher Ebene zwischen zwei Parteien zu finden ist immer mehr verkommen. Viel häufiger geht es gefühlt nur noch darum, sich möglichst einen besonders hohen Vorteil aus der Situation zu schlagen oder dem gegenüber möglichst stark spüren zu lassen, wie dermaßen enttäuscht oder sauer man über die gesamte Situation sei.

Auch Menschen erklären zu wollen, Sie müssten auch ein wenig eigene Arbeit oder Pflege in ihre Sachen stecken, damit diese nicht kaputt gehen oder langsamer verschleißen führt häufig zu Unverständnis und dem Vorwurf von angeblich schlechten Kundenservice.

So führte ich auch einmal eine Diskussion darüber, dass jemand Sich über Rost an Stahlteilen beschwerte, der sich über den Winter angesetzt habe. Ich erklärte ihm, dass ein Nutzen innerhalb des Winters mit Nässe, Kälte und viel Salz auf den Straßen besonders schnell zu Rost bzw. Korrosion führt und dass man da selbst als Endverbraucher drauf achten müsse. Immerhin können wir nicht auch noch bei den Kunden daheim sein und Ihnen tagtäglich genau erklären was sie zu tun haben. Dennoch erklärte ich mich bereit, ihm entgegenzukommen und einen Teil der Kosten auf Kulanz zu übernehmen. Aber auch hier wurde die Diskussionen immer lautstärker seinerseits und führte nur dazu, dass er fast schon mantrahaft wiederholte, dass er keinerlei Kosten einsehe und wir dafür verantwortlich seien. Ich lehnte dies ab und er fing auf einmal damit an, mit Polizei zu drohen. Abseits davon, dass diese sich natürlich nicht für solche Fälle interessierte und auch keine Handhabe darin hat, habe ich an dieser Stelle die Diskussion beendet und ihn des Hauses verwiesen. Auch hier war der Eindruck stark geblieben, man wolle nur seinen eigenen Vorteil durchbringen, ohne auch nur ansatzweise an einem Kompromiss interessiert zu sein, geschweige denn mit sich selbst auch einfach mal Kritik zu üben und sich und sein Verhalten selbst zu reflektieren.

Solche endlosen und bodenlosen Diskussionen mit irrationalen Ansprüchen, führen dazu, dass man irgendwann die Reißleine ziehen muss, um die Leute wieder auf den Boden der Tatsachen zu holen. Dies endet daher leider immer mehr damit, dass man immer mehr Kunden Hausverbot erteilen muss, obwohl man ihr Problem angenommen und anerkannt hat und Ihnen auch helfen wollte. Leider fahren Sie sich selbst über ihre persönliche Unzufriedenheit, fehlende Selbstreflexion und fast schon Rachsucht dermaßen in Rage und Irrationalität, dass man dann auch irgendwann keine Lust, Kraft und auch nicht mal mehr Möglichkeit hat Ihnen zu helfen.

Diese Art der Diskussionen, haben sich in unser aller Leben immer mehr etabliert und kommen in allen Bereichen vor. Aber ob das nun die Diskussionen um ein defektes Fahrrad oder darum, ob man nun links oder rechts sei, für oder gegen die Ukraine, für oder gegen Israel. Sie alle haben eine Sache gemeinsam, sie stehen alle am Rande von Eskalationen.

Es gibt immer weniger differenzierte und lösungsorientierte Diskussionen. Es geht nur noch darum wer endgültig Recht hat oder im Recht ist. Man denkt nur noch an sich selbst und nur noch daran, wie man das, was man persönlich für absolut und richtig hält, durchsetzt. Koste es, was es wolle. Und sei es, dass man sich in der Öffentlichkeit vor anderen zum Affen macht. Dass ein gewisser Egoismus in uns allen verankert ist, macht uns einfach menschlich. Dennoch haben Menschen wie ich, durchaus das Gefühl, dass sich etwas in unserem Umgang miteinander verändert hat.

Ich halte das für eine Entwicklung, die auf dieser niederen Ebene ebenfalls das widerspiegelt, was wir in unserem allgemeinen gesellschaftlichen Diskurs betrachten können. Immer mehr Lust zur Eskalation und zum Beharren auf seiner persönlichen Meinung, Annahme oder Wünschen und das komplette Ausblenden des Menschseins des Gegenübers. Sei es darauf bezogen, dass wir alle nicht perfekt sind und Fehler passieren können oder dass wir auch nicht alle einer Meinung sind und sehr wahrscheinlich auch niemals sein können. Dies würde voraussetzen, dass wir alle mit den gleichen Eindrücken, Wünschen und Bildung aufwachsen. Beides setzt aber voraus, dass wir uns wieder als das sehen, was wir alle sind. Und zwar Menschen.

Wir brauchen dringend wieder mehr Gelassenheit und die Fähigkeit einander richtig zuzuhören und das Menschsein zu akzeptieren. Sonst verlieren wir endgültig die Fähigkeit, Konflikte friedlich zu lösen.


15.10.25
© Pascal Danneberg

Pascal Danneberg (geb. 1995) lebt im Nürnberger Land und ist gelernter Einzelhandelskaufmann.
Neben seiner Leidenschaft fürs Gaming beschäftigt ihn besonders, was Menschen in Kultur, Politik, Philosophie und im täglichen Miteinander bewegt.

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