Wie gut, dass Rudolf Augstein das nicht mehr miterleben muss

Wie gut, dass Rudolf Augstein das nicht mehr miterleben muss

Der ,,Spiegel" war mal ein großes Nachrichtenmagazin. Dann fingen die Hamburger an, das liberale Erbe des Magazin-Gründers zu verraten. Heute führt die Redaktion sogar Protokoll über eine Geburtstagsfeier, weil dort auch AfD-Chefin Alice Weidel zu Gast war - wie im Stasi-Film ,,Das Leben der Anderen".

Von Ben Krischke
,,Der Mann, der einmal sagte, der Reichtum habe sein Leben nicht wesentlich verändert, feierte am letzten Samstag im Mai pompös seinen Geburtstag nach: Vormittags sprudelte Champagner für gut 250 Gäste, dann musizierte ein Orchester aus Prag. Später gab es ein Buffet unter freiem Himmel an mit Zitronen geschmückten Tischen, bevor im Festzelt ,Party-Time' war, wie es in der Einladung hieß." Es sind die ersten Zeilen einer aktuellen Spiegel-Recherche, durchgeführt von den Redakteurinnen Susanne Amann und Ann-Katrin Müller.

Letztere zeichnet beim Nachrichtenmagazin verantwortlich für AfD-Berichterstattung Müller schreibt Kommentare wie ,,Schluss mit der Normalisierung" (der AfD) oder berichtet über eine AfD-Schlammschlacht in Nordrhein-Westfalen. Dass sich Müller für ihre jüngste Spiegel-Recherche plötzlich mit Champagner, einem Prager Orchester und mit Tische mit Zitronen-Deko beschäftigt, hat einen einfachen Grund: Amann und Müller haben die Geburtstagsfeier des Molkereimilliardärs Theo Müller observiert, weil auch AfD-Chefin Alice Weidel zu Gast war.

Weidel und Müller sind befreundet. Das ist bekannt. Der Nachrichtenwert tendiert also gen null. Observiert wurde die Veranstaltung vom Spiegel trotzdem. Und wie! Akribisch tragen Amann und Müller ihre ,,Informationen" zusammen. Zum Beispiel so: ,,Mit fortgeschrittener Stunde wurde die Deko üppiger. Auf den weiß gedeckten Tischen standen güldene und gläserne Vasen mit Hortensien, Rosen und schwimmenden Kerzen, dazwischen Bouquets aus weißen Straußenfedern und goldbesprühten Palmenblättern, an denen Kristalle baumelten."

Sagen, was ist

,,Sagen, was ist": So lautete der Leitsatz von Rudolf Augstein. Der Spiegel-Gründer, der im Jahr 2002 verstarb, gilt als einer der einflussreichsten deutschen Journalisten der Nachkriegszeit. Sein Magazin, später bekannt geworden für investigative Hartnäckigkeit und klare Kante gegen die Mächtigen in Wirtschaft und Politik, gründete er im Jahr 1947 in Hannover. Eine echte Erfolgsgeschichte, von der das Magazin bis heute zehrt.
Augstein war aber nicht nur Journalist und Unternehmer. Er saß sogar mal drei Monate als Abgeordneter im Deutschen Bundestag. Nicht etwa für die Grünen, wie manch Spiegel-Leser der Gegenwart spontan denken mag. Die gab es 1972 noch nicht. Und auch nicht für die SPD. Nein, im Jahr 1972 ließ sich Augstein vom FDP-Vorsitzenden Walter Scheel zu einer Kandidatur überreden. Im November zog er dann über die NRW-Landesliste in den Bundestag ein. Der Ausflug dauerte aber nur drei Monate. Ein Wechsel in der Spiegel-Chefredaktion erforderte bald die volle Aufmerksamkeit des Gründers.

Es ist nur ein kurzes Kapitel im erzählenswerten Leben von Rudolf Augstein. Aber eines, das auch viel verrät über die politische Geisteshaltung des Spiegel-Gründers. Augstein war eben ein Liberaler, kein Linker, kein Konservativer, nein, ein Liberaler. Und wer das weiß, der kann die Entwicklung, die der Spiegel seit ungefähr zehn, vielleicht fünfzehn Jahren nimmt, nur mit größter Befremdung begleiten. Womit wir an dieser Stelle zurückkehren zu Susanne Amann und Ann-Katrin Müller - und ihrer Geburtstagsfeier-Recherche.
,,Die Feier offenbart, wie unbekümmert Müller, jahrzehntelanges CSU-Mitglied, sich inzwischen mit jenen vom rechten Rand umgibt, wie eng der Kontakt zu ihnen ist. Sie zeigt aber auch, wie die Radikalen bei solchen Gelegenheiten in die Nähe demokratischer Politiker und Lobbyisten gelangen, wie sie netzwerken und ihren Einfluss ausdehnen können", so heißt es weiter im Text. Und spätestens hier wird dann auch deutlich, dass es den Autorinnen nicht etwa um die Freude am Pompösen und Dekadenten geht, anders als der Bunte oder der Gala, sondern um etwas anderes. Worum genau, das offenbart der nächste Satz: ,,Offenkundig hatten die Anwesenden keine Probleme damit, mit extrem Rechten zu feiern."

Die Zeiten ändern sich

Der Spiegel war einmal ein großartiges Nachrichtenmagazin. Spannende Reportagen, tolle Recherchen, knackige Sprache mit literarischer Nuance: Als junger Student der Journalistik hatte ich ihn sogar abonniert. Dieses Spiegel-Abo war, trotz Geldnöten, der kleine Luxus, den ich mir gönnte. Heute würde ich lieber eine Tasse Reißzwecken schlucken, als Geld am Kiosk für den Spiegel auszugeben. Denn irgendwann - und ich weiß weder warum, noch wann genau - hat man in Hamburg beschlossen, die Zerstörung des liberalen Erbes eines Rudolf Augstein zur Chefsache zu machen.

Man hat Autoren und Kolumnisten angeheuert, die so gar nichts mit Freiheit am Hut haben, und beschlossen, einen links-etatistischen Kurs zu fahren. Und als dann mit Kolumnist Jan Fleischhauer auch noch die letzte prominente Stimme aus der konservativen Sphäre von Bord ging, war das Schicksal des Magazins wohl endgültig besiegelt. Anders formuliert: Rudolf Augstein hätte keine naive ,,Willkommenskultur" gepredigt. Er hätte sich deutlich kritischer mit der Energiewende auseinandergesetzt, als es der Spiegel heute tut. Er hätte sich sicher nicht zur verlängerten Pressestelle der Corona-Politik degradieren lassen. Und er hätte auch dafür gesorgt, dass heute nicht andere, viel kleinere Medien wie Cicero irgendwelche Akten zum Atomausstieg freiklagen müssen. Derlei hätte er einfach selbst gemacht.

Doch die Zeiten ändern sich. Und aus einem großen Nachrichtenmagazin ist eine Zeitschrift geworden, die jetzt Geburtstagsfeiern überwacht und so akribisch protokolliert wie im Stasi-Film ,,Das Leben der Anderen". ,,An Weidels Tisch saß unter anderem die Autorin Gaby Hauptmann", schreiben Müller und Amann. ,,An Müllers Tisch etwa saß Peter Gauweiler", heißt es. Oder auch: ,,Mit am Tisch auf der Müller-Party saß auch Rainer Zitelman". Und weiter: ,,Wenn ein erfolgreicher Unternehmer Rechtsextreme, Putin-Versteher und Klimakrisenskeptiker einladen kann und diese sich munter unter andere Gäste aus Politik, Wirtschaft und Kultur mischen - was sagt das aus? Wie sehr ist solches Gedankengut schon eingesickert in die vermeintlich bürgerliche Mitte?"

Kurzum: Amann und Müller liefern beim Spiegel jetzt Voyeurismus gegen Rechts - und überhaupt gegen alle, die sich nicht an die gängigsten Narrative - etwa zum Ukrainekrieg oder der Energiewende - in Medien und Politik halten wollen. Ein Trost aber immerhin bleibt: Wie gut, dass Rudolf Augstein das nicht mehr miterleben muss.


28.08.25
Ben Krischke ist Redakteur beim Politikmagazin Cicero Politikmagazin Ciceround Mit-Herausgeber des Buches ,,Die Wokeness-Illusion" (Verlag Herder). Er lebt in München.

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