Zwischen Pietät und Provokation: Dunja Hayalis Anmoderation im Fall Charlie Kirk
Der Mord an Charlie Kirk hat die politische Öffentlichkeit erschüttert. Der konservative Aktivist, Gründer von Turning Point USA, wurde in Utah während eines Vortrags erschossen - ein Gewaltakt, der selbstverständlich von allen politischen Seiten verurteilt werden muss. Doch fast ebenso stark wie die Tat selbst wird inzwischen darüber diskutiert, wie man über ein Opfer spricht, das selbst eine polarisierende Figur war. Im Mittelpunkt dieser Debatte steht Dunja Hayali.
von Serdar Somuncu
von Serdar Somuncu
Im ZDF ,,heute journal" verurteilte sie die Tat entschieden, führte aber im selben Atemzug an, Kirk sei für ,,oftmals abscheuliche, rassistische, sexistische und menschenfeindliche Aussagen" bekannt gewesen. Damit griff sie zu einer Wortwahl, die im Moment des größten Schocks weniger als nüchterne Einordnung, sondern vielmehr als moralisches Urteil wirkte. Was als Kontextualisierung gedacht sein mag, wurde von vielen als pietätlos empfunden.
Hier liegt ein Kernproblem des modernen Journalismus: Er bewegt sich in einem Spannungsfeld zwischen Information, Interpretation und Positionierung. Hayali gibt sich als neutrale Journalistin, doch die Auswahl ihrer Themen und die Art ihrer Moderation zeigen immer wieder eine politische Ambition, die über bloße Berichterstattung hinausgeht. Natürlich ist es Aufgabe des Journalismus, nicht nur zu berichten, sondern auch einzuordnen. Doch die Frage ist, ob diese Einordnung in diesem Moment notwendig war - und ob sie den moralischen Ansprüchen genügt, die an öffentlich-rechtliche Medien gestellt werden.
Der Zeitpunkt macht den Unterschied. Unmittelbar nach einem Mord erwarten viele Zuschauer Empathie und Zurückhaltung, nicht die Erinnerung an die fragwürdigen Seiten des Opfers. In dem Moment, in dem Hayali Kirks Aussagen auflistete, verlagerte sich der Fokus weg von der Tat und hin zu einem politischen Urteil. Damit wurde nicht nur die öffentliche Debatte verschoben, sondern auch ein Narrativ eröffnet, das beiden politischen Lagern in die Hände spielt: den einen als Beweis für ,,linke Voreingenommenheit", den anderen als Gelegenheit, noch einmal zu betonen, wie gefährlich Kirks Rhetorik gewesen sei.
Die Dynamik dahinter ist nicht neu. Schon in der Geschichte wurden Opfer politischer Gewalt zu Symbolfiguren gemacht - zu Märtyrern, deren Tod instrumentalisiert wurde. Besonders drastisch zeigt sich das im Fall von Horst Wessel, dessen Ermordung 1930 von den Nationalsozialisten zur Legende verklärt und jahrelang propagandistisch ausgeschlachtet wurde. Aber auch in jüngerer Zeit lassen sich vergleichbare Mechanismen beobachten: Der Tod von George Floyd 2020 in den USA wurde - bei allen Unterschieden im Kontext - sofort zu einem weltweiten Symbol für strukturellen Rassismus. Seine Ermordung führte zu einer massiven gesellschaftlichen Bewegung, die einerseits Aufklärung und Veränderung ermöglichte, andererseits aber auch neue Fronten eröffnete, die bis heute nachwirken. Ähnliches gilt für die Ermordung von Walter Lübcke 2019 in Deutschland, die als Beleg für die Gefährlichkeit rechtsextremer Netzwerke gewertet und in der Folge intensiv für politische Auseinandersetzungen genutzt wurde. Auch das Attentat auf John F. Kennedy 1963, dessen Umstände bis heute Verschwörungstheorien befeuern, ist ein Beispiel dafür, wie ein politischer Mord zu einem kollektiven Projektionsraum werden kann.
So unterschiedlich diese Fälle auch sind - sie zeigen alle, wie schnell eine Tat ihren ursprünglichen Kern verliert und stattdessen zur Bühne für Narrative wird. Ein Mord wird zur Projektionsfläche, aus der politische Extreme Kapital schlagen. Rechte Gruppen werden Charlie Kirk als Symbolfigur nutzen, um ,,linke Gewalt" und ,,Doppelmoral der Medien" zu beklagen. Linke Gruppen hingegen könnten ihn weiterhin als abschreckendes Beispiel für reaktionäre Rhetorik anführen. In beiden Fällen geht es nicht mehr um den Menschen Kirk oder um die Tat selbst, sondern um das, was sich politisch aus seinem Tod machen lässt.
Dass Hayalis Moderation genau in diesem Moment eine derartige Wertung enthielt, öffnet diese Tür unnötig weit. Sie hätte die Möglichkeit gehabt, Pietät zu wahren und dennoch nüchtern auf die Kontroversen hinzuweisen - etwa in einem späteren Beitrag, wenn die unmittelbare Schockwelle abgeklungen wäre. So aber wurde ihr Kommentar selbst zum Auslöser einer Debatte, die inzwischen mehr Aufmerksamkeit auf sich zieht als die eigentlichen Umstände der Tat.
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Frage, wie Journalisten selbst auf Kritik reagieren. Immer wieder wird von ,,Drohungen" und ,,Hass" gesprochen, wenn eine kontroverse Äußerung Gegenwind erfährt. Ohne Zweifel gibt es im Netz Beleidigungen und unsägliche Kommentare. Aber ist es nicht auch eine Schutzstrategie, sich auf diese extreme Form der Reaktion zu berufen, um berechtigte Kritik abzuwehren? Wer sich Kritik dadurch entzieht, dass er sie mit Hetze gleichsetzt, stärkt letztlich die Fronten und schwächt den Anspruch auf Selbstreflexion. Gerade im Journalismus sollte Kritik ausgehalten und diskutiert werden - und nicht vorschnell als Angriff auf die Pressefreiheit umgedeutet werden.
Die Debatte um Hayalis Anmoderation macht also mehrere Dinge deutlich: Erstens, wie eng die Grenze zwischen notwendiger Einordnung und unangebrachter Provokation ist. Zweitens, wie leicht solche Momente von allen politischen Seiten instrumentalisiert werden, um eigene Narrative zu verstärken. Und drittens, wie wichtig es ist, dass sowohl Journalisten als auch ihre Kritiker Maß halten.
Denn eines darf am Ende nicht übersehen werden: Jegliche Form von Extremismus, sei es journalistisch in Form moralischer Überhöhung, sei es politisch in Gestalt von Beschimpfungen, Hetze oder Kampagnen, untergräbt das Fundament der demokratischen Auseinandersetzung. Wer den Anspruch hat, aufzuklären, zu informieren und zu kritisieren, muss sich auch selbstkritisch prüfen lassen. Wer Kritik übt, darf dies nicht mit Hass verwechseln. Nur so kann die Öffentlichkeit das bleiben, was sie sein sollte: ein Raum für Debatten, nicht ein Schauplatz für gegenseitige Vernichtung.
15.09.25
©Serdar Somuncu
Das neue Buch - Lügen -Kulturgeschichte einer menschlichen Schwäche"
*Serdar Somuncu ist Schauspieler und Regisseur
HIER GEHTS ZUM NEUEN BUCH
TICKET´S ZUR SHOW "ER IST WIEDER DA"
Hier liegt ein Kernproblem des modernen Journalismus: Er bewegt sich in einem Spannungsfeld zwischen Information, Interpretation und Positionierung. Hayali gibt sich als neutrale Journalistin, doch die Auswahl ihrer Themen und die Art ihrer Moderation zeigen immer wieder eine politische Ambition, die über bloße Berichterstattung hinausgeht. Natürlich ist es Aufgabe des Journalismus, nicht nur zu berichten, sondern auch einzuordnen. Doch die Frage ist, ob diese Einordnung in diesem Moment notwendig war - und ob sie den moralischen Ansprüchen genügt, die an öffentlich-rechtliche Medien gestellt werden.
Der Zeitpunkt macht den Unterschied. Unmittelbar nach einem Mord erwarten viele Zuschauer Empathie und Zurückhaltung, nicht die Erinnerung an die fragwürdigen Seiten des Opfers. In dem Moment, in dem Hayali Kirks Aussagen auflistete, verlagerte sich der Fokus weg von der Tat und hin zu einem politischen Urteil. Damit wurde nicht nur die öffentliche Debatte verschoben, sondern auch ein Narrativ eröffnet, das beiden politischen Lagern in die Hände spielt: den einen als Beweis für ,,linke Voreingenommenheit", den anderen als Gelegenheit, noch einmal zu betonen, wie gefährlich Kirks Rhetorik gewesen sei.
Die Dynamik dahinter ist nicht neu. Schon in der Geschichte wurden Opfer politischer Gewalt zu Symbolfiguren gemacht - zu Märtyrern, deren Tod instrumentalisiert wurde. Besonders drastisch zeigt sich das im Fall von Horst Wessel, dessen Ermordung 1930 von den Nationalsozialisten zur Legende verklärt und jahrelang propagandistisch ausgeschlachtet wurde. Aber auch in jüngerer Zeit lassen sich vergleichbare Mechanismen beobachten: Der Tod von George Floyd 2020 in den USA wurde - bei allen Unterschieden im Kontext - sofort zu einem weltweiten Symbol für strukturellen Rassismus. Seine Ermordung führte zu einer massiven gesellschaftlichen Bewegung, die einerseits Aufklärung und Veränderung ermöglichte, andererseits aber auch neue Fronten eröffnete, die bis heute nachwirken. Ähnliches gilt für die Ermordung von Walter Lübcke 2019 in Deutschland, die als Beleg für die Gefährlichkeit rechtsextremer Netzwerke gewertet und in der Folge intensiv für politische Auseinandersetzungen genutzt wurde. Auch das Attentat auf John F. Kennedy 1963, dessen Umstände bis heute Verschwörungstheorien befeuern, ist ein Beispiel dafür, wie ein politischer Mord zu einem kollektiven Projektionsraum werden kann.
So unterschiedlich diese Fälle auch sind - sie zeigen alle, wie schnell eine Tat ihren ursprünglichen Kern verliert und stattdessen zur Bühne für Narrative wird. Ein Mord wird zur Projektionsfläche, aus der politische Extreme Kapital schlagen. Rechte Gruppen werden Charlie Kirk als Symbolfigur nutzen, um ,,linke Gewalt" und ,,Doppelmoral der Medien" zu beklagen. Linke Gruppen hingegen könnten ihn weiterhin als abschreckendes Beispiel für reaktionäre Rhetorik anführen. In beiden Fällen geht es nicht mehr um den Menschen Kirk oder um die Tat selbst, sondern um das, was sich politisch aus seinem Tod machen lässt.
Dass Hayalis Moderation genau in diesem Moment eine derartige Wertung enthielt, öffnet diese Tür unnötig weit. Sie hätte die Möglichkeit gehabt, Pietät zu wahren und dennoch nüchtern auf die Kontroversen hinzuweisen - etwa in einem späteren Beitrag, wenn die unmittelbare Schockwelle abgeklungen wäre. So aber wurde ihr Kommentar selbst zum Auslöser einer Debatte, die inzwischen mehr Aufmerksamkeit auf sich zieht als die eigentlichen Umstände der Tat.
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Frage, wie Journalisten selbst auf Kritik reagieren. Immer wieder wird von ,,Drohungen" und ,,Hass" gesprochen, wenn eine kontroverse Äußerung Gegenwind erfährt. Ohne Zweifel gibt es im Netz Beleidigungen und unsägliche Kommentare. Aber ist es nicht auch eine Schutzstrategie, sich auf diese extreme Form der Reaktion zu berufen, um berechtigte Kritik abzuwehren? Wer sich Kritik dadurch entzieht, dass er sie mit Hetze gleichsetzt, stärkt letztlich die Fronten und schwächt den Anspruch auf Selbstreflexion. Gerade im Journalismus sollte Kritik ausgehalten und diskutiert werden - und nicht vorschnell als Angriff auf die Pressefreiheit umgedeutet werden.
Die Debatte um Hayalis Anmoderation macht also mehrere Dinge deutlich: Erstens, wie eng die Grenze zwischen notwendiger Einordnung und unangebrachter Provokation ist. Zweitens, wie leicht solche Momente von allen politischen Seiten instrumentalisiert werden, um eigene Narrative zu verstärken. Und drittens, wie wichtig es ist, dass sowohl Journalisten als auch ihre Kritiker Maß halten.
Denn eines darf am Ende nicht übersehen werden: Jegliche Form von Extremismus, sei es journalistisch in Form moralischer Überhöhung, sei es politisch in Gestalt von Beschimpfungen, Hetze oder Kampagnen, untergräbt das Fundament der demokratischen Auseinandersetzung. Wer den Anspruch hat, aufzuklären, zu informieren und zu kritisieren, muss sich auch selbstkritisch prüfen lassen. Wer Kritik übt, darf dies nicht mit Hass verwechseln. Nur so kann die Öffentlichkeit das bleiben, was sie sein sollte: ein Raum für Debatten, nicht ein Schauplatz für gegenseitige Vernichtung.
15.09.25
©Serdar Somuncu
Das neue Buch - Lügen -Kulturgeschichte einer menschlichen Schwäche"
*Serdar Somuncu ist Schauspieler und Regisseur
HIER GEHTS ZUM NEUEN BUCH
TICKET´S ZUR SHOW "ER IST WIEDER DA"
Schreibe einen Kommentar
Seite teilen