Vorsicht vor Experten!

Vorsicht vor Experten!

Kennen Sie diese Beziehungsstreitigkeiten, in der denen der eine Partner den anderen argumentativ damit übertrumpfen will, dass er aufzählt, wer aus seinem Freundeskreis ihm so zustimmt? ,,Das war echt nicht in Ordnung von dir, X und Y haben das auch gesagt!" Nun sind X und Y selten direkte Teilnehmer der Beziehung und höchstwahrscheinlich nicht dazu befugt, Gutachten über den aktuellen Konflikt zu erstellen, werden nun aber unfreiwilligerweise zu Sekundanten. Auch im politischen Diskurs gibt es ein Äquivalent dazu: den Experten.


Von Bent-Erik Scholz
Der Deutsche liebt seine Experten, bei uns im Fernsehen dürfen Leute nur dann den größten Quatsch der Welt erzählen, wenn sie studiert haben oder ein skurriles Hobby betreiben. Die Medienhäuser der Nation halten sich Adels- und Fußball-Experten, die ihrem Thema in der Praxis nur am Rande begegnen, dafür aber in der von der Realität abgeschirmten Sicherheit des Produktionsstudios erstaunlichstes verlautbaren, was sich inhaltlich zusammenfassen lässt als: Meinung mit marginal besserer Information. Wenn es hart auf hart kommt, müssen für die Klickfarm-Onlinemedien, deren Zielgruppe die Dümmeren unter den Doomscrollern sind (Dummscroller?), also t-online und Konsorten, die Körpersprache-Experten ran.

Auch diese kommen zu beachtlichen Ergebnissen: der Körpersprache-Experte Stefan Verra erkennt in der Rede von Joe Biden vom 07. März einen ,,frischen US-Präsidenten, dem es gelinge, seine Zuschauer mitzureißen", aber: ,,Sein fortgeschrittenes Alter habe man dem 81-jährigen [...] dann doch angemerkt." Potzblitz. Zu solchen bahnbrechenden Erkenntnissen kann nur ein Experte kommen. Stefan Verra hat studiert, allerdings Schlagzeug und Musikpädagogik, er arbeitete bis zur Jahrtausendwende als Berufsmusiker, seitdem beschäftigt er sich mit Körpersprache, was auch immer das heißt, hat er ein paar Bücher gelesen oder ein paar Betrunkenen in der Eckkneipe beim wilden Gestikulieren zugeschaut? Ist im Grunde auch egal: man muss ja kein Diplom vorlegen, um sich Experte nennen und in Zeitungsinterviews kernige Pointen raushauen zu dürfen, wie zum Beispiel die diffuse Vorhersage, Sebastian Kurz würde seine Körpersprache eines Tages auf die Füße fallen.

Dass Experten eine beliebte Maßnahme deutscher Medienerzeugnisse sind, um ansonsten recht banale Zusammenhänge ein wenig aufzuwirbeln und dabei den teutonischen Wunsch nach Ordnung und Autorität zu befriedigen, fasst jedoch auch im politischen Journalismus Fuß: Als Donald Trump vor einiger Zeit bei einer Rede die Namen von Joe Biden und Barack Obama verwechselte, lud sich die Rheinische Post den Psychiater John Gartner ein, der sich auf die Definition der Dementia Care Society berief, nach der Wortfindungsstörungen, wie Trump sie öfter zu haben scheint, und Verwechslungen von Personen ein Anzeichen von Demenz seien. Gartner sagt hier Sätze wie ,,Das ist ein harter klinischer Befund von ernster organischer Gehirnschädigung." Jede Gehirnschädigung ist organisch, denn das Gehirn ist ein Organ. Am Ende versteigt sich John Gartner zu folgender Aussage: ,,Bidens Gehirn altert. Trumps Gehirn verfällt."

Das muss man sich mal vorstellen: ein professioneller, berufserfahrener Psychiater, der drei Jahrzehnte einen Lehrstuhl an der Hopkins University bekleidete, diagnostiziert einem Menschen, dem er noch nie persönlich begegnet ist, aus der Ferne auf Basis einiger Videoausschnitte eine ernsthafte kognitive Störung. Würden Sie zu einem Arzt gehen, von dem Sie wissen, dass er über Patienten so spricht? ,,Trumps Gehirn verfällt"? Von jedem Kollegen, der seinen Job ernsthaft betreibt, würde Gartner dafür mit Recht eine Ohrfeige bekommen. Zumal Trump ja nicht einmal Patient war, es handelt sich ausschließlich um eine Ferndiagnose auf Basis kleinster Einblicke in ein mutmaßliches Innenleben des Ex-Präsidenten. Auch dies verbietet sich eigentlich für jeden ernsthaften Psychiater. Dass dies jedenfalls ein ,,harter klinischer Befund" sei, ist schlichtweg gelogen. Zumal sich darüber streiten lässt, ob ein Psychiater wirklich Experte ist, wenn es um ein Krankheitsbild geht, das nicht in erster Linie psychologisch, sondern neurologisch ist.

Seit dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine sitzen Militärexperten in Podcasts, Talkshows, Diskussionsrunden allenthalben. Hierbei gibt es einige Kollegen, die bedeutend häufiger auf Bildschirmen und vor Mikrofonen erscheinen als andere. Schon während der Corona-Pandemie sahen wir dies deutlich, als Twitter-User ohne jeglichen medizinischen Hintergrund auf Basis halbherzig zusammengegoogelter Informationen sich anmaßten, festlegen zu können, wer Recht habe und wer falsch liege: Christian Drosten oder Hendrik Streeck? Menschen, die in ihrem Leben noch nie ein Labor von innen gesehen haben, schwangen sich zu Online-Professoren auf, die den einen hochhielten und den anderen ausbuhten, und die Medien reagierten: Christian Drosten und Karl Lauterbach waren die präsentesten ,,Experten" in Sachen Covid-19, was nicht zuletzt aufgrund der späteren Macht Lauterbachs sowie einigen abenteuerlichen Zitaten seinerseits ausgesprochen fragwürdig war. Wiederum gilt: Ein Arzt, der behauptet, ein Medikament sei frei von Nebenwirkungen, würde von jedem seiner Kollegen völlig gerechtfertigteres eine Watschn bekommen.

Auch, wenn ein Militärexperte benötigt wird, fischt ein Großteil deutscher Medienhäuser in einem vergleichsweise kleinen Pool. Dieser besteht nicht zuletzt jedoch aus Theoretikern: der beliebteste deutsche Militärexperte, Carlo Masala, ist von Hause aus Politikwissenschaftler, viele seiner Publikationen behandeln internationale Beziehungen, sein Wissen auf diesem Gebiet ist ihm nicht abzusprechen - doch geht mit einem Verständnis internationaler Konflikte auch ein Verständnis über die Kriegspraxis einher? Wie kommt Carlo Masala dazu, in Interviews wie selbstverständlich zu wiederholen, dass Taurus-Marschflugkörper der Ukraine einen Vorteil im Kampf zu verschaffen, wenn der Generalinspektor der Luftwaffe im Taurus-Leak im Hinblick auf die 50 bis 100 Taurus-Raketen, die Deutschland liefern könnte, ausdrücklich sagt: ,,Das wird nicht den Krieg ändern"? Wie kommt das mit den beharrlich, Mantra-artig wiederholten Behauptungen in Artikeln der Frankfurter Allgemeinen zusammen, Taurus sei ein "Gamechanger"?

Eines der hunderten geflügelten Worte der Corona-Krise war die ,,Wissenschaftsfeindlichkeit", die zumeist durch jene beklagt wurde, die sich ihrer am ehesten schuldig machten, indem sie nämlich überhaupt erst so etwas wie ,,die" Wissenschaft, und nicht einen kontinuierlichen Strom der Thesenformulierung, des Ausprobierens, des Korrigierens, dessen Schönheit hauptsächlich darin liegt, dass eben nichts je wirklich sicher ist. Erdgeschichtlich ist es noch nicht lange her, dass wir von unserem Planeten als eine Scheibe im Zentrum des Universums ausgingen. Noch im letzten Jahrhundert sprachen wir über die ,,gesunden" Light-Zigaretten, eine Zeitlang galt Tabakrauch sogar als derart gesundheitsfördernd, dass er als Heilqualm durch ein Klistier verabreicht wurde. Wer vor wenigen Jahrhunderten krank war, bekam womöglich Rauchen durchs Arschloch verschrieben, was - immerhin - wahrscheinlich ein bedeutend geringeres Lungenkrebsrisiko birgt als die orale Einnahme.

Journalismus ist im Grunde die Lehre, Fragen zu stellen, und diesen gekonnt nachzugehen, um am Ende bestenfalls anhand kredibiler Indizien die Antwort zu finden. New Journalism formuliert eine Frage, die er selbst beantwortet, um danach Beweise für diese bereits gefundene Antwort zu suchen. Für jede Haltung dieser Welt wird sich demnach irgendwo ein Experte finden lassen: Was dem einen sein Christian Drosten, ist dem anderen sein Sucharit Bhakdi. Der Impuls jedoch bleibt ein Primitiver: Um die Realität aufrechtzuerhalten, die ich mir wünsche, suche ich mir eine Autorität, die sie bestätigt.

Wissen Sie, wer eine derartige Arbeitsmethode vehement ablehnen würde? Wissenschaftler.

20.03.24
*Bent-Erik Scholz arbeitet als freier Mitarbeiter für den RBB
Kommentare
  • Christine Toma
    21.03.2024 16:39
    Ganz tolle Zeilen, danke dafür. Zur Corona Zeit habe ich folgende Erinnerungen: Ganz ohne "Experten" ging es damals nicht, allein um etwas innere Stabilität und Klarheit zurück zu bekommen klammerte sich nahezu jeder an einen dieser Fachleute, die das (für uns völlig neue und noch unfassbare) einordneten und uns irgendwie den Weg wiesen, wie wir weiter handeln sollten. Ich habe damals zu Beginn der Pandemie versucht, mich hier an einem Menschen zu orientieren, der sich quasi in der Mitte verortet hatte: K. Stöhr war auf dem Gebiet der Seuchenbekämpfung in der Praxis sehr erfahren und war weder zu leger noch zu verbissen im Umgang mit dem Virus. Ganz früh, 2020, verstand ich durch seine Ausführungen u. Einordnungen, dass dieses Virus niemals mehr verschwinden würde, die Ausbreitung also nicht gestoppt, nur verlangsamt werden konnte. Ich erfuhr damals im gleichen Zug, dass wir uns alle auch ohne Impfung infizieren würden und auch alle - ob mit oder ohne Impfung- das Virus weitergeben würden. Ich wusste, dass ich mit Anfang 40 und gesund das Virus ohne Impfung zu einem großen Prozentsatz relativ unbeschadet überstehen würde, war mir aber bewusst, dass ich ein Risiko einging. Ein herkömmliches Impfverfahren hätte ich wahrscheinlich angenommen, das MrNA Verfahren war mir noch nicht erforscht genug. Wäre ich älter gewesen, hätte ich ziemlich sicher anders entschieden. Ich habe letztendlich dann viel Ausgrenzung und Leid erlebt, da ich - am Schluss auch aus Trotz und mit fast Jobverlust - weiterhin ungeimpft blieb. Ich ging auf Demos und musste mich als Linker als Rechts beschimpfen lassen, während im Rest Europas und der Welt die Linken ganz offiziell auf Demos gegen die Maßnahmenpolitik protestierten. Hierzulande fotografierten und beschimpften mich AntiFa Menschen mit FFP-2 Maske am Rande des Demo-Zuges, mit denen ich früher gemeinsam gegen Rechts lief.
    Zum Pandemie-Ende kam man dann tatsächlich nach und nach zu all den "Erkenntnissen", die ich durch Stöhr schon zu Beginn der vielen Jahre gewonnen hatte und aufgrund derer ich meine Entscheidung fällte. Ich durfte nach Monaten wieder in mein Lieblingscafé, das für andere längst wieder geöffnet war (das war fast meine schlimmste Erfahrung..). Selbstverständlich hätte auch Stöhr sich irren können, und ich mich mit ihm. Aber er behielt recht.
    Stöhr betonte stets, dass es "DIE" Wissenschaft nicht gibt, sie fluide und immer im Wandel ist. Sie hat nicht einfach "recht", weil sie nicht per se ganz simpel zu greifen und vor allem zu definieren ist. (Ein Punkt, der eigentlich jedem Menschen der studiert hat klar gewesen sein dürfte, dennoch wurde es zur wirkmächtigen, reißerischen Dauer-Schlagzeile..). Er kommentierte nur ruhig u.sachlich, wertete nie einen Kollegen ab, obwohl er selbst häufig von ebendiesen aufs Übelste angegriffen und beleidigt wurde, ich empfand das als sehr vertrauenswürdig. Als Mitglied im Netzwerk Evidenzbasierte Medizin stand er für ebenjene und war damals einer der wenigen Experten, die unabhängig (!) von monetären Interessen u. Interessensgruppen seinen Standpunkt vertrat.
    Ich denke dass die genannte Punkte auch bei anderen Themen (wie beim Ukraine-Konflikt) ein Parameter sein können um sich im Dschungel der vielen Quellen für die sicherste zu entscheiden: (monetäre) Unabhängigkeit von Regierungen, Lobby-Interessen u. Think-Tanks, bei gleichzeitig gesichertem wissenschaftl. Berufs- u. Erfahrungshintergrund. Eine gemäßigte Position, die alle Seiten sieht und mitdenkt, mit einer klaren Tendenz, aber ohne sich voll und ganz auf eine Seite zu stellen. Die Fähigkeit zur unaufgeregten multifaktoriellen Analyse, ohne sich auf die Schlammschlachten der sozialen Medien einzulassen. Und zuletzt kommt der menschliche Faktor, das Bauchgefühl, welchen Menschen ich hier vor mir habe. Das alles führt im besten Fall zu einer vertrauenswürdigen Analyse die dann in einer Meinung mündet. Die nicht in Stein gemeißelt ist.
    Ach ja: Definitiv Varwick statt Masala! ;-)
  • 20.03.2024 13:30
    Lieber Herr Scholz,

    Es macht mir zusehends Freude, in diesem blog zu lesen, denn auch hier wieder: Das geht endlich mal an den Kern der Sache. Ich rätsle seit dem Beginn von Corona, weshalb niemand das offensichtliche Hauptproblem unserer Gesellschaft thematisiert: Die Entstehung von Autorität und unser Verhältnis zu dieser. Autorität (ich weiß etwas, das Du nicht weißt) ist nunmal das Gegenteil von Demokratie. Über Erkenntnisse kann man eben nicht abstimmen. Aber auch das "Expertenwissen" ist ist gemeinschaftsbildend, und zwar massiv. Wie also werden wir nicht nur auf demokratischem Gebiet, sondern auch im Prozess der Autoritätsbildung mündig? Dass wir hierauf keine Antwort finden, ist die große Krise der Gegenwart!

    Sie halten das Problem offenbar für ein typisch deutsches Problem. Dem müsste man, vielleicht durch eine vergleichende Untersuchung des Expertentums in anderen Ländern, forschend auf den Grund gehen. Ich glaube jedenfalls, Sie könnten recht damit haben – die Deutschen sind gewissermaßen immer auf der Suche nach einem Führer. Ich meine das gar nicht polemisch, sondern denke wirklich, die psychologischen Ursachen des Dritten Reiches wurde noch gar nicht wirklich ergründet. Jetzt hat man es sogar geschafft, durch allerlei Mahnmale, Kniefälle etc. das Nazitum als einen historischen Unfall hinzustellen, der mit "uns" Deutschen nichts zu tun habe – m.E. ein hochgefährliches Missverständnis. Die Deutschen suchen tief unten in ihrer Seele noch immer die Selbstaufgabe für die geliebte Autorität ihres geistigen Führers - und werden ihn auch finden, wenn sie nicht Selbsterkenntnis üben und aktiv gegen dieses unbewusste Streben ankämpfen. (Da ich selbst größtenteils Deutscher bin, finde ich, ich darf so etwas kritisches über mein Volk sagen, ohne mich der Diskriminierung verdächtig zu machen). In den Schulen heißt es jetzt jedenfalls schon wieder: Wahr ist, was Euch die Experten sagen. Kein Scheiß, das nennt sich "Demokratieförderung"!!!

    Herzliche Grüße
    Johannes Mosmann
  • Till josa paar
    20.03.2024 12:46
    Lieber Bent, ich danke Dir! Du machst einen tollen Job! Mit einer so angenehmen Ruhe
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