Christopher Street Disneyland
Wenn die Regenbogenparade zur Dauerwerbesendung wird und alle mitmarschieren - außer denen, um die es eigentlich ging.
von Katharina Brenner
von Katharina Brenner
Früher war mehr Stöckelschuh. Und mehr Wut. Der Christopher Street Day, einst geboren aus den Aufständen gegen Polizeigewalt in der New Yorker Christopher Street 1969, war eine Kampfansage. Gegen Repression, gegen Diskriminierung, gegen Unsichtbarkeit. Heute ist er eine Mischung aus Influencer-Messe, Werbeplattform und Identitätstourismus mit Pappbecher.
Jede Stadt hat ihren eigenen CSD. Jede Behörde, jedes Unternehmen, jede Versicherung ihre eigene Pride-Kampagne. Längst ist der Regenbogen zum Corporate Code geworden. Laut einer Forbes-Schätzung aus dem Jahr 2023 generierten Unternehmen weltweit über 10 Milliarden Dollar Umsatz mit Pride-Produkten - von Limo-Dosen bis zur Leasingprämie für ,,diverse Mobilität".
CSD als Karneval der Gesinnung
In Deutschland gibt es inzwischen über 100 CSD-Veranstaltungen jährlich, von München bis Meppen. Mit dabei: Bundeswehr, Polizei, Banken, Baumärkte. Die Zahl der Sponsoren ist teilweise höher als die der aktiven Community-Mitglieder. Es marschiert, wer etwas verkaufen will - oder wenigstens Haltung.
160 deutsche Großunternehmen beteiligten sich laut PROUT AT WORK-Report 2022 mit eigener ,,Pride-Kommunikation". Oft mit bunten Logos, seltener mit queeren Führungskräften. Und in der Fußgängerzone tummeln sich Menschen, die mit queerer Lebensrealität wenig bis nichts zu tun haben, sich aber bestens fühlen. ,,Identität als Happening" - oder wie der Autor und queere Aktivist Thomas B. Schumann es 2021 im Tagesspiegel ausdrückte:
,,Ich erkenne mein Thema nicht mehr wieder. Es geht nicht mehr um Akzeptanz, sondern um Sichtbarkeit um jeden Preis."
Vom Gedenktag zur Geltungsbühne
Die ursprünglichen Ziele - rechtliche Gleichstellung, Sicherheit im Alltag, Repräsentation ohne Karikatur - scheinen unter den Glitzerfluten zu verblassen. Stattdessen dominiert die Ästhetik eines gutgelaunten Festivals, dessen politische Substanz so dünn ist wie das bedruckte Polyester der Sponsoren-Shirts.
Der US-Autor Edmund White, selbst jahrzehntelanger LGBTQ-Aktivist, brachte es 2022 in einem NYT-Interview auf den Punkt:
,,Pride is now a party. It's easy to forget it was once a protest."
Auch innerhalb der Community wächst die Irritation. Auf Social Media trendete in den letzten Jahren unter queeren Creators mehrfach der Hashtag #PrideFatigue. Die Drag-Performerin Eric BigClit schrieb 2023 auf Instagram:
,,If one more straight insurance rep in rainbow suspenders tells me they're an ally, I'm going to puke into their brochure."
Regenbogen überall, Verantwortung nirgends
Zugleich wird das Thema dermaßen inflationär behandelt, dass jede inhaltliche Auseinandersetzung schwerfällt. Pride-Dekos auf Duschgel, Anti-Trans-Rants im Kommentarbereich - alles im selben Feed. Der Regenbogen ist allgegenwärtig, aber nicht als Symbol des Widerstands, sondern als Standardausstattung für das Markenimage.
Und während in Uganda das härteste Anti-LGBTQ-Gesetz der Welt verabschiedet wurde - mit der Möglichkeit der Todesstrafe für Homosexuelle -, tanzen in Hamburg Influencer mit Marken-Hashtags durch die CSD-Aftershow.
Die Menschenrechtsorganisation ILGA World zählt aktuell 64 Länder weltweit, in denen gleichgeschlechtliche Beziehungen strafbar sind - in 11 davon mit Todesstrafe (Stand: 2023). In Polen werden queere Aktivisten verfolgt, in Afghanistan ist selbst ein Coming-Out lebensgefährlich.
Doch auf deutschen CSDs geht diese Realität in Merch-Ständen und Pride-DJs unter.
Wer ist eigentlich ,,die Community"?
Selbst die Frage, wer noch gemeint ist, bleibt ungeklärt. Die Begriffe dehnen sich, die Buchstabenketten wachsen: LGBTQIA*, Queer+, FLINTA, Intersektional. Das Anliegen fragmentiert, bis es für Außenstehende nur noch wie ein semi-spirituelles Lifestyle-Event aussieht, bei dem sich politische Forderungen unter dem Sprachballast verstecken müssen.
Die CSD-Parade wird zunehmend von denen dominiert, die am lautesten Performanz betreiben - nicht von jenen, die politisch kämpfen. Aktivisten beklagen: Je schriller die Außenwirkung, desto weniger bleibt vom Anliegen.
Was wirklich zu tun wäre
Weder Sponsoren noch Selfies oder Statements aus dem Vorstandsflur sorgen für mehr Toleranz. Echte Veränderung beginnt dort, wo es unbequem wird:
Antidiskriminierungsarbeit in Schulen, ohne Klischees, aber mit klarem Wissen.
Strafverfolgung von queerfeindlichen Übergriffen, die laut BKA 2023 in Deutschland um über 30 % gestiegen sind.
Aufnahme gefährdeter LGBTQ-Personen aus Krisenregionen, nicht nur Lippenbekenntnisse.
Sichtbarkeit auch jenseits des urbanen Milieus: auf dem Land, im Fußballverein, in Pflegeheimen.
Und vor allem: Raum für jene, die nicht aus modischer Überzeugung, sondern aus Notwendigkeit Teil dieser Bewegung sind.
Der CSD hat viel erreicht - aber er droht, sich selbst zu parodieren. Wer nur noch tanzt, wird irgendwann nicht mehr gehört. Und wer sich in Sichtbarkeit verliert, verliert leicht den Blick für die, die noch immer unsichtbar bleiben.
03.07.25
©Katharina Brenner (Jg. 1981) ist Politikwissenschaftlerin, Publizistin und Autorin. Sie lehrte politische Theorie und Demokratieforschung an den Universitäten Leipzig und Maastricht, bevor sie sich als freie Essayistin, Moderatorin und Kommentatorin auf Fragen der liberalen Demokratie, politischen Radikalisierung und öffentlicher Debattenkultur spezialisierte.
Brenner veröffentlicht regelmäßig Essays und Kommentare in deutschsprachigen Leitmedien, schreibt an einer Buchreihe über "Demokratie in der Bewährungsprobe" und ist bekannt für ihren klaren, konfrontativen Stil, der Haltung zeigt, ohne ideologisch zu werden. Sie gilt als unabhängige Stimme zwischen den politischen Lagern und engagiert sich für eine streitbare, aber offene Diskussionskultur. Aktuell lebt sie in Berlin und arbeitet an ihrem zweiten Sachbuch mit dem Titel ,,Sagen, was ist - und warum es trotzdem kompliziert bleibt."
Quellen (Auswahl):
Forbes Business Pride Economy Report, 2023
ILGA World LGBTQ Rights Index, 2023
Tagesspiegel, Interview mit Thomas B. Schumann, 2021
BKA Jahresbericht zu Hasskriminalität, 2023
NYT Interview mit Edmund White, ,,What Pride Lost", 2022
PROUT AT WORK Pride Monitor, 2022
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Jede Stadt hat ihren eigenen CSD. Jede Behörde, jedes Unternehmen, jede Versicherung ihre eigene Pride-Kampagne. Längst ist der Regenbogen zum Corporate Code geworden. Laut einer Forbes-Schätzung aus dem Jahr 2023 generierten Unternehmen weltweit über 10 Milliarden Dollar Umsatz mit Pride-Produkten - von Limo-Dosen bis zur Leasingprämie für ,,diverse Mobilität".
CSD als Karneval der Gesinnung
In Deutschland gibt es inzwischen über 100 CSD-Veranstaltungen jährlich, von München bis Meppen. Mit dabei: Bundeswehr, Polizei, Banken, Baumärkte. Die Zahl der Sponsoren ist teilweise höher als die der aktiven Community-Mitglieder. Es marschiert, wer etwas verkaufen will - oder wenigstens Haltung.
160 deutsche Großunternehmen beteiligten sich laut PROUT AT WORK-Report 2022 mit eigener ,,Pride-Kommunikation". Oft mit bunten Logos, seltener mit queeren Führungskräften. Und in der Fußgängerzone tummeln sich Menschen, die mit queerer Lebensrealität wenig bis nichts zu tun haben, sich aber bestens fühlen. ,,Identität als Happening" - oder wie der Autor und queere Aktivist Thomas B. Schumann es 2021 im Tagesspiegel ausdrückte:
,,Ich erkenne mein Thema nicht mehr wieder. Es geht nicht mehr um Akzeptanz, sondern um Sichtbarkeit um jeden Preis."
Vom Gedenktag zur Geltungsbühne
Die ursprünglichen Ziele - rechtliche Gleichstellung, Sicherheit im Alltag, Repräsentation ohne Karikatur - scheinen unter den Glitzerfluten zu verblassen. Stattdessen dominiert die Ästhetik eines gutgelaunten Festivals, dessen politische Substanz so dünn ist wie das bedruckte Polyester der Sponsoren-Shirts.
Der US-Autor Edmund White, selbst jahrzehntelanger LGBTQ-Aktivist, brachte es 2022 in einem NYT-Interview auf den Punkt:
,,Pride is now a party. It's easy to forget it was once a protest."
Auch innerhalb der Community wächst die Irritation. Auf Social Media trendete in den letzten Jahren unter queeren Creators mehrfach der Hashtag #PrideFatigue. Die Drag-Performerin Eric BigClit schrieb 2023 auf Instagram:
,,If one more straight insurance rep in rainbow suspenders tells me they're an ally, I'm going to puke into their brochure."
Regenbogen überall, Verantwortung nirgends
Zugleich wird das Thema dermaßen inflationär behandelt, dass jede inhaltliche Auseinandersetzung schwerfällt. Pride-Dekos auf Duschgel, Anti-Trans-Rants im Kommentarbereich - alles im selben Feed. Der Regenbogen ist allgegenwärtig, aber nicht als Symbol des Widerstands, sondern als Standardausstattung für das Markenimage.
Und während in Uganda das härteste Anti-LGBTQ-Gesetz der Welt verabschiedet wurde - mit der Möglichkeit der Todesstrafe für Homosexuelle -, tanzen in Hamburg Influencer mit Marken-Hashtags durch die CSD-Aftershow.
Die Menschenrechtsorganisation ILGA World zählt aktuell 64 Länder weltweit, in denen gleichgeschlechtliche Beziehungen strafbar sind - in 11 davon mit Todesstrafe (Stand: 2023). In Polen werden queere Aktivisten verfolgt, in Afghanistan ist selbst ein Coming-Out lebensgefährlich.
Doch auf deutschen CSDs geht diese Realität in Merch-Ständen und Pride-DJs unter.
Wer ist eigentlich ,,die Community"?
Selbst die Frage, wer noch gemeint ist, bleibt ungeklärt. Die Begriffe dehnen sich, die Buchstabenketten wachsen: LGBTQIA*, Queer+, FLINTA, Intersektional. Das Anliegen fragmentiert, bis es für Außenstehende nur noch wie ein semi-spirituelles Lifestyle-Event aussieht, bei dem sich politische Forderungen unter dem Sprachballast verstecken müssen.
Die CSD-Parade wird zunehmend von denen dominiert, die am lautesten Performanz betreiben - nicht von jenen, die politisch kämpfen. Aktivisten beklagen: Je schriller die Außenwirkung, desto weniger bleibt vom Anliegen.
Was wirklich zu tun wäre
Weder Sponsoren noch Selfies oder Statements aus dem Vorstandsflur sorgen für mehr Toleranz. Echte Veränderung beginnt dort, wo es unbequem wird:
Antidiskriminierungsarbeit in Schulen, ohne Klischees, aber mit klarem Wissen.
Strafverfolgung von queerfeindlichen Übergriffen, die laut BKA 2023 in Deutschland um über 30 % gestiegen sind.
Aufnahme gefährdeter LGBTQ-Personen aus Krisenregionen, nicht nur Lippenbekenntnisse.
Sichtbarkeit auch jenseits des urbanen Milieus: auf dem Land, im Fußballverein, in Pflegeheimen.
Und vor allem: Raum für jene, die nicht aus modischer Überzeugung, sondern aus Notwendigkeit Teil dieser Bewegung sind.
Der CSD hat viel erreicht - aber er droht, sich selbst zu parodieren. Wer nur noch tanzt, wird irgendwann nicht mehr gehört. Und wer sich in Sichtbarkeit verliert, verliert leicht den Blick für die, die noch immer unsichtbar bleiben.
03.07.25
©Katharina Brenner (Jg. 1981) ist Politikwissenschaftlerin, Publizistin und Autorin. Sie lehrte politische Theorie und Demokratieforschung an den Universitäten Leipzig und Maastricht, bevor sie sich als freie Essayistin, Moderatorin und Kommentatorin auf Fragen der liberalen Demokratie, politischen Radikalisierung und öffentlicher Debattenkultur spezialisierte.
Brenner veröffentlicht regelmäßig Essays und Kommentare in deutschsprachigen Leitmedien, schreibt an einer Buchreihe über "Demokratie in der Bewährungsprobe" und ist bekannt für ihren klaren, konfrontativen Stil, der Haltung zeigt, ohne ideologisch zu werden. Sie gilt als unabhängige Stimme zwischen den politischen Lagern und engagiert sich für eine streitbare, aber offene Diskussionskultur. Aktuell lebt sie in Berlin und arbeitet an ihrem zweiten Sachbuch mit dem Titel ,,Sagen, was ist - und warum es trotzdem kompliziert bleibt."
Quellen (Auswahl):
Forbes Business Pride Economy Report, 2023
ILGA World LGBTQ Rights Index, 2023
Tagesspiegel, Interview mit Thomas B. Schumann, 2021
BKA Jahresbericht zu Hasskriminalität, 2023
NYT Interview mit Edmund White, ,,What Pride Lost", 2022
PROUT AT WORK Pride Monitor, 2022
HIER GEHTS ZUM NEUEN BUCH
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Kommentare
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Andrea30.07.2025 14:30Eine sehr kluge wie treffende Beschreibung von Frau Brenner. Leider bei vielen anderen wichtigen Themen, ebenfalls zu erkennen; sie werden kommerziell bis zur Unkenntlichkeit ausgeschlachtet. Ich sag nur "Greenwashing" ........Antworten
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