Compromise me

Compromise me

Der Pragmatismus ist die Moral der neuen Zwanziger; das Schulterzucken die Geste unserer Zeit. Der Kompromiss, seit Urzeiten gut beleumundet, ist die Richtgröße der westlichen Welt. Derweil gewinnt die Abwesenheit all dieser vermeintlichen Tugenden die Oberhand. Der Bürger sucht Orientierung durch Führung. Und bekommt die Ampel. Das muss aufhören, will Kai Blasberg.
Wussten Sie, dass für kompromittieren und Kompromiss im englischen das gleiche Wort benutzt wird? Zwischen Bloßstellen und Zusammenfinden gibt es doch einen Unterschied, oder? ,,Der Kompromiss ist eine Niederlage für zwei". Großmäulig, wie ich immer war, war das eines meiner Credos im Laufe meiner Berufszeit. Ein Kollege sprach mich diese Woche darauf an: ,,Du fehlst. Du warst so wunderbar kompromissbefreit." Schön, dass ich diesen Eindruck hinterließ. Ganz stimmen tat er nicht. Aber das muss ja keiner wissen. Und doch glaube ich, dass ein Großteil der schlechten Stimmung im Land dieser kompromisslosen Kompromisswilligkeit geschuldet ist. Die Sozialdemokraten sind die Urmutter dieser Untugend. Um zu regieren, machten sie praktisch alle Grundsätze, die sie einmal zur Politik befähigten, zu Asche und Staub. Die Christdemokraten, die zu ihrem großen Unmut lange Zeit der jüngeren deutschen Geschichte eben jene Sozen zum Regieren brauchten, litten nie unter Kompromissen. Als Konservative reicht ihnen das Regieren als Selbstzweck. Aber wehe, sie regieren mal, so wie jetzt, nicht. Dann ist Polen offen. Liberale, mit ihrer uralt-Doktrin der Märkte, die alles regeln, sind verlorene Seelen in diesem Brei der Gedanken. Der gar nicht so kluge Christian Lindner ahnte es, als er sagte, er wolle lieber nicht, als schlecht regieren. Um es dann jetzt doch zu tun. Also schlecht regieren. Die kompromisslos rechthabenden Grünen leiden unter genau diesem Umstand. Das älteste Volk der Erde ist mit den Grünen im Besitz der Erkenntnis, dass sich mindestens Vieles am eigenen Tun ändern muss, wird aber als Urheber dieser Erkenntnis für diese Erkenntnis mit teilweise irrem Hass abgestraft. Das Ganze hat sogar ein für die heutige Zeit offensichtlich unverzichtbares Label: Realpolitik. Realpolitik bezeichnet das Vorgehen von Politikern und ihren Verbünden, Dinge zu tun, die gegen all das sprechen, wofür sie sprachen, als sie gewählt werden wollten, es aber ganz anders tun, weil es eben so gekommen ist und für alternativlos erklärt wird. Dafür, das weiß der Politiker, wird er bei der nächsten Wahl wahrscheinlich den Arsch versohlt bekommen, was ihm aber in aller Regel egal ist, weil er sich in Spitzenpositionen den später malträtierten Allerwertesten über Landeslisten und sicheren Wahlbezirken verbandsintern gecovert hat. Auf der Strecke bleibt der Bürger, der all dieses Gemauschel nicht versteht, für falsch halten muss, weil es falsch ist und sich hilflos fühlt, weil Offensichtliches doch schlussendlich nicht umgesetzt wird. Dann aber doch selbst durch schändlichste Niederlagen geächtete Politdarsteller in Teilen seit vier Dekaden durch unser aller Leben zombieren, um uns zu erklären, dass wir bald all die Probleme nicht mehr haben werden, die wir durch sie erst bekamen.
Ihnen schießt jetzt Ursula von der Leyen durch den Kopf. Fritze Merz ist auch einer dieser Untoten, nicht zu vergessen unser Höchstamt-Besetzer Frank-Walter. Ihnen sind die Ergebnisse all dessen, was sie tun, egal. Hauptsache, es findet unter ihnen statt und sie sind on Air.
Stellen Sie sich vor, sie wollen ein richtig gutes Steak in die Pfanne hauen. Der Öko-bewegte Nachbar klingelt, und ermahnt sie, dass der Energiebedarf zum Braten eines Steaks, zumal eines Einzelnen, doch nun wirklich hirnverbrannt hoch sei. Sie lenken ein und erhitzen die Pfanne nur wenig. Das Steak wird zur Schuhsohle. Sie haben trotzdem Strom verbraucht. Aber immer noch Hunger. Und der Nachbar denkt, sie haben sie nicht alle. So ungefähr geht Politik. Das kann es so in der Wirtschaft, wenn es wirklich um etwas geht, nicht geben. Hier gilt die 100 %-Regel. Du machst etwas. Oder Du lässt es sein. Undenkbar in der Politik.
Dabei geht es hier meist um Leben und Tod. Etwas, worüber Vladimir Putin mit Verachtung denkt, ist der Kompromiss. Jahrelang wurde er in Verhandlungen mit Städtenamen gezwungen, wo er doch wusste, dass er die Ukraine vernichten will. Während die Frank-Walters dieser Welt in ihrer Kompromisserotik mental masturbierten, zog uns der Vladimir das westliche Fell über die Ohren. Dafür soll die Ukraine jetzt büßen, weil in Kompromissen vielleicht Teile ihres Landes irgendwas anderes werden sollen, als sie es jetzt sind, während Vladimir nichts anderes will, als das was er will. In eigener Sache sind da die Herrschaften übrigens erstaunlich handlungsfähig. Eine Diätenerhöhung für den größten Bundestag aller Zeiten wird lächelnd durchgewunken. Kompromisslos.
In diesen Tagen wohnen wir einem nachgerade einmaligen Schauspiel bei. Die Szenerie ist mein lieber Fußball. Ich stehe in der historischen Woche meines Lieblingsvereins, der vor 120 Jahren als Betriebsportverein gegründet wurde und nun tatsächlich innerhalb einer Spielzeit und einer Woche ohne Niederlage alle Titel gewinnen kann, die es für ihn zu gewinnen gab. Kompromisslos und begründet erfolgreich. Kompromisslos bescheuert hingegen gibt man sich beim ehedem übermächtigen Rivalen an der Isar, als man feststellt, dass nur noch der minderbegabte und arbeitslose Hans Dieter Flick als Trainer infrage käme. Dann doch lieber den unbeliebten und erfolglosen und seit Februar zur lame duck geprügelten Tuchel Thomas weiter werkeln lassen. Der hat zwar zwischenzeitlich die Kabine verloren, die Fans auch, doch war es genau diese Kabine, die jetzt namentlich ihrer Granden, verkünden ließ, dass einem der Spatz Thomas in der Hand lieber sei als die Taube Unbekannt auf dem Dache. Maximal kompromissbeladen. Maximal aussichtslos. Maximal Eberl.
Damit wir uns klar verstehen: die allermeisten Dinge sind egal. Man kann zu Allem und Jedem einen Kompromiss machen. Dacia oder Skoda? Vielleicht Bus oder Bahn. Das Fahrrad? Adidas oder Nike? Lieber Flip Flops. Sport ist ungesund. Santiano oder Münchner Freiheit? Wenn schon geschmacklos, dann doch bitte richtig. Die Amigos also.
Die Märchen, die uns die immer gleichen, ja meist sogar selben auftischen, sind auserzählt. An dieser Stelle erwähne ich abermals den CDU-Chef: ,,Wenn man einen Sumpf trockenlegen will, sollte man nicht die Frösche fragen." Er meinte sich nicht selbst. Ich aber.
Wir sollten, wir müssten. Wir werden - vielleicht - uns Gedanken machen, wie wir die Frösche aus dem Sumpf bekommen. Als wir das letzte Mal hinsahen, war es ein schöner Teich mit funktionierendem Öko-System. Einen Sumpf haben erst die viel zu vielen Frösche daraus gemacht. Jetzt noch die Kröten der AfD dazu zu werfen, kann kaum eine gute Antwort sein. Natürlich bin ich so ratlos wie Sie. Aber ich muss jetzt mit den Hunden raus. Deren Darm macht keine Kompromisse.

17.05.24
*Kai Blasberg war 40 Jahre in den privaten Medien in Deutschland beschäftigt
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