Das Ende des woken Zeitalters

Das Ende des woken Zeitalters

Es ist alles so gekommen wie erwartet. Donald Trump gewinnt haushoch die US-Wahl, die Ampel-Koalition bricht zusammen und ganz Europa zittert vor einem gigantischen Umbruch.

von Serdar Somuncu
Dieser Umbruch beinhaltet vor allem eine radikale Kehrtwende in der Ukraine-Politik. Und auch im Gaza-Konflikt wird es einen Richtungswechsel geben, der hoffentlich dazu führt, dass das Sterben auf allen Seiten schnell beendet wird. Denn so paradox das auch klingt und so ungern ich es auch schreibe: Donald Trump ist der richtige Präsident zur richtigen Zeit. Er verkörpert eine USA, die sich nicht von den westeuropäischen Führungsmächten diktieren lässt, wen sie zu unterstützen hat, sondern er denkt nur an sich und seine Nation. Dass diese Perspektive vor allem auch für unsere Wirtschaft erschreckend ist, macht nur dann Sinn, wenn man sich bewusst macht, wie abhängig wir mittlerweile von den Finanzentscheidungen der internationalen Märkte geworden sind. Denn eigentlich war die ursprüngliche Absicht der Gründung einer europäischen Freihandelszone, die später zur EU geworden ist, mit all ihren Entwicklungen, wie zum Beispiel der Einführung einer gemeinsamen Währung und der Auflösung der innereuropäischen Grenzen, konkurrenzfähiger zu sein im Wettbewerb mit den globalen Playern USA und China und den immer stärker werdenden Märkten in Ostasien und Indien.

Genau das Gegenteil geschieht seit geraumer Zeit. Die Europäische Union steht so schwach da, wie selten vor. Die Idee der europäischen Einigung ist zur Belastung geworden. Und nicht nur EU-Kritiker wie einer der ersten Gratulanten zur Wiederwahl Trumps, der Europakritiker Nigel Farage, wissen das, sondern auch die gemäßigten Kräfte sind sich schon lange dessen bewusst, dass die Europäische Union weder in Wettbewerbsfähigkeit noch in einer Neuordnung ihrer bürokratischen Überfrachtung ihrer ursprünglichen Idee verpflichtet zu sein scheint. Vielmehr hat sich daraus ein monströses Konstrukt entwickelt, dessen Sinnhaftigkeit immer mehr zur Sinnlosigkeit mutiert. Hinzu kommt, dass die Krisen der vergangenen Jahre von Corona bis zum Nahen Osten zusätzlich dazu beigetragen haben, dass unsere innere Stabilität, sowohl wirtschaftlich als auch politisch, immer mehr durch aufstrebende Alternativen infrage gestellt wird.

In vielen Ländern haben konservative oder reaktionäre Regierungen die bisherigen Verbünde aus Sozialdemokraten und Liberalen und in manchen Ländern auch der Grünen abgelöst, weil es der Wunsch der Bevölkerung ist, mehr Sicherheit und Verlässlichkeit, sowohl in der Außenpolitik als auch in der Innenpolitik, zu haben. Die fundamentale Verunsicherung, die dadurch entstanden ist, dass man unter fadenscheinigen Begründungen einen Krieg mitfinanziert und mit Waffen ausgestattet hat, der angeblich unsere Werte vor dem Angriff der Tyrannei schützen sollte, ist zu einem manifesten Widerstand gegen die Ideologie einer woken Mittelschicht geworden, die sich lieber daran versucht, ihre eigenen Grundsätze zu konterkarieren, als ihrem Auftrag treu zu sein und für das Wohl des eigenen Volkes zu handeln.

Stattdessen hinterlässt sie diese Verantwortung immer weiter den rechtsradikalen Kräften und stärkt damit nicht nur eine Opposition, die es nicht darauf anlegt, ebenso nicht zum Wohle des eigenen Volkes zu agieren, sondern ihren eigenen Machtanspruch auszubauen, um damit am Ende autoritäre Strukturen zu etablieren, die genau denen schaden werden, die sie eigentlich auf demokratischen Wegen bekämpfen müssten. Die sogenannte Linke ist in ein Dilemma geraten. Ihre Stimmanteile sinken rapide und durch die immer absurder erscheinende Spaltung ihrer einst einheitlichen Struktur minimiert sie ihre Machtoption. Vor allem aber durch die Aufgabe ihrer einstigen Grundsätze und die Hinwendung zu einem versteckten Liberalismus, der sich in ihrer rigiden Identitätspolitik ausdrückt, handelt sie orientierungslos und greift zu unbegründeten Schlussfolgerungen. Ob es das Desaster in der Energiepolitik ist oder der Versuch einer ,,feministischen Außenpolitik": Viele großmundig verkündete Projekte sind gescheitert und die Protagonisten sind weitgehend abgetreten. Die Parteiführung der Grünen, genauso wie der Generalsekretär der SPD. Und auch den Noch-Kanzler Scholz wird es nach dieser Logik des Scheiterns früher oder später erwischen, denn wenn er denkt, dass seine Rettung in der Anbiederung an den angestaubten Friedrich Merz liegt, schaufelt er nicht nur sich und einer weiteren Amtszeit das Grab, sondern er verschleißt zugleich auch den Machtanspruch der CDU.

Boris Pistorius und sein Krokodil Markus Söder lauern schon. Vor allem aber erkennt die amtierende Regierung nicht die Ausmaße des Schadens, den sie nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch in Teilen der Wirtschaft und der intellektuellen Oberschicht angerichtet hat. Mittelständische Unternehmer wenden sich ab, genauso wie große Konzerne und ihre Arbeiterschaft. Der ursprüngliche Sinn einer Interessensvertretung der Unterprivilegierten hat sich zu einer Hegemonialmacht entwickelt, die in ihrem Bestimmungsanspruch fast schon machiavellistische Züge angenommen hat. Infolgedessen wird der Widerstand, der sich seit geraumer Zeit dagegen regt, immer massiver, und das Unverständnis darüber, dass ein Kanzler, der ohnehin an mangelnder Glaubwürdigkeit leidet, nicht schon seit geraumer Zeit sein Mandat infrage stellt, ist zu einer Wut gegen das amtierende Bündnis geworden, die sich fatalerweise der Haltung einer Opposition angenähert hat, die ihre Stimmen üblicherweise aus dem rechten Lager bezieht. Dieser Kreuzweg führt vor allem dazu, dass die Regierung sich seit geraumer Zeit in einer Art freien Fall befindet und ihre Entscheidungen nur von Moment zu Moment trifft. Wenn aber Stimmungsbarometer bestimmen, welche Einsicht die Machthabenden zu ihren Fehlern haben, dann bleibt das Volk außen vor und fühlt sich von den Mächtigen verraten.

Man wird sehen, ob der jetzt eingeleitete Strukturwandel dazu führt, dass die aus der Balance geraten zu scheinende Welt wieder zur Ruhe kommt und wir uns endlich wieder damit befassen können, affektfrei und in friedlichen Auseinandersetzungen über richtige Lösungen zu streiten, ohne dabei unsere Diskursfähigkeit auf eine binäre Sichtweise zu reduzieren. Denn es geht nicht nur um Reich und Arm, um Krieg oder Frieden, um Ost und West, um Islam oder Christentum, sondern es geht darum, dass wir eine Weltgemeinschaft werden, die in ihrer moralisch-ethischen Ausrichtung sowohl die Freiheit des Individuums gewährleistet als auch die Verantwortung des Einzelnen für das Ganze deutlich macht. Eine daraus entstehende Gerechtigkeit bedeutet, sich sowohl von Verbotspolitik und erzieherischer Arroganz einer privilegierten Kaste von Besserwissern zu lösen, als auch die Möglichkeit, jenseits von Machtgeschacher und Parteipolitik für fruchtbare Diskurse offenzubleiben, an deren Ende alle Teile der Gesellschaft davon profitieren.

07.11.24
©Serdar Somuncu
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*Serdar Somuncu ist Schauspieler und Regisseur
Kommentare
  • Moritz
    18.11.2024 19:55
    Hi Serdar,
    vielen Dank für deinen Kommentar. Insbesondere der Ansatz einer Art ethisch-moralischem Minimalkonsenz der Weltgemeinschaft finde ich sehr einleuchtend. Über die Inhaltliche Ausgestaltung lässt sich aber durchaus streiten finde ich. Obwohl ich individuelle Freiheit zu meinen persönlich Grundbedürfnissen zähle, denke ich dennoch es handelt sich um einen Wert der für einige Mitglieder der internationalen Gemeinschaft von eher untergeordneter Bedeutung ist. Ein weltweiter Konsenz lässt sich aus meiner Sicht mittelfristig am besten über die Erhaltung und Gestaltung unseres Lebensraums erreichen. Das Bewusstsein, dass wir in einem globalen Ökosystem leben, in dem alles zusammenhängt könnte eine Art Gemeinschaftssinn auf globaler Ebene entstehen lassen. Was meinst du? Sollte Europa die Freiheit des Einzelnen bei der Suche nach so einem weltweiten Minimalkonsenz tatsächlich voraussetzen?
    Liebe Grüße
  • Leonard
    14.11.2024 13:42
    Ich stimme Serdar Somuncu zu – seine Analyse bringt die Herausforderungen für Europa und die westliche Welt auf den Punkt. Besonders sein Hinweis auf die EU, die an Flexibilität und Fokus verloren hat, ist wichtig. Sein Aufruf zu mehr ethischem Zusammenhalt weltweit gefällt mir sehr, und ich würde ergänzen, dass auch auf lokaler Ebene Vertrauen aufgebaut werden muss. Durch stabile, gemeinschaftsfördernde Projekte vor Ort können wir die gesellschaftliche Spaltung überwinden und ein echtes Gefühl der Zugehörigkeit schaffen.
  • Dennis Buli
    07.11.2024 10:47
    Vielen Dank für diesen Text, insbesondere den letzten Absatz.
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