Heinrich Heine kompakt

Heinrich Heine kompakt

,,Wer auf der Straße räsoniert, wird unverzüglich füsiliert!" dichtete einst Heinrich Heine. Er sah damit die äußert originelle Änderung des Verfahrensrechts vorher, welche im einstweilig gescheiterten Verbot des Magazins Compact versucht wurde. Dies zeugt von wahrer Größe des dritten Dichterfürsten.

von Alexander Kira
Satiriker zu sein ist manchmal der leichteste Job der Welt. Entgegen der langläufigen Meinung denken wir uns nichts aus, sondern stellen die Wirklichkeit nur deutlich langweiliger und fader dar, damit sie glaubwürdig erscheint. So auch beim aktuellen Verbot und dessen Aufhebung des deutschen Leitmediums Compact. Auf einer schmalen Grundlage weitreichende Schlüsse ziehen, das ist ein Grundsatz für Habilitationsschriften. Getreu diesem Motto wollen wir auch nur einen Aspekt des Verfahrens beleuchten, den man bereits für die satirische Überspitzung halten könnte.
Als einer der Gründe für das Verbot wurde nämlich ein Gespräch mit dem Hausmeister am Sitz der Zeitschrift angeführt. Er fühlte sich durch das Magazin angestiftet, die Regierung zu stürzen. Puh! Das ist natürlich eine Aussage, die für sich allein jegliches Verbot rechtfertigt. Man fragt sich, warum bei dieser Faktenlage überhaupt noch andere Argumente in der Verbotsverfügung aufgeführt waren. Doch die eigentliche Fernwirkung dieser Folgerungskette für das deutsche Prozessrecht hatte die Öffentlichkeit nicht erkannt - scheinbar nun aber das im einstweiligen Verfügungsverfahren zuständige Gericht. Wahrlich, man muss schon der Juristerei zugesprochen haben, um den Sprengstoff dieses Präzedenzfalles zu ermessen:

Brauchte man früher in Verwaltungsverfahren Beweise oder Fakten für eine Entscheidung, reichen nun subjektive Meinungsäußerungen von Menschen in räumlicher Nähe zu dem betroffenen Rechtssubjet. Im vorliegenden Fall sog. ,,Hausmeisteränderungen". Mit ungeahnten Folgen für die Bürgerinne und Bürger, aber eindeutig der geforderten Entbürokratisierung entsprechend: Was war es bisher für ein Aufwand, einem Wirt nachzuweisen, dass die Zapfanlage verkeimt ist. Heute reicht die Aussage eines Passanten: ,,Potzblitz, in so einer Kneipe würde ich nie was trinken!" - schon ist der Beweis für Keime in der Zapfanlage erbracht. Dies birgt natürlich auch Risiken für die Politik selbst:

Wenn ein erschöpfter Taxifahrer vor dem Arbeitsministerium zu einem Fahrgast äußert: ,,Diese Sozialabgaben kann doch kein Selbständiger mehr aufbringen..." ist der Beweis für die Anstiftung zum Sozialbetrug durch Hubertus Heil erbracht. Mit dem Rücktritt als einziger Konsequenz. Dies erklärt auch, warum Ministerien gerne weiträumig abgesperrt sind. Spontane Aussagen von Passanten können Ministerinnen und Minister ins politische Verderben reißen. Bei zukünftigen Wahlkämpfen mischen sich einfach gegnerische Anhänger unter die Passanten am Wahlstand und sagen: ,,Hoppla, ich habe bei meiner letzten Fahrerflucht an Dr. Volker Wissing gedacht!" - und schon ist man unwählbar wegen Mittäterschaft!
Fragt sich, wie diese Entwicklung weitergeht. Schlag nach bei Heine, dem zweitbekanntesten Deutschen in Paris nach Karl Lagerfeld: ,,Wer auf der Straße räsoniert / wird unverzüglich füsiliert. / Das Räsonieren durch Gebärden / soll gleichfalls hart bestrafet werden." Heißt es in dem Gedicht mit dem umständlichen Titel: Erinnerung aus Krähwinkels Schreckenstagen. So weit will der Autor dieser Zeilen nicht gehen. Die weitere Exegese des Textes ist jedoch hilfreich: Denn auch ,,Räsonieren durch Gebärden, soll hart bestrafet werden". Was Heine uns sagen wollte, heißt Im

Klartext:
Demnächst genügt schon ein schiefer Blick für ein Verbot. Es reicht die Passanten zu beobachten, anstatt groß Häuser zu durchsuchen und Material zu beschlagnahmen. Schauen Passanten beim Vorbeigehen zu sehr nach rechts oder links - ist schon der Beweis für den entsprechenden Extremismus erbracht. Greifen sie beim Vorbeigehen in eine Tasche - ist das Potential für den möglichen Griff zur Waffe zweifelsfrei. Stürzt ein Fußgänger vor dem Haus, ist dies ein deutliches Indiz für Umsturzpläne. Stürzen Kinder ist zugleich der Beweis für Jugendgefährdung erbracht. Und fährt ein Kompaktwagen vorbei - erübrigt sich wohl jeglicher Kommentar.
PS: Ist dies eine Glosse gegen das Verbot von Compact? Dies ist eine Glosse für die größte Errungenschaft des Rechtstaates: Der Zweck darf nie die Mittel heiligen. Denn diese sind wie ein Bumerang: Verfehlt er sein Ziel, trifft er den, der ihn geworfen hat.
PPS: Diese Glosse widme ich meinem unlängst verstorbenem Deutschlehrer. Hätte er im Deutsch Leistungskurs geahnt, dass dem bescheidenen Autor dieser Zeilen die zitierten heineschen einfallen...es hätte ihn mehr als gefreut.


26.08.2024
Alexander Kira hat über internationalen Menschenrechtsschutz provomiert und ist Jurist, Moderator und Kabarettist. Er lebt und schreibt im Herzen von Berlin.
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