Ich schäme mich (k)ein Linker zu sein

Ich schäme mich (k)ein Linker zu sein

Früher war Linkssein cool. Man war gegen Atomkraft und Krieg, für die Rechte der Arbeiterklasse und gegen Unterdrückung und Unrecht. Das Weltbild von uns Linken war klar auf- und eingeteilt. Auf der einen Seite waren wir, die sich mit den Minderheiten solidarisierten und für Gerechtigkeit kämpften und auf der anderen Seite waren die Spießer, die ihren Reichtum durch Ausbeutung, Korruption und Machtgeilheit ergaunert hatten. Das war alles so schön einfach.


Von Serdar Somuncu
Heute erfordert das Linkssein die Anerkennung gleich mehrerer Glaubenssätze. Linke sind vegan, sie kennen mehr als zwei Geschlechter, sie sind für Waffenlieferungen, pro Ukraine und Anti Israel und haben auch sonst nichts gegen Ausbeutung, solange es Ihnen nützlich ist. So kann man zum Beispiel auch problemlos das Symbol des Wohlstands als Smartphone in seiner Tasche tragen, hochtrabende Kommentare auf sozialen Plattformen hinterlassen und Fan irgendeines dumm daherschwallenden Influencers sein, ohne dass man für diese Widersprüche und Fragwürdigkeiten in irgendeiner Form haftbar gemacht wird, geschweige denn moralische Gewissensbisse haben muss.

Die Linken von heute sind im Gegensatz zu uns armseligen Träumern von damals wohlstandsverwöhnte Spätpubertierende, die sich niemals in ihrem Leben irgendetwas selbst erarbeiten oder erkämpfen mussten. Sie wurden schon als Dreijährige im fünftausend Euro teuren Kinderwagen über das Kopfsteinpflaster am Prenzlauer Berg geschoben und wurden mit Dinkelmuffins verhätschelt und mit Frozen Yoghurt verwöhnt, bis sie sich ein neues Feld für ihr Aufbegehren gesucht haben. Nämlich ihre einstigen Ideale und Vorbilder, ihre Eltern und ihre Asozialisation. Der Neo-Linke von heute wehrt sich gegen alles, was er für althergebracht oder angestaubt behält. Ob es die gewöhnliche Kuhmilch ist oder ein Film im Arthouse Kino. Er ist nicht nur allergisch gegen Laktose und Weißmehl, Zucker und Hefe, obwohl er kifft und kokst, sondern er ist vor allem auch intolerant gegenüber anderen Ansichten und resistent gegen bessere Überzeugungen, während wir seinerzeit eher nur renitent und höchstens mal moderat waren.

Der Linke von heute geht lieber mit seinen Buddies auf ein Electrokonzert und feiert die Marvelhelden seiner Jugend als Stilikonen der modernen Literatur, als sich Gedanken darüber zu machen, wer hinter den Ideen steckt, die er für politisch korrekt hält. Er geht in veganen Biomärkten einkaufen und zahlt mit seiner Applewatch, er fährt mit dem Elektroauto und demonstriert gegen den Braunkohleabbau in Lützerath. Er ist von allem ein bisschen und den meisten Dingen gar nichts. Sein Metier ist die Empörung, sein Steckenpferd die scheinheilige Moral, seine Bildung beschränkt sich auf Fremdwörter, die er random einbaut, um seine Weltfremdheit zu kaschieren und seine Auffassung von richtig und falsch ist stets davon gesteuert, ob er sich damit in einer Gruppe Gleichgesinnter befindet, die seinen Lebensstil goutieren.

In all diesem künstlichen Gleichgewicht ist es schwer, sich heute als jemand zu definieren, der wirklich und glaubwürdig links steht. Also jemand, der gegen Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus, gegen die Macht des Kapitals und für die Freiheit der Kunst eintritt. Ein Linker zu sein, war früher viel einfacher als heute. Denn links sein ist heute eine Mischung aus aggro und arrogant. Inzwischen muss man als Linker noch nicht einmal erklären, wie man die Widersprüche, die man für selbstverständlich hält, anderen darlegt.
Ist es ein neues Lebensgefühl, eine Erkenntnis, eine Entwicklung der Zeit, oder bin ich einfach nur spießig, alt und zu dumm? Aber dann wäre ich ja wieder rechts. Obwohl auch das Rechtssein auch nicht mehr so eindeutig ist, wie es einmal war. Heute gilt schon der als rechts, der unangenehme Fragen stellt, die man nicht stellen sollte. Wie kann man am Donbass und im Hindukusch westliche Werte verteidigen und gleichzeitig ein frauenverachtendes Terrorregime wie die Hamas unterstützen? Wie kann man gegen Waffenlieferungen sein und schwere Waffen für die Ukraine fordern? Und warum ist man dann automatisch ein Putinfreund, wenn man zweifelt oder hinterfragt und selbst wenn man Russlandversteher ist, was wäre daran schlecht oder verwerflich? Ist man dann schon wieder zu nah an rechts dran? Paradox. Heute muss man als Ur-Linker so einiges aushalten und manches verdrängen, um Phrasen, die einst den Nazis vorbehalten waren, abzuwehren und sie für sich zu verwerten. ,,Man wird doch wohl mal was gegen Israel sagen dürfen", ist heute in den Mündern der Linken viel weiter verbreitet, als es seinerzeit bei den Nachkriegsnazis und deutschnationalen Spießern war.

Ein kompliziertes Umfeld also, in dem man sich bewegt, wenn man heutzutage versucht, sich selbst eine politische Richtung zu geben oder seine Ansichten zu vertreten. Auf jeden Fall aber ist es auch nicht mehr so wie früher eine Frage der Haltung, sondern es geht dabei ums Überleben im Strudel des öffentlichen Meinungsproporzes. Es geht um Karriere, Macht und Existenz. Linke sind heute nichts anderes als Angestellte ihrer Gesinnung, die solange das sagen und tun, wie es ihnen materiellen Nutzen bringt. Sie sind nichtssagende Schwurbler, deren Ambition lediglich darin besteht, sich ausreichend zu vervielfältigen und so zu tun, als hätten sie einen Ethos. Dabei zeigt jeder ihrer Handlungen, dass ihnen Treue zur Vernunft nur solange etwas wert ist, wie sie dem Zeitgeist entspricht. Schon morgen kann der Linke wieder auf Abwegen sein, weil er sich ein anderes Feld gesucht hat, auf dem man seinen marktschreierischen Gestus wahrnimmt. Wer dagegen ist oder kritisiert, wird vernichtet. Denn neuerdings sind es öffentliche Tribunale, die darüber richten, was gesagt werden darf und nicht. Und Instanzen bestehen nicht aus Profis, die sich den ganzen Tag damit beschäftigen, sondern das Internet hat ein Heer von Hobbyrichtern und Staatsanwälten geschaffen, die sich jeden Tag anmaßen, über Gut und Böse, richtig und falsch zu urteilen.
So bleibt man am Ende sich und seinen Auffassungen ausgesetzt und kann nur darauf hoffen, dass eines Tages auch die Hafermilch trinkenden Smoothies Kidds erkennen, dass sie extremer sind, als sie es vielleicht nie sein wollten.

29.04.24
©Serdar Somuncu
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*Serdar Somuncu ist Schauspieler und Regisseur
Kommentare
  • Mutant77
    07.05.2024 15:15
    Das Problem der Linken ist und war leider schon immer ihr Hang zum Schwarz Weiß malen und jeder fühlt sich um so mehr als "Linker", je schärfer er die Grenze definieren kann.

    Das hat mich schon in den 90er in diesen "zusammenhängen" verzweifeln lassen, von daher glaube ich nicht das es früher einfacher war. Es wirft eher die Frage auf: Was ist eigentlich links?

    Die heutige These es handelt sich um eine Art Barmherzigkeit, die die Schwachen und Armen beschützt macht ihren politischen Nutzen so gering. Denn diese Aufgabe hat früher überwiegend die Kirche erfüllt, um denn Mächtigen die Verantwortung für Elend, Krieg und Armut abzunehmen. Wenn also "Links" sein bedeutet, die Rolle der Kirche in der heutigen Zeit zu übernehmen, dann ist es völlig legitim sich von dieser Ideologie abzuwenden.

    Ich bin kein studierter und habe nie was von Marx gelesen, aber für mich bedeutet Links sein, den lohnabhängigen Macht und Teilhabe zu verschaffen. Und in der Folge davon das, was für Reiche selbstverständlich ist, Bildung, Gesundheit, Kultur und Ruhestand gemeinsam, solidarisch zu organisieren, bzw. als die Hauptaufgabe des Staatswesen zu sehen, dafür zu sorgen das alle Menschen Zugang dazu haben.

    Doch davon sind wir weit entfernt. Das Kapital definiert was Links ist, ebenso wie es andere Begriffe zu eigen macht. Egal ob Demokratie, Frieden oder auch Bildung und Gesundheit wird definiert im Sinne des Ertrags und der Rendite, wer sich dem entgegenstellt wird bekämpft und dadurch das vermeintlich ehre Ziele, die nichts kosten, über alles stellt, verhindert man von vorne herein das eine linke Solidarität entstehen kann.

    In unserer Welt habe ich wenig Hoffnung auf eine Änderung dieses Weges. Der wird viel zu viel geprägt durch den "öffentlichen Meinungsproporz" und dem stellen sich nur wenige entgegen. Aber es ist aufbauend zu sehen, dass es noch Menschen gibt die über diesen Rand hinaus denken können.
  • Hubudo
    04.05.2024 13:48
    Die Hamas ist nicht nur eine frauenverachtende Terrororganisation, sondern wird von großen Teilen der Welt als legitime Befreiungsbewegung gesehen.
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