Bitte mehr elitär

Bitte mehr elitär

Letzte Hoffnung Sommermärchen! Nach den überraschenden Ergebnissen deutscher Sportler im internationalen Vergleich, sei es Basketball, Eishockey oder Fußball, gibt es so unvermutet wie schnell eine ganz große Option, über Hoffnung und Glauben wieder zur Tat zu gelangen. Hierzu sollten wir aber Regeln bedenken. Meint Kai Blasberg.
,,Und wäre ich nur ein einfacher Straßenfeger, so würde ich wollen, der beste Straßenfeger der Welt zu sein".
Ich ordne diesen Sinnspruch mein Leben lang schon Charlie Chaplin zu. Und auch wenn er nicht von ihm sein sollte, war er mir immer ein guter Begleiter bei der Wahrnehmung neuer Aufgaben. So wie das hier. Jede Woche etwas zu schreiben für ein neues Portal, obwohl niemand sagt, was darin zu lesen sein soll. ,,Und bin ich nur ein unscheinbarer Text, so möchte ich der beste unscheinbare Text der Welt sein." Und, solange Maschinen selbst noch keine Gedanken und keine Erinnerung gedanklicher Natur aufweisen können, sogar verbunden mit der Hoffnung, so wie jetzt hier von Dir, lieber Leser, gefunden und geschätzt zu werden.

Im Internet begegnete mir in dieser Woche Arni, der große Österreicher Schwarzenegger, im Bewegtbild, wie man das Video unelegant neudeutsch nennt. Darin beklagte er so erschrocken wie empört, dass angeblich 78 % der Amerikaner ihren Job hassten. Wie könne der Mensch, räsonierte er, denn so existieren, wer bitte sei denn der Arbeitgeber, der damit leben könne, dass dem so wäre? Wie groß denn die Produktivität sein könnte, wenn die Menschen ihren Job liebten? Es war ihm aufrichtig anzumerken, dass er sein eigenes Leben ganz anders betrachtet und gestaltet hat. Denn mit seinen anfangs überschaubaren und lange Zeit verlachten Talenten hat es Arnold Schwarzenegger bis ganz nach oben geschafft.
Nun können wir nicht alle Gouverneur von Kalifornien werden. Und auch nicht Hollywood-Star. Aber wir alle können unser Potenzial begreifen. Wir können unser Talent kennen. Wir können schaffen, was wir wollen. Sagen doch alle.
Können wir nicht!
Denn wir leben hier in Deutschland.
Es schreibt Ihnen hier einer, der das gemacht hat, worüber er heute hier schreibt. Ich werde aber auch schreiben, wie unmöglich wir es uns machen, erfolgreich zu sein. Zumindest, wie unnötig schwer es hier ist.

Der wegen seiner Mittelmäßigkeit berühmt gewordene älteste CDU-Jugendliche der Welt, Philip Amthor, erzählte in dieser Woche bei Lanz im ZDF die Aufsteigerstory der 50er-Jahre, von der sich Konservative so gern in der Rückbetrachtung beseelen lassen.
Mit den üblichen Sekundärtugenden wie Fleiß, Pünktlichkeit und Ordnungssinn, immer schön gewürzt mit einer großen Portion Hierarchieglaube, könne jeder in Deutschland werden, was er könne und wolle.
Stimmt das denn?
Nein, das stimmt nicht. Das kann ja gar nicht stimmen. Schauen wir uns mal die Rahmenbedingungen in diesem Land an. Amerika ist uns da ja nicht unähnlich: Wenn also die überragende Mehrheit Ihren Job hasst, aber die überragende Zeit Ihres Lebens mit ebendiesem Job verbringt, ist es logisch, dass diese Menschen nicht sonderlich zufrieden mit ihrem Dasein sind. Doch das ist ja das Ergebnis von Handlung, nicht seine Bedingung. Ergo: sie müssen nicht unglücklich sein, wenn sie diesen Job machen. Doch Ergebnisse stellen sich erst nach Prozessen ein, nicht davor. Was also war davor?
Erinnern sie sich an die ,,Bildungsrepublik Deutschland"? Merkel führte dieses Branding 2008 auf den schmalen Lippen, wohl wissend, dass ihr Marketingframing mangels Zuständigkeit nicht von ihr selbst umgesetzt werden würde. Was sich dann später oft zu allerlei Themen wiederholte. Im Versprechen im Namen anderer war sie eine Großmeisterin. Und so wurde das nichts mit der Bildungsrepublik. Ihr Vorgänger markierte seinen Beitrag zu diesem Thema, dass die Herkunft keinen Einfluss auf den Werdegang des Nachwuchses haben dürfe. Klassisches Aufstiegsversprechen. Und Schröder selbst war ja damals nebst Außenminister die Fleisch gewordene Verkörperung dieses Modells. Und auch sehr viele Karrieren der heute ,,Boomer" genannten Generationen sind durchaus selten auf hochherrschaftliche Abstammung zurückzuführen. Es ging also. Und doch scheint das Gefühl nicht zu trügen, dass es nicht mehr geht. Zu Viele verlassen die Schule mit mangelnden Abschlüssen und Fähigkeiten. Ausbildungsplätze können nur noch zur Hälfte besetzt werden. Den Bürgerkindern fehlt es oft an Motivation und Hingabe. Die, die nichts haben, bekommen nichts, die, die alles haben, haben schon alles und brauchen sehr gute Gründe, um noch mehr zu wollen.
Ich bin ein Anhänger des progressiven Elitarismus. Das klingt viel akademischer, als es ist. Die Besten treffen sich, um etwas zu machen. Meistens etwas Neues zu machen.
Sagen wir es so: Wenn eine Backmischung mal gefunden ist und die Kunden die Brötchen einem aus dem Ofen reißen, reichen danach auch mittelmäßig ambitionierte Bäcker, diese Brötchen herzustellen. Sollte der Absatz aber stocken oder gar rückläufig sein, sollten sie sich etwas Neues ausdenken, um die Kunden bei Laune zu halten und sich selbst das Image zu geben, nicht nur diese eine Backmischung vorzuhalten. Das nennt man Entwicklung. Für eine gute Entwicklung braucht man progressiven Elitarismus. Der rekrutiert dann aber nicht nach Herkunft oder Zertifikaten, sondern nach Können und Talent. Im Sport, der auf diese Art Elitarismus nie verzichtet hat und nicht verzichten kann, eine nachgerade logische Vorgehensweise. Der Konservatismus würde immer darauf verweisen, dass es doch gut so ist wie es ist und man werde schon sehen, dass es bald wieder besser würde, spare man nur am Mehl, der konservative Elitarismus würde es nur mit deutschen Bäckern machen. Hier schränkt sich der Konservatismus in Sachen Zukunft und Entwicklung sehr gerne ein. Nicht aus Blödheit. Nur aus Ideologie. Was zugegeben manchmal dasselbe ist. Das Ergebnis haben wir in den letzten anderthalb Dekaden erlebt. Deutschland fällt zurück. Aus Bequemlichkeit.
Progressiver Elitarismus ist in Deutschland sehr selten zu erleben.
Unsere Landsleute sind in ihrer Mehrheit Mieter und Angestellte. Was nicht nur Realität, sondern auch Geisteshaltung sein kann. ,,Du Mieter" wäre doch ein schönes Schimpfwort in der Jugendsprache. Diese Mitmenschen misstrauen dem Risiko. Das Bewährte hat einen guten Ruf. Das Neue muss sich erst bewähren. Bis es dann nicht mehr neu ist. Daraus basteln sie sich ihre Mentalität. Und diese Mentalität des zaudernden, wankelmütigen, mutlosen und zweifelnden Existierens wird keine neue Entwicklung mehr hervorbringen. Und das in einem Land, in dem in Zukunft die Alten regieren. Zumindest aber in der populär absoluten Mehrheit sein werden.
Hoffnung? Ja. Hoffnung. Und Glauben! Denn wenn man es schon mal geschafft hat, kann man nicht sagen, es ginge nicht. Aber: wir dürfen dann die Regeln nicht missachten. Und ja: ohne Einsatz, Hingabe, unbedingten Willen und Kampf geht es nicht, nach oben zu kommen. Und dann noch das: die Arbeit beginnt erst, wenn man oben ist. Oben zu bleiben ist schwerer, als hochzukommen. Work-life-balance ist definitiv kein Modell. Warum nicht? Weil es noch nie eins war. Und niemand bisher gezeigt hat, dass es anders geht. Die, die es versprechen, sind Scharlatane und haben es nur versprochen, aber nie bewiesen. Und das liegt daran: Wer Arbeit und Leben trennt, wird nie Erfolg haben. Weil Arbeit und Leben eins sind. Und wenn sie es nicht sind, dann sollten wir so langsam mal anfangen, daran etwas zu ändern. Es ist klar und nachvollziehbar, das, was man hasst, von sich zu trennen. Es klappt nur nicht in Sachen Zufriedenheit, wenn man das, was man hasst, dann behalten muss.
Erfolgreiche wissen: wenn der Erfolg da ist, merkt man, dass es ihn gar nicht gibt. Denn nach dem Erfolg kommt sofort die nächste Aufgabe. Das ist entweder Manie. Oder es ist Freude. Das entscheidest Du!
Wenn ich mir aber vorstelle, dass 78% der Lehrer ihren Job hassen, 78 % der Erzieher, und 78 % der Eltern, egal was sie arbeiten, auch ihre tägliche Aufgabe nicht lieben, dann wird den immer weniger geborenen Kindern niemand beibringen, welches Talent es hat, was es mal richtig super können wird, worauf es mal brennen wird, was es schaffen kann. Es wird Sinuskurven berechnen, Rilke-Gedichte lesen, den Marcel-Friedrich nicht ärgern und alle Minecraft-Versionen kennen. Aber nicht wissen, was es kann, was es will, was es soll.
Wir brauchen eine Welt, in der die Menschen gefördert werden, der zu sein, der man ist. Eine Welt, in der 78 % ihre Aufgabe lieben, wo Berufung wieder der Stamm des Wortes Beruf ist, in der nicht moderne Sklaverei die Regel des Arbeitens und die Freude am Gelingen höher bewertet wird als die Depressions-Formel ,,bringt eh nix".
Das geht nicht?
Sind Sie ein Mieter?

25.04.24
*Kai Blasberg war 40 Jahre in den privaten Medien in Deutschland beschäftigt
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