Im Würgegriff der AfD
Die Wahl rückt näher, die Stimmung wird nervöser, und alle kämpfen um die Stimmen der Unentschlossenen. Aber eines bleibt unverändert. Die AfD räumt ab. Ob in Talkshows oder auf Parteitagen oder nur in der öffentlichen Meinung. Man hat das Gefühl, dass die Partei der protestierenden Patrioten die Themen vorgibt, während die anderen nur hinterherlaufen.
von Serdar Somuncu
von Serdar Somuncu
So ist das bestimmende Thema des Wahlkampfs die Migration. Und selbst wenn man versucht, durch nüchterne Zahlen dagegen zu argumentieren, bleibt ein emotionaler Rest, der wahrscheinlich auch an den Wahlurnen darüber entscheiden wird, ob wir in den nächsten vier Jahren eine Regierung haben, die sich von den Rechten vor sich her treiben lässt oder es schafft, eigene Ziele zu setzen. Tatsächlich versäumen wir es, in dieser ganzen Vorwahlzeit über wichtigere Dinge zu sprechen als über die Begrenzung eines angeblichen unkontrollierten Zustroms von Ausländern in unser Land. Innen- wie außenpolitisch ist viel zu tun.
Der Umbau des Sozialstaats. Strukturreformen, Digitalisierung, der Ausbau erneuerbarer Energien, Infrastruktur und Bildungspolitik sind genauso an der Tagesordnung wie auch die Frage danach, wie die Rolle Deutschlands in Europa aussehen soll. Nur wenige Parteien nehmen sich dieser Fragen an, weil sie viel zu große Angst davor haben, für eine inhaltliche Auseinandersetzung abgestraft zu werden. Es scheint wichtiger zu sein, den oberflächlichen Impuls einer mediengesteuerten Kampagne abzufangen, als sich darauf zu verlassen, dass sich ein Großteil der Menschen nicht von den hysterischen Debatten der Rattenfänger am rechten Rand beeindrucken lässt.
Die einzige Antwort, welche ein Großteil der gemäßigten Kräfte darauf zu geben versucht, ist ein fast schon dogmatischer Anspruch darauf, die demokratische Mitte der Gesellschaft zu repräsentieren, und ein symbolischer Widerstand gegen ein herbeigeredetes Menetekel von rechts. Nichts davon ist effektiv, denn je mehr die Mitte der Gesellschaft ihre Machtlosigkeit offenbart, indem sie sich in wütende Abwehrhaltung steigert und in demonstrativ ausgrenzenden Gesten verliert, desto mehr fühlt sich die AfD bestätigt und kann in einer Mischung aus Erpressung der auf sie angewiesenen politischen Partner und Arroganz gegenüber ihren Kritikern davon profitieren, dass die meisten ihrer Wähler sie für eine kluge und mutige Stimme des Widerstands halten. Dabei ist die AfD alles andere als mutig, schon gar nicht ist sie klug. Ihre programmatische Orientierungslosigkeit, die sie kaschiert als ein ständiges Warnen vor dem Untergang und dem gleichzeitigen Allheilmittel eines rigiden Nationalismus, ist nichts anderes als ein Griff in die Mottenkiste der reaktionären Ideologie. Diese setzt vor allem auf autoritäre Lösungen statt auf Kompromisse und weniger auf strukturelle Veränderungen statt auf marginale Verordnungen und Verbote. Selbst wenn wir die Ziele der AfD irgendwann erfüllen würden, stünde fest, dass die Widrigkeiten unserer Zeit nicht spurlos an uns vorbeigehen, sondern wir als moderne und aufgeschlossene Gesellschaft lernen müssen, dass die Auswirkungen unserer bisherigen Politik in ihrer Ungerechtigkeit auch uns selbst treffen können.
Mit der Wahl Donald Trumps, so paradox das auch klingen mag, ist dieses Bewusstsein offensichtlich auch in den USA angekommen. Und so bemüht sich Trump fast schon hektisch um eine friedliche Lösung viel zu lange schwellender Konflikte wie in Gaza oder in der Ukraine. Dass er dabei in den Duktus der drohenden Großmacht zurückfällt, ist genauso ein taktisches Manöver wie seine vollmundigen Ankündigungen, die er in Bezug auf Einwanderung und Migration gemacht hat.
Der fatale Irrglaube der AfD liegt darin, dass man US-amerikanische Verhältnisse auf Deutschland übertragen kann. Denn Deutschland ist weder Großmacht noch steht es ihr aus historischen Gründen zu, in autoritäres Gebaren zu verfallen. Vielmehr existieren in diesem Land anders als sonstwo, neben den vielen Kräften der Vernunft vor allem auch Menschen und Organisationen, die ihr Handeln auf der Hinterlassenschaft ihrer Geschichte aufbauen und nicht danach streben, sie zu relativieren oder zu negieren. Die Hoffnung bleibt, dass die AfD sich in ihrem Populismus irgendwann so sehr verschleißt, dass der Reiz, den sie auf ihre Wähler ausübt, den geringstmöglichen Aufwand im Kampf um eine gerechtere Welt in Kauf zu nehmen, umschlägt in ein Bewusstsein für das, was wir in Deutschland wirklich für unser Land tun können. Nämlich nicht auf nationalistische und einseitige Lösungen zu setzen, die im ersten Moment vielleicht patent wirken mögen, sondern uns darauf einzulassen, uns in Zukunft nicht von den Entwicklungen und Entscheidungen der anderen abhängig zu machen und stattdessen einen eigenen Ethos der Gerechtigkeit zu entwickeln, der uns dabei leitet, anderen genauso viel Gutes zu tun wie uns selbst.
12.02.25
©Serdar Somuncu
Aktuelles Programm ,,Seelenheil" jetzt downloadbar in Shop
*Serdar Somuncu ist Schauspieler und Regisseur
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Der Umbau des Sozialstaats. Strukturreformen, Digitalisierung, der Ausbau erneuerbarer Energien, Infrastruktur und Bildungspolitik sind genauso an der Tagesordnung wie auch die Frage danach, wie die Rolle Deutschlands in Europa aussehen soll. Nur wenige Parteien nehmen sich dieser Fragen an, weil sie viel zu große Angst davor haben, für eine inhaltliche Auseinandersetzung abgestraft zu werden. Es scheint wichtiger zu sein, den oberflächlichen Impuls einer mediengesteuerten Kampagne abzufangen, als sich darauf zu verlassen, dass sich ein Großteil der Menschen nicht von den hysterischen Debatten der Rattenfänger am rechten Rand beeindrucken lässt.
Die einzige Antwort, welche ein Großteil der gemäßigten Kräfte darauf zu geben versucht, ist ein fast schon dogmatischer Anspruch darauf, die demokratische Mitte der Gesellschaft zu repräsentieren, und ein symbolischer Widerstand gegen ein herbeigeredetes Menetekel von rechts. Nichts davon ist effektiv, denn je mehr die Mitte der Gesellschaft ihre Machtlosigkeit offenbart, indem sie sich in wütende Abwehrhaltung steigert und in demonstrativ ausgrenzenden Gesten verliert, desto mehr fühlt sich die AfD bestätigt und kann in einer Mischung aus Erpressung der auf sie angewiesenen politischen Partner und Arroganz gegenüber ihren Kritikern davon profitieren, dass die meisten ihrer Wähler sie für eine kluge und mutige Stimme des Widerstands halten. Dabei ist die AfD alles andere als mutig, schon gar nicht ist sie klug. Ihre programmatische Orientierungslosigkeit, die sie kaschiert als ein ständiges Warnen vor dem Untergang und dem gleichzeitigen Allheilmittel eines rigiden Nationalismus, ist nichts anderes als ein Griff in die Mottenkiste der reaktionären Ideologie. Diese setzt vor allem auf autoritäre Lösungen statt auf Kompromisse und weniger auf strukturelle Veränderungen statt auf marginale Verordnungen und Verbote. Selbst wenn wir die Ziele der AfD irgendwann erfüllen würden, stünde fest, dass die Widrigkeiten unserer Zeit nicht spurlos an uns vorbeigehen, sondern wir als moderne und aufgeschlossene Gesellschaft lernen müssen, dass die Auswirkungen unserer bisherigen Politik in ihrer Ungerechtigkeit auch uns selbst treffen können.
Mit der Wahl Donald Trumps, so paradox das auch klingen mag, ist dieses Bewusstsein offensichtlich auch in den USA angekommen. Und so bemüht sich Trump fast schon hektisch um eine friedliche Lösung viel zu lange schwellender Konflikte wie in Gaza oder in der Ukraine. Dass er dabei in den Duktus der drohenden Großmacht zurückfällt, ist genauso ein taktisches Manöver wie seine vollmundigen Ankündigungen, die er in Bezug auf Einwanderung und Migration gemacht hat.
Der fatale Irrglaube der AfD liegt darin, dass man US-amerikanische Verhältnisse auf Deutschland übertragen kann. Denn Deutschland ist weder Großmacht noch steht es ihr aus historischen Gründen zu, in autoritäres Gebaren zu verfallen. Vielmehr existieren in diesem Land anders als sonstwo, neben den vielen Kräften der Vernunft vor allem auch Menschen und Organisationen, die ihr Handeln auf der Hinterlassenschaft ihrer Geschichte aufbauen und nicht danach streben, sie zu relativieren oder zu negieren. Die Hoffnung bleibt, dass die AfD sich in ihrem Populismus irgendwann so sehr verschleißt, dass der Reiz, den sie auf ihre Wähler ausübt, den geringstmöglichen Aufwand im Kampf um eine gerechtere Welt in Kauf zu nehmen, umschlägt in ein Bewusstsein für das, was wir in Deutschland wirklich für unser Land tun können. Nämlich nicht auf nationalistische und einseitige Lösungen zu setzen, die im ersten Moment vielleicht patent wirken mögen, sondern uns darauf einzulassen, uns in Zukunft nicht von den Entwicklungen und Entscheidungen der anderen abhängig zu machen und stattdessen einen eigenen Ethos der Gerechtigkeit zu entwickeln, der uns dabei leitet, anderen genauso viel Gutes zu tun wie uns selbst.
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Dennoch, ein weiterer großer Beitrag wird sein, die braune Scheiße nicht weiter in den Mund zu nehmen, sondern tatsächlich nur noch konstruktiv das zu bestärken, was wir wachsen sehen wollen.
Viele, wahrscheinlich zu Recht frustrierte, Wähler machen sich nicht bewusst, wie diskursunfähig rechtspopulistische Parteien tatsächlich sind. Sie erkennen nicht, dass die drängenden Probleme in der Migrations- und Asylpolitik von solchen Parteien niemals wirklich gelöst werden, weil diese damit ihren eigentlichen Zweck verlieren würden. Ebenso wenig verstehen sie, dass dadurch lediglich der Meinungskorridor verschoben wird, der politische Diskurs sich zunehmend auf diese Themen verengt und eine Atmosphäre entsteht, die das gesellschaftliche Zusammenleben noch weiter erschwert.
Selbst wenn solchen Wählern Empathie oder Mitgefühl abhandengekommen sein sollte oder nur begrenzt vorhanden ist, müssten sie doch zumindest in der Lage sein, die Dinge rational zu analysieren. Und wem das zu schwerfällt, der sollte sich die Entwicklungen in Großbritannien nach dem Brexit ansehen. Dort ist jeder Versuch, das Migrationsproblem durch Abschiebungen zu lösen, grandios gescheitert.
Diese Wähler sollten sich auch bewusst machen, welche Gefühle ihr Denken und Handeln bei all den Menschen auslöst, die einen Migrationshintergrund haben. Menschen sind keine Objekte, die man nach „nützlich“ und „nicht nützlich“ sortieren kann. Menschen mit Migrationshintergrund sind – genau wie sogenannte „Biodeutsche“ – keine Maschinen, die solche Aussagen emotionslos zur Kenntnis nehmen. Vielmehr sind sie diejenigen, die sich durch diese Rhetorik direkt angesprochen fühlen – als wäre ihr Platz in dieser Gesellschaft nicht selbstverständlich.
Und es reicht nicht zu sagen, dass „die gut Integrierten“ damit nicht gemeint sind. Niemand kann für andere festlegen, wie sie sich fühlen. Versetzt euch einmal in ein Szenario, in dem Teile der deutschen Bevölkerung systematisch diskreditiert werden. Irgendwann, wenn man es oft genug hört, wird man sich unweigerlich angesprochen fühlen.
Viele wollen es nicht hören, weil es Phrasen sind, die sie schon unzählige Male gehört haben. Doch am Ende gibt es nur einen Weg: Gemeinsam. Am Ende führt kein Weg am Diskurs vorbei. Es geht darum, anderen zuzuhören, sie ernst zu nehmen und gemeinsam über Probleme sowie mögliche Lösungen zu sprechen. Und manchmal bedeutet das auch, sich einzugestehen, dass man in einer bestimmten Frage nicht einig wird – und das ist in Ordnung. Ebenso gehört es dazu, anzuerkennen, dass es nicht für jedes Problem ein einfaches Patentrezept gibt.
Es darf nicht sein, dass sich die politische Mitte von diesen Scharfmachern vor sich hertreiben lässt! Eine Demokratie, die sich nicht wehrt, ist eine Demokratie, die verliert. Statt opportunistischem Zaudern braucht es klare Kante: gegen Extremismus, gegen Populismus, gegen die geistigen Brandstifter, die den politischen Anstand mit Füßen treten. Wir dürfen unsere Zukunft nicht in die Hände von Demagogen legen, die nur eines im Sinn haben: die Axt an unsere freiheitliche Ordnung zu legen!