Bestand hat (leider) nur der Stillstand

Bestand hat (leider) nur der Stillstand

Die Ereignisse im deutschen Bundestag in der finalen Januarwoche des Jahres 2025 haben die Gesellschaft bewegt und Gemüter erregt. Bundesweite Demonstrationen, Kundgebungen und Proteste in diversen Groß- wie Kleinstädten, Parteiaustritte (Friedman) und Rückgaben von Ehrungen (Bundesverdienstkreuze von Toscano und Weinberg) bilden nur geringfügig ab, was die abgestimmten Anträge im Parlament in den vergangenen Tagen losgetreten haben.

Von Dennis Bulinski
Befindet sich die deutsche Gesellschaft angesichts dieser Entwicklungen sowie Reaktionen tatsächlich in der Verfassung, in drei Wochen eine weitreichende Entscheidung zu fällen und Mandate zu erteilen, welche dieses Land in die Zukunft führen? Denken diejenigen, die sich um genannte Mandate bemühen und momentan erbittert ,wahlkämpfen' auch ausreichend vorausschauend? - Eine optionale Perspektive.
Die Parteien der (zuletzt eventuell zu oft betonten) demokratischen Mitte müssen mit einem wirksamen Nachteil umgehen, der für gewöhnlich das Verhältnis von Regierung und Opposition kennzeichnet: die einen werden daran gemessen, gesellschaftliche Probleme zu lösen während die anderen bereits Aufmerksamkeit und Zustimmung für die bloße Benennung eben jener Problemlagen erhalten. Gelingt es darüber hinaus, die Problemverursachung den Repräsentanten in Verantwortung zuzuordnen, bewegt sich die Opposition in aussichtsreiche Stellung erfolgreich um neue Mandate und Zustimmung zu werben.

Und so sind die über Jahrzehnte in Landesparlamenten und dem Bundestag- wie Rat etablierten Parteien in der jüngeren Vergangenheit immer stärker zu Getriebenen verkommen. Politisch Handelnde, die von Krise zu Krise nahezu stolpern, zeitweise ratlos wirkend, ohne langfristig ausgelegte Planung für eine Bevölkerung in der sich zunehmend Unmut breit macht und in verschiedenen Facetten entlädt. Als befände man sich auf einer Lichtung und löscht ein Lagerfeuer, welches alle Aufmerksamkeit auf sich zieht, während im Hintergrund kontinuierlich der Wald in Flammen steht. Eine dieser erwähnten Facetten wurde zuletzt in einer Jugendwahlstudie festgehalten: Angst. Befragungen und Untersuchungen ergeben ein sich festigendes Bild, dass der Zustand ängstlich zu sein sich von Generation zu Generation kontinuierlich erhöht und festigt. Betrachtet man das generelle Vorgehen und neuerliche Wahlerfolge auch bei Erst- und Zweitwählern, lässt sich erahnen wofür das A in AFD tatsächlich steht.

So stehen die Parteien im Spektrum von Union bis zur Linken unter Zugzwang, Antworten und Lösungen darzubieten und umzusetzen aber bleiben dabei bedauerlicherweise zu häufig auf dem Stand des tagesaktuellen Geschehens. Eine Steilvorlage, Angst zu schüren und verbale Angriffe zu starten die auf das Unvermögen der Verantwortlichen abzielen, klassische Oppositionsarbeit. Umso problematischer damit umzugehen, wenn man viel Zeit darauf verwendet zu betonen, dass man nach demokratischen/ moralischen Gesichtspunkten erhaben zu sein gedenkt. Gelöst wird dadurch allerdings kein einziges Problem, wenn man nichts anderes zu sagen hat als: wir sind nicht diejenigen, die ,,mit denen da" (Merz am 13.11.24 im Bundestag) zusammenarbeiten. Genauso wenig erreicht man etwas, wenn man sich von ,,denen da" in Abstimmungen sowie der politischen Arbeit einschränken lässt; wenn man Ideologie über sachliche Auseinandersetzung stellt. Es ist gerade in einer Demokratie nicht so, dass es ausschließlich Schwarz und Weiß gibt, sondern sowohl als auch und dazwischen eine ganze Menge Grau. Übrig bleibt dabei wiederum nur Angst davor, dass man in drei Wochen die nächste handlungsunfähige Regierung zusammenstellt. Diese wiederum liefe dann Gefahr, der mit Ängsten arbeitenden Opposition derart in die Karten zu spielen, dass diese bei der nächsten (womöglich erneut vorgezogenen) Wahl wirklich unumgänglich würde.

Was also kann man nun in dieser zugegebenermaßen komplexen und schier undurchsichtigen Gemengelage tun? Eine Idee: Man zeigt erstmal, was man nicht braucht. Auch wenn der Balkonapplaus verstummt ist und der Ausdruck ,kritische Infrastruktur' den gesellschaftlichen Diskurs längst verlassen hat, braucht man keine erneute Pandemie um sich dem Pflegenotstand zuzuwenden. Es braucht keinen x-ten Bericht darüber, dass über 15 Millionen Babyboomer in den nächsten Jahren in die wohlverdiente Rente gehen, damit man das System zukunftsfest macht. Man braucht kein weiteres Ahrtal um Klima- Katastrophen- und Umweltschutz zum dringlichen Thema zu machen. Bildung mit sich erneuernden Herausforderungen (K.I.-Umgang) braucht keinen PISA-Schock um für die nächste Generation und die darauf und die darauf von immenser Bedeutung zu sein. Und es sollte kein weiteres Magdeburg oder Aschaffenburg brauchen, um ,,in der Sache" (Merz unzählige Male in der vergangenen Woche) kriteriengeleitet über Migration und Integration zu debattieren. Von europäischen, internationalen und globalen Konfliktlagen soll an dieser Stelle abgesehen werden ohne ihre Relevanz den innenpolitischen Inhalten unterzuordnen. Gemeinsam haben sie allerdings, dass diese Probleme sich schwerlich in einer Legislaturperiode lösen lassen. Analysieren: bestimmt. Angehen: womöglich und dabei eventuell auch zielführend, ja. Aber lösen? Leider eher weniger. Es braucht den demokratischen, ergebnisoffenen Diskurs, so kompliziert er auch ist.

Deswegen, wie wäre es mit einer Vision? Eine von Merz angeführte CDU mit momentan ca. 1/3 Zustimmung in der Bevölkerung macht ein etwas größeres, vorausschauendes Bild auf. In der Hälfte der Amtszeit von Frau Merkel wird Deutschland zukunftstauglich transformiert. Die innenpolitischen Herausforderungen werden sachlich und expertisegeleitet angegangen. Damit ein gestärktes Deutschland auch in Europa eine verantwortungsvolle Rolle spielen kann. Man wirbt direkt für 8 Jahre Vertrauen, kann in vier Jahren auf die zwischenzeitlichen Erfolge verweisen und Wahlkampf damit betreiben, dass man den eingeschlagenen, vielversprechenden Weg fortsetzen möchte. So könnte die umgreifende Angst wirksam aufgegriffen werden. Die von den Grünen nur allzu gerne plakatierte Zuversicht fände in solch einer Vision doch eine bessere Projektion als jedes Konterfei auf einem historischen Denkmal im Freistaat Bayern.

In 8 Jahren, 2033, 100 Jahre nach einem der dunkelsten Jahre der deutschen Geschichte könnte Deutschland all das sein, was die Nationalsozialisten niemals wollten. Ein sicherer Ort für jeden Menschen, unabhängig jeglicher Eigenschaft oder Zuordnung. Eine Nation, geeint in Normen und Werten und dem Verständnis einer toleranten Lebensführung. Ein Land in dem jeder gerne lebt. Und das unter einer vorausschauend agierenden Bundesregierung. Die Merzsche CDU - der Albtraum der Nazis. (Könnte die BILD nicht so titeln?) Damit hätte sich jedwede Brandmauerdebatte erledigt. Grundsätzlich braucht Deutschland keine Diskussionen über Grenzen und Mauern, davon hatte man mehr als genug. Aber all das, ist nur eine träumerische Vision. Gewiss bleibt so wie es momentan läuft nur eines: der Stillstand hat Bestand.


06.02.25
Dennis Bulinski ist 35 Jahre alt und lehrt Englisch sowie Sozialwissenschaften an einer Gesamtschule am Rande des Ruhrgebiets in Nordrhein-Westfalen.

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