Ist Deutschland ein Spielball der NATO?
Während sich der Verdacht auf eine direkte Beteiligung der ukrainischen Regierung auf den Anschlag auf Nord Stream 2 immer mehr erhärtet, kauft Deutschland vom eigentlichen Bündnispartner Waffen, um die eigenen Bestände wieder zu füllen. Haben wir uns im Ukraine-Krieg verrannt und handelt Deutschland noch als autonomer, souveräner Staat?
Von Bent Erik Scholz
Von Bent Erik Scholz
Deutschland liefert seit Anbeginn des Krieges in Rücksprache mit seinen Bündnispartnern Waffen an die Ukraine - im Ermessen mancher zu zögerlich, im Ermessen anderer zu freigiebig. Bezahlen muss die Ukraine für diese Waffen im Normalfall nicht. Waffensysteme aus dem Bestand der Bundeswehr erhält die Ukraine kostenfrei, beim Einkauf von Waffen von Rüstungsunternehmen kann das Land Finanzmittel aus der Ertüchtigungshilfe beantragen, die zur Unterstützung von Partnerländern in Krisensituationen gezahlt wird. Die Augsburger Allgemeine schrieb vor einem Jahr ,,Die Bundesregierung hat laut einer Sprecherin bisher alle Anträge der Ukraine auf deutsche Ertüchtigungshilfe genehmigt. Wenn die Ukraine bei den Unternehmen Waffen bestellt und Deutschland diese genehmigt, erstattet die Bundesregierung die Rechnung unmittelbar." Deutschland ist neben den Vereinigten Staaten der zweitgrößte Waffenexporteur im Ukraine-Krieg, und geht dabei den eigenen Beständen mächtig an den Kragen.
Die USA verhielten sich zuletzt in ihrer Unterstützung zwiespältig: aus Washington wurde immer mehr Kritik an Kiew laut, zwischenzeitlich hielt sich Biden auch mit der Lieferung weiterer Waffen deutlich zurück. Der Eindruck, den dies international hinterließ, war, dass die Europäer hier vorgeschickt werden sollten - nicht wenige vermuteten auch, das langfristige Ziel sei, die europäischen Länder damit von der US-Waffenproduktion abhängig zu machen, da sie die eigenen Arsenale mit nachgekauften Waffen aus Amerika wieder auffüllen würden.
Diese Vermutung bestätigt sich nun angesichts eines Verkaufs von 600 Patriot-Waffensystemen von den USA an Deutschland. Fünf Milliarden lässt sich die Bundesrepublik dies kosten, um, wie es in einer Stellungnahme heißt, ,,aktuellen und zukünftigen Bedrohungen zu begegnen und die Verteidigungskapazitäten seines Militärs zu erhöhen." Also: in einer Ausnahmesituation auf dem europäischen Kontinent verschenkt Deutschland seine Waffen an ein angegriffenes Land, auf dass dieses sich verteidigen möge. Vom eigenen Bündnispartner muss Deutschland diese Waffen dann für teures Geld nachkaufen. Zeitgleich beginnt die Ukraine zur Überraschung aller eine eigene Offensive auf russischem Gebiet mit deutschen Waffen, und bricht somit mit dem durch die Bundesregierung immer wieder geäußerten Credo, die Waffen dienten nur der Verteidigung. Nach aktuellem Stand ist Deutschland über die Kursk-Offensive nicht vorab durch die Regierung in Kiew informiert worden. Haben wir uns in unserem vorgeschobenen Idealismus im Kampf um das Gute zum Spielball unserer Verbündeten gemacht, denen es nicht um Werte und Gerechtigkeit, sondern zuvorderst um eigene Interessen geht?
Im Juli wurde bekannt, dass ab 2026 neue US-amerikanische Waffensysteme in Deutschland stationiert werden sollen. Kurzstreckenraketen, Tomahawk-Marschflugkörper, Hyperschallraketen. Diese Waffen könnten bis weit nach Russland hinein reichen, sobald sie sich in Deutschland befinden. Verteidigungsminister Pistorius spricht von der Erhöhung der konventionellen Abschreckung, man müsse mit Russland gleichziehen, welches bereits Mittelstreckenwaffen stationiert habe. Aber dazu bräuchte es keine neuen Waffensysteme in Deutschland - die NATO hat bereits konkurrenzfähige luft- und seegestützte Waffen, die auch russische Ziele treffen könnten. Stattdessen befinden wir uns nun in folgender Lage: auf unserem Boden sollen Waffen stationiert werden, über die wir nicht verfügen können. Wir können lediglich darauf hoffen, dass die US-amerikanischen Militärs nicht willkürlich von Deutschland aus Ziele im Ausland angreifen. Eine demokratische Abstimmung, ja eine Debatte darüber im Bundestag sucht man vergeblich. Ein Basta-Beschluss am Rande des NATO-Gipfels, der Deutschland noch mehr zur Außenstelle macht als ohnehin schon, ohne dass sich die demokratischen Institutionen dagegen wehren konnten.
Auch die aktuellen Entwicklungen in den Ermittlungen rund um die Sprengung von Nord Stream 2 klingen völlig absurd. Nicht nur, dass die Initiatoren dieser Sprengung aus der Ukraine kamen - nach einem aktuellen Bericht der Washington Post soll Selenskyj sogar den Sabotage-Akt zunächst genehmigt haben. Zu diesem Zeitpunkt ist die Ukraine aus Deutschland bereits massiv unterstützt worden. Es solle einer Aufforderung der CIA bedurft haben, damit Selenskyj diese Bestätigung wieder zurückzieht. Salushnyj, der damalige Oberbefehlshaber, solle sich jedoch dieser Aufforderung widersetzt und den Plan trotzdem weiterverfolgt haben. Dass die Spuren des Anschlags auf die Nord-Stream-Pipeline deutlich in Richtung Ukraine weisen, ist seit längerem bekannt.
Dass die Aktion zunächst jedoch staatlich gebilligt wurde, dass mehrere internationale Geheimdienste davon wussten, dass, laut Aussagen des ehemaligen BND-Präsidenten August Hanning in der Frankfurter Rundschau, auch Polen involviert gewesen sein könnte, und dass dieser Anschlag dann trotzdem stattfinden konnte - das ist ein Skandal bisher ungekannten Ausmaßes. Polen ist unser Bündnispartner. Die Ukraine ist von Deutschland mit Geld und Waffen enorm unterstützt worden. Und: der BND war durch die CIA und den niederländischen Militärnachrichtendienst MIVD darüber informiert worden, dass ein ukrainisches Kommando die Sprengung der Pipelines plante.
Der Schaden, der durch die Sprengung entstand, ist erheblich. Der NDR schreibt: ,,Das innerhalb von einer Woche ausgetretene Gas entspricht 32 Prozent des jährlichen CO2-Ausstoßes des gesamten Königreiches Dänemark." Das Attentat fiel in eine Zeit, in der Deutschland durch den russischen Lieferstopp in die Gefahr einer Gaskrise geriet. Diese hat es de facto nie wirklich gegeben, eine Knappheit bestand nicht - trotzdem sahen die Unternehmen hierin eine Chance, Preise in die Höhe zu treiben. Diese enorme Preissteigerung insbesondere bei Strom und Lebensmitteln belastet deutsche Haushalte bis heute.
Weiterhin importiert Deutschland fleißig Gas. Woher kommt es? LNG-Flüssiggas kaufen wir in rauen Mengen aus den USA, wo die Fracking-Infrastruktur in den letzten Jahren enorm ausgebaut wurde. Joe Biden hat somit sein Wahlversprechen gebrochen: während seiner Kampagne forderte er, keine Bohrungen auf amerikanischem Boden mehr zu genehmigen. Kaum war er Präsident, bewilligte er tausende neue Genehmigungen für Öl- und Gasbohrungen. Fracking, also das Pumpen von Chemikalien in die Böden, um Erdgas zu gewinnen, richtet extreme Schäden für Natur und Umwelt an, dies wissen wir seit über einem Jahrzehnt. Dieser Tage stoßen sich die USA damit gesund, wurden zum größten LNG-Exporteur der Welt, und nach der Ansicht nicht weniger zum ,,Retter" Deutschlands vor einer Energiekrise. Weil das Geschäft so gut läuft, plant die USA den Ausbau von LNG-Terminals und somit der systematischen Zerstörung von Böden, natürlich in Gebieten, in denen zuvorderst ärmere Menschen leben.
Weiterhin importiert Deutschland LNG-Gas von Nachbarländern, die dieses Flüssiggas aus Russland kaufen und dann - selbstverständlich mit einem Aufpreis - nach Deutschland weiterverkaufen. Wir bleiben also weiterhin von russischem Gas abhängig, wir bezahlen lediglich mehr dafür. Von diesen zusätzlichen Kosten profitieren lediglich die Länder, in denen das Flüssiggas einen Zwischenstopp einlegt. Zurzeit sind das vor allem Belgien und die Niederlande, wiederum unsere Bündnispartner.
Es wirkt fast so wie ein Insider-Witz, über den alle Bescheid wissen, außer wir. Unsere Waffen verschenken wir an ein Land, das nun die einzige Bedingung für diese Waffenlieferungen gebrochen hat, nämlich sie nicht für eigene Offensiven auf russischem Gebiet einzusetzen. Da wir unsere Waffen verschenkt haben, kaufen wir nun neue für Milliarden von unserem Partner, dem NATO-Hegemonen. Auch unsere Gasversorgung sichern wir nun auf Kosten absurd destruktiver Technologien, von denen wieder primär die USA profitieren, und wir bezahlen unsere unmittelbaren Nachbarn dafür, dass sie uns dasselbe Gas, was wir vorher günstiger aus Russland erhalten haben, jetzt mit einem anderen Etikett teuer weiterreichen. Gefährdet wurde diese Gasversorgung nicht zuletzt durch einen Angriff auf eine Ostsee-Pipeline, der offenbar von ebenjenem Land geplant wurde, welches wir so massiv unterstützen, und dem wir nachsagen, es verteidige unsere westlichen Werte. Dieser Anschlag wurde gleichermaßen nicht verhindert durch mehrere internationale Geheimdienste, nein - wenn der Ex-BND-Chef recht hat, so hat gegebenenfalls ein weiteres Nachbarland, nämlich Polen, sogar kollaboriert. Und während die USA also fleißig Waffen und Gas nach Deutschland verkaufen, stationieren sie noch ihre eigenen, bis nach Russland reichenden Raketen auf unserem Boden, ohne dass wir irgendeinen Einfluss auf Zeitpunkt und Art ihres Einsatzes hätten - geschweige denn, dass uns die Wahl gelassen worden wäre, ob wir ihre Stationierung überhaupt billigten.
Können wir guten Gewissens von einer Partnerschaft auf Augenhöhe sprechen, wenn derart viele Indizien darauf hindeuten, dass Deutschland von seinen angeblichen Freunden und Mitstreitern derart ausgenutzt, wenn nicht gar sabotiert wird? Entspricht die Eskalationsspirale, an der die USA und partiell auch Frankreich fleißig kurbeln und alle anderen zum Mitziehen zwingen, der Idee eines Verteidigungsbündnisses? Kann eine NATO weiter so existieren, wenn die USA die Führerposition für sich pachtet und die anderen Mitgliedstaaten vor sich hertreibt, wobei man nicht zuletzt auf die eigenen monetären Interessen achtet? Wenn der Krieg über Russland und die Ukraine hinaus eskalieren sollte, passierte dies zuerst in Richtung Europa. Könnten wir uns angesichts all dessen wirklich auf den Beistand unserer Partner von Übersee verlassen? Aktuell scheint es, als sei Deutschland das Bauernopfer für die übrigen westlichen Länder.
Offenbar bedarf es eines Wake-up-Calls für den öffentlichen Diskurs über den Ukraine-Krieg. Denn eindeutig geht es hier nicht mehr um Prinzipien, Gerechtigkeit oder Werte. Dass unsere Bundesregierung bis heute offenbar die Intelligenz vermissen lässt, dies einzugestehen, ist ein Armutszeugnis. Dass Annalena Baerbock sich nicht entblödete, den Satz auszusprechen, sie würde die Ukraine verteidigen, egal, was ihre eigenen Wähler sagen würden, fällt ihr allerspätestens jetzt mit einem donnernden Knall auf die Füße. Wenn alle anderen Länder in diesem Krieg ihre eigenen Interessen ausspielen, im Zweifel auf Kosten von Deutschland, dann wird es Zeit, dass auch wir nicht mehr pflichtschuldig den Dienst für andere antreten, sondern dass unsere Politiker das tun, wofür sie gewählt wurden - nämlich: genauso stark für die Interessen der deutschen Bevölkerung einzutreten.
Das deutsche Interesse kann und darf einzig und allein der schnellstmögliche Frieden durch Verhandlungen ohne weitere Eskalation sein. Es darf sich nicht um kapitalistische Machtfantasien oder die Manifestation einer Hegemonie im internationalen Gefüge drehen. Wer seine Bündnispartner ausbluten oder im Zweifel über die Klinge springen lassen würde, verwirkt sein Recht auf die in Selbstbesoffenheit erschaffene Anführerposition der westlichen Welt. Wir brauchen eine Führung, die diese Hybris in die Schranken weist und Reformen innerhalb der NATO anstößt, die diesen Staatenbund wieder zu dem macht, was er sein muss: zu einem Verteidigungsbündnis, in dem gleichberechtigte Stimmen Entscheidungen gemeinsam zum Wohle aller treffen.
Ein Austritt Deutschlands aus der NATO kann keine Option sein. Ein ,,Weiter so" auch nicht.
20.08.24
*Bent-Erik Scholz arbeitet als freier Mitarbeiter für den RBB
Die USA verhielten sich zuletzt in ihrer Unterstützung zwiespältig: aus Washington wurde immer mehr Kritik an Kiew laut, zwischenzeitlich hielt sich Biden auch mit der Lieferung weiterer Waffen deutlich zurück. Der Eindruck, den dies international hinterließ, war, dass die Europäer hier vorgeschickt werden sollten - nicht wenige vermuteten auch, das langfristige Ziel sei, die europäischen Länder damit von der US-Waffenproduktion abhängig zu machen, da sie die eigenen Arsenale mit nachgekauften Waffen aus Amerika wieder auffüllen würden.
Diese Vermutung bestätigt sich nun angesichts eines Verkaufs von 600 Patriot-Waffensystemen von den USA an Deutschland. Fünf Milliarden lässt sich die Bundesrepublik dies kosten, um, wie es in einer Stellungnahme heißt, ,,aktuellen und zukünftigen Bedrohungen zu begegnen und die Verteidigungskapazitäten seines Militärs zu erhöhen." Also: in einer Ausnahmesituation auf dem europäischen Kontinent verschenkt Deutschland seine Waffen an ein angegriffenes Land, auf dass dieses sich verteidigen möge. Vom eigenen Bündnispartner muss Deutschland diese Waffen dann für teures Geld nachkaufen. Zeitgleich beginnt die Ukraine zur Überraschung aller eine eigene Offensive auf russischem Gebiet mit deutschen Waffen, und bricht somit mit dem durch die Bundesregierung immer wieder geäußerten Credo, die Waffen dienten nur der Verteidigung. Nach aktuellem Stand ist Deutschland über die Kursk-Offensive nicht vorab durch die Regierung in Kiew informiert worden. Haben wir uns in unserem vorgeschobenen Idealismus im Kampf um das Gute zum Spielball unserer Verbündeten gemacht, denen es nicht um Werte und Gerechtigkeit, sondern zuvorderst um eigene Interessen geht?
Im Juli wurde bekannt, dass ab 2026 neue US-amerikanische Waffensysteme in Deutschland stationiert werden sollen. Kurzstreckenraketen, Tomahawk-Marschflugkörper, Hyperschallraketen. Diese Waffen könnten bis weit nach Russland hinein reichen, sobald sie sich in Deutschland befinden. Verteidigungsminister Pistorius spricht von der Erhöhung der konventionellen Abschreckung, man müsse mit Russland gleichziehen, welches bereits Mittelstreckenwaffen stationiert habe. Aber dazu bräuchte es keine neuen Waffensysteme in Deutschland - die NATO hat bereits konkurrenzfähige luft- und seegestützte Waffen, die auch russische Ziele treffen könnten. Stattdessen befinden wir uns nun in folgender Lage: auf unserem Boden sollen Waffen stationiert werden, über die wir nicht verfügen können. Wir können lediglich darauf hoffen, dass die US-amerikanischen Militärs nicht willkürlich von Deutschland aus Ziele im Ausland angreifen. Eine demokratische Abstimmung, ja eine Debatte darüber im Bundestag sucht man vergeblich. Ein Basta-Beschluss am Rande des NATO-Gipfels, der Deutschland noch mehr zur Außenstelle macht als ohnehin schon, ohne dass sich die demokratischen Institutionen dagegen wehren konnten.
Auch die aktuellen Entwicklungen in den Ermittlungen rund um die Sprengung von Nord Stream 2 klingen völlig absurd. Nicht nur, dass die Initiatoren dieser Sprengung aus der Ukraine kamen - nach einem aktuellen Bericht der Washington Post soll Selenskyj sogar den Sabotage-Akt zunächst genehmigt haben. Zu diesem Zeitpunkt ist die Ukraine aus Deutschland bereits massiv unterstützt worden. Es solle einer Aufforderung der CIA bedurft haben, damit Selenskyj diese Bestätigung wieder zurückzieht. Salushnyj, der damalige Oberbefehlshaber, solle sich jedoch dieser Aufforderung widersetzt und den Plan trotzdem weiterverfolgt haben. Dass die Spuren des Anschlags auf die Nord-Stream-Pipeline deutlich in Richtung Ukraine weisen, ist seit längerem bekannt.
Dass die Aktion zunächst jedoch staatlich gebilligt wurde, dass mehrere internationale Geheimdienste davon wussten, dass, laut Aussagen des ehemaligen BND-Präsidenten August Hanning in der Frankfurter Rundschau, auch Polen involviert gewesen sein könnte, und dass dieser Anschlag dann trotzdem stattfinden konnte - das ist ein Skandal bisher ungekannten Ausmaßes. Polen ist unser Bündnispartner. Die Ukraine ist von Deutschland mit Geld und Waffen enorm unterstützt worden. Und: der BND war durch die CIA und den niederländischen Militärnachrichtendienst MIVD darüber informiert worden, dass ein ukrainisches Kommando die Sprengung der Pipelines plante.
Der Schaden, der durch die Sprengung entstand, ist erheblich. Der NDR schreibt: ,,Das innerhalb von einer Woche ausgetretene Gas entspricht 32 Prozent des jährlichen CO2-Ausstoßes des gesamten Königreiches Dänemark." Das Attentat fiel in eine Zeit, in der Deutschland durch den russischen Lieferstopp in die Gefahr einer Gaskrise geriet. Diese hat es de facto nie wirklich gegeben, eine Knappheit bestand nicht - trotzdem sahen die Unternehmen hierin eine Chance, Preise in die Höhe zu treiben. Diese enorme Preissteigerung insbesondere bei Strom und Lebensmitteln belastet deutsche Haushalte bis heute.
Weiterhin importiert Deutschland fleißig Gas. Woher kommt es? LNG-Flüssiggas kaufen wir in rauen Mengen aus den USA, wo die Fracking-Infrastruktur in den letzten Jahren enorm ausgebaut wurde. Joe Biden hat somit sein Wahlversprechen gebrochen: während seiner Kampagne forderte er, keine Bohrungen auf amerikanischem Boden mehr zu genehmigen. Kaum war er Präsident, bewilligte er tausende neue Genehmigungen für Öl- und Gasbohrungen. Fracking, also das Pumpen von Chemikalien in die Böden, um Erdgas zu gewinnen, richtet extreme Schäden für Natur und Umwelt an, dies wissen wir seit über einem Jahrzehnt. Dieser Tage stoßen sich die USA damit gesund, wurden zum größten LNG-Exporteur der Welt, und nach der Ansicht nicht weniger zum ,,Retter" Deutschlands vor einer Energiekrise. Weil das Geschäft so gut läuft, plant die USA den Ausbau von LNG-Terminals und somit der systematischen Zerstörung von Böden, natürlich in Gebieten, in denen zuvorderst ärmere Menschen leben.
Weiterhin importiert Deutschland LNG-Gas von Nachbarländern, die dieses Flüssiggas aus Russland kaufen und dann - selbstverständlich mit einem Aufpreis - nach Deutschland weiterverkaufen. Wir bleiben also weiterhin von russischem Gas abhängig, wir bezahlen lediglich mehr dafür. Von diesen zusätzlichen Kosten profitieren lediglich die Länder, in denen das Flüssiggas einen Zwischenstopp einlegt. Zurzeit sind das vor allem Belgien und die Niederlande, wiederum unsere Bündnispartner.
Es wirkt fast so wie ein Insider-Witz, über den alle Bescheid wissen, außer wir. Unsere Waffen verschenken wir an ein Land, das nun die einzige Bedingung für diese Waffenlieferungen gebrochen hat, nämlich sie nicht für eigene Offensiven auf russischem Gebiet einzusetzen. Da wir unsere Waffen verschenkt haben, kaufen wir nun neue für Milliarden von unserem Partner, dem NATO-Hegemonen. Auch unsere Gasversorgung sichern wir nun auf Kosten absurd destruktiver Technologien, von denen wieder primär die USA profitieren, und wir bezahlen unsere unmittelbaren Nachbarn dafür, dass sie uns dasselbe Gas, was wir vorher günstiger aus Russland erhalten haben, jetzt mit einem anderen Etikett teuer weiterreichen. Gefährdet wurde diese Gasversorgung nicht zuletzt durch einen Angriff auf eine Ostsee-Pipeline, der offenbar von ebenjenem Land geplant wurde, welches wir so massiv unterstützen, und dem wir nachsagen, es verteidige unsere westlichen Werte. Dieser Anschlag wurde gleichermaßen nicht verhindert durch mehrere internationale Geheimdienste, nein - wenn der Ex-BND-Chef recht hat, so hat gegebenenfalls ein weiteres Nachbarland, nämlich Polen, sogar kollaboriert. Und während die USA also fleißig Waffen und Gas nach Deutschland verkaufen, stationieren sie noch ihre eigenen, bis nach Russland reichenden Raketen auf unserem Boden, ohne dass wir irgendeinen Einfluss auf Zeitpunkt und Art ihres Einsatzes hätten - geschweige denn, dass uns die Wahl gelassen worden wäre, ob wir ihre Stationierung überhaupt billigten.
Können wir guten Gewissens von einer Partnerschaft auf Augenhöhe sprechen, wenn derart viele Indizien darauf hindeuten, dass Deutschland von seinen angeblichen Freunden und Mitstreitern derart ausgenutzt, wenn nicht gar sabotiert wird? Entspricht die Eskalationsspirale, an der die USA und partiell auch Frankreich fleißig kurbeln und alle anderen zum Mitziehen zwingen, der Idee eines Verteidigungsbündnisses? Kann eine NATO weiter so existieren, wenn die USA die Führerposition für sich pachtet und die anderen Mitgliedstaaten vor sich hertreibt, wobei man nicht zuletzt auf die eigenen monetären Interessen achtet? Wenn der Krieg über Russland und die Ukraine hinaus eskalieren sollte, passierte dies zuerst in Richtung Europa. Könnten wir uns angesichts all dessen wirklich auf den Beistand unserer Partner von Übersee verlassen? Aktuell scheint es, als sei Deutschland das Bauernopfer für die übrigen westlichen Länder.
Offenbar bedarf es eines Wake-up-Calls für den öffentlichen Diskurs über den Ukraine-Krieg. Denn eindeutig geht es hier nicht mehr um Prinzipien, Gerechtigkeit oder Werte. Dass unsere Bundesregierung bis heute offenbar die Intelligenz vermissen lässt, dies einzugestehen, ist ein Armutszeugnis. Dass Annalena Baerbock sich nicht entblödete, den Satz auszusprechen, sie würde die Ukraine verteidigen, egal, was ihre eigenen Wähler sagen würden, fällt ihr allerspätestens jetzt mit einem donnernden Knall auf die Füße. Wenn alle anderen Länder in diesem Krieg ihre eigenen Interessen ausspielen, im Zweifel auf Kosten von Deutschland, dann wird es Zeit, dass auch wir nicht mehr pflichtschuldig den Dienst für andere antreten, sondern dass unsere Politiker das tun, wofür sie gewählt wurden - nämlich: genauso stark für die Interessen der deutschen Bevölkerung einzutreten.
Das deutsche Interesse kann und darf einzig und allein der schnellstmögliche Frieden durch Verhandlungen ohne weitere Eskalation sein. Es darf sich nicht um kapitalistische Machtfantasien oder die Manifestation einer Hegemonie im internationalen Gefüge drehen. Wer seine Bündnispartner ausbluten oder im Zweifel über die Klinge springen lassen würde, verwirkt sein Recht auf die in Selbstbesoffenheit erschaffene Anführerposition der westlichen Welt. Wir brauchen eine Führung, die diese Hybris in die Schranken weist und Reformen innerhalb der NATO anstößt, die diesen Staatenbund wieder zu dem macht, was er sein muss: zu einem Verteidigungsbündnis, in dem gleichberechtigte Stimmen Entscheidungen gemeinsam zum Wohle aller treffen.
Ein Austritt Deutschlands aus der NATO kann keine Option sein. Ein ,,Weiter so" auch nicht.
20.08.24
*Bent-Erik Scholz arbeitet als freier Mitarbeiter für den RBB
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