Platzen statt wachsen

Platzen statt wachsen

Ein Sommer der Superlative zeigt erste Endungstendenzen. Sport, Politik und Kunst, oder das, was uns an Simulation davon geboten wird, war und ist der Magnet der Aufmerksamkeit. Die reine Zahl steht über Allem. Doch ist es das, was wir uns wünschen? Kai Blasberg gibt Antworten.
Als ich Adele bei youtube in der Londoner Royal Albert Hall singen sah - es muss so vor 10 Jahren gewesen sein - hätte ich sie sofort geheiratet. Wenn sie mich gefragt hätte. Und ich nicht auch damals schon verheiratet gewesen wäre. Da sie mich aber gar nicht kennt, wäre es schon ein arges Wunder gewesen, hätte sie mir einen Antrag gemacht. Adele war damals sehr dick. Und sie war ungeheuer schön. Und enorm lustig. Sehr, sehr britisch allemal.
Taylor Swift kenne ich auch schon seit 10 Jahren, glaube ich. Sie ist sehr amerikanisch. Sie wollte ich aber noch nie heiraten. Sie war und ist sehr dünn und sieht so aus, wie man halt als junge Frau so aussieht heutzutage. Ihre Musik, wenn man das so nennen will, als auch ihre so intensiv beschworene Lebenswelt, deckt sich nicht mir der meinen. Was ganz sicher ganz richtig so ist. Aber auch die Welt des Till Lindemann ist mir fremd. Ich kenne sehr viele mir sehr nahestehende Menschen, die nachgerade auf Rammstein steil gehen und ein paarmal nachdächten, wenn Till ihnen einen Antrag machen würde. Was der aber aufgrund seiner wunderlichen und oft strafrechtlich relevanten Hobbys nie machen würde. Ich stehe oft zweifelnd, wenn nicht gar verzweifelt vor diesem Berserkertum.

Was alle drei vereint: Gigantismus. Till und seine Freunde im Vorruhestandsalter lassen mit Peniskanonen auf ihre so verhöhnten Fans schießen und ziehen denen mit Ticketpreisen und Merchandising den kargen Lohn aus der weit offenen Tasche. Die Swifties auf der ganzen Welt reisen für ihr Idol um dieselbe, um sich einen überteuerten Stadionplatz mit der Verehrten teilen zu können. Koste es, was es wolle. Doch, immerhin, die beiden, Till und Taylor, reisen schon noch in die Nähe ihrer Jünger. Ein ganz neues Feld macht aber meine ehedem angeschmachtete Wuchtbrumme aus Tottenham auf: sie lässt kommen. In eine eigens für sie errichtete Event-Location für achtzigtausend Menschen an einem einzigen Ort. Und das dann zehnmal hintereinander. Wer sie sehen will, muss an die Grenze gehen. Unter allen denkbaren Bedingungen. Wer das nicht kann, schaut in die Röhre oder hört Bayern 3. Hybris in der allerneuesten Versuchsanordnung. Und dann, natürlich, in der Hauptstadt des Hochmuts, wo sie alle streamen, so es denn ein main verkündet. Dabei sein ist alles. Nun nimmt es nicht wunder, dass die seit einiger Zeit erschlankte und sich selbst kaum noch ähnelnde ehemalige Miss Adkins Seele vermissen lässt. Dem Vernehmen nach sei alles sehr perfekt, aber auch ein wenig trist. Sie packe einen nicht. Nun denn. Gänsehaut braucht Nähe. Und die entsteht nicht, wenn es nur noch um ,,wer hat den Längsten" geht.

Die nächste Fußball-WM hat 48 teilnehmende Mannschaften. Wer sich hier für das Endturnier in jahrelangen Qualifikationen nicht ins Geschehen spielt, muss schon eine arge Trümmertruppe sein. Ähnlich geht es in der Champions League. Auch soll noch ein weiterer Wettbewerb installiert werden. Die Vereins-WM. Für mehr unwichtige Spiele mit den immer selben Teilnehmern. Hauptsache, einer überträgt den Quatsch und die Verbände und Vereine, und also die Spieler, ertrinken im Geld. Da sind einem doch die Olympischen Spiele heilig, wo wir wenigstens mal andere Sportarten serviert bekommen. Aber auch hier: die größten, wettbewerbsstärksten, zuschauerreichsten usw., usw., aller Zeiten. Dieses ,,aller Zeiten" hat sich, ich gebe zu, ich war Mittäter, unheilig eingeschlichen und ist nun die neue Benchmark. Quantität ist alles. Auch das teilt eine Gesellschaft. Das Brot und Spiele der Superreichen, denn mittlerweile sind 200 Euro für zwei Stunden Zeitvertreib ohne Wurst und Kaltgetränk pro Person eher die Regel als die Ausnahme. Und bald ist ja auch wieder die Wiesn.
Und wenn ich jetzt noch die CO2-Bilanz... . Sie merken schon, wo wir stehen.
Kommen wir also zur Politik. Die kostet nichts. HaHaHa. Und ist auch nichts wert. Christian Dürr. Der, nomen est omen, will den Bürgergeldbeziehern 14-20 Euro monatlich streichen. Weil, so sein Dürrsinn, die Inflation ja nicht so hoch gewesen sei. Der Dürr, Fraktionschef der nicht marktfähigen und so bald Geschichte seienden Freidemokraten, der mit der letzten, gesetzlich verordneten Diäten-Erhöhung von ca. 1000 Euro monatlich für ihn, nun den allerärmsten der Republik in den stets leeren Geldbeutel greifen will. Nicht um zu sparen. Nein, die kümmerliche Truppe um Lindner und ihn braucht ein Thema. So will man zum Beispiel um mehr Autos in Innenstädten werben. Können sie ruhig nochmal lesen. Es stimmt. Sie wollen dem Auto, dem, das Benzin oder Diesel verbrennt, zu einer Renaissance verhelfen. Nun ist das Autofahren mit den Stromern nicht besser als das in Verbrennern. Aber irrsinnig, das in Städten zu betreiben, ist beides. Und eine der aktuellen Regierungsparteien proklamiert es im Jahre 2024 als das kommende Thema. In Autos, die mindestens 2 Tonnen wiegen sollen, damit der Energiebedarf, dieser, meist mit nur einer zu transportierenden Person bestückt, so hoch bleibt wie er immer war. Es soll sich nichts ändern. Und wenn, dann nur für die, die eh nichts haben. Und fürs schwarzfahren in den Öffentlichen ins Gefängnis gehen. Was geübte Praxis in Deutschland ist. Man aber bei Adele in der Champagner-Loge nicht mitbekommt. Seit 50 Jahren hören wir, dass es so nicht weitergeht. Und dann wird eine Milliarde für Werbung für einen Präsidentschafts-Kandidaten in der angeblichen Demokratie Amerika ausgegeben. Nur für einen. Oder ein Kanzleramt erweitert für ungefähr dieselbe Summe, obwohl ja bald viel weniger Personal da arbeiten sollte. Als hätte Immanuel Kant nie gelebt.
Erlaube ich mir also, ein paar Vorschläge für Ihre Zukunft zu machen: buchen sie eine Woche in meinem Gästehaus in Nordfriesland. Und freuen sie sich behaupten zu dürfen, 400 tausend Euro für diese Woche bezahlt zu haben.
Und ich sie dafür nicht vom Bahnhof abgeholt habe.

Fahren sie mal wieder auf einen Rastplatz in Ihrer Nähe. Es ist sehr laut dort. Messen sie die Lautstärke (Geräte bei ebay schon ab 16 Euro) und fahren zum nächsten. Wenn sie 100 Rastplätze erfasst haben, eröffnen sie ein Instagram-Profil und haben den Rekord. Sie kennen den lautesten Rastplatz, den sie je besucht haben.
Essen sie mehr. Auch wenn sie Übergewicht haben. ,,A bisserl was geht allerweil" sagt man im Irrenhaus Bayern. Ziehen sie einen Koeffizienten aus Gewicht, Schuhgröße und steigendem Blutdruck. Ziehen sie davon die Nettosumme Ihrer monatlichen Krankenkassenbeiträge ab. Sie haben eine Zahl. Ihren ganz persönlichen Rekord. Jetzt können sie sich brüsten. Sie haben etwas erreicht. Eine Zahl. Ihre Zahl.
Wenn Ihnen das nicht reicht, hier der ultimative Burner:

Genau!

17.08.24
*Kai Blasberg war 40 Jahre in den privaten Medien in Deutschland beschäftigt
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