Mut. Tut. Nut.

Mut. Tut. Nut.

Die Mittelmäßigkeit verhindert jeden Streit.
Klaus Hoffmann


Kennen Sie Gerhard Löwenthal?

Als das ZDF-Magazin noch nicht Royal hieß, moderierte dieser dem Opa Hoppenstedt von Loriot aus dem Gesicht entlehnte Stock-Konservative eine Sendung diesen Namens.
Er war mithin das Gegenteil von Jan Böhmermann.

Von Kai Blasberg
Dann aber müsste man ja benennen , was Jan Böhmermann ist.
Und da sind wir beim Problem.
Böhmermann ist links. Löwenthal war rechts.
Löwenthal saß im KZ.
Böhmermann arbeitet neuerdings investigativ.
OK. Das tat Löwenthal auch.
Wirkmächtig. Ja. Beide wohl.
Unbequem: beide.
Polarisierer: beide.
Sendungsbewusst? Sie ahnen es.

Das könnte jetzt ewig so weitergehen.
Wir würden eigenschaftstechnisch viele Gemeinsamkeiten herausarbeiten.
Was Böhmermann aber mehr Schmerzen bereiten würde als umgekehrt.
Löwenthal brachte uns Linke auf Zinne.
Er schaffte es, dass wir seine Sendungen nur anschauten, um uns aufzuregen.
Er galt als der Schnitzler des Westens.
Carl Eduard von, so hieß der, veranstaltete im DDR-Fernsehen den ,,Schwarzen Kanal" und verbreitete Lügen.
Löwenthal meist Wahrheiten.
Aber überaus unangenehme, was für uns Linke dasselbe war wie Lüge.
Er sprach von der DDR als Unrechtsregime, als die meisten, die Willy Brandt wählten, die DDR für immer anerkennen wollten.
Er stand auf der Todesliste der Roten Armee Fraktion, als der heutige Welt-Herausgeber und ehemalige Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust deren Nähe suchte.
Übrigens eine Figur, dieser Stefan Aust, der man auch mal ein Buch widmen sollte.
Ein investigatives.
Gerhard Löwenthal war ein Journalist. Der sein Handwerk von der Pike auf... .
Sie wissen schon.
Das ging damals gar nicht anders. Es gab wenig Medien und hohe Standards.
Er würde heute ganz sicher Spalter genannt.
Allerdings: Gerhard Löwenthal bekam von der Geschichte meistens recht.
Die Lesart zu den Themen, die er ansprach, sie war aber ihrer Zeit voraus.

Es ist heute allgemein anerkannt, dass die DDR RAF-Terroristen durch Rückzugsräume auf dem Gebiet der selben Unterschlupf bot.
Als Löwenthal darüber berichtete, hatte die Linke im Westen Puls.
Aber sowas von.

Was will ich ihnen erzählen?

Dieser Text erzählt auch von der Unterwerfung. Unserer Unterwerfung.
Unter den Zeitgeist, unter Umstände, unter Führung, unter Feigheit; auch die eigene.
Es ist ein Text über verpasste Chancen, über Ausreden, falsches Verhalten und mangelnde Courage.
Niedertracht, Mutlosigkeit, Opportunismus.

,,Mut ist Mangel an Phantasie" habe ich ausgerechnet mal von Silvester Stallone gehört, als rauskam, dass er, trotz anderen Images, nicht jeden Stunt selber machte.

Mut ist aber auch eines: Mut!

Wenn sie dieses kurze, mächtige Wort in ihr KI-Modul tippen, kommen auch Worte wie Furchtlosigkeit, Kühnheit, Risikobereitschaft, Rückgrat, Tapferkeit, Unerschrockenheit, Verwegenheit, Wagemut heraus.
In nicht literarischer Sprache: Eier. Mumm.

Ich kenne sie aber gut genug, liebe Leser*innen, um zu wissen, dass sie jetzt von mir erwarten, Sie zu fragen, wann Sie denn zuletzt aus ihrem Alltag heraus zur Bewältigung desselben derlei Eigenschaften abrufen zu mussten.

Furchtlosigkeit.
Nun, Furcht entsteht konkret.
Im Gegensatz zur Angst. Die ist amorph.
Steht vor Ihnen eine vielleicht tollwütige Pitbull-Rottweiler-Mischung und fletscht Sie an, sie fürchten sich aber nicht, gehen sie bitte zum Arzt.
Sie haben eine Wahrnehmungsstörung oder sind schlicht lebensmüde.
Wenn sie allerdings das Haus nicht mehr verlassen aus Angst vor der Konfrontation mit dieser Phantasie-Hunderasse, dann ist dieselbe Reaktion ratenswert: sie sind neurotisch.

Kühnheit.
Sie ist schon fast nicht mehr im deutschen Sprachschatz anzutreffen.
Nicht, weil es keine kühnen Taten gibt.
Kühnheit hat aber heute eher Comicsprache zur Folge.
Krass. Geil. Krassgeil. Mega. Alda.
You name it.
Wie klingt dagegen kühn?
Als ich spontan meine Gattin fragte, sie wissen schon, die schöne Naturwissenschaftlerin, kam Ritter zur Antwort.
Sport? War meine Gegenfrage.
Ich bin für meine Sparwitze gefürchtet.
Ritter in Rüstung, kam es von ihr. Entrüstet.
Nun, in Ihrem Alltag, liebe Leser*innen werden Ihnen Ritter selten begegnen, und wenn, dann bei so etwas wie den nach den blechernen Reitersleuten benannten Kaltenberger Festspielen, deren Besuchern ich dann darob wiederum auch einen Arztbesuch zuteil werden lassen würde.
Aber mich fragt ja keiner.
Kühn ist heute vielleicht, einen Aufkleber der Grünen, den mit der Sonnenblume, auf einen neuen BMW-SUV zu pappen, sowas gibt es im Süden der Republik nicht selten, und damit dann im Frühjahr 2024 auf einer Veranstaltung des baden-württembergischen Bauernverbands aufzutauchen.

Risikiobereitschaft.
Die hingegen treffen wir im Alltag überall an:
nehmen sie alleine das tagtäglich scheiternde Vorhaben, mit der Bahn von A nach B fahren zu wollen und zeitgleich anzunehmen, die angedachten Termine, meistens Gründe dieser Taten, dann auch noch wahrnehmen zu können.
Oder erst nächste Woche zu tanken, im Glauben, der Preis bleibe stabil.
Risikobereit auch der, der sich sonntags abends auf den Tatort freut, weil das doch jahrzehntelang gute Unterhaltung garantierte.
Risikobereit sind wir, zugegeben unfreiwillig, ganz viel im Deutschland des Jahres 2024.
Ganz wenig hingegen begegnet uns das Rückgrat.
Der Deutschen ungeliebtes Kind.
Die Nation des ,,watt willze machen?" hasst Rückgrat sogar ganz tief in seiner nach dem Volk benannten Seele.
Denn Rückgrat bedeutet Haltung, Charakter, Wille, Durchhaltevermögen.
Begründung für dasselbe inklusive.
Das beweisen meist Individuen, die dem Michel dann in Windeseile auf die Nerven gehen.
Weil man ja der Begründung inhaltlich folgen müsste.
Nein: allein deswegen schon kommt es kaum noch vor.
Wenn Sie anderer Meinung sind: begründen Sie es bitte hier.

Tapferkeit.
Eine weitere MUT-Unterabteilung , braucht Günther Jauch spätestens in seinen Jahresrückblicken. Oder macht die jetzt Lanz?
Auch Rudi Cerne mit seinem XY-Preis.
Tapferkeit messen wir dem kleinen Mann zu, der einmal über seinen Schatten springend aus jenem hervortritt. Aber auch direkt den dazugehörigen Opfern.
Opfer sind tapfer. Und die Medien bedienen dieses Sujet schon lange leise geifernd und inflationär.
Denn Tapferkeit ist singulär und vergeht, rührt den Betrachter bei gleichzeitiger Vergessens-Garantie.
Hier nervt nichts, hier fordert niemand, hier kann man schön in sich selbst suhlen und ein bisschen dieser Tapferkeit auch für sich behalten.
Haben sie schon für die Erdbeben-Opfer gespendet? Diese tapferen Menschen.
Die Ahr. Seufz.

Sie merken selbst, alles, was mit Mut zu tun hat, ist die Sache der aussaturierten Menschengesellschaft nicht mehr.
Da wo jeder, nach zwei Dekaden Individualitätsorgien und Liberalisierungsterror nur noch seine schwimmenden Felle im Auge hat, gruppiert sich nur noch, wer Partikularität für etwas Religiöses betrachtet.
Egal ob Bauern, Fussballfans, alte weiße Männer, Hebammen, Verbandspräsidenten der Verbandsverbände, die Long-Covids und she´s, die gestern noch it´s waren:
Jeder denkt, seins wäre einzig und schafft es nicht einmal mehr, den anderen zu bekämpfen.
Denn das wäre ja Aufwand.
Und Uli Hoeneß brüllt sein ,,Sauerei" ins Gelände.

Gesellschaft ist damit nicht zu machen.
Und auch kein Staat.
Auch wer den Sponti-Spruch, wonach, wenn nur Jeder an sich selber dächte, auch an Jeden gedacht wäre, mal lustig fand:
Es ist reine Kritik. Und die verhallt zunehmend. Kaum lesen wir uns noch. Kaum hören wir.
Weil wir, die die Gesellschaft tragenden Eliten, mehr leisten müssen, als wir tun.

Wir treffen uns hier bei Serdar.

Der hat seinen Dienst geleistet. Und kann es doch nicht lassen.

Sie aber, lieber Mensch da draußen. Sie können mehr als das, was sie tun.
Sie wundern sich jetzt über die Vielen, die Angst, vielleicht sogar schon Furcht vor Nazis haben.
Aber ach: es wird schnell Mode. Und ist auch nur dagegen.
Was das ist? Das wissen Sie.
Ist aber mühsam.

Viel Freude dabei!

22.02.24
*Kai Blasberg war 40 Jahre in den privaten Medien in Deutschland beschäftigt
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