Propaganda machen immer die anderen

Propaganda machen immer die anderen

Die AfD macht Propaganda gegen Migranten, Putin sucht in Propaganda Ausreden für seinen Krieg,
Trump macht Propaganda gegen alles und jeden - so weit, so gut, so richtig.
Aber auch so unvollständig, denn:
Kann es wirklich sein, dass nur die Bösen Propaganda machen?


Von Bent-Erik Scholz
Propaganda, das klingt ja schon so unangenehm nach Goebbels und Stalin, der Begriff ist verfärbt - was auf gewisse Weise ironisch ist, weil somit der Begriff ,,Propaganda" selbst zum Gegenstand von Propaganda wird. Das wusste schon der Erfinder der modernen Propaganda, der Psychologe Edward Bernays, und erfand deshalb einen neuen, unverfänglicheren Namen für seine Idee: Public Relations. Und da Bernays ein Meister seines Handwerks war, wusste er diese Idee auch gut zu vermarkten, sodass er die These verbreitete, seine Theorien hätten Goebbels als Inspiration gedient. Historisch umstritten bis unwahrscheinlich, aber klingt doll, gell?

Bernays ist der Kopf hinter verschiedensten Werbekampagnen. So war er beispielsweise beauftragt, den Absatz von Zigaretten in den Vereinigten Staaten zu steigern, indem er ein neues Zielpublikum ansteuerte: Frauen. Er versuchte das Kunststück, die Zigarette zum Symbol der Emanzipation zu machen, zur ,,Fackel der Freiheit", da er die Ansicht vertrat, dass das Rauchen unter Frauen deshalb so tabuisiert war, weil Zigaretten als Zeichen männlicher Dominanz eine Art Penisneid auslösten. Der Erfolg dieser Kampagne kann nicht belegt werden - es gibt Indizien, die gegen ihre Wirksamkeit sprechen. Doch Edward Bernays nutzte diese Anekdote zur Bildung des eigenen Mythos, sie wird bis heute rezitiert. So blieb der gewünschte Erfolg für die US-amerikanischen Tabakproduzenten vielleicht aus, doch der Ruf des Schöpfers verfestigte sich, so sehr, dass er knapp drei Jahrzehnte später beauftragt wurde, eine Kampagne gegen das Rauchen zu entwickeln. Meta-Propaganda.

Die Welt der Werbung trieft vor Beispielen für die Effekte von Propaganda - und natürlich bluteten diese Wirkungsweisen bald auch in die Politik hinein. So war Bernays in den Fünfzigerjahren maßgeblich beteiligt an der Absetzung des damaligen Präsidenten von Guatemala, dem demokratisch gewählten Jacobo Arbenz Guzman, da dieser plante, tausende Hektar Agrarland von einem amerikanischen Obstkonzern zu enteignen, der dort Bananenplantagen zu erheblichen Steuervergünstigungen betrieb. Das Land sollte an Kleinbauern übertragen werden. Bernays inszenierte mithilfe eigens gegründeter Agenturen und konzertierten Pressereisen eine lupenreine Desinformationskampagne, die natürlich - es waren schließlich die Fünfziger - auch die amerikanische Angst vor dem bösen Sowjet-Kommunismus schürten. 1954 wurde Arbenz nach einem von der CIA organisierten Putsch abgesetzt.

Guatemala wurde in direkter Folge zu einer Militärdiktatur, angeführt durch einen Handlanger der United Fruit Company, heute bekannt als Chiquita, die somit erfolgreich der Enteignung entging. Es ist nicht die einzige Geschichte eines von den USA installierten Diktators, der im Interesse der Obstkonzerne sein Volk unterwarf. Der Begriff ,,Bananenrepublik" kommt nicht von ungefähr.
Wenn wir heute über Propaganda reden, tun wir das zumeist im Hinblick auf Populisten, Demagogen oder Autokraten. Wir kennen die Kreml-Propaganda, wir wissen um die diffusen Kampagnen rund um den Brexit und die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten. Doch wenn wir in Betracht ziehen, dass Public Relations nichts anderes als ein Synonym für Propaganda ist, müssen wir realisieren, dass der noble Grundsatz ,,Sagen, was ist", der bis heute die Räumlichkeiten des SPIEGELs in Hamburg ziert, längst der Vergangenheit angehört. Alternative Fakten brechen sich auch in den politischen Lagern Bahn, die uns näher stehen als der entrückte Milliardär oder der russische Gewaltherrscher.
Durch die sozialen Medien ist ein neues Zeitalter der Manipulation angebrochen: selten war es so leicht, Beweise zu verfälschen, Aussagen rückwirkend zu verändern, oder - ganz simpel - das Gefühl zu erzeugen, eine gewisse Ansicht würde von einer Vielzahl von Nutzern vertreten, bei denen es sich jedoch nicht selten um Bots handelt.

Vor kurzem veröffentlichte ich meinen Podcast ,,Die gute Gesellschaft". In der zweiten Ausgabe interviewte ich eine Schauspielerin, die durch Nebenwirkungen der Corona-Impfung bis heute in ihrem Beruf, aber auch in ihrem Alltag eingeschränkt ist. Das Interview war kaum veröffentlicht, als mich Nachrichten erreichten - privat wie öffentlich - in denen meiner Gästin ihre Erkrankung aberkannt wurde. Der Hashtag #PostVacFake tauchte auf, teilweise wurde mir vorgeworfen, einer Hochstaplerin eine Plattform zu bieten, die sich den ,,Impfgegnern" als Postergirl andiene, um Spenden zu sammeln.

Die Methode ist perfide, aber altbekannt: eine Lüge oft genug wiederholen, bis irgendwas hängenbleibt. Die Menschen, die man damit erreicht, nehmen die angebliche Aufklärung dankbar an. Was jedoch ist wahrscheinlicher? Dass irgendein anonymer Twitter-User aus der Ferne vollständige Einsicht in das Krankheitsgeschehen einer öffentlichen Person hat, und dass folgerichtig nicht nur ich, sondern auch das ZDF, der MDR, die Berliner Zeitung und die Berliner Morgenpost - dass wir alle uns haben hinters Licht führen lassen von der ,,Vorzeigekranken"? Oder ist es wahrscheinlicher, dass all diesen Medien, einschließlich mir, entsprechende Belege vorliegen, dass wir es hier mit einem ernsthaften Problem zu tun haben, und wir überhaupt nur deshalb darüber berichten, weil wir keine Zweifel daran haben? Aber tut unsere Zweifellosigkeit überhaupt etwas zur Sache, wenn es ein Lager im öffentlichen Diskurs gibt, das sich so oder so bereits entschieden hat?
So funktioniert Propaganda in Reinform. Sie liefert ein kerniges Narrativ, welches seinem Rezipienten die Gemütlichkeit offenbart, sich nicht vom Gegenteil überzeugen lassen zu müssen. Und sie bringt sogleich auch die Terminologie mit, um der Zuschauerschaft das Finden eigener Formulierungen zu erleichtern. Neulich las ich einen Post auf X, der besagte, Dieter Nuhr, Harald Schmidt und Serdar Somuncu seien ,,entartet", ihr Gedankengut der ,,Krebs dieser Gesellschaft". Wer die knallharte Nazi-Rhetorik darin nicht erkennt, ist höchstwahrscheinlich verblendet von seiner eigenen Überzeugung.

Ähnlich kernige Sprüche kennen wir zuhauf: ,,Wir sind nicht das Sozialamt der Welt" ist ein bekannteres Beispiel, das sowohl von der NPD als auch später der AfD bedient wurde. Aber hierbei handelt es sich um offensichtliche Fälle, die leicht erkennbar sind. Komplizierter wird es, wenn wir uns jene anschauen, die tatsächlich in den letzten zwei Jahrzehnten aktiv Politik machten. Betrachten wir den Irakkrieg 2003, so ist heute allgemein anerkannt, dass diese Militäroperation unter Vorhaltung fadenscheiniger Gründe initiiert wurde. Heute wissen wir, wie töricht das Gerede war, dass unsere Sicherheit am Hindukusch verteidigt würde.

Genau dieselben Maßstäbe müssen wir in der unmittelbaren Gegenwart ansetzen. Wir müssen lernen, zu erkennen, wenn jemand versucht, uns um jeden Preis von seiner Sache zu überzeugen. Wenn Ursula von der Leyen verlautbart, in der Ukraine würden unsere westlichen Werte verteidigt, dann müssen wir innehalten und uns fragen: Stimmt das? Welche Werte sind das denn konkret? Und wenn in der Ukraine unsere Werte so hoch im Kurs ständen, warum sind dann Anträge auf Mitgliedschaft in der EU vor dem Krieg immer abgeschmettert worden? Wenn Werte so wichtig sind, warum machen wir Deals mit Ländern wie Saudi Arabien? Tut es überhaupt Not, dass das Opfer eines Angriffskriegs unsere Werte verteidigen muss, damit wir uns dafür interessieren? Genügt es nicht, dass ein Staat Gebrauch von seinem Selbstverteidigungsrecht macht?
Wenn Karl Lauterbach uns erzählt, ein Impfstoff sei ,,mehr oder weniger nebenwirkungsfrei", dann müssen wir erkennen, dass so nur Schamanen, Kräuterhexen oder Wunderheiler daherreden, nicht jedoch seriöse Gesundheitspolitiker. Wir müssen feststellen, dass es völlig illusorisch bis unmöglich ist, dass ein Impfstoff nebenwirkungsfrei sein könnte. Kein Hersteller eines Impfstoffs würde je behaupten, sein Produkt hätte ,,mehr oder weniger" keine Nebenwirkungen. Ein Blick in den Beipackzettel von Aspirin genügt, um dieser Formulierung Hohn zu sprechen. Heute hört man von Leuten, die solche Thesen seinerzeit widerkäuten, es habe ja nie jemand behauptet, dass es keine Nebenwirkungen gäbe, es sei ja klar, dass es immer zu ein paar Schäden käme. Erstens fällt diese Aussage aber meistens in einem Kontext der Relativierung, in dem tatsächlich Geschädigten das Leid aberkannt wird - nach dem Motto ,,Blöd gelaufen, aber bisschen Schwund is' immer" - und zweitens stimmt es nicht. Was heißt überhaupt ,,mehr oder weniger" nebenwirkungsfrei? Die Behauptung einer vollständigen Freiheit von Nebenwirkungen lässt wenig Spielraum für Eventualitäten - es gibt sie oder eben nicht. Ein Kleid ist ja auch nicht mehr oder weniger blau.

Warum wird eigentlich in der Medienlandschaft hierzulande beim Krieg in der Ukraine überdimensional häufig von ,,Putins Krieg" gesprochen? Wurde der Irakkrieg Anfang des Jahrtausends seinerzeit ,,Bushs Krieg" genannt? Seit wann übertragen wir für Kriege die Inhaberschaft? Wem gehört der Afghanistankrieg? Wem der Krieg in Syrien?
Warum sagen eigentlich so viele Politiker, man könne mit Putin nicht verhandeln, da dieser ein Verbrecher sei? Nur, um dann mit anderen Staatschefs zu verhandeln, die Menschenrechte genauso mit Füßen treten? An irgendeinem Punkt scheinen nationale oder ökonomische Interessen also schwerer zu wiegen als Freiheit und westliche Werte - wo genau ist dieser Punkt? Ist nicht ein US-Präsident, der dem Drohnenkrieg zur Hochkonjunktur verhalf, über sein Talent zum Töten scherzte und die Menschenrechtsverletzungen in Guantanamo lapidar mit den Worten ,,We tortured some folks" abklärte, auch ein Verbrecher? Nicht doch. Er ist sogar Friedensnobelpreisträger.
Der größte Trick der modernen Propaganda ist, dass sie so tut, als sei die Gegenrede die eigentliche Propaganda. Als seien Menschen, die die Impfpflicht oder die Corona-Impfung allgemein ablehnten, fragwürdige Fürsprecher einer finsteren Ideologie - als seien die Gegner von Waffenlieferungen an die Ukraine nützliche Idioten eines entfesselten Diktators. Oder als sei jede Form von Widerstand gegen das eigens gesprochene Wort ,,Hass und Hetze" - man beachte mal, wie inflationär und in welchen Kontexten diese Floskel, ,,Hass und Hetze", mittlerweile rezitiert wird. Sie ist das Totschlagargument einer politischen Kaste, die einzig und allein das eigene Vorgehen für richtig hält. Als Synonym für ,,richtig" benutzt sie ,,demokratisch", denn das klingt weniger übergriffig - nichts geht über ein gutes Synonym in der Propaganda, für die ja das Synonym ,,Public Relations" genutzt wird. Also: das ,,Richtige" ist immer das ,,Demokratische", unabhängig davon, ob das im Einzelfall immer so ganz stimmt. Alles, was dagegen ist, ist dementsprechend ,,antidemokratisch". Dies im Hinterkopf, betrachte man nun bitte zuerst das geplante ,,Demokratieförderungsgesetz" und dann die Umfragewerte der AfD.
Das Zukunftsbild, das sich daraus ergibt, spricht für sich.

26.02.24
*Bent-Erik Scholz arbeitet als freier Mitarbeiter für den RBB
Kommentare
  • Mutant77
    07.03.2024 13:56
    Einige hoffnungsvolle Details die mir neu waren über Bernays. Wobei in dem Kontext aus Lippmann eine Rolle spielt. Woher die Propaganda stammt, mit der wir uns täglich auseinandersetzen müssen und welche Ziele verfolgt sind aktueller denn je.
    Das Schlimme, was auch kurz angeschnitten wird, ist die Entwicklung, das man die Gegenseite nicht mehr wahrnehmen will/darf. Was mir auch am mehr zu schaffen macht, als das Wissen, dass wir mit Propaganda überschüttet werden. Ich dachte immer, unsere Demokratie lebt dadurch, dass ich mich frei aus verschiedenen Quellen informieren kann (Meinungsfreiheit) und durch diese gegensätzlichen Standpunkt mir eine eigene Meinung bilden kann.
    Und was noch perfider ist, wir werden oft genötigt eine Meinung haben zu müssen. Eine Taktik die bei Lanz gerne verwendet wird, aber auch im privaten Umfeld normal geworden ist. Meine Frage, warum jemand der in einer deutschen Großstadt lebt einen amerikanischen Präsidenten ablehnen muss, wird meist mit den Charakter schwächen von Trump begründet, erklärt mir aber nicht inweit diese tatsächlich mein Leben ändern wird oder ich seine Wahl verhindern könnte. Er kann mir also egal sein und ich kann neutral auf das schauen was er macht.

    Einen Kritik aber zum Inhalt. ,,Wir sind nicht das Sozialamt der Welt", habe ich von der Afd bisher noch nicht gehört daher hab ich danach gesucht.

    Politischer Aschermittwoch
    Seehofer: „Wir sind nicht das Sozialamt der Welt“
    18.2.2015 (DLF)

    und das hat er öfters gesagt
    Seehofer zur Integration:"Wir wollen nicht zum Welt-Sozialamt werden"
    16. Oktober 2010, 11:44 Uhr (SZ)

    aber auch ein türkischstämmiger CDU Lokalpolitiker aus Duisburg hat mit dem Slogan geworben.

    Mit der expliziten such nach AFD findet man dann ein(!) Video von 2023 wo der Abgeordnete Steffen Janich den Satz wohl sagt (hab's nicht angeschaut)

    Aber wenn ein Eingebürgerter 24 Kinder adoptiert um Millionen vom Staat zu bekommen, ist der Satz für die meisten Menschen nachvollziehbar (auch wenn er nicht richtig ist) und umso absurder, dass die Diskussion um das erschlichene Kindergeld schon 2018 ein großes Thema war, mit vielen Versprechen es ändern. Mit kommt es manchmal so vor, als ob die aktuelle Propagandawelle vor allem von so was ablenken soll, Politik agiert nicht und verändert, sondern verteilt und stellt (sich) dar. Daher macht der Begriffswandel durch Bernays auch Sinn. Es geht vor allem um PR.
  • Christine Toma
    05.03.2024 19:16
    Ein ganz starker und wichtiger Text. Danke dafür!
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