,,Sexwork und Doppelmoral

,,Sexwork" und Doppelmoral

Ich habe eine klare Meinung zu Prostitution. Wann immer ich diese darlege, begegnet mir die Frage, warum ich mich überhaupt dazu äußere - ich sei als Mann, der nie persönlich mit dem Milieu zu tun hatte, schließlich nicht betroffen. Meine Kritik aber richtet sich an ein System, in dem wir alle leben und das uns alle betrifft. Ein System, in dem Konsens verhandelbar ist und das auf der Ausbeutung vulnerabelster Gruppen fußt.

von Imp.
Zuerst möchte ich klarstellen, dass ich in keinster Weise die Frauen in der Prostitution verurteilen möchte. Sie sind logischer Teil des ungerechten Systems, um das es mir geht. Sie "machen nur ihren Job" - nur ist das kein Job wie jeder andere. Schlimm genug, dass wir uns gesellschaftlich so darum bemühen, es so darzustellen.

Für welchen anderen "normalen Job" gibt es Aussteigerprogramme? Bei welchem anderen Job gibt es eine so hohe Quote an armen, traumatisierten und entrechteten Arbeitern - und ein derart eindeutiges Geschlechterverhältnis?

Wäre es einfach eine "ganz normale" Dienstleistung, wie eine Massage oder ein Friseurbesuch, warum dann einen Anspruch an Geschlecht, Alter, Phänotyp des Dienstleisters stellen? Der verklärendste Begriff, den ich dieses Jahr dafür hörte, war "Full Service Sex Work". Wäre ich Freier, würde ich auch wollen, dass es so heißt.
Man gönnt sich einen "Service". Das klingt ganz unverfänglich, als würde man eine Waschanlage besuchen. Nur bestellt man hier eben keine Dienstleistung, sondern die Verfügungsgewalt über den Körper einer anderen Person - im vollen Bewusstsein darüber, dass man erst durch die vorher vereinbarte finanzielle Transaktion die Zustimmung zu sexuellen Handlungen herstellt.

Parallel hört man Beschwerden über stigmatisierende Begriffe wie "Nutte". Die Praxis, das System dahinter bleibt jedoch ohne Kritik. Das Umtaufen in einen euphemistischen Begriff tritt an die Stelle der tatsächlichen Verbesserung reeller Zustände. Sprache wird schon irgendwie Realität schaffen. Wer glaubt, die ethischen Bedenken bei Prostitution verschwänden einfach, wenn man sie umbenennt und die Freier bittet, ein bisschen respektvoller zu sein, der glaubt sicher auch an den Trickle-Down-Effekt oder daran, dass Frauen plötzlich alle Führungspositionen bekleiden, wenn man nur oft genug "Arbeitgeber:innen" zu ihnen sagt.

Es ist sicher kein Zufall, dass im Bereich der Prostitution überdurchschnittlich oft schwierige Lebensläufe zu finden sind. Traumatisierte Frauen, Frauen aus der Armut, geflüchtete Frauen ohne Pass oder Aufenthaltsgenehmigung, die hier kein soziales Netz haben und oft nicht einmal Deutsch sprechen.

Im öffentlichen Diskurs hören wir vorwiegend unkritische Stimmen. Vorangestellt werden Einzelbeispiele von Frauen, die sagen, dass sie ihren Job als Edel-Escort, Domina oder bei Internetplattformen wie OnlyFans gerne machen. Deren Erfahrungen überschreibt man ebenso mit dem Umbrella-Term "Sexwork" wie die derer, die mitten in Deutschland unter menschenunwürdigen Bedingungen tagtäglich in Bordellen oder auf mehr oder weniger abgelegenen Landstraßen ausgebeutet werden. Die Legende vom "Happy Hooker" ist die legitimierende Betroffenenstimme. Als könne man Straßenprostitution damit vergleichen, ab und an für gutes Geld ein selbstgeknipstes Fußfoto auf Onlyfans zu verkaufen.

Aber selbst, wenn man die Legende glauben will: In den Reportagen, die man in Fernsehen und Internet zum Thema findet, wird selbst von "Edel-Escorts" oft von übergriffigen Freiern berichtet, die etwa unter starkem Drogeneinfluss stehen, von Gewalterfahrungen, von gefährlichen und sogar lebensbedrohlichen Situationen.

Wie kann man als Linker von einer "gerechten Gesellschaft" träumen, die voraussetzt, dass ein gewisser Prozentsatz systematisch industriell ausgebeutet und misshandelt wird?

Immer wieder halten wir Linken - zurecht - gesellschaftliche Fortschritte in der Arbeitswelt hoch, die wir erkämpft haben - dass Chefs ihre Arbeiter nicht mehr schlagen oder in Lebensgefahr bringen dürfen, dass sie genug Freizeit und Urlaub bekommen. Aber was ist mit Jobs, zu denen Prostitution eindeutig gehört, bei denen Arbeitsschutz quasi nicht gewährleistet werden kann? Wie kann das okay sein? Wieso wird eine Lösung wie "Die Prostituierte hat einen Alarmknopf neben dem Bett" als adäquat befunden?

Oder das sogenannte "Kölner Modell", bei dem Freier mit den Prostituierten eine kleine Box fahren, eine Art Legebatterie, die keine andere Funktion erfüllt, als der Frau die möglicherweise notwendige Flucht zu ermöglichen, den Fluchtweg zu verkürzen - ist das unser Verständnis vom "Schutz vulnerabler Gruppen"? Ich verstehe wirklich nicht, wie sich Menschen selbst als links oder gar woke bezeichnen, was sie mit "wachsam für Diskriminierung" übersetzen und gleichzeitig hier so einen großen blinden Fleck haben.

Man kann es Menschen abverlangen, anders zu sprechen, anders zu essen, an öffentlichen Plätzen nicht zu rauchen, gewisse Parteien zu verbieten etc. Aber die Forderung, nicht mehr gegen Geld zu vergewaltigen, geht zu weit?

Ich gönne jedem Menschen seine sexuelle Erfüllung in jedweder Variante, solange alle Teilnehmenden volljährig und einverstanden sind. Entsteht aus dem Wunsch danach allerdings eine Industrie, sehe ich hier einiges ethisches Konfliktpotential.

Natürlich verkauft sich das Märchen von der kommerzialisierten sexuellen Selbstbestimmung gut. Auch Frauen haben nun mal Spaß an Sex. Prostituierte machen das Hobby zum Beruf, sie können sich ihre Freier aussuchen und haben das Recht, abzulehnen. Aber was, wenn das Geld knapp wird? Eine alleinerziehende Mutter Anfang zwanzig kann nicht einfach aufhören, ihrem Kind Essen zu kaufen. Wenn die Zwangsräumung bevorsteht, kann man die Miete nicht einfach später zahlen und wer suchtkrank ist, bleibt nicht einfach mal einen Monat clean, damit das Konto wieder stimmt. Diese Illusion von Freiwilligkeit missachtet nicht von der Hand zu weisende Sachzwänge in einer neoliberalen, globalisiert kapitalistischen Welt.

Der Umbrella-Term "Sexwork" umfasst die in der Prostitution arbeitenden Frauen ebenso wie die sie gängelnden Zuhälter. Ich habe ein generelles Problem mit dem industriellen Ausbeuten anderer Menschen und lasse mich auch nicht vom Gegenteil überzeugen, wenn Zuhälter in Lobbyverbänden von Selbstbestimmung und überdurchschnittlich guten Arbeitsbedingungen erzählen. Leider bestimmen derartige Meinungen in unserer "sexpositiven" Gesellschaft den öffentlichen Diskurs. Unweigerlich erinnert man sich an die neoliberale Erzählung, Obdachlose hätten ihr Schicksal eigenmächtig selbst gewählt - oder dass man sich in der Fleischindustrie für das Tierwohl interessiere. Dass Profiteure - und Opfer - des Systems es uns in bester Marketingmanier anpreisen, sollte uns nicht überzeugen können.

Wie kann man gleichzeitig "Nein heißt Nein!" skandieren, das "Nein" dann aber zur Bezahlschranke degradieren? Vergewaltiger sind nicht ohne Grund gesellschaftlich ähnlich geächtet wie Mörder, warum ändert sich das, sobald sie einen Fuffi auf den Tisch legen? Konsens kann kein verhandelbares Gut sein, solange neoliberale Interessen die Wirtschaft bestimmen. Freiwilligkeit kann unter unseren gesellschaftlichen Bedingungen nicht gewährleistet sein.

Wir haben uns in vielen anderen Belangen gesellschaftlich geeinigt, dass zumindest hierzulande bestimmte Dinge der Vergangenheit angehören. Die Sklaverei und den Kolonialismus, für die ihrerzeit ähnlich argumentiert wurde, konnten wir auch überwinden, warum nicht auch diese Art der Ausbeutung? "Das gab es schon immer, wir können nichts tun, außer die Bedingungen zu verbessern" ist eine maximal konservative Begründung für eine Forderung, die nur auf den ersten Blick zu einer selbstbestimmteren Gesellschaft beitragen kann.

Unter anderem durch die deutschen Gesetze in diesem Bereich, die Prostitution als "normales Gewerbe" darzustellen suchen, sind wir Europas Top-Zielland für Menschenhandel und Zwangsprostitution. Das muss sich ändern.


31.01.25
Imp ist YouTuber und Twitch-Streamer.
Kommentare
  • MutterfickerJames
    03.02.2025 20:16
    Imp ist 1 bestens.
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