Karneval der Trusted Flagger

Karneval der Trusted Flagger

,,Der Komissar geht um, bum bum bum!" dichtete einst der kongeniale, viel zu früh verstorbene Falco. Wer hätte gedacht, dass er 1981 schon treffend die Gesellschaft von heute mit Falschparkerportalen und Trusted Flaggern beschrieben hat.

von Alexander Kira
Aufwachen im Jahr 2031: Bereit zum Homeoffice werden wir um punkt 08:59 von Blasmusik und Glockenspiel kraftvoll geweckt. Gelassen sehen wir durch die Vorhänge, wohl wissend, dass unser erster Call erst weit nach 11 Uhr ist. Auf der Straße sehen wir erstaunt die KKG Nippeser Bürgerwehr 1903 e.V. in Vollbesetzung. Noch erstaunter sehen wir Tanzmarie und Tanzoffizier im flotten Tanzschritt Parkscheine und Anwohnerparkausweise der Fahrzeuge am Straßenrand prüfen. Wenn punkt 09:00 Uhr ein Auto ohne Parkschein am Straßenrand steht, dann marschiert im beschleunigten Verfahren der Spielmannzug drüber - und das Parkvergehen ist gerächt (nicht ,,gerecht" - Anm. der Redaktion). Die Anwohner klatschen und singen ,,...wenn et Trömmelche jeht...", insbesondere wenn sie die PKW-Eigentümer im Schlafanzug auf der Straße vor den Ruinen ihres Fahrzeuges sehen.
Alles Satire? Noch - doch genau das setzt die Stadt Frankfurt gerade um. Das neue ,,Online-Portal zur Anzeige von Ordnungswidrigkeit" lädt Bürger ein, Ordnungswidrigkeit im ruhenden Verkehr unkompliziert anzuzeigen. Geht superleicht auch per Tablet und App. Die offizielle Begründung ist Privatanzeigenerstattung zu optimieren und zu beschleunigen. Im ersten Halbjahr sind 19.756 Anzeigen eigegangen. In der Tat, es mag sein, dass das Portal auch Privatanzeigen optimiert und beschleunigt. So gesehen optimiert und beschleunigt Morphium auch den Sterbeprozess. In Wirklichkeit erodieren hier langsam aber stetig rechtsstaatliche Prinzipien: Warum BeamtInnen lossenden, wenn die Bürger doch viel effektiver und immer vor Ort das Recht dursetzen? Im Fall der Nippeser Bürgerwehr liegt sogar schon von umfassende Ausstattung vor.
Darum: Der Staat hat nicht ohne Grund Rechte wie das Gewaltmonopol. Im von Montesquieu entwickelten Staatslehre unterscheidet man Exekutive, Legislative und Judikative. Alle drei Gewalten sollen unabhängig sein, doch sind letztlich Elemente des Staates. Warum kommt der Bürger hier nicht vor? Aus sehr guten Gründen: Die Überwachung von Gesetzen und Nachverfolgung der öffentlichen Ordnung ist in der staatlichen Hand besser aufgehoben. Was Bürger beschäftigt, deckt sich nicht zwingend mit den Interessen der Allgemeinheit. Wer soll eine überfällige Steuernachzahlung anmahnen: Ein Ku-Klux-Klan mäßigen Aufmarsch grimmiger Bürger (bereits mit Galgen und Harken in der Hand) oder ein nüchterner Finanzbeamter?


Solange die Nippeser Bürgerwehr, die Roten Funken oder die klischeehaften Rentner mit Fernglas ihre Aktivitäten auf Parksünder beschränken, mag es noch ganz lustig sein. Der Unterzeichner dieser Glosse outet sich gerne als Fan der Tanzdarbietungen der Bürgerwehr. Doch leider zieht die Bürgerwehr weiter, der Sultan hat halt Durst: Die Bundesnetzagentur hat nunmehr das Recht sog. ,,Trusted Flagger" zuzulassen. Also Organisationen, welche illegale Inhalte oder Fake-News im Netz melden können - mit der Konsequenz, dass diese sofort entfernt werden müssen. Das Ziel ist vollkommen legitim, niemand wünscht sich Hassrede, Rassismus und Fake-News im Netz. Dass die Trusted Flagger nur das Beste wollen, ist jedoch genauso richtig wie irrelevant: Denn ist ihr ,,Bestes" auch objektiv das ,,Beste"? Ist dies auch das Beste für die Gesellschaft? Oder überhaupt: Was für einen Grund kann es geben, die Überwachung des StGB und am Ende die Meinungsfreiheit nach Art. 5 I Grundgesetz, privater Kontrolle zu unterstellen?
Mephisto sagte zu Faust: ,,Ich bin die Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft." Im Verfassungsrecht ist es leider umgekehrt: Auch wer das Gute will, ist bereits gefährlich, wenn er die Rechte anderer gefährdet. Wenn man essenzielle Freiheitsrechte wie die Meinungsfreiheit (Art. 5 I GG) und die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 I GG) an Private übergibt wie eine Schulkantine, dann darf man sich nicht wundern, wenn sie am Montag wegen hohem Krankenstand geschlossen ist. Nach dem Lüth-Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist die Meinungsfreiheit die ,,Grundlage jeder Freiheit überhaupt".
,,Wir wollen mehr Staat wagen." - erlauben wir uns die 1969 von Willy Brandt gesprochenen Worte leicht abzuwandeln. An dieser Stelle ist es einmal richtig. Oder wie hätte Heinrich Heine gesagt, hätte er noch gekonnt: ,,Familiensinn haben die Denunzianten / denken sie doch zuerst an die Verwandten / und bei Kerzenlicht in der Nacht / bedenken sie auch gern die Nachbarschaft."

17.010.2024
Alexander Kira hat über internationalen Menschenrechtsschutz provomiert und ist Jurist, Moderator und Kabarettist. Er lebt und schreibt im Herzen von Berlin.
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