Kunstfreiheit ist kein Gnadenrecht - Der Fall Kay Ray
Kay Ray ist in Deutschland seit Jahrzehnten eine feste Größe in der alternativen Comedy- und Kabarettszene. Er galt immer als Edelpunk, als der Typ, der nie lieb war, der nie lieb sein wollte, und der gerade deshalb etwas gesagt hat, was andere nicht aussprechen. Genau in dieser Rolle ist er bekannt geworden.
von Serdar Somuncu
von Serdar Somuncu
Und genau in dieser Rolle wird er gerade systematisch abgestraft.
In den letzten Monaten und Jahren kam es bei ihm wiederholt zu Absagen, Rückzügen und gestrichenen Auftritten. Jüngst unter anderem in Stuttgart im Renitenztheater, wo angekündigte Termine zurückgezogen wurden, obwohl genau das Haus einmal für widerständige, renitente Haltung stand und seinen Namen von dieser Tradition ableitet. Auch in Hamburg, in der Komödie Winterhuder Fährhaus, kam es 2023 zu Absagen nach Beschwerden aus dem politischen Raum und aus Teilen des Publikums. In Wuppertal wiederum gab es nach zunächst bestätigten Ankündigungen später Ausladungen, die mit ,,Sensibilität" und ,,Stimmungslage" begründet wurden. Und das sind nur die bekannt gewordenen Fälle - in Wahrheit ist das nur die Spitze des Eisbergs.
Man muss diese Fälle nicht einmal politisch bewerten, um festzustellen: hier entsteht ein Mechanismus, der längst nichts mehr mit künstlerischer Qualität zu tun hat. Es geht darum, wer reden darf. Und wer nicht. Es geht um die Erlaubnis, unbequeme Perspektiven öffentlich auszuformulieren. Und es geht um die Angst vieler Veranstalter, ins Kreuzfeuer geraten zu können. Veranstalter fürchten nicht mehr den Skandal, sondern den Shitstorm. Und deshalb versuchen sie, den Skandal bereits im Vorfeld zu vermeiden - indem sie die Künstler filtern, bevor überhaupt jemand sie gesehen hat.
Was wir hier erleben, ist nicht nur die Disziplinierung einzelner Personen. Es ist eine nach innen gekehrte Selbstzensur im Kulturbetrieb, eine vorsorgliche Anpassung an moralische Erwartungshorizonte, die niemand formulell beschlossen hat, die aber faktisch funktionieren wie Richtlinien. Das Problem ist tief: Es führt dazu, dass nur noch die Konformen, die Angepassten, die Harmlosen und die gesellschaftlich pädagogisch Zurechtgebogenen übrig bleiben. Genau das wäre das Sterben künstlerischer Relevanz.
Wir kennen diese Mechanismen aus autoritären Systemen: Eine Kunst, die sich nicht mehr aus dem Risiko begründet, sondern aus dem genehmigten Kontext, ist keine Kunst der Menschen mehr, sondern nur noch eine Kunst der Regierenden, der Aufpasser, der Moralverwaltungsstellen. Aber Kunst ist nicht das, was erlaubt wird. Kunst ist das, was riskiert, was provoziert, was das ausformuliert, was nicht gesagt werden darf.
Kunstfreiheit ist kein Gnadenrecht, das von der Stimmungslage einer publikumspädagogischen Mehrheit verteilt wird. Sie ist ein Fundament, auf dem die Demokratie steht.
Wenn wir dieses Fundament aufgeben, verlieren wir nicht nur einzelne Künstler.
Wir verlieren das Recht auf Irritation. Das Recht auf Widerspruch. Das Recht auf Reibung.
Und damit verlieren wir den Kern dessen, was lebendige Kultur ausmacht.
07.11.25
©Serdar Somuncu
Das neue Buch - Lügen -Kulturgeschichte einer menschlichen Schwäche"
*Serdar Somuncu ist Schauspieler und Regisseur
HIER GEHTS ZUM NEUEN BUCH
In den letzten Monaten und Jahren kam es bei ihm wiederholt zu Absagen, Rückzügen und gestrichenen Auftritten. Jüngst unter anderem in Stuttgart im Renitenztheater, wo angekündigte Termine zurückgezogen wurden, obwohl genau das Haus einmal für widerständige, renitente Haltung stand und seinen Namen von dieser Tradition ableitet. Auch in Hamburg, in der Komödie Winterhuder Fährhaus, kam es 2023 zu Absagen nach Beschwerden aus dem politischen Raum und aus Teilen des Publikums. In Wuppertal wiederum gab es nach zunächst bestätigten Ankündigungen später Ausladungen, die mit ,,Sensibilität" und ,,Stimmungslage" begründet wurden. Und das sind nur die bekannt gewordenen Fälle - in Wahrheit ist das nur die Spitze des Eisbergs.
Man muss diese Fälle nicht einmal politisch bewerten, um festzustellen: hier entsteht ein Mechanismus, der längst nichts mehr mit künstlerischer Qualität zu tun hat. Es geht darum, wer reden darf. Und wer nicht. Es geht um die Erlaubnis, unbequeme Perspektiven öffentlich auszuformulieren. Und es geht um die Angst vieler Veranstalter, ins Kreuzfeuer geraten zu können. Veranstalter fürchten nicht mehr den Skandal, sondern den Shitstorm. Und deshalb versuchen sie, den Skandal bereits im Vorfeld zu vermeiden - indem sie die Künstler filtern, bevor überhaupt jemand sie gesehen hat.
Was wir hier erleben, ist nicht nur die Disziplinierung einzelner Personen. Es ist eine nach innen gekehrte Selbstzensur im Kulturbetrieb, eine vorsorgliche Anpassung an moralische Erwartungshorizonte, die niemand formulell beschlossen hat, die aber faktisch funktionieren wie Richtlinien. Das Problem ist tief: Es führt dazu, dass nur noch die Konformen, die Angepassten, die Harmlosen und die gesellschaftlich pädagogisch Zurechtgebogenen übrig bleiben. Genau das wäre das Sterben künstlerischer Relevanz.
Wir kennen diese Mechanismen aus autoritären Systemen: Eine Kunst, die sich nicht mehr aus dem Risiko begründet, sondern aus dem genehmigten Kontext, ist keine Kunst der Menschen mehr, sondern nur noch eine Kunst der Regierenden, der Aufpasser, der Moralverwaltungsstellen. Aber Kunst ist nicht das, was erlaubt wird. Kunst ist das, was riskiert, was provoziert, was das ausformuliert, was nicht gesagt werden darf.
Kunstfreiheit ist kein Gnadenrecht, das von der Stimmungslage einer publikumspädagogischen Mehrheit verteilt wird. Sie ist ein Fundament, auf dem die Demokratie steht.
Wenn wir dieses Fundament aufgeben, verlieren wir nicht nur einzelne Künstler.
Wir verlieren das Recht auf Irritation. Das Recht auf Widerspruch. Das Recht auf Reibung.
Und damit verlieren wir den Kern dessen, was lebendige Kultur ausmacht.
07.11.25
©Serdar Somuncu
Das neue Buch - Lügen -Kulturgeschichte einer menschlichen Schwäche"
*Serdar Somuncu ist Schauspieler und Regisseur
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