Sechs Monate Regierung Merz: Zwischen Anspruch und Absturz
Als Friedrich Merz im Mai 2025 als Kanzler einer schwarz-roten Koalition antrat, war viel von einem politischen Neuanfang die Rede. Doch wer genau hinschaut, erkennt schnell: Das Bündnis aus Union und SPD ist alles andere als neu. Es ist ein bekanntes Machtmodell, das in Deutschland schon mehrfach erprobt wurde - zuletzt über lange Jahre unter Angela Merkel. Zwischen 2005 und 2021 regierte die CDU/CSU drei Mal gemeinsam mit der SPD. Mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. Was Merz also als ,,Zäsur" verkaufen wollte, ist in Wahrheit ein politisches Recyclingprojekt - nur mit anderen Gesichtern und weniger Substanz.
von Serdar Somuncu
von Serdar Somuncu
Schon dieser Ausgangspunkt erklärt, warum viele Wähler der neuen alten Koalition von Beginn an skeptisch gegenüberstanden. Der Eindruck, dass hier nicht aus Überzeugung, sondern mangels Alternativen regiert wird, war nie ganz wegzukriegen. Merz inszenierte sich dennoch als Macher: Schluss mit Ampel-Chaos, her mit Ordnung, Klarheit, Wirtschaftskompetenz. Seine Sprache war schärfer als die seiner Vorgängerin, sein Auftreten autoritärer, sein Anspruch größer. Und dennoch: Nach sechs Monaten im Amt bleibt wenig mehr als eine Zwischenbilanz der Ernüchterung.
Die wirtschaftspolitische Offensive stockt. Zwar wurde ein Haushaltsentwurf mit einem Gesamtvolumen von über 500 Milliarden Euro präsentiert, doch fast 82 Milliarden davon sind neue Schulden - ausgerechnet unter einem Kanzler, der sich über Jahre als eiserner Verfechter der schwarzen Null positionierte. Die angekündigte Entbürokratisierung bleibt diffus, die Steuerreform hängt in der Warteschleife, das Vertrauen der Unternehmer schwindet.
In der Migrationspolitik wird mit Zahlen hantiert, aber ohne Wirkung. Seit Mai wurden rund 9.500 Menschen an den Grenzen zurückgewiesen - darunter etwa 500 Asylsuchende. Doch das eigentliche Problem - die Überlastung der Kommunen, schleppende Asylverfahren, fehlende Integration - bleibt ungelöst. Was medial als ,,Trendwende" inszeniert wird, ist faktisch eine PR-Kosmetik. Es gibt keine nachhaltige Migrationspolitik, sondern nur Schlagzeilenpolitik.
Die SPD ist unter Merz endgültig in die Statistenrolle gerutscht. In Umfragen liegt sie stabil unter 15 Prozent - ein Absturz mit Ansage. Eine Partei ohne erkennbare Führung, ohne Idee und ohne Profil. Ihre Ministerien wirken blass, ihre Botschaften leer. Während die Union den Ton angibt, wird die SPD zu einer Verwaltungseinheit, die ihre historische Substanz verliert. Das Vertrauen der eigenen Wählerschaft ist erodiert - vor allem bei jenen, die früher glaubten, die SPD würde für soziale Gerechtigkeit kämpfen.
Im Vergleich zur Ampelregierung unter Scholz ist das nicht zwingend besser - nur anders. Die Ampel wirkte oft zerstritten, aber wenigstens plural. Die GroKo wirkt abgestimmt, aber ideenarm. Während Scholz mit Krisen zu kämpfen hatte, inszenierte sich Merz als ,,Normalitätskanzler". Doch die Realität ist längst nicht mehr normal. Die Welt ist komplexer geworden, und einfache Antworten tragen nicht mehr - auch wenn Merz sie weiterhin versucht.
Und so bleibt die Rolle des Kanzlers im Ausland blass. Zwar tritt Deutschland weiterhin als verlässlicher Partner auf - doch es fehlen Impulse, Visionen, Führungsanspruch. Die wirtschaftspolitischen Ideen klingen groß, bleiben aber im Klein-Klein des innenpolitischen Streits stecken. Während Wirtschaftsminister Klingbeil in Washington Investoren gewinnen will, bröckelt zuhause das Vertrauen. Deutschlands internationale Glaubwürdigkeit leidet, wenn das eigene Regierungshandeln keine Richtung erkennen lässt.
Gleichzeitig wächst die AfD. Bundesweit liegt sie bei über 25 Prozent, in Ostdeutschland teils über 35. Diese Zahlen sind Ausdruck eines massiven Misstrauens - nicht nur in einzelne Parteien, sondern in das gesamte politische System. Die AfD gewinnt nicht, weil sie gute Antworten hat, sondern weil die anderen keine mehr liefern. Die Angst vor Veränderung, das Gefühl des Kontrollverlusts und die Wut über Symbolpolitik - all das bündelt sich bei einer Partei, deren Stärke das Versagen der anderen ist.
Ein Verbot der AfD wird gelegentlich diskutiert, ist aber keine Lösung. Es wäre ein autoritärer Reflex auf ein demokratisches Problem. Was es stattdessen braucht, ist politische Glaubwürdigkeit. Ergebnisse statt Rhetorik. Ernsthafte Auseinandersetzung mit Themen wie sozialer Verteilung, innerer Sicherheit, Bildung und Migration - nicht nur als Kampagne, sondern als Grundhaltung. Die AfD wird man nicht schwächen, indem man sie beschimpft. Man schwächt sie, indem man Politik macht, die funktioniert.
Nach einem halben Jahr unter Merz ist klar: Der große Politikwechsel ist ausgeblieben. Was geblieben ist, sind alte Muster in neuem Anzug. Die CDU regiert wie früher, die SPD leidet wie immer, und das Land wartet weiter auf Führung. Vielleicht war genau das das Problem: Dass eine Koalition, die sich schon mehrfach verbraucht hat, sich selbst noch einmal zur Lösung erklärt hat. Und genau daran droht sie nun zu scheitern - nicht an der AfD, nicht an der Komplexität der Welt, sondern an sich selbst.
21.10.25
©Serdar Somuncu
Das neue Buch - Lügen -Kulturgeschichte einer menschlichen Schwäche"
*Serdar Somuncu ist Schauspieler und Regisseur
HIER GEHTS ZUM NEUEN BUCH
Die wirtschaftspolitische Offensive stockt. Zwar wurde ein Haushaltsentwurf mit einem Gesamtvolumen von über 500 Milliarden Euro präsentiert, doch fast 82 Milliarden davon sind neue Schulden - ausgerechnet unter einem Kanzler, der sich über Jahre als eiserner Verfechter der schwarzen Null positionierte. Die angekündigte Entbürokratisierung bleibt diffus, die Steuerreform hängt in der Warteschleife, das Vertrauen der Unternehmer schwindet.
In der Migrationspolitik wird mit Zahlen hantiert, aber ohne Wirkung. Seit Mai wurden rund 9.500 Menschen an den Grenzen zurückgewiesen - darunter etwa 500 Asylsuchende. Doch das eigentliche Problem - die Überlastung der Kommunen, schleppende Asylverfahren, fehlende Integration - bleibt ungelöst. Was medial als ,,Trendwende" inszeniert wird, ist faktisch eine PR-Kosmetik. Es gibt keine nachhaltige Migrationspolitik, sondern nur Schlagzeilenpolitik.
Die SPD ist unter Merz endgültig in die Statistenrolle gerutscht. In Umfragen liegt sie stabil unter 15 Prozent - ein Absturz mit Ansage. Eine Partei ohne erkennbare Führung, ohne Idee und ohne Profil. Ihre Ministerien wirken blass, ihre Botschaften leer. Während die Union den Ton angibt, wird die SPD zu einer Verwaltungseinheit, die ihre historische Substanz verliert. Das Vertrauen der eigenen Wählerschaft ist erodiert - vor allem bei jenen, die früher glaubten, die SPD würde für soziale Gerechtigkeit kämpfen.
Im Vergleich zur Ampelregierung unter Scholz ist das nicht zwingend besser - nur anders. Die Ampel wirkte oft zerstritten, aber wenigstens plural. Die GroKo wirkt abgestimmt, aber ideenarm. Während Scholz mit Krisen zu kämpfen hatte, inszenierte sich Merz als ,,Normalitätskanzler". Doch die Realität ist längst nicht mehr normal. Die Welt ist komplexer geworden, und einfache Antworten tragen nicht mehr - auch wenn Merz sie weiterhin versucht.
Und so bleibt die Rolle des Kanzlers im Ausland blass. Zwar tritt Deutschland weiterhin als verlässlicher Partner auf - doch es fehlen Impulse, Visionen, Führungsanspruch. Die wirtschaftspolitischen Ideen klingen groß, bleiben aber im Klein-Klein des innenpolitischen Streits stecken. Während Wirtschaftsminister Klingbeil in Washington Investoren gewinnen will, bröckelt zuhause das Vertrauen. Deutschlands internationale Glaubwürdigkeit leidet, wenn das eigene Regierungshandeln keine Richtung erkennen lässt.
Gleichzeitig wächst die AfD. Bundesweit liegt sie bei über 25 Prozent, in Ostdeutschland teils über 35. Diese Zahlen sind Ausdruck eines massiven Misstrauens - nicht nur in einzelne Parteien, sondern in das gesamte politische System. Die AfD gewinnt nicht, weil sie gute Antworten hat, sondern weil die anderen keine mehr liefern. Die Angst vor Veränderung, das Gefühl des Kontrollverlusts und die Wut über Symbolpolitik - all das bündelt sich bei einer Partei, deren Stärke das Versagen der anderen ist.
Ein Verbot der AfD wird gelegentlich diskutiert, ist aber keine Lösung. Es wäre ein autoritärer Reflex auf ein demokratisches Problem. Was es stattdessen braucht, ist politische Glaubwürdigkeit. Ergebnisse statt Rhetorik. Ernsthafte Auseinandersetzung mit Themen wie sozialer Verteilung, innerer Sicherheit, Bildung und Migration - nicht nur als Kampagne, sondern als Grundhaltung. Die AfD wird man nicht schwächen, indem man sie beschimpft. Man schwächt sie, indem man Politik macht, die funktioniert.
Nach einem halben Jahr unter Merz ist klar: Der große Politikwechsel ist ausgeblieben. Was geblieben ist, sind alte Muster in neuem Anzug. Die CDU regiert wie früher, die SPD leidet wie immer, und das Land wartet weiter auf Führung. Vielleicht war genau das das Problem: Dass eine Koalition, die sich schon mehrfach verbraucht hat, sich selbst noch einmal zur Lösung erklärt hat. Und genau daran droht sie nun zu scheitern - nicht an der AfD, nicht an der Komplexität der Welt, sondern an sich selbst.
21.10.25
©Serdar Somuncu
Das neue Buch - Lügen -Kulturgeschichte einer menschlichen Schwäche"
*Serdar Somuncu ist Schauspieler und Regisseur
HIER GEHTS ZUM NEUEN BUCH
Schreibe einen Kommentar
Seite teilen