Zum Tag der deutschen Einheit
Heute ist der 07.10., ein Tag der mich innehalten lässt, Moment, da war doch mal was.?Nach reichlichem Nachdenken fällt es mir wieder ein - ach ja, Tag der Republik.?Oh mein Gott, wie tief das doch noch sitzt, obwohl ich diesen Tag wenig gefühlt habe.
von Yvonne Hösel
von Yvonne Hösel
Und das nun vier Tage nach dem Tag der Deutschen Einheit, und um ehrlich zu bleiben, auch das ist ein Tag, den ich so gar nicht fühle.?Mit diesem Tag verbinde ich absolut gar nichts, und wenn ich die Feierlichkeiten im Nachgang betrachte, frage ich mich immer mehr, ob wir alle vom selben Tag sprechen. Eine Feierlichkeit in Saarbrücken, mit dem Franzosen. Wer erinnert sich nicht an die große französische Teilhabe, die Montagsdemos und speziell Saarbrücken, die Stadt in der die friedliche Revolution ihren Beginn hatte??Ein Nationalfeiertag, an dem die selbsternannten Eliten feiern, aber wenig die Nation.
Wer aus dem Osten kommt, muss sich immer noch einiges gefallen lassen - von mangelndem Demokratieverständnis über den Jammerossi ist alles dabei.?Der Dumme kommt aus dem Osten, der Nazi und AFD-Wähler natürlich auch.?Und irgendwie scheinen es noch immer die Ossis zu sein, die das Land spalten, sich nicht abgeholt oder angekommen fühlen und noch weniger geeinigt.
Sind wir nicht einst für Demokratie auf die Straße gegangen??Oder war es doch nur der Wunsch nach Freiheit und persönlichen Vorteilen??Werden wir Ossis jemals den Erwartungen des ewigen Dankbarkeitseins gegenüber dem ,,Westen" gerecht werden? Persönlich bleibt es immer noch eine Wende, aber keine Wiedervereinigung - und das zeigen auch die Feierlichkeiten in Saarbrücken.? Mit Sicherheit hat es Fehler in der Wiedervereinigung gegeben, aber heißt das auch, dass diese nach 35 Jahren mitunter benannt werden und das war's dann auch??Die Gräben scheinen tiefer, als die Mauer je hoch gewesen.
Die Montagsdemos, geboren aus den Friedensgebeten in der Leipziger Nikolaikirche, waren ein Mosaik aus Tausenden Individuen - Arbeiter, Intellektuelle, Familien, Jugendliche -, jeder mit eigenen Hoffnungen.?Für manche die Reisefreiheit, für andere die Meinungsfreiheit, für wieder andere wirtschaftliche Sicherheit oder einfach ein Ende der Unterdrückung. Der kleinste gemeinsame Nenner war: ,,Wir sind das Volk."?Ein Schrei nach Selbstbestimmung - und nicht nach westlicher Anleitung. In Leipzig kamen am 9. Oktober 1989 rund 70.000 Menschen zusammen, die die DDR-Regierung herausforderten.?Dies war Einigkeit in einer Urkraft - ohne westliche Retter.
Alles, was nach der Wende, Wiedervereinigung oder Übernahme des Ostens kam, hatte nichts mit den Wünschen und Vorstellungen zu tun.?Man arrangiert sich, so wie Menschen es generell tun.?Was folgte, war keine Erfüllung dieser Träume, sondern ein Arrangement mit einer Realität, die oft fremdbestimmt wirkte.Was geblieben ist: dass diese Gemeinschaft und Einigkeit zerschlagen ist - nicht von den Ostdeutschen selbst, sondern von den Dynamiken danach.? Westliche Dominanz, wirtschaftliche Ungleichheit, kulturelle Ignoranz. Und warum??Weil der Westen den Osten nicht als Partner sah, sondern als Projekt.
Die Treuhand privatisierte 14.000 Betriebe, 2,5 Millionen Arbeitsplätze gingen verloren.?Die Lohnkluft hält bis heute an.?Und Medien verstärken die Entfremdung noch immer mit Klischees: ,,marode DDR", ,,abgehängte Ossis", ,,Neonazis" - Narrative, die den Osten immer noch als Problemzone zeichnen.Der Spiegel übte 2022 Selbstkritik, wobei er zugab, Ostdeutschland auf Stereotype reduziert zu haben - das kam leider viel zu spät.
Ich erinnere mich an Dirk Rossmann, der im Januar 1990 Spiegel-Exemplare verteilte.?Nach eigenen Angaben waren es wohl 20.000 Stück, die er in 16 PKWs geschmuggelt habe.?Es soll seine Antwort gewesen sein auf die Flugblätter in Dresden und Leipzig, die von der NPD verteilt wurden.Er wollte ,,demokratische Gegenpropaganda" machen und den ,,Ostdeutschen" ,,das Richtige" zu lesen geben, wie er es nannte.?Ausführlich beschreibt er es in seiner Autobiografie ,,... und dann bin ich auf den Baum geklettert" oder in Interviews, wo er es als stolzes Highlight präsentiert:?,,Es passen übrigens 1250 Hefte in den Kofferraum eines VW Passat." Er sah sich als der Retter, der gegen den Rechtsextremismus antritt - und verteilte, nun ja, Remittenden, also Hefte, die im Westen nicht abgesetzt wurden - gratis an Demonstranten.Gut gemeint? Sicher möglich.?Aber es waren die Abfälle des Westens, die man als Geschenk verpackte, während die Montagsdemos ein ostdeutsches Phänomen waren, getragen von Mut, den niemand importieren musste.Das ist, was als Gefühl von der Wiedervereinigung geblieben ist:?Der Westen als Wohltäter, der den Osten belehrt und beschenkt, statt ihn gleichberechtigt zu sehen. Rossmann hat bis heute nicht reflektiert, wie herablassend und arrogant das angekommen ist.?Kein Wort über die Ironie der unverkauften Hefte, kein Eingeständnis, dass es wie Kolonialhilfe wirkte.?Stattdessen der westdeutsche Unternehmer als Held, der den Osten vor sich selbst rettete.
Die Gräben, die heute immer noch sichtbar sind - dafür ist nicht nur der Osten zuständig.?Die Montagsdemos waren ein Akt der Eigenständigkeit, der die Mauer einriss, ohne westdeutsche Transporte. Die Gräben entstanden durch Gesten wie die von Herrn Rossmann - und durch Medien, die den Osten als Exotikum porträtierten.?Und es hört nicht auf: Artikel des Spiegel in Ausgabe 40/2025 analysieren den ,,rechten Osten" mit Fokus auf Sachsen und Thüringen, ohne wirtschaftliche und soziale Frustrationen nach der Wende tiefgehend einzuordnen. Noch immer gilt:?Der Osten ist undankbar für die Hilfe des Westens - egal ob Rossmann-Hefte oder die Investitionen der 1990er.?Das Narrativ bleibt geprägt von westdeutschen Redaktionen und ignoriert, dass die Gräben durch Arroganz und Ignoranz entstanden - nicht durch Undankbarkeit.
Der 3. Oktober, der die Unterzeichnung des Einigungsvertrages 1990 markiert, sollte ein Symbol der Zusammenführung sein - doch in Wahrheit ist es ein verordneter Feiertag.?Er feiert nicht die gemeinsame Leistung, sondern eine bürokratische Vereinigung, die die Vielfalt der Hoffnungen von 1989 noch immer ignoriert.Er spiegelt überhaupt nicht das Gefühl wider, damals in unzähligen Menschenmassen zu stehen, wenn die Wellen von Rufen ,,Wir sind das Volk" über einen hinwegrollten -?das flaue Gefühl im Magen, die Kälte und das Frieren auf dem Platz vor der Nikolaikirche.Unzählige Kerzen, die brannten - und keiner wurde durch diese verletzt.?Straßenbahnen, die zwei Stunden stillstanden und danach im Minutentakt fuhren, um uns alle in die verschiedenen Richtungen nach Hause zu bringen, ohne dass sie überfüllt waren.Und trotzdem jede Woche das Gefühl:?Geht das heute gut, oder greift die Polizei ein? Am Anfang war nur Stille, das stumme Sich-Treffen und Gemeinsam-Da-Stehen.?Später die Parolen oder das pathetische Singen der ,,Internationale". Ja, Pathos konnten wir - das haben wir in der Schule gelernt, spätestens beim Aufsagen von ,,John Maynard". Das vermisse ich am Tag der Deutschen Einheit ? Kein Echo, nichts von der Seele und der Magie der Montagsdemos.?Vielleicht kann ich es deswegen auch nicht fühlen.
09.10.25
© Yvonne Hösel
Yvonne Hösel, 56 Jahre und Mutter 3er Kinder.
Als gelernte Krankenschwester habe ich über 20 Jahre im OP gearbeitet.
Ich bin in der DDR geboren und aufgewachsen, habe die Wende live erlebt und lebe noch immer in Leipzig.
Das neue Buch - Lügen -Kulturgeschichte einer menschlichen Schwäche"
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Wer aus dem Osten kommt, muss sich immer noch einiges gefallen lassen - von mangelndem Demokratieverständnis über den Jammerossi ist alles dabei.?Der Dumme kommt aus dem Osten, der Nazi und AFD-Wähler natürlich auch.?Und irgendwie scheinen es noch immer die Ossis zu sein, die das Land spalten, sich nicht abgeholt oder angekommen fühlen und noch weniger geeinigt.
Sind wir nicht einst für Demokratie auf die Straße gegangen??Oder war es doch nur der Wunsch nach Freiheit und persönlichen Vorteilen??Werden wir Ossis jemals den Erwartungen des ewigen Dankbarkeitseins gegenüber dem ,,Westen" gerecht werden? Persönlich bleibt es immer noch eine Wende, aber keine Wiedervereinigung - und das zeigen auch die Feierlichkeiten in Saarbrücken.? Mit Sicherheit hat es Fehler in der Wiedervereinigung gegeben, aber heißt das auch, dass diese nach 35 Jahren mitunter benannt werden und das war's dann auch??Die Gräben scheinen tiefer, als die Mauer je hoch gewesen.
Die Montagsdemos, geboren aus den Friedensgebeten in der Leipziger Nikolaikirche, waren ein Mosaik aus Tausenden Individuen - Arbeiter, Intellektuelle, Familien, Jugendliche -, jeder mit eigenen Hoffnungen.?Für manche die Reisefreiheit, für andere die Meinungsfreiheit, für wieder andere wirtschaftliche Sicherheit oder einfach ein Ende der Unterdrückung. Der kleinste gemeinsame Nenner war: ,,Wir sind das Volk."?Ein Schrei nach Selbstbestimmung - und nicht nach westlicher Anleitung. In Leipzig kamen am 9. Oktober 1989 rund 70.000 Menschen zusammen, die die DDR-Regierung herausforderten.?Dies war Einigkeit in einer Urkraft - ohne westliche Retter.
Alles, was nach der Wende, Wiedervereinigung oder Übernahme des Ostens kam, hatte nichts mit den Wünschen und Vorstellungen zu tun.?Man arrangiert sich, so wie Menschen es generell tun.?Was folgte, war keine Erfüllung dieser Träume, sondern ein Arrangement mit einer Realität, die oft fremdbestimmt wirkte.Was geblieben ist: dass diese Gemeinschaft und Einigkeit zerschlagen ist - nicht von den Ostdeutschen selbst, sondern von den Dynamiken danach.? Westliche Dominanz, wirtschaftliche Ungleichheit, kulturelle Ignoranz. Und warum??Weil der Westen den Osten nicht als Partner sah, sondern als Projekt.
Die Treuhand privatisierte 14.000 Betriebe, 2,5 Millionen Arbeitsplätze gingen verloren.?Die Lohnkluft hält bis heute an.?Und Medien verstärken die Entfremdung noch immer mit Klischees: ,,marode DDR", ,,abgehängte Ossis", ,,Neonazis" - Narrative, die den Osten immer noch als Problemzone zeichnen.Der Spiegel übte 2022 Selbstkritik, wobei er zugab, Ostdeutschland auf Stereotype reduziert zu haben - das kam leider viel zu spät.
Ich erinnere mich an Dirk Rossmann, der im Januar 1990 Spiegel-Exemplare verteilte.?Nach eigenen Angaben waren es wohl 20.000 Stück, die er in 16 PKWs geschmuggelt habe.?Es soll seine Antwort gewesen sein auf die Flugblätter in Dresden und Leipzig, die von der NPD verteilt wurden.Er wollte ,,demokratische Gegenpropaganda" machen und den ,,Ostdeutschen" ,,das Richtige" zu lesen geben, wie er es nannte.?Ausführlich beschreibt er es in seiner Autobiografie ,,... und dann bin ich auf den Baum geklettert" oder in Interviews, wo er es als stolzes Highlight präsentiert:?,,Es passen übrigens 1250 Hefte in den Kofferraum eines VW Passat." Er sah sich als der Retter, der gegen den Rechtsextremismus antritt - und verteilte, nun ja, Remittenden, also Hefte, die im Westen nicht abgesetzt wurden - gratis an Demonstranten.Gut gemeint? Sicher möglich.?Aber es waren die Abfälle des Westens, die man als Geschenk verpackte, während die Montagsdemos ein ostdeutsches Phänomen waren, getragen von Mut, den niemand importieren musste.Das ist, was als Gefühl von der Wiedervereinigung geblieben ist:?Der Westen als Wohltäter, der den Osten belehrt und beschenkt, statt ihn gleichberechtigt zu sehen. Rossmann hat bis heute nicht reflektiert, wie herablassend und arrogant das angekommen ist.?Kein Wort über die Ironie der unverkauften Hefte, kein Eingeständnis, dass es wie Kolonialhilfe wirkte.?Stattdessen der westdeutsche Unternehmer als Held, der den Osten vor sich selbst rettete.
Die Gräben, die heute immer noch sichtbar sind - dafür ist nicht nur der Osten zuständig.?Die Montagsdemos waren ein Akt der Eigenständigkeit, der die Mauer einriss, ohne westdeutsche Transporte. Die Gräben entstanden durch Gesten wie die von Herrn Rossmann - und durch Medien, die den Osten als Exotikum porträtierten.?Und es hört nicht auf: Artikel des Spiegel in Ausgabe 40/2025 analysieren den ,,rechten Osten" mit Fokus auf Sachsen und Thüringen, ohne wirtschaftliche und soziale Frustrationen nach der Wende tiefgehend einzuordnen. Noch immer gilt:?Der Osten ist undankbar für die Hilfe des Westens - egal ob Rossmann-Hefte oder die Investitionen der 1990er.?Das Narrativ bleibt geprägt von westdeutschen Redaktionen und ignoriert, dass die Gräben durch Arroganz und Ignoranz entstanden - nicht durch Undankbarkeit.
Der 3. Oktober, der die Unterzeichnung des Einigungsvertrages 1990 markiert, sollte ein Symbol der Zusammenführung sein - doch in Wahrheit ist es ein verordneter Feiertag.?Er feiert nicht die gemeinsame Leistung, sondern eine bürokratische Vereinigung, die die Vielfalt der Hoffnungen von 1989 noch immer ignoriert.Er spiegelt überhaupt nicht das Gefühl wider, damals in unzähligen Menschenmassen zu stehen, wenn die Wellen von Rufen ,,Wir sind das Volk" über einen hinwegrollten -?das flaue Gefühl im Magen, die Kälte und das Frieren auf dem Platz vor der Nikolaikirche.Unzählige Kerzen, die brannten - und keiner wurde durch diese verletzt.?Straßenbahnen, die zwei Stunden stillstanden und danach im Minutentakt fuhren, um uns alle in die verschiedenen Richtungen nach Hause zu bringen, ohne dass sie überfüllt waren.Und trotzdem jede Woche das Gefühl:?Geht das heute gut, oder greift die Polizei ein? Am Anfang war nur Stille, das stumme Sich-Treffen und Gemeinsam-Da-Stehen.?Später die Parolen oder das pathetische Singen der ,,Internationale". Ja, Pathos konnten wir - das haben wir in der Schule gelernt, spätestens beim Aufsagen von ,,John Maynard". Das vermisse ich am Tag der Deutschen Einheit ? Kein Echo, nichts von der Seele und der Magie der Montagsdemos.?Vielleicht kann ich es deswegen auch nicht fühlen.
09.10.25
© Yvonne Hösel
Yvonne Hösel, 56 Jahre und Mutter 3er Kinder.
Als gelernte Krankenschwester habe ich über 20 Jahre im OP gearbeitet.
Ich bin in der DDR geboren und aufgewachsen, habe die Wende live erlebt und lebe noch immer in Leipzig.
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