Micky Maus trifft Adolf Hitler

Micky Maus trifft Adolf Hitler

Tucker Carlson hat der Welt ein historisches Interview geschenkt. In seinem zweistündigen Gespräch mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin stellt er aber leider nicht nur viel zu wenige spannende Fragen, auch Putin redet sich in gewohnter Manier geschickt in Rage und manchmal sogar um den heißen Brei herum. Nicht besonders erkenntnisreich, aber sehenswert ist es auf jeden Fall.

Von Serdar Somuncu
Spoiler: Es ist nicht viel Neues dabei herumgekommen. Nach Putins chauvinistischer Diktion wäre alles, was eine historische Verbindung zueinander hat, Russisch spricht oder russisch denkt, auf ewig miteinander verbunden und es würde sämtlichen Invasoren der Welt das Recht geben, Überfälle als legitimen Rückgewinn eigener Territorien zu erklären.
Demzufolge wäre Deutschland wieder in den Grenzen von 1937 und das Osmanische Reich würde sich vom Balkan bis zum Kaukasus erstrecken. Vom Römischen Reich und den Persern ganz zu schweigen.
Schon der Beginn des Interviews zeigt auf, welche Gräben zwischen der oberflächlichen Bildung eines westlichen Journalisten, der auf einfache Fragen einfache Antworten erwartet und dem offensichtlich geschichtsbesessenen russischen Präsidenten klaffen.
Putin beginnt das Interview mit einer geschickten Gegenfrage: ,,Ist das eine Talkshow oder ein seriöses Interview?" und beide lachen. Was wäre der Unterschied, würde mir als direkte Gegenfrage einfallen, aber Putin interessiert das nicht. Er hat sich offensichtlich vorgenommen, seinen Gesprächspartner zu überrollen, wie seine Truppen die Ukraine. Klotzen statt kleckern. Und so sind wir mittendrin in einem historischen Vortrag über die glorreiche Geschichte Russlands, die im Grunde genommen nichts anderes ist, als eine putinsche Abwandlung von David gegen Goliath oder die Abenteuer des Robin Hood.
Carlson hört andächtig zu und lässt ihn gewähren. Fast eine halbe Stunde lang vergeht so in ellenlangen, selbstgerechten Suadas zur Rechtfertigung des ideologischen Irrsinns, getarnt als Aufklärung.
Vielleicht hätte ihn Carlson schon zu Beginn darauf hinweisen sollen, dass dieses ,,seriöse" Interview nach seinen Regeln funktioniert und nicht den Audienzen gleicht, die Putin sonst seinen Journalisten gewährt, dann wäre es sicher spannender gewesen. Aber ohnehin war dies erst der Beginn, eines eindrucksvollen Gesprächs, das mich immer wieder auf die Idee brachte, wie es wohl gewesen wäre, wenn Micky Maus seinerzeit Adolf Hitler interviewt hätte.

Interessanterweise gehen Putins weitere Ausführungen in belehrend elegischem Stil weiter über die Geschichte Russlands, bis hin zu den Krisen der näheren Vergangenheit, dem Jugoslawienkrieg und der deutschen Wiedervereinigung und hier beginnt Putin sich zum ersten Mal in Widersprüche zu verstricken. Zwar ist es richtig zu bemerken, dass die USA und der Westen immer wieder Absprachen, wie die Abkommen um Minsk I und II gebrochen und sie ins Gegenteil verkehrt haben, so zum Beispiel aber auch die anfängliche Unterstützung Serbiens im Jugoslawienkrieg und der anschließenden Bombardierung Belgrads, aber auch Russland hat immer wieder seine territorialen Ansprüche durchgesetzt, ohne Rücksicht auf internationale Befindlichkeiten, wie zum Beispiel bei der gescheiterten Invasion Afghanistans im Jahre 1979 oder der jahrelangen militärischen Unterstützung Syriens.
In Putins Darstellung ist Russland nicht der nach Expansion strebende Aggressor, sondern stets der friedliche Verteidiger der panrussischen Integrität. Und das ist wirklich, gemessen an dem Umfang seines historischen Faktenwissens, mehr als simpel verklärt und erstaunlich unwahr. Putins Denkfehler liegt vor allem darin, die Dinge zu durchschauen, aber daraus die falschen Schlussfolgerungen zu ziehen. Er beschreibt auf der einen Seite die hinterhältige Taktik der USA und erklärt zugleich, weshalb er sie nachahmt und adaptiert. Letztendlich beklagt er so sein eigenes Versagen.

Erst als er in näheren Gegenwart landet, und es um die Ukraine und die Entwicklung der letzten Jahre geht, wird Putin konkret, und zum ersten Mal wirken seine Ausführungen authentisch. Es ist das Psychogramm eines gekränkten Charakters, den er hinter dem Stolz seiner Nation verbirgt. Er schildert, wie die Amerikaner sukzessive ihren Wirkungsbereich um Russland herum erweitert haben und erneut auch Absprachen gebrochen wurden. Er beschreibt es als 5 Konfliktherde, u.a. im Baltikum und im Kaukasus. Er verharmlost die repressive Doktrin der Sowjetunion und erklärt den Freiheitskampf der ehemaligen Sowjetrepubliken zum durch den Westen unterstützen Terrorismus. In seiner Ansicht geht es nur um die Destabilisierung Russlands und nicht um die Freiheit der Unterdrückten. Auch im Fall der Ukraine geht er nur bedingt auf die angebliche Installierung des Präsidenten Juschtschenko und der darauf folgenden Entwicklung um den Maidan an. Er beschriebt sie als illegitimen Eingriff des Westens in die interrussischen Angelegenheiten und er ignoriert schlicht und einfach den Freiheitswillen des ukrainischen Volkes. Aber auch hier verschweigt Putin die wahren Interessen Russlands, die nicht darin liegen, sich zu verteidigen und gegen eine Expansion der NATO zur Wehr zu setzen, sondern tatsächlich verfolgt Putin auch unübersehbar imperialistische Ziele, nämlich ein großes Russland in den Grenzen der ehemaligen Sowjetunion zu erhalten und damit unsichtbar Ansprüche zu stellen an seine ehemaligen Vasallenstaaten, Russland treu zu bleiben. Fast beiläufig erwähnt Putin seine Angst vor einer Öffnung der Grenzen und der Erweiterung einer Freihandelszone, die immer weiter in den Osten rückt und so zu einer bedrohlichen ökonomischen Konkurrenz zu dem mühsam aufgebauten Gas und Getreidemonopol der Russen werden könnte.
Leider hakt auch hier Tucker Carlson nur selten nach und lässt Putin gewähren. Putins Plädoyer für eine anachronistische Planideologie, als Gegenentwurf zur freien Marktwirtschaft, lässt er ungefragt durchgehen. Der Vortrag mutiert so zu seiner Art politischer Selbstdarstellung, in der Putin (zu) viel Platz eingeräumt wird, seine Theorien auszubreiten und schon angesichts der Fülle und Komplexität seiner Aussagen, beim Zuschauer eine inhaltliche Überforderung, ein gewisses Gefühl des Überdrusses zu erzeugen. Vielleicht, damit man aufgibt und ihm eher zustimmt, als danach zu suchen, wie man ihm widersprechen könnte?

Einzig Putins Ausführungen über den Neonazi Kult um Stepan Bandera und die popkulturähnliche Verehrung und Dauerpräsenz in westlichen Medien und Parlamenten des ukrainischen Präsidenten Selenskyj wirken plausibel. Zumal Selenskyj aufgrund seiner jüdischen Wurzeln auch eine besondere Befindlichkeit zu diesem Thema haben müsste und oft in den vergangenen Monaten wie ein Elefant in Porzellanladen auf der Suche nach Unterstützung, seltsame Allianzen eingegangen ist. Putin ist zu schlau, um dies durchgehen zu lassen. Carlson geht darauf gar nicht ein. Und deshalb hängt Putin sich weiter an diesem Punkt auf. Sein angeblicher Kampf gegen Naziideologie und die damit verbundene Begründung der Invasion der Ukraine wirkt nicht wirklich überzeugend. So scheint das permanente spitzbübische Schmunzeln Putins auch darauf hinzuweisen, dass er sich selbst dessen bewusst ist und die intellektuelle Unterlegenheit seines Gegenübers genüsslich in ausschweifenden Wortkaskaden zermalmt.
Einzig in einem etwas schneller getaktetem Schlagabtausch in der Mitte des Interviews gelingt es Putin auf die eigentlich These zu sprechen zu kommen, die sein Anliegen seine friedlichen Ansichten zu verdeutlichen etwas sichtbarer, aber deshalb nicht umso mehr glaubwürdiger machen. Sein lamentohaftes Whataboutisieren, bringt nicht den gewünschten Mehrwert einer Erklärung für das Irrationale an diesem Krieg. Putin begründet diese zwar mit den gebrochenen Schwüren seiner Verhandlungspartner, die Wahrheit aber liegt weit davon entfernt in seinen Machtansprüchen und Großmachtfantasien. Auch seine lapidare Antwort auf Carlsons Frage, ob er beabsichtige weitere Ziele, wie Polen oder das Baltikum anzugreifen, streift er mit einem ,,Warum sollten daran ein Interesse haben?" ab, obwohl sein Interesse daran, die Ukraine anzugreifen genauso unerklärlich gewesen sein könnte.
,,Wer hat Nordstream gesprengt?", ist wohl die markanteste Frage, die Carlson am Ende einer immer lockerer werdenden Atmosphäre zwischen beiden stellt, um zu erfahren, dass zunächst er selbst und dann korrekterweise der CIA es gewesen sein soll. Eine durchaus witzige Passage, die zum einen offenbart, wie klar Putin die Sache beurteilt und wie egal es ihm auf der anderen Seite ist, wie andere ihn dabei beurteilen. Es ist ein politisches Manifest, das Putin abliefert, bei dem klar ist, dass er neben der Enttäuschung der letzten Jahre auch eine Gelassenheit entwickelt hat, die seine Entschlossenheit zu handeln und die Verschlagenheit des Westens nicht mehr zu dulden, unterstreicht. Vielleicht ist es das, was die westliche Berichterstattung ,,Man kann nicht mit Putin verhandeln" nennt.
So wirkt auch der gesamte Rückschluss auf die Legitimation seines Krieges nicht wirklich konsistent. Carlson hat die entscheidende Frage eigentlich schon am Anfang gestellt. Warum fällt Ihnen all das erst jetzt ein? Aber Putin hat es geschickt umfahren und ihn durch seine Ausführungen eingelullt, sodass Carlson jetzt nur noch Punkt für Punkt abfragt und nicht mehr ins Detail geht. Das wird dem Gespräch nicht wirklich gerecht. Dann hätte Tucker Carslon sich darauf eingelassen und, wäre er vorbereitet darauf gewesen, dann hätte er vielleicht sogar ins Detail gehen können und ein mehrstündiges Gespräch über die Zusammenhänge führen können. Putins Erklärungen wären mehr gewesen, als nur eine Anklage, sondern sie wären die Offenlegung der strategischen Interessen des Westens gewesen. Carlson hätte damit mehr Punkte gewonnen, als durch die Einfalt seiner, zweifelsohne charmant vorgetragenen Fragen. Ein wenig mehr Populismus und weniger ideologischer Dogmatismus, hätten viele der über eine Milliarde Zuschauer auf der ganzen Welt bereitwillig angenommen, um die einseitige Berichterstattung der westlichen Kriegspropaganda als Lügenmaschinerie im eigenen Interesse zu entlarven.
So aber scheitert Tucker Carlson letztendlich an seiner eigenen Oberflächlichkeit und das erkennt Putin und überrennt ihn mit Details. In Putins Diktion ist Russland das ewige Opfer im Kampf gegen unsichtbare Mächte, die sich korrupt und unberechenbar verhalten. Dabei lässt er eine schonungslose Selbstreflexion außer Acht. Denn in Wirklichkeit ist Russland an den Konflikten dieser Welt immer schon beteiligt gewesen. Russland ist expansiv, idealistisch und genauso korrupt und hinterhältig, wie die Staaten, denen Putin Vorwürfe macht. Ob es in Syrien war, wo die Russen jahrelang mit Waffen unterstützt haben und Konflikte geführt haben oder im Iran. Ob es im kalten Krieg war oder in der Folge dessen in Konflikten in Südamerika oder Asien.
Der Minderwertigkeitskomplex, den Putin hier ausführlich ausbreitet, ist keine wirkliche Erklärung dafür, dass Russland das Recht haben dürfte, andere Staaten zu überfallen oder zu okkupieren. Und es ist schon gar nicht nachvollziehbar für jemanden, der behauptet, im Sinne des Guten zu agieren und dabei Schlechtes zu tun. Einzig die Tatsache, dass Tucker Carlson ihm die Gelegenheit gibt, diese Ausführungen zu machen, ist der große Mehrwert dieses Interviews. Man bekommt einen Einblick in die Gedankenstruktur Putins und gleichzeitig lernt man auch einiges über die Abläufe der Weltpolitik. Vieles ist dabei keine Überraschung. Dass die Amerikaner schon seit Jahrzehnten die Geschicke der Politik steuern, in dem sie Konflikte schüren und Konfliktparteien mit Waffen versorgen und dabei ihre Propaganda bemühen, um die Menschen auf ihre Seite zu ziehen, ist eine Binsenwahrheit. Vielleicht fehlt es aber dennoch an Kenntnis in der breiten Bevölkerung hierzulande, um zu durchschauen, dass auch wir Opfer dieser Propaganda sind, egal, woher sie kommt. Insofern lohnt es sich tatsächlich, dieses Gespräch genau zu verfolgen. Denn Putin spricht nicht nur aus dem Nähkästchen, sondern er verrät auch, welche Absprachen getroffen wurden, ohne dass sie in der Öffentlichkeit zur Debatte gestellt wurden. Ein entscheidender Punkt in diesem Interview ist die Frage Putins danach, ob die Amerikaner, die bei den Wahlen ihre Stimmen abgeben, wirklich die Politik wählen, die sie möchten. Oder ob Politik unabhängig von Wahlergebnissen geführt wird und im Grunde genommen nichts anderes ist, als die Interessensvertretung von Lobbys, denen es um ganz andere Ziele geht.
An mancher Stelle hätte man sich diesen philosophischen Diskurs gewünscht. Stattdessen bleibt das Gespräch lange Zeit auf einer belehrenden Ebene und Tucker Carlson wirkt über lange Strecken tatsächlich wie ein kleiner Schuljunge, der seinem Vater zuhört, wie er ihm die Welt erklärt.
Wenn es noch etwas gibt, was Putin gelernt haben sollte, trotz seiner außerordentlichen Klugheit, dann ist es, dass eben Demokratie anders funktioniert, als die einseitige Sichtweise auf die Geschehnisse in autoritären Systemen und dass sie manchmal nicht logisch ist und auch nicht sein muss, sondern dass die Entwicklung der Weltgeschichte auch immer geprägt ist von Ansprüchen und unsichtbaren Forderungen, von Widersprüchen und den Brüchen und dem Brechen von Absprachen.
Insofern ist Putin ein Illusionist im idealistischen Gewand. Für sein eigenes Volk mag das vielleicht richtig sein, solange es gut geht. Aber sollte sich dieser Krieg in seiner grausamen Seite gegen Russland wenden, dann wird man es Putin übel nehmen. Denn dann war er nicht der Verteidiger, sondern der Totengräber der russischen Nation und nichts und niemand wird ihn davor schützen, dafür Rechenschaft ablegen zu müssen, so sehr er das auch ideologisch begründen kann. Tucker Carlsons naiver Versuch, Putin zu entlarven, wirkt so, als würde man versuchen, einen modernen Computer mit einem Schraubendreher zu reparieren. Und er scheitert auf ganzer Linie. Auch wenn sein Auftreten smart und zuweilen sogar sympathisch wirkt. Putin kann das zu jederzeit parieren, und man spürt sogar regelrecht, wie er eine gewisse Lust dabei verspürt.
So kehrt man zurück zu der anfangs gestellten Frage, ob es ein Interview oder eine Show sei und schnell zeigt sich, dass auch Putin die Elemente des Showbusiness sehr gut versteht. Zunächst gibt er den souveränen Geschichtskenner, um später sich zum Opfer machen und dann seine Ansprüche als Täter zu kaschieren, alles zum Freiheitskampf der russischen Nation. Tucker Carlson hätte hier große Chancen gehabt, ihn in die Enge zu treiben, ihn zu entlarven und mit ihm in ein Konfliktgespräch zu gehen, welches gezeigt hätte, welche wahre Motivation Putin dazu treibt, sich zum Retter der Welt aufzuspielen. Putin wiederum hätte vielleicht sogar aufzeigen können, welche Hintergründe ihn dazu bringen, sich so zu verhalten und es wäre nicht klar gewesen, wer dabei besser abschneidet. All das wäre für uns als Zuschauer dankbarer und aufschlussreicher gewesen, als eben diese Plattform, auf der Putin sich 2 Stunden lang entfalten konnte, um seine Propaganda zu erläutern.
Am Ende des Spektakels muss ich an Donald Trump großkotzige Aussage denken, dass mit ihm der Krieg in der Ukraine innerhalb von 24 Stunden beendet wäre und ich muss innerlich schmunzeln. Vielleicht ist Trumps arrogante Selbstüberschätzung, gepaart mit seiner beharrlichen intellektuellen Inkompetenz wirklich das einzig adäquate Gegenmittel zu Putins komplexbehafteter Despotenschläue.


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14.02.24
*Serdar Somuncu ist Schauspieler und Regisseur
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