Alles außer Abseits
Von der deutschen Nationalmannschaft lernen heißt siegen lernen. Auch die deutsche Politik könnte die nächste Europawahl zu einem Fest machen würde sie nur endlich die Best Practices aus dem Fußball übernehmen. Mit einer Ausnahme: Alles, außer Abseits!
von Alexander Kira
von Alexander Kira
Dieser Text muss mit einem Bekenntnis beginnen: Der Autor dieser Zeilen gesteht gerne, dass er fußballtechnisch Analphabet ist. Aber vielleicht kann er, blind für die Finessen des Sports, gerade tief deshalb tief in sein Wesen blicken und sein enormes Potenzial für die deutsche Politik erkennen. Gibt es denn bessere Best Practices als Fußball?
Fußball ist ehrlich: Logos der Parteispender im Eingang zum Fraktionssitzungssaal und der Quellen von Nebeneinkünften auf der Kleidung würden Aussagen in Interviews leichter verständlich machen. Fußball ist dynamisch: Häufiger Minister - auch aus dem Ausland - einzuwechseln würde für die zweite Halbzeit der Legislaturperiode frischen Wind in die Bundesregierung bringen. Inklusive Abklatschen und Umarmungen beim Bundespräsidenten, Emotion pur auch für gescheiterte Amtsträger. Ist es aus Fußballsicht ferner nicht absurd, dass die Fraktionen nach der Sommerpause nicht die Seiten im Plenum wechselt? Endlich wäre die seit den 10 Geboten in Stein gehauene Sitzordnung mit Links und Rechts durchbrochen. Das belebt die Denkleistung, wie ein Kopfballtor. Wenn das Kabinett dann noch mit Mitgliedern der Jugendorganisationen als Einlaufkinder in die Regierungsbank einläuft käme Zug in den Laden. Anfällig für Lobbyistengeflüster? Ein Eiswasserbad nach der Sitzung härtet auch gegenüber lockenden Worten von Interessenvertretern bei schweren Rotweinen ab. Auch über eine gemeinsame Anreise in Fraktionsbussen sollte ernsthaft nachgedacht werden, inklusive Ankunft mit jubelnden Anhängern vor dem Fraktionshotel. Das wären Bilder, die das Land wieder hoffen lassen!
Fußball weiß auch die Spannung bis zuletzt aufrechterhalten. Überraschende Ecken oder Elfmeterschießen? Der Bundesrat kann helfen! Was ein Zustimmungsgesetz ist, beschließt zukünftig Bärbel Bas: Wird ein Abgeordneter durch hämische Zwischenrufe zu aufmüpfig pfeift sie ab. Ihre klare Geste auf die stets leere Länderbank zeigt an: Zustimmungsgesetz! Der Bundesrat entscheidet mit - und die Karten werden auch noch in der dritten Lesung neu gemischt. Aber nicht nur der Bundestag könnte lernen - nein die ganze Republik: Schonmal ein Spiel gesehen, dass später beginnt? Trotz hunderttausender Fans im Stadion und Hochrisikostufe? Da muss schon das Tor umfallen, wie bei der Champions League am legendären 1. April 1998. Deutsche Bahn - hörst Du die Signale? Auch der Respekt gegenüber dem Schaffnerpersonal wäre wieder hergestellt. Wird es wieder mal wegen ausnahmslos jedem Unrecht in der Welt angebrüllt reicht fortan der gelbe Fahrscheinen aus der Brusttasche um die Gemüter zu beruhigen. Die Pfeife hängt sogar schon um den Hals.
Ausgerechnet die unpassendste Regelung wurde dahingegen bereits in den gesellschaftlichen Alltag integriert: Das Abseits. Für den fußballtechnischen Laien lösen im Nanometerbereich begründete Abseitsentscheidungen regelmäßig Erstickungsanfälle an Kartoffelchips aus, wenn offensichtlich grundlos Tore kassiert werden. Scheint die Regelung auf dem Platz sinnvoll, ist sie es im Rest der Republik nicht. Wenn immer mehr Lebensbereiche verrechtlich und überreguliert werden, wenn Shitstorms jedes Handeln zur Hochrisikozone machen - dann pfeift sich die Gesellschaft selbst ins Abseits. Innovation und Mut werden im Keim erstickt und Erfolg aus prinzipiellen Erwägungen aberkannt. So ein freiwilliges Abseits kann sich kein Land leisten, zumindest bis wir in der perfekten Welt leben. Der sympathischste Norddeutsche in Paris, Karl Lagerfeld, hatte immer betont, dass der Erfolg in der Modebranche nie zu 100 % gerecht sein kann. Das gilt auch für die Gesellschaft, nachzulesen bei Niklas Luhmann. Würden Politik und Öffentlichkeit die Fußballregeln machen, würden halbe und Vierteltore eingeführt. Nicht wundern, wenn man dann - wie der englische Fan auf Schalke - mutterseelenallein im Stadion aufwacht.
In der Werbepause holt uns die ARD dann jäh aus der heilen Fußballwelt in die Realität zurück. Die Mitarbeiter einer Baumarktkette tanzen und trommeln fröhlich mit ihrem Maskottchen. Hoffentlich ist es diesmal echt.
25.06.2024
Alexander Kira hat über internationalen Menschenrechtsschutz provomiert und ist Jurist, Moderator und Kabarettist. Er lebt und schreibt im Herzen von Berlin.
Fußball ist ehrlich: Logos der Parteispender im Eingang zum Fraktionssitzungssaal und der Quellen von Nebeneinkünften auf der Kleidung würden Aussagen in Interviews leichter verständlich machen. Fußball ist dynamisch: Häufiger Minister - auch aus dem Ausland - einzuwechseln würde für die zweite Halbzeit der Legislaturperiode frischen Wind in die Bundesregierung bringen. Inklusive Abklatschen und Umarmungen beim Bundespräsidenten, Emotion pur auch für gescheiterte Amtsträger. Ist es aus Fußballsicht ferner nicht absurd, dass die Fraktionen nach der Sommerpause nicht die Seiten im Plenum wechselt? Endlich wäre die seit den 10 Geboten in Stein gehauene Sitzordnung mit Links und Rechts durchbrochen. Das belebt die Denkleistung, wie ein Kopfballtor. Wenn das Kabinett dann noch mit Mitgliedern der Jugendorganisationen als Einlaufkinder in die Regierungsbank einläuft käme Zug in den Laden. Anfällig für Lobbyistengeflüster? Ein Eiswasserbad nach der Sitzung härtet auch gegenüber lockenden Worten von Interessenvertretern bei schweren Rotweinen ab. Auch über eine gemeinsame Anreise in Fraktionsbussen sollte ernsthaft nachgedacht werden, inklusive Ankunft mit jubelnden Anhängern vor dem Fraktionshotel. Das wären Bilder, die das Land wieder hoffen lassen!
Fußball weiß auch die Spannung bis zuletzt aufrechterhalten. Überraschende Ecken oder Elfmeterschießen? Der Bundesrat kann helfen! Was ein Zustimmungsgesetz ist, beschließt zukünftig Bärbel Bas: Wird ein Abgeordneter durch hämische Zwischenrufe zu aufmüpfig pfeift sie ab. Ihre klare Geste auf die stets leere Länderbank zeigt an: Zustimmungsgesetz! Der Bundesrat entscheidet mit - und die Karten werden auch noch in der dritten Lesung neu gemischt. Aber nicht nur der Bundestag könnte lernen - nein die ganze Republik: Schonmal ein Spiel gesehen, dass später beginnt? Trotz hunderttausender Fans im Stadion und Hochrisikostufe? Da muss schon das Tor umfallen, wie bei der Champions League am legendären 1. April 1998. Deutsche Bahn - hörst Du die Signale? Auch der Respekt gegenüber dem Schaffnerpersonal wäre wieder hergestellt. Wird es wieder mal wegen ausnahmslos jedem Unrecht in der Welt angebrüllt reicht fortan der gelbe Fahrscheinen aus der Brusttasche um die Gemüter zu beruhigen. Die Pfeife hängt sogar schon um den Hals.
Ausgerechnet die unpassendste Regelung wurde dahingegen bereits in den gesellschaftlichen Alltag integriert: Das Abseits. Für den fußballtechnischen Laien lösen im Nanometerbereich begründete Abseitsentscheidungen regelmäßig Erstickungsanfälle an Kartoffelchips aus, wenn offensichtlich grundlos Tore kassiert werden. Scheint die Regelung auf dem Platz sinnvoll, ist sie es im Rest der Republik nicht. Wenn immer mehr Lebensbereiche verrechtlich und überreguliert werden, wenn Shitstorms jedes Handeln zur Hochrisikozone machen - dann pfeift sich die Gesellschaft selbst ins Abseits. Innovation und Mut werden im Keim erstickt und Erfolg aus prinzipiellen Erwägungen aberkannt. So ein freiwilliges Abseits kann sich kein Land leisten, zumindest bis wir in der perfekten Welt leben. Der sympathischste Norddeutsche in Paris, Karl Lagerfeld, hatte immer betont, dass der Erfolg in der Modebranche nie zu 100 % gerecht sein kann. Das gilt auch für die Gesellschaft, nachzulesen bei Niklas Luhmann. Würden Politik und Öffentlichkeit die Fußballregeln machen, würden halbe und Vierteltore eingeführt. Nicht wundern, wenn man dann - wie der englische Fan auf Schalke - mutterseelenallein im Stadion aufwacht.
In der Werbepause holt uns die ARD dann jäh aus der heilen Fußballwelt in die Realität zurück. Die Mitarbeiter einer Baumarktkette tanzen und trommeln fröhlich mit ihrem Maskottchen. Hoffentlich ist es diesmal echt.
25.06.2024
Alexander Kira hat über internationalen Menschenrechtsschutz provomiert und ist Jurist, Moderator und Kabarettist. Er lebt und schreibt im Herzen von Berlin.
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