Bundeswehr auf TikTok - Wenn Waffen zu Spielzeug werden
Man muss sich das einmal vorstellen: Da stehen junge Männer in Tarnuniform auf einem Leopard-2-Panzer, posieren für die Kamera, machen Scherze, werfen sich in martialische Posen und schneiden dabei Grimassen, als wären sie im Freizeitpark. Im Hintergrund Explosionen, Waffen werden durchgeladen, Fingerpistolen gezückt, die Deutschlandfahne flattert dramatisch im Wind - das alles in Zeitlupe und mit epischer Musik unterlegt. Dazu Sprüche wie: ,,Komm zur Bundeswehr, Bruder!"
von Christian Becker
von Christian Becker
Was nach einer Parodie auf einen Michael-Bay-Film klingt, ist der aktuelle Social-Media-Alltag sogenannter Bundeswehr-Influencer. Menschen wie Josh Krebs alias Cinematic Sergeant, der auf TikTok über 430.000 Follower hat, bewerben eine Karriere in der Bundeswehr mit hochprofessionellen, actiongeladenen Clips - die aber, wohlgemerkt, nicht offiziell im Auftrag der Bundeswehr entstehen. Natürlich nicht. Und die Erde ist flach.
Die Grauzone wird zur Rekrutierungsplattform
Juristisch gesehen operieren diese Akteure in einer heiklen Grauzone. Nach § 17a des Soldatengesetzes dürfen Soldat:innen ihre Uniform nicht missbräuchlich verwenden. § 40 SG wiederum verbietet die dienstliche Nutzung von Ressourcen für private Zwecke. Und doch sehen wir in den Videos: Dienstkleidung, militärische Infrastruktur, Fahrzeuge, Waffen, Gelände - alles im Einsatz für privaten Social-Media-Content.
Offiziell heißt es aus dem Verteidigungsministerium: Für private Inhalte dürfen keine dienstlichen Mittel verwendet werden. Doch gleichzeitig rekrutieren diese Social-Media-Stars aktiv neue Soldat:innen - oft besser und wirksamer als jede offizielle Werbekampagne der Bundeswehr. Das ist, als würde ein Arzt in der Notaufnahme privat Schönheitsoperationen anbieten - unter Nutzung der Klinikressourcen, aber ,,in der Freizeit". Man nennt das nicht ,,kreativ", sondern institutionelle Heuchelei.
Verkauf von Krieg als Freizeitvergnügen
Das eigentliche Problem ist jedoch nicht das juristische Schlupfloch, sondern das Menschenbild, das in diesen Videos vermittelt wird. Die Bundeswehr wird inszeniert als sportlicher Abenteuerurlaub mit coolen Typen, die Kameradschaft, Fitness, Adrenalin und gute Laune erleben - ein bisschen wie die Pfadfinder, nur mit Handgranaten. Die Realität eines militärischen Einsatzes - Todesangst, Verwundung, der Tod eigener Kameraden, das Töten von Menschen - all das wird ausgeblendet.
Diese Ästhetisierung des Krieges ist nicht nur naiv, sie ist ethisch verwerflich. Denn sie richtet sich vor allem an junge Menschen. Menschen, die vielleicht gerade mit der Schule fertig sind, auf der Suche nach Orientierung, Zugehörigkeit und einem Sinn. Und statt ihnen eine mündige Entscheidung auf Grundlage realistischer Informationen zu ermöglichen, werden sie emotional geködert - mit der Ästhetik eines Videospiels und der Dramaturgie eines Hollywoodfilms. Das ist Propaganda im Hoodie.
Das Spiel mit der Realität
Besonders perfide ist dabei die Trennung zwischen offiziellen und ,,nicht offiziellen" Kanälen. Influencer wie Cinematic Sergeant oder Otto Bulletproof agieren als Privatpersonen - aber mit direktem oder indirektem Zugang zu Bundeswehrressourcen. Bei Otto Bulletproof gibt es laut Verteidigungsministerium sogar explizite Kooperationen. Er begleitet die Ausbildung von Kommandosoldaten filmisch - natürlich nicht ganz ohne Absprache mit der Truppe. Man könnte auch sagen: Man lässt ihn machen, weil es wirkt.
Diese Entgrenzung zwischen Realität und Inszenierung, zwischen staatlicher Institution und privatwirtschaftlicher Werbemaschine, ist nicht nur gefährlich, sondern demokratiepolitisch ein Problem. Denn sie entzieht sich jeder Rechenschaftspflicht. Niemand kontrolliert die Inhalte, niemand haftet für die Wirkung. Die Bundeswehr hält sich offiziell raus - profitiert aber massiv vom Imagegewinn.
Werbung mit Weichzeichner
Dabei wäre ehrliche Werbung für die Bundeswehr legitim. Eine moderne Armee braucht Nachwuchs. Eine Demokratie muss sich verteidigen können. Aber dazu gehört, dass man Menschen nicht mit Luftgitarre und Maschinengewehr ködert, sondern mit Wahrheit: Der Dienst in der Bundeswehr bedeutet unter Umständen, in bewaffnete Konflikte zu ziehen, Menschen zu töten, selbst verletzt oder getötet zu werden. Es bedeutet Disziplin, Verantwortung, Härte - und eben nicht: TikTok-Ruhm und Likes.
Hinzu kommt die verdrängte Realität in der Truppe selbst. 916 rechtsextreme Verdachtsfälle allein im Jahr 2023 zeigen: Die Bundeswehr hat nicht nur ein Rekrutierungsproblem, sondern auch ein internes Haltungsproblem. Doch in den Influencer-Videos werden solche Themen ausgeklammert. Kein Wort über Extremismus. Kein Wort über Fehlverhalten. Kein Wort über die psychischen Langzeitfolgen des Dienstes. Stattdessen: Der Panzer als Catwalk, das Maschinengewehr als Selfie-Requisite.
Fazit: TikTok ist keine Kaserne
Diese Form der Militärverherrlichung ist keine Aufklärung, sondern Schönfärberei - und das auf dem Rücken junger Menschen, die durch professionell inszenierten Pathos, verzerrte Realität und das Versprechen von Abenteuer in eine Institution gelockt werden, die in vielerlei Hinsicht systemisch versagt. Die Bundeswehr ist kein Abenteuerspielplatz, sondern ein Apparat mit tiefgreifenden Problemen - von rechtsextremen Netzwerken über schlechte Ausrüstung bis zu desillusionierten Soldat:innen, die mit seelischen Narben nach Hause kommen.
Wer die Bundeswehr als coolen Arbeitgeber mit Actiongarantie darstellt, macht sich mitschuldig an einem Betrug. Denn in Wahrheit ist die Bundeswehr - in ihrer derzeitigen Verfassung - weder ethisch noch strukturell ein Ort, an dem junge Menschen ihre Zukunft aufbauen sollten. Sie ist schlecht geführt, moralisch marode und politisch ein Problemfall - kurz: Die Bundeswehr ist scheiße. Nicht, weil Soldat:innen per se schlecht wären, sondern weil das System sie verrät, missbraucht und in ein Bild presst, das mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat. Wer das deckt, fördert nicht die Verteidigung der Demokratie - sondern ihre Aushöhlung.
13.05.25
*Christian Becker wurde 1977 in Hamburg geboren, er ist verheiratet und hat zwei Kinder. Nach seinem Jurastudium hat er sich als Personalberater, Dozent in der Erwachsenenbildung und rechtlicher Betreuer selbstständig gemacht.
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Die Grauzone wird zur Rekrutierungsplattform
Juristisch gesehen operieren diese Akteure in einer heiklen Grauzone. Nach § 17a des Soldatengesetzes dürfen Soldat:innen ihre Uniform nicht missbräuchlich verwenden. § 40 SG wiederum verbietet die dienstliche Nutzung von Ressourcen für private Zwecke. Und doch sehen wir in den Videos: Dienstkleidung, militärische Infrastruktur, Fahrzeuge, Waffen, Gelände - alles im Einsatz für privaten Social-Media-Content.
Offiziell heißt es aus dem Verteidigungsministerium: Für private Inhalte dürfen keine dienstlichen Mittel verwendet werden. Doch gleichzeitig rekrutieren diese Social-Media-Stars aktiv neue Soldat:innen - oft besser und wirksamer als jede offizielle Werbekampagne der Bundeswehr. Das ist, als würde ein Arzt in der Notaufnahme privat Schönheitsoperationen anbieten - unter Nutzung der Klinikressourcen, aber ,,in der Freizeit". Man nennt das nicht ,,kreativ", sondern institutionelle Heuchelei.
Verkauf von Krieg als Freizeitvergnügen
Das eigentliche Problem ist jedoch nicht das juristische Schlupfloch, sondern das Menschenbild, das in diesen Videos vermittelt wird. Die Bundeswehr wird inszeniert als sportlicher Abenteuerurlaub mit coolen Typen, die Kameradschaft, Fitness, Adrenalin und gute Laune erleben - ein bisschen wie die Pfadfinder, nur mit Handgranaten. Die Realität eines militärischen Einsatzes - Todesangst, Verwundung, der Tod eigener Kameraden, das Töten von Menschen - all das wird ausgeblendet.
Diese Ästhetisierung des Krieges ist nicht nur naiv, sie ist ethisch verwerflich. Denn sie richtet sich vor allem an junge Menschen. Menschen, die vielleicht gerade mit der Schule fertig sind, auf der Suche nach Orientierung, Zugehörigkeit und einem Sinn. Und statt ihnen eine mündige Entscheidung auf Grundlage realistischer Informationen zu ermöglichen, werden sie emotional geködert - mit der Ästhetik eines Videospiels und der Dramaturgie eines Hollywoodfilms. Das ist Propaganda im Hoodie.
Das Spiel mit der Realität
Besonders perfide ist dabei die Trennung zwischen offiziellen und ,,nicht offiziellen" Kanälen. Influencer wie Cinematic Sergeant oder Otto Bulletproof agieren als Privatpersonen - aber mit direktem oder indirektem Zugang zu Bundeswehrressourcen. Bei Otto Bulletproof gibt es laut Verteidigungsministerium sogar explizite Kooperationen. Er begleitet die Ausbildung von Kommandosoldaten filmisch - natürlich nicht ganz ohne Absprache mit der Truppe. Man könnte auch sagen: Man lässt ihn machen, weil es wirkt.
Diese Entgrenzung zwischen Realität und Inszenierung, zwischen staatlicher Institution und privatwirtschaftlicher Werbemaschine, ist nicht nur gefährlich, sondern demokratiepolitisch ein Problem. Denn sie entzieht sich jeder Rechenschaftspflicht. Niemand kontrolliert die Inhalte, niemand haftet für die Wirkung. Die Bundeswehr hält sich offiziell raus - profitiert aber massiv vom Imagegewinn.
Werbung mit Weichzeichner
Dabei wäre ehrliche Werbung für die Bundeswehr legitim. Eine moderne Armee braucht Nachwuchs. Eine Demokratie muss sich verteidigen können. Aber dazu gehört, dass man Menschen nicht mit Luftgitarre und Maschinengewehr ködert, sondern mit Wahrheit: Der Dienst in der Bundeswehr bedeutet unter Umständen, in bewaffnete Konflikte zu ziehen, Menschen zu töten, selbst verletzt oder getötet zu werden. Es bedeutet Disziplin, Verantwortung, Härte - und eben nicht: TikTok-Ruhm und Likes.
Hinzu kommt die verdrängte Realität in der Truppe selbst. 916 rechtsextreme Verdachtsfälle allein im Jahr 2023 zeigen: Die Bundeswehr hat nicht nur ein Rekrutierungsproblem, sondern auch ein internes Haltungsproblem. Doch in den Influencer-Videos werden solche Themen ausgeklammert. Kein Wort über Extremismus. Kein Wort über Fehlverhalten. Kein Wort über die psychischen Langzeitfolgen des Dienstes. Stattdessen: Der Panzer als Catwalk, das Maschinengewehr als Selfie-Requisite.
Fazit: TikTok ist keine Kaserne
Diese Form der Militärverherrlichung ist keine Aufklärung, sondern Schönfärberei - und das auf dem Rücken junger Menschen, die durch professionell inszenierten Pathos, verzerrte Realität und das Versprechen von Abenteuer in eine Institution gelockt werden, die in vielerlei Hinsicht systemisch versagt. Die Bundeswehr ist kein Abenteuerspielplatz, sondern ein Apparat mit tiefgreifenden Problemen - von rechtsextremen Netzwerken über schlechte Ausrüstung bis zu desillusionierten Soldat:innen, die mit seelischen Narben nach Hause kommen.
Wer die Bundeswehr als coolen Arbeitgeber mit Actiongarantie darstellt, macht sich mitschuldig an einem Betrug. Denn in Wahrheit ist die Bundeswehr - in ihrer derzeitigen Verfassung - weder ethisch noch strukturell ein Ort, an dem junge Menschen ihre Zukunft aufbauen sollten. Sie ist schlecht geführt, moralisch marode und politisch ein Problemfall - kurz: Die Bundeswehr ist scheiße. Nicht, weil Soldat:innen per se schlecht wären, sondern weil das System sie verrät, missbraucht und in ein Bild presst, das mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat. Wer das deckt, fördert nicht die Verteidigung der Demokratie - sondern ihre Aushöhlung.
13.05.25
*Christian Becker wurde 1977 in Hamburg geboren, er ist verheiratet und hat zwei Kinder. Nach seinem Jurastudium hat er sich als Personalberater, Dozent in der Erwachsenenbildung und rechtlicher Betreuer selbstständig gemacht.
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