Hurra, ein neuer Kanzler ist da!
Was sich gestern im Bundestag abgespielt hat, war eine Farce: Wahlverlierer, die eine Koalition bilden. Ein mehrfach gescheiterter Lobbyist ist, der Kanzler werden will, und Parteien, die frei von jeglicher Raison zu ihrer ursprünglichen Ideologie sind, stimmen gemeinsam darüber ab, die Regeln des demokratischen Anstands zugunsten eines Machtwillens über Bord zu werfen. Fazit: Friedrich Merz ist nun endlich Kanzler und Deutschland hat eine Regierung.
von Serdar Somuncu
von Serdar Somuncu
Aber ist das wirklich gut für uns? Und was haben wir zu erwarten? Vor allem wirkt es so, als wäre diese Koalition der Willkür schon jetzt nicht mehr handlungsfähig. Denn sie ist schon längst infrage gestellt und angeschlagener als jede Regierung zuvor. Noch nie ist es denn in der Geschichte der Bundesrepublik vorgekommen, dass ein Kanzler im zweiten Wahlgang gewählt werden musste. Genauso wenig ist eine Partei in Regierungsbeteiligung gewesen, die das schlechteste Wahlergebnis ihrer Geschichte erzielt hat. Nun aber sind wir fast wieder dort, wo wir vor der Wahl waren. Der verzweifelte Versuch, das Erstarken der AfD durch propagandistische oder rechtliche Manöver zu verhindern, gerät immer mehr zum Eigentor, und je weiter sich die sogenannte bürgerliche Mitte auf dieses halsbrecherische Experiment einlässt, desto mehr riskiert sie, dass sie am Ende noch nicht einmal die Möglichkeit hat, Regierungen jenseits des Wählerwillens zu bilden. Was in den letzten Monaten passiert ist, war einzigartig. Zunächst beruft man den längst abgewählten Bundestag ein, um ein Gesetz durchzupeitschen, was die nachfolgenden Generationen auf Jahre verschuldet.
Danach wirft man alle Wahlversprechen über Bord und verkauft es als Pragmatismus, bildet eine Koalition mit dem ärgsten Konkurrenten und lässt sich dann auch noch holprig zum Bundeskanzler wählen. Gleichzeitig verklickert man der Bevölkerung, dass die Demokratie schützenswert sei, während man die Grundfeste der Demokratie fast schon lächerlich macht. Der Demos, also das Volk, hat schon längst aufgegeben, daran zu glauben, dass es mit seiner Stimme etwas bewirken kann. Und so wird gerade durch solche Manöver die Verdrossenheit in der Bevölkerung immer größer und der Glaube daran schwindet, dass die Politik irgendwann eine Einsicht findet und ihre Entscheidungen nicht davon abhängig macht, ob sie ihr die Macht garantieren, sondern dass sie dem Volke zugutekommen.
Aber auch das Volk bildet keine Einheit mehr. Wir sind eine gespaltene Nation, die sich aufteilt in eine besserwisserische Minderheit, die einer verunsicherten und orientierungslosen Mehrheit vorschreibt, was sie zu tun hat. Ob es in der Frage des Ukrainekrieges ist oder in der Aufarbeitung der Coronakrise: Der gesellschaftliche Diskurs ist in diesem Land schon längst nicht mehr möglich, ohne dass Andersdenkende kategorisch ausgegrenzt werden. Das ist wahrlich ein Armutszeugnis, und wir geraten damit immer mehr in die Nähe einer Meinungsdiktatur, die jeden vernichtet, der von ihrer Linie abweicht. Zunehmend verliert auch die Kunst ihren Mut, dagegen anzugehen, weil sie, beeinträchtigt durch Shitstorms und existenzielle Ängste, lieber stillhält, als eben den Unabhängigkeitswillen aufrechtzuerhalten. In diesem Sinne symbolisiert die neue Regierung vielleicht sogar die Haltung, die wir bräuchten, um das alles zu ertragen. Es ist eine Mischung aus scheißegal und am Ende wird alles gut. Aber es ist in Wirklichkeit nichts anderes als eine bloße Hoffnung, die uns am Ende vielleicht in die Arme derer treibt, die uns mit ihren Plänen in den Abgrund reiten.
07.05.25
©Serdar Somuncu
Das neue Buch - Lügen -Kulturgeschichte einer menschlichen Schwäche"
*Serdar Somuncu ist Schauspieler und Regisseur
HIER GEHTS ZUM NEUEN BUCH
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Danach wirft man alle Wahlversprechen über Bord und verkauft es als Pragmatismus, bildet eine Koalition mit dem ärgsten Konkurrenten und lässt sich dann auch noch holprig zum Bundeskanzler wählen. Gleichzeitig verklickert man der Bevölkerung, dass die Demokratie schützenswert sei, während man die Grundfeste der Demokratie fast schon lächerlich macht. Der Demos, also das Volk, hat schon längst aufgegeben, daran zu glauben, dass es mit seiner Stimme etwas bewirken kann. Und so wird gerade durch solche Manöver die Verdrossenheit in der Bevölkerung immer größer und der Glaube daran schwindet, dass die Politik irgendwann eine Einsicht findet und ihre Entscheidungen nicht davon abhängig macht, ob sie ihr die Macht garantieren, sondern dass sie dem Volke zugutekommen.
Aber auch das Volk bildet keine Einheit mehr. Wir sind eine gespaltene Nation, die sich aufteilt in eine besserwisserische Minderheit, die einer verunsicherten und orientierungslosen Mehrheit vorschreibt, was sie zu tun hat. Ob es in der Frage des Ukrainekrieges ist oder in der Aufarbeitung der Coronakrise: Der gesellschaftliche Diskurs ist in diesem Land schon längst nicht mehr möglich, ohne dass Andersdenkende kategorisch ausgegrenzt werden. Das ist wahrlich ein Armutszeugnis, und wir geraten damit immer mehr in die Nähe einer Meinungsdiktatur, die jeden vernichtet, der von ihrer Linie abweicht. Zunehmend verliert auch die Kunst ihren Mut, dagegen anzugehen, weil sie, beeinträchtigt durch Shitstorms und existenzielle Ängste, lieber stillhält, als eben den Unabhängigkeitswillen aufrechtzuerhalten. In diesem Sinne symbolisiert die neue Regierung vielleicht sogar die Haltung, die wir bräuchten, um das alles zu ertragen. Es ist eine Mischung aus scheißegal und am Ende wird alles gut. Aber es ist in Wirklichkeit nichts anderes als eine bloße Hoffnung, die uns am Ende vielleicht in die Arme derer treibt, die uns mit ihren Plänen in den Abgrund reiten.
07.05.25
©Serdar Somuncu
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*Serdar Somuncu ist Schauspieler und Regisseur
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Montesquieu hat leider in seinem Konzept der Gewaltenteilung die wahre Erste Gewalt vergessen: Das Geld! Sie kann die anderen außer Kraft setzen. Da stehen wir jetzt und Colin Crouch hat den Neoliberalismus, der jetzt in 30 Jahren ganze Arbeit geleistet hat, völlig zutreffend als antidemokratisches Konzept gebrandmarkt.
Nach dem großen Schock der Weltkriege gab es eine kurze Phase des Bekenntnisses zur - und Förderung der Demokratie, was auch mit ökonomischer Prosperität einherging. Mit Thatcher und Reagan begann das neoliberale Zeitalter, man stellte die Mittelschicht und die Arbeiter ruhig mit dem TINA-Prinzip (there is no alternative) und der Trickle-Down-Theorie (wenn es den Millionären gutgeht, tropft vom Wohlstand auch etwas auf die unteren Gesellschaftsschichten herunter). Die Rhetorik von den Schulden, die unsere Kinder abbezahlen werden müssen, sprich Austeritätspolitik, wurde wieder aufgenommen, obwohl sie sich in der Weimarer Zeit als fatal erwiesen hatte. Inzwischen sehen wir den Abstieg der Mittelschicht und die Verarmung weiter Bevölkerungsschichten (Working Poor). Helmuth Kohl hatte noch Blüm und die CDA im Nacken sitzen, erst Schröder verschaffte der großangelegten Enteignung der Arbeitnehmer den Durchbruch, in Umsetzung eines Programms von Bertelsmann übrigens.
Der Wahlkampfberater Bill Clintons erklärte irgendwann in den Nullerjahren, er würde seine damaligen Ratschläge bedauern. Deren Befolgung hätte zur Errichtung einer Plutokratie geführt. Wer hinschaut, wird das kaum bestreiten können. Man sollte endlich verstehen, dass der Aufstieg der AfD eine Folge dieser gesellschaftszersetzenden Maßnahmen ist, wogegen auch keine Parteienverbote helfen werden.
Wie könnte man die katastrophalen Entwicklungen aufhalten? Irgendjemand nannte mal die repräsentative Demokratie „eine Demokratie ohne Demokratie“. Das Parteiensystem verkrustet schneller, als man schauen kann. Es ist extrem schwer, eine neue Partei zu etablieren, was auch an der 5%-Hürde liegt. Der Oligarchie gefällt das.
Es gibt einen einzigen Ausweg: Die Bürger müssen die Möglichkeit bekommen, über Sachfragen abzustimmen, wie in der Schweiz. Das aber nützt nur etwas, wenn wir die Medien haben, die eine Demokratie unbedingt braucht und die die Bürger umfassend und objektiv über das Sachthema informiert. Die Mainstreammedien in Deutschland gehören 10 Milliardärsfamilien. In den Öffentlich-Rechtlichen dominieren die Parteien, die Kirchen und andere mächtige Interessensgruppen.
Das zu ändern wird alles andere als leicht sein. Aber immerhin es wäre eine Hoffnung, für die es zu kämpfen lohnt.