Demanzipation zwischen Geschrei und Geschäft

Demanzipation zwischen Geschrei und Geschäft

Was ist bloß aus euch öffentlichen Frauen geworden? Nennt ihr das Emanzipation?  Zwischen Charity Gefasel und ach so neuem Körperbewusstsein mal ein wenig so tun als ob? 

Von Serdar Somuncu
Ist das ganze Thema nur ein weiterer Baustein in einer Kette fast peinlicher Selbstvermarktung auf Kosten einer ganzen Generation von Kämpferinnen für die Rechte der Frauen? Oder habt ihr Promifrauen tatsächlich immer nur dieselben Standardphrasen auf Lager, wenn man euch fragt, ob Emanzipation heute mehr bedeutet als nur zu seinen Problemzonen zu stehen und auch mal Lust auf ein Bier aus der Flasche zu haben?

Fragt euch doch mal lieber, ob eine von euch Repräsentantinnen des medialen Geschlechterkampfs jemals ein Buch von Simone de Beauvoir gelesen hat, Hildegard von Bingen, Jeanne D'Arc oder Marie Curie und Rosa Luxemburg kennt und ob ihr wisst, dass Mata Hari mehr als nur eine Tänzerin war? Fehlanzeige. Warum auch? Wissen worüber man spricht ist anstrengend, wenn es genug Leute gibt die das, was man sagt für bare Münze nehmen. Hauptsache jung, selbstbewusst und prominent.  Dann schon eher Beyoncé und Taylor Swift anhimmeln, als Ikonen einer neuen Generation von Powerweibern.

Es gehört heute offensichtlich zum Standardvokabular der Mittdreißiger Karrierefrauen mindestens einmal so zu tun, als seien sie Vertreterinnen der modernen Frauenbewegung, bloß weil sie bei jeder zweideutigen Zote von Sexismus sprechen und ständig Gleichstellung mit Gleichberechtigung verwechseln. 

Der Feminismus heutiger Tage ist zur oberflächlichen Attitüde eines verkaufsträchtigen Girlie Mythos mutiert. Eine starkes Vorbild für Frauen sein zu wollen, bedeutet heutzutage vor allem, möglichst aufdringlich für ihre Rechte zu streiten. Auch, wenn man Frauenrechte nicht einmal genau definieren kann. 

Dabei besteht der Kampf um die eigenen Rechte mindestens zur Hälfte aus ernsthafter Auseinandersetzung. Die Frau, die sich heute finden will, hat es nämlich nicht so leicht wie die Glamourtussis, die mit dem kurzen schwarzem über den Teppich der Events stakseln, um zwischen Champagner und Häppchen über ihr schweres Los zu klagen und der geifernden Journaille etwas vom Leid der Mädchen in der dritten Welt ins Mikrofon zu rülpsen. 

Zwischendurch mal umdrehen, Pose für die Fotografen und Namen des Designers nennen. Jedes Mädchen träumt doch davon, einmal Prinzessin zu sein. 

Emanzipation ist von der leidenschaftlichen Auseinandersetzung zwischen den Geschlechtern zum Marketingtool geworden. Agenturen organisieren Wohltätigkeit. Und das blöde ist, die meisten Frauen machen diesen Mist auch noch mit und leisten ihrem Anliegen so einen Bärendienst. 

In Wirklichkeit gäbe es eine Menge zu tun. Man müsste den Krasavices, Schönebergers, Katzenbergers und Amanis verbieten, ihr mühsam erstrittenes Recht auf Respekt und Würde für einen My an inflationärer Selbstdarstellung zu verschachern. 

Man müsste RTL 2 für ein zutiefst menschenverachtendes Format wie "Naked Attraction" vor den internationalen Gerichtshof für Menschenrechte stellen und man müsste die allgegenwärtige Flut an Internetpornografie einschränken, sich mindestens um faire Arbeitsbedingungen am Filmset kümmern, für die Rechte von zahlreichen Prostituierten die schutz- und rechtlos arbeiten eintreten, Bildungschancen verbessern, junge Mütter unterstützen, Frauen zwischen Beruf und Familie fördern und ein für allemal Dünnschiss labernde FlachzangInnen aus der der Öffentlichkeit verdammen. 

Stattdessen findet die Emanzipation heutiger Tage irgendwo als Nische zwischen Markus Lanz Talk und Galareportage statt und warum Femen nackt sein müssen, hat mir auch noch keiner erklärt.

16.07.24
©Serdar Somuncu
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*Serdar Somuncu ist Schauspieler und Regisseur
Kommentare
  • Christine Toma
    25.08.2024 22:02
    Wieder mal ein toller Text, danke dafür. Ich wollte dem Autor -aus gg.Anlass - noch einen Doku-Tipp geben: "Europas Muslime", ein 2-Teiler mit Hamed Abdel-Samad und Nazan Gökdemir, zu finden auf Youtube bei gbs Koblenz. Der Film ist schon ein paar Jahre alt, aber aktueller denn je. Eine Reise durch Deutschland, Belgien, Frankreich und Spanien, in der ausschließlich muslimische Menschen bzw. Perspektiven zu Wort kommen. Abdel-Samad lebt übrigens mittlerweile im Libanon, da er dort - anders als in Deutschland - keinen Personenschutz mehr benötigt. Sein aktuelles Buch ist dort 2023 auf Arabisch erschienen und wird unter arabischen Intellektuellen als ein Werk der Aufklärung gefeiert.
  • 17.08.2024 11:24
    Als Frau hinter der Bühne, jenseits des Roten Teppichs fühle ich mich wenig repräsentiert von dem Emanzenaufmarsch in der Öffentlichkeit.

    Wegbereiterinnen der ersten und zweiten Generation der Emanzipationsbewegung würden sich angesichts des Spektakels verwundert die Augen reiben oder sich gar angewidert abwenden.

    Die ständige Ignoranz der unterschiedlichen Bedeutung von. Gleichberechtigung und Gleichstellung ist mir ein Dorn in meinem altersweitsichtigen Auge. Wem nützt denn Gleichstellung? Sie diskreditiert Frauen und diskriminiert Männer.
    Emanzipierte Frauen möchten die Opferrolle, die ihnen von den woken Teppichtusneldas zugedachtt ist, nicht besetzen.

    Wenn also die "Bemühungen' der GenZ und jungebliebener Alt-Emanzen den Frauen nicht nutzen, drängt sich mit der Gedanke auf, es handle sich hier um gnadenlose Selbstdarstellung zum eigenen Vorteil.

    Da ich aber selbst der Boomer Generation angehöre, steht mir diese Überlegung nicht zu. Entschuldigung!!
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