Loose Your Illusion !

Use Your Illusion I und II waren die erfolgreichsten Platten der Guns N´ Roses. Loose Your Illusion möchte man der deutschen Öffentlichkeit zurufen. In einem Sommer, in dem sie erkennen muss, dass nichts so ist, wie es scheint. Allen voran die Olympioniken. Frankreich hatte zweifelsohne die schönsten Olympischen Spiele seit der Antike aufgeboten. Doch Deutschland spielte nicht mehr ganz vorne mit, obwohl dies eigentlich in Art. 1 der Olympischen Charter festgeschrieben steht. Warum ist das so? Gerade einmal 20.000 Euro für eine Goldmedaille und Sportkommentatoren, denen offensichtlich Fachkenntnis fehlen - diese beiden Fakten sprechen Bände. In einer Fußballnation fehlt schlichtweg die Anerkennung und das Interesse für großartige Leistungen außerhalb der Bundes- oder Kreisliga.

Die ehemalige Bahnradfahrerin Kristina Vogel hatte eine Million Euro Prämie pro Goldmedaille gefordert. Diese simple Forderung bringt genau auf den Punkt, was fehlt: Die Athletinnen und Athleten erbringen ihre Höchstleistungen nicht für Geld - aber Geld würde die Wertschätzung für das einzigartige Geschenk ausdrücken, welches sie uns geben. Dies würde auch zugleich die Gesellschaft vor die Frage stellen, ob wir Höchstleistungen als selbstverständlich annehmen - oder wir sie uns weiterhin leisten und wirklich ,,honorieren" wollen. Umso mehr, als dass Sportlerkarrieren zumeist kurz sind. Übrigens: Die 20.000 Euro werden nicht nur versteuert, sondern es gibt sie nur für die erste Goldmedaille. Wir wollen doch nicht übertreiben - und für die zweite Goldmedaille gilt die alte hanseatische Weisheit: ,,Abwesenheit von Kritik ist das größte Lob."
Vorbildlich in dieser Hinsicht war die Außenministerin: Die Kritik an ihren Stunts mit der Flugbereitschaft - mal eben von Frankfurt nach Luxemburg durch die Nacht fliegen - kommentierte sie nonverbal: Indem sie gekonnt und ganz dem olympischen Gedanken entsprechend auf einem Trampolin Salti sprang. Das hätte Hans-Dietrich Genscher nicht hinbekommen, er wäre vielmehr in den 70ern beinahe einmal im Dienst ertrunken. Ganz anders die Außenministerin: Vielleicht wollte sie mit dem Auftritt andeuten, dass sie nicht am Amt klebt - und es sich vorstellen kann in Los Angeles Deutschland bei den Trampolinwettbewerben zu vertreten. Tja, wenn du willst, dass etwas gut wird, dann mach es selbst. Mit 4.990 Euro Ruhegehalt nach vier Amtsjahren könnte sie es sich immerhin leisten.

Aber auch sie hat uns eine Illusion geraubt: 136.500 Euro kostetet ihr 24/7 Visagist im Jahr 2022. Dafür müssten 7 Gold-Olympiateilnehmer schon ihre Prämien zusammenlegen. Zugegeben, von dem Vergleich mit dem ,,Totengräber", wie die Ministerin ihre ungeschminkte Alternative bezeichnete, hätten kompetente Redenschreiberinnen und Redenschreiber sicher abgeraten. Stattdessen hätte sie Altmeister Loriot in seinem Sketch ,,Der Maskenbildner" zitiert: ,,Wenn die Edith glänzt wie eine Speckschwarte, wer ist es dann wieder gewesen?" Fernsehgesichter sehen also nicht von allein so fotogen aus nach zwei Interkontinentalflügen? Angela Merkel wusste sich im rechten Moment zu helfen und engagierte den ehemaligen Coiffeur von Ulrike Meinhof und Marlene Dietrich - Udo Walz. Eine nicht ganz unbedeutende, zumindest keine falsche, Entscheidung auf dem Weg zur mächtigsten Frau der Welt. Aber ist nicht alles eine kleine Illusion auf dem politischen Parkett:
Mitten im nur von Olympia geminderte Sommerloch zogen mehrere Verkehrsflugzeuge ihre Kreise durch den blauen Himmel. Darin Gefangene, die zur Verwunderung der deutschen Öffentlichkeit auf Grundlage von Verhandlungen mit Russland ausgetauscht wurden. Aber wie konnte dies geschehen, wenn wir alle doch in den letzten, schweren Jahren gelernt haben, dass niemals und unter keinen Umständen mit Russland verhandelt wird? Tja, scheinbar, weil auch dies nicht stimmt. Zum Glück. Denn aus völkerrechtlicher Sicht gibt es keinen Konflikt, in dem Verhandeln keine Option ist - und keinen Konflikt, der nicht in Verhandlungen endet.
Was also kostet eine Goldmedaille, ein Make-Up oder die Freiheit? Friedrich der Große hat im Winter des Jahres 1754 nach seiner Schatullenrechnung 400 Taler für Kirschen ausgegeben, bei 3 Taler pro Kirsche dürften es 133 Stück gewesen sein. Aufwändig, in mehrfach verglasten Gewächshäusern zusammen mit Bananen und Ananas (sic!) nur für den (noch nicht) Alten Fritz gezogen, entsprach dies dem sagenhaften Gegenwert von 4.822 Kilogramm Brot. Der bodenständige, niemals die Uniform wechselnde Alte Fritz - war er etwa auch eine Illusion? Was denn sonst. Loose Your Illusion.


14.08.2024
Alexander Kira hat über internationalen Menschenrechtsschutz provomiert und ist Jurist, Moderator und Kabarettist. Er lebt und schreibt im Herzen von Berlin.