Die spinnen, die Türken!
Das Spektakel ist vorbei. Der kurze Rausch der türkischen Fans zum Erfolg ihrer Nationalmannschaft bei der Fußball-Europameisterschaft ist verflogen und was übrig bleibt, ist ziemlich schlechte Stimmung und eine Menge versteckter Vorbehalte, die ans Tageslicht kommen.
Von Serdar Somuncu
Von Serdar Somuncu
Nehmen wir es vorweg: Die Geste des türkischen Spielers Merih Demiral, beim 2:1 Sieg der Türkei gegen Österreich war eine Schande und ein Bärendienst für das friedliche Zusammenleben der Menschen in Europa. Der Wolfsgruß hatte nämlich nichts damit zu tun, dass damit eine harmlose Freude über ein gewonnenes Fußballspiel zum Ausdruck gebracht werden sollte, sondern es war Zeichen eines nationalistischen Ungeists, der vor der ganzen Welt Stolz demonstrieren sollte, und das am Jahrestag des fundamentalistischen Brandanschlags auf ein alevitisches Kulturfestival 1993 in Sivas, bei dem 35 Menschen ums Leben kamen. Den türkischen Nationalisten ist es offensichtlich egal, ob und wie dieses Zeichen in Deutschland und der Welt gedeutet wird. Mehr noch als das. Vielleicht sollte es sogar verstanden werden als Ausdruck des türkischen Nationalstolzes und damit etwas auslösen, was dem der Anliegen der Türken mehr schadet, als nützt. Denn seit der Diskussion um das Fingerzeichen des türkischen Nationalspielers brechen im Internet und nicht nur dort alle Dämme.
Türkenfeinde und Ausländerhasser finden sich bestätigt in der Annahme, dass die in Deutschland und Europa lebenden Türken nicht integrationswillig sind und es in Wirklichkeit nur darauf angelegt haben, ein Doppelleben zu führen, das Ihnen auf der einen Seite, die Vorteile der westlichen Zivilisation garantiert und auf der anderen Seite die türkische Identität bewahrt. Niemand weiß das besser zu nutzen als der türkische Staatspräsident Tayyip Erdogan, der natürlich sofort, angelockt von der Debatte angereist kam, um dort sich und das halbwegs sichtbare Gesicht seiner Frau zu zeigen, gefolgt von einer Eskorte von altgedienten Freunden und Vorzeigesportlern, wie den seit längerem abgedrifteten deutschen Ex-Nationalspieler Mesut Özil. Es war klar, dass die türkischen Zuschauer, die mehrheitlich aus konservativen und reaktionären Wählerschichten stammen, sich die Kritik und das Verbot der UEFA nicht bieten lassen würden und daher weiter provozieren, statt Einsicht zu zeigen und zu argumentieren. Denn das Zeigen eines politischen Symbols ist nicht erst seit dem Türkei Spiel gegen Österreich ein Problem im Fußball. Ob es der albanische Adler ist, den der Kapitän der Schweizer Nationalmannschaft Shakiri gezeigt hat, der Tauhid-Finger des deutschen Abwehrspielers Rüdiger oder die unfassbare Geste des serbischen Nationalspielers Dusan Tadic, die dazu auffordert, bosnischen Menschen die Finger abzuhacken, schon seit längerem ist der Fußball eine Projektionsfläche für Nationalismus und Extremismus geworden, der leider viel zu selten und wenn überhaupt, dann nur halbgar registriert wird.
So fragt man sich, warum die Geste der deutschen Nationalmannschaft in Katar nicht genauso diskutiert wurde, wie das angebliche Zeigen von Toleranz der Regenbogenfarben in der Kapitänsbinde. In jedem Stadion hängen große Banner, auf denen steht, dass man für Respekt und Toleranz wirbt. Aber wenn es darauf ankommt, sind diese Begriffe sehr vergänglich und bleiben Ansichtssache. Denn während der Kampf um Gleichberechtigung in der LGBTQ Kommune durchaus berechtigt, auch auf der internationalen Bühne des Fußballs ausgetragen werden kann, versucht man zu verbieten, das Extremisten ihre Anliegen ebenfalls in die Stadien tragen, obwohl man zuvor durch sein eigenes inkonsequentes Verhalten förmlich dazu eingeladen hat. Dass diese Methode der Agitation auf öffentlicher Bühne stattfinden kann, ist nicht nur ein Merkmal des Fußballs. Auch die Gesangswettbewerbe des Eurovision Song Contests der letzten Jahre haben immer wieder gezeigt, dass es sich bei diesem angeblich unpolitischen Wettbewerb um nichts anderes handelt, als um einen politischen Wettbewerb, indem es nicht um die Qualität von Musik oder Texten geht, sondern nur um die Demonstration irgendwelcher Haltungen, die je nach politischer Lage versehen, mit Kitsch und Pathos in die Welt hinaus posaunt werden, ohne dass man sich dabei an seine eigenen Grundsätze erinnert.
So war es auch in diesem Jahr, als eine große Mehrheit der Teilnehmer beklagte, dass die israelische Teilnehmerin Auftrittsrecht bekam, weil sie angeblich aus einem Land käme, in dem es politische Verbrechen zu beklagen gibt, während auf der anderen Seite in den vergangenen Jahren immer wieder auch Regime unterstützt wurden und den Wettbewerb sogar gewonnen haben, deren Ideologie mehr als fragwürdig ist und daher nichts in einem solchen Zusammenhang zu suchen haben.
Das Fazit, dieser vielen Aspekte und ihre Zusammenfassung bleibt, dass wir es wohl in Zukunft nicht verhindern werden, dass diese Ereignisse missbraucht werden. Aber zumindest können wir etwas dagegen tun, dass wir uns dazu verleiten lassen, gesellschaftliche Debatten auf einer solchen Ebene zu führen und dabei zu übersehen, wie die Radikalen diese Debatten ausnutzen, um darin ihre Thesen zu verstecken und einen Angriff auf unsere Konstitution zu wagen. Denn niemand kann ernsthaft behaupten, dass es sich bei den Zuschauern in den Stadien um eine repräsentative Mehrheit, der in Deutschland lebende Türken handelt, genauso wenig wie auch niemand behaupten kann, dass Sänger und Sängerinnen auf dem Eurovision Song Contest die Kultur ihres Landes vertreten. Es ist nichts anderes als die Kommerzialisierung von Klischees mit einem nationalistischen Unterton, der von vielen dazu als Anlass genommen wird, sich und ihren fragwürdigen Patriotismus zu feiern. Dass sich dabei Dinge vermischen und nicht immer klar auseinander zu halten sind, besonders in einer Gesellschaft, die von Oberflächlichkeit lebt, führt dazu, dass auch die Symbolik von faschistischen oder reaktionären Organisationen in die Aufmerksamkeit der Bevölkerung schleicht. Wenn wir uns davon anstacheln lassen, sind wir die ersten, die den Verführen in die Falle gehen und das wäre viel mehr Erfolg, als irgendeine Nationalmannschaft der Welt erreichen kann.
08.07.24
©Serdar Somuncu
Aktuelles Programm ,,Seelenheil" jetzt downloadbar in Shop
*Serdar Somuncu ist Schauspieler und Regisseur
Türkenfeinde und Ausländerhasser finden sich bestätigt in der Annahme, dass die in Deutschland und Europa lebenden Türken nicht integrationswillig sind und es in Wirklichkeit nur darauf angelegt haben, ein Doppelleben zu führen, das Ihnen auf der einen Seite, die Vorteile der westlichen Zivilisation garantiert und auf der anderen Seite die türkische Identität bewahrt. Niemand weiß das besser zu nutzen als der türkische Staatspräsident Tayyip Erdogan, der natürlich sofort, angelockt von der Debatte angereist kam, um dort sich und das halbwegs sichtbare Gesicht seiner Frau zu zeigen, gefolgt von einer Eskorte von altgedienten Freunden und Vorzeigesportlern, wie den seit längerem abgedrifteten deutschen Ex-Nationalspieler Mesut Özil. Es war klar, dass die türkischen Zuschauer, die mehrheitlich aus konservativen und reaktionären Wählerschichten stammen, sich die Kritik und das Verbot der UEFA nicht bieten lassen würden und daher weiter provozieren, statt Einsicht zu zeigen und zu argumentieren. Denn das Zeigen eines politischen Symbols ist nicht erst seit dem Türkei Spiel gegen Österreich ein Problem im Fußball. Ob es der albanische Adler ist, den der Kapitän der Schweizer Nationalmannschaft Shakiri gezeigt hat, der Tauhid-Finger des deutschen Abwehrspielers Rüdiger oder die unfassbare Geste des serbischen Nationalspielers Dusan Tadic, die dazu auffordert, bosnischen Menschen die Finger abzuhacken, schon seit längerem ist der Fußball eine Projektionsfläche für Nationalismus und Extremismus geworden, der leider viel zu selten und wenn überhaupt, dann nur halbgar registriert wird.
So fragt man sich, warum die Geste der deutschen Nationalmannschaft in Katar nicht genauso diskutiert wurde, wie das angebliche Zeigen von Toleranz der Regenbogenfarben in der Kapitänsbinde. In jedem Stadion hängen große Banner, auf denen steht, dass man für Respekt und Toleranz wirbt. Aber wenn es darauf ankommt, sind diese Begriffe sehr vergänglich und bleiben Ansichtssache. Denn während der Kampf um Gleichberechtigung in der LGBTQ Kommune durchaus berechtigt, auch auf der internationalen Bühne des Fußballs ausgetragen werden kann, versucht man zu verbieten, das Extremisten ihre Anliegen ebenfalls in die Stadien tragen, obwohl man zuvor durch sein eigenes inkonsequentes Verhalten förmlich dazu eingeladen hat. Dass diese Methode der Agitation auf öffentlicher Bühne stattfinden kann, ist nicht nur ein Merkmal des Fußballs. Auch die Gesangswettbewerbe des Eurovision Song Contests der letzten Jahre haben immer wieder gezeigt, dass es sich bei diesem angeblich unpolitischen Wettbewerb um nichts anderes handelt, als um einen politischen Wettbewerb, indem es nicht um die Qualität von Musik oder Texten geht, sondern nur um die Demonstration irgendwelcher Haltungen, die je nach politischer Lage versehen, mit Kitsch und Pathos in die Welt hinaus posaunt werden, ohne dass man sich dabei an seine eigenen Grundsätze erinnert.
So war es auch in diesem Jahr, als eine große Mehrheit der Teilnehmer beklagte, dass die israelische Teilnehmerin Auftrittsrecht bekam, weil sie angeblich aus einem Land käme, in dem es politische Verbrechen zu beklagen gibt, während auf der anderen Seite in den vergangenen Jahren immer wieder auch Regime unterstützt wurden und den Wettbewerb sogar gewonnen haben, deren Ideologie mehr als fragwürdig ist und daher nichts in einem solchen Zusammenhang zu suchen haben.
Das Fazit, dieser vielen Aspekte und ihre Zusammenfassung bleibt, dass wir es wohl in Zukunft nicht verhindern werden, dass diese Ereignisse missbraucht werden. Aber zumindest können wir etwas dagegen tun, dass wir uns dazu verleiten lassen, gesellschaftliche Debatten auf einer solchen Ebene zu führen und dabei zu übersehen, wie die Radikalen diese Debatten ausnutzen, um darin ihre Thesen zu verstecken und einen Angriff auf unsere Konstitution zu wagen. Denn niemand kann ernsthaft behaupten, dass es sich bei den Zuschauern in den Stadien um eine repräsentative Mehrheit, der in Deutschland lebende Türken handelt, genauso wenig wie auch niemand behaupten kann, dass Sänger und Sängerinnen auf dem Eurovision Song Contest die Kultur ihres Landes vertreten. Es ist nichts anderes als die Kommerzialisierung von Klischees mit einem nationalistischen Unterton, der von vielen dazu als Anlass genommen wird, sich und ihren fragwürdigen Patriotismus zu feiern. Dass sich dabei Dinge vermischen und nicht immer klar auseinander zu halten sind, besonders in einer Gesellschaft, die von Oberflächlichkeit lebt, führt dazu, dass auch die Symbolik von faschistischen oder reaktionären Organisationen in die Aufmerksamkeit der Bevölkerung schleicht. Wenn wir uns davon anstacheln lassen, sind wir die ersten, die den Verführen in die Falle gehen und das wäre viel mehr Erfolg, als irgendeine Nationalmannschaft der Welt erreichen kann.
08.07.24
©Serdar Somuncu
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*Serdar Somuncu ist Schauspieler und Regisseur
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Die Mehrheit, von politisch-gesellschaftlich- religiösen Zeichen die Nase voll hat, wird leider weiterhin von diesen Leuten belästigt, die gute Stimmung verhagelt. Dass der türkische Präsident anreist, ließ das ganze zu einer Posse werden. Genauso wie der
peinlich jubelnde Macron bei der WM in RU, der teilsnästhesierte Scholzomat auf der Tribüne, die Merkel in der Kabine.
Bleibt bitte alle bei Euren Angelegenheiten, Büros, Palästen, flaggentapezierten Hütten usw. wir wollen zusammen feiern, egal ob Türke, Serbe, Deutscher oder was weiß ich… Geht auf ne andere Party.
Dennoch gibt es auch Menschen, die einfach ein schönes Fußballfest wollen und mit aggressivem, fanatischem, rassistischem Verhalten von bestimmten Personen und Gruppen belästigt werden. Das ist für Sportbegeisterte einfach ziemlich traurig.