Es sind auch unsere Toten

Es sind auch unsere Toten

Zwei Jahre lang dauert nun schon der Krieg in der Ukraine und mittlerweile sprechen wir kaum noch darüber. Dabei muss noch vieles gesagt werden. Vor allem aber bleibt festzustellen, dass viele, die am Anfang noch ziemlich klar davon ausgingen, dass sie diesen Krieg gewinnen können, sich geirrt haben. Heute muss man ihnen sagen, dass es auch ihre Toten sind, die dort sterben.
Von Serdar Somuncu
Seltsam still ist es geworden um die Fraktion derer, die so überzeugt davon waren, dass man Putin durch immer mehr Waffenlieferungen in die Knie zwingen müsse. Keine Kolumnen mehr und keine Verunglimpfung. Nur noch eisernes Schweigen ohne Erkenntnis. Dabei würde man gerade jetzt gut daran tun, umzuschwenken und endlich dem Pazifismus eine Chance zu geben. Auch Verhandlungen sind nach wie vor die bessere Lösung. Aber davon scheinen wir weit entfernt zu sein. Denn die intellektuelle Oberschicht in Deutschland hat sich in die Vorstellung verliebt, einen Krieg gegen Russland zu führen. Die bedingungslose Treue zur Ukraine ist nichts anderes als ein wertloser und verlogener Fahneneid, der vielmehr mit der eigenen Eitelkeit zu tun hat, als mit der Solidarität gegenüber einem geschundenen Volk. Die Anteilnahme mit dem Underdog war Teil einer Popkultur. Ihre Codewörter, wie die vom ,,brutalen Angriffskrieg", bis hin zu den ,,verschleppten Kindern" und ,,vergewaltigten Frauen", den ,,Massakern" und den gescheiterten Verhandlungen sind in der Kakophonie der medialen Aufarbeitung verpufft. Sie scheinen wertlos, seitdem feststeht, dass ein Krieg nicht durch beharrlich repetierte Formulierungen entschieden wird, sondern entweder durch militärische Übermacht oder durch Diplomatie. Beides ist gescheitert.
Der Glaube daran, dass die westlichen Mächte ihre vollmundigen Versprechungen gegenüber der Ukraine wahr machen würden, war ein Trugschluss. Von der Einladung in die europäische Union, bis zur Aufnahme in die NATO, war alles nichts anderes als ein scheinheiliges Manöver des Westens, dessen wahre Absicht darin lag, die eigenen Märkte und Einflussbereiche zu erweitern.

Dem Westen ist es nie darum gegangen, die Ukraine zu verteidigen, sondern von Anfang an ging es nur darum, Macht gegenüber Russland zu demonstrieren. Man hätte das sehen können und vielleicht hätte man damit viel Schaden verhindert. Nun aber stehen wir vor einem Scherbenhaufen. Nicht nur innenpolitisch sind viele Dinge im Argen, sondern auch außenpolitisch agiert unsere Regierung weiter kopf und planlos. Sie hält lieber weiter ihr Narrativ des heldenhaften Kampfes um unsere Werte aufrecht, als endlich zur Besinnung zu kommen und realistische Vorschläge zur Bewältigung des Konfliktes zu machen. Und diese können nur Friedensverhandlungen bedeuten. Mehr noch: Je länger sie an ihrer absurden Haltung festhält, umso mehr verrennt sie sich in fadenscheinigen Begründungen und zynischen Durchhalteparolen. Die Zeit für eine Rückkehr zur Vernunft wird knapp.

Denn die Menschen vertrauen mehr und mehr den leeren Versprechungen der Populisten, als dass sie den Ausreden der regierenden glauben. Gestiegene Energiepreise, rasende Inflation, Zuwanderung und sozialer Notstand. Das ist die spürbare Realität hinter diesem sinnlosen Krieg. Und er schadet vor allem dem eigenen Volk. Dass dieses Dilemma nicht nur in eine Einbahnstraße führt, sondern auch einen Keil zwischen die vernünftigen Teile der Gesellschaft treibt, ist eindeutig und deutlich zu spüren in der Art, wie Diskussion geführt werden, aber auch darin, wie die Hoheit über bestimmte Themen immer häufiger bei den Radikalen landet. Der Schiffbruch, den diese Regierung in ihrer bedingungslosen Treue zu Ukraine erlitten hat, wird dazu führen, dass es in den nächsten Jahren noch schwieriger werden wird, einen Konsens darüber zu finden, welche Position Deutschland in zukünftigen Konflikten einnimmt. Bleibt es Teil einer größtenteils orientierungs- und führungslosen europäischen Gemeinschaft und zerreibt es sich zwischen den Vorgaben und Entscheidungen aus Brüssel und Washington oder spielt es gar eine Sonderrolle? Beides wäre für Deutschland eine schwierige Gratwanderung, ohne die Wiederaufnahme zumindest neutraler Beziehungen zu Russland.

27.02.24
©Serdar Somuncu
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*Serdar Somuncu ist Schauspieler und Regisseur
Kommentare
  • Jann Petersen
    27.03.2024 23:13
    Hallo Herr Somuncu,
    ich stimme voll und ganz zu. Eine Frage hätte ich: Welches Angebot seitens der Ukraine sollte Ausgangspunkt von Friedensverhandlungen sein? Also auf was konkret sollte die EU hinwirken?
  • 28.02.2024 13:16
    Lieber Herr Somuncu,

    Herzlichen Dank für Ihre mutige und kompromisslose Meinungsäußerung zum Ukraine-Krieg. Zum Glück stehen Sie nicht mehr im Rampenlicht, denn sonst könnten Sie Derartiges sicher nicht schadlos äußern. Inhaltlich bin ich nicht ganz Ihrer Meinung, aber vielleicht liegt das auch daran, dass Sie um der Deutlichkeit willen bewusst etwas vereinfachen. Ich möchte trotzdem meinen (kleinen) Einwand anbringen:

    Deutschland bemüht sich zwar um das Narrativ einer einheitlichen „westlichen“ Postion, doch scheint mir diese Einheitlichkeit ebenso konstruiert wie die der „demokratischen“ Ukraine, die man gegen „Putins Krieg“ verteidigt. Wenn Sie also schreiben, die „wahre Absicht“ des Westens liege darin, „Märkte und Einflußbereiche“ zu erweitern, ist mir diese Aussage zu pauschal, um sie unterschreiben zu können – auch wenn sie so vielleicht besser verdeutlicht und provoziert.

    Ich persönlich vermeine in den USA und in Europa völlig verschiedene Interessenlagen zu erkennen, und auch innerhalb der EU sehe ich Unterschiede. Diesbezüglich habe ich mich noch nicht von dem Schock erholt, dass mir die unverkennbaren wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen der USA, aber auch das machtpolitische Taktieren Frankreichs, mittlerweile sympathischer und weitaus ungefährlicher erscheinen als der deutsche Idealismus. Ich fürchte, Sie tun den meisten Deutschen, und auch der Bundesregierung, Unrecht, wenn Sie an deren aufrechten Kampf für Moral, Recht und Ordnung zweifeln. Nur – das wäre weitaus schlimmer, als wenn Sie recht hätten.

    Dass Habeck, Baerbock und Scholz wirklich glauben, was sie sagen, das macht mir am allermeisten Angst. Ich glaube, Deutschland nimmt eine ganz besondere Rolle in diesem Konflikt ein, weil die deutsche Politik nicht nur vorgeblich Freiheit und Demokratie vor dem Bösen rettet, sondern das wirklich glaubt. Während die USA und Russland wirtschaftlich gewinnen, ruiniert sich Deutschland – für ein moralisches Ideal.

    Ein strategisches Vorgehen im eigenen Interesse geht der deutschen Politik ab. Die Politik soll „gut“, „gerecht“ und jetzt auch „feministisch“ sein. Das ist nicht per se falsch: Eine moralisch motivierte Politik könnte durchaus ihren Platz in der Weltpolitik beanspruchen, aber nur dann, wenn sie zur moralischen Technik heranreift. Wenn man also nicht nur anprangert: Putin bringt so und so viele Menschen um, sondern dann hinzufügt: Wie also müssen wir uns verhalten, damit Putin das eben nicht tut? Damit nicht so viele Menschen sterben müssen?

    An dieser Stelle zeigt sich, wie es um die deutsche Moral-Politik wirklich bestellt ist. Denn das Sterben verhindern, soweit möchte man dann doch nicht gehen, weil man ja dann die Existenz des „Bösen“ akzeptieren und mit ihm umgehen müsste. Die Moral reicht deshalb nur so weit, die eigene Erhabenheit im Geiste herauszustellen – auch wenn die eitle Selbstbeschau dann hunderttausende Menschenleben kostet. Das ist m.E. die eigentliche Schuld Deutschlands in diesem Konflikt. Diese Schuld wiegt viel, denn die Deutschen waren zuletzt fast noch die Einzigen, die ohne eigenen Interessen zu schaden noch die meisten Optionen hätten wählen, und daher den Krieg vor wenigen Jahren hätten abwenden können – dazu fehlte aber der deutschen Moral schlichtweg die Ehrlichkeit.

    Herzliche Grüße
    Johannes Mosmann
  • Eric Steinborn
    27.02.2024 21:36
    Lieber Serdar,
    danke für diesen Text. Leider habe ich deine Arbeit viel zu spät angefangen zu verfolgen und konnte nur zu deinem letzten Programm kommen. Ich habe es geliebt und war selten so beeindruckt wie ein Mensch es schafft eine fast nackte Bühne alleine so zu bespielen wie du. Ich hoffe wir hören hier noch öfter von dir, ich hoffe deine Arbeit dauert noch etwas an, mein Kind wird sie sicher früher kennen lernen als ich.
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