Europa flippert
In England gewinnt Labour im berühmten Erdrutsch. Macron geht mit zerschlagener Visage aus seinem Experiment. Holland verzichtet einfach komplett auf Demokratie und macht irgendwas. Derweil stottert sich in Übersee ein ehemals mächtiger Mann um seinen Kopf, der schön schlank aus seinem Kragen ragt. Der Allmachtsclown steht daneben und wundert sich, wie dusselig seine Gegner sind. Und Julian erzählt uns, was wir gerne hören wollen. Bleibt das jetzt so, fragt sich Kai Blasberg?
Seit langer Zeit frage ich mich: haben alle so wenig Ahnung von Frankreich wie ich? Ich meine, ich fahre Jahr um Jahr da durch, wenn ich mit Gattin und Pudeln nach Spanien juckel. Und ja, die Autobahnen sind zwei Klassen besser als die der Deutschen. Wegen Privatisierung und so. Kostet aber auch ordentlich. Ich weiß, dass es Macron gibt, den ich mal grandios und dann wieder extrem arrogant finde. Und der heute zurückgetretene Premier schwul ist. Davor war es eine Frau, deren Namen ich nicht kenne. Eine andere Frau, sie heißt Le Pen, kennt man, weil sie wegen ihres Vaters schon immer da war und sie immer nicht gewinnt, wenn alle sagen, jetzt würde sie es. Quasi der BVB unter den Politiker*innen. Dann gibt es Baguette, Rotwein, Käse, Mbappé. Der hatte sich politisch geäußert und ist wohl der eigentliche Grund für diese Kolumne heute. In Paris war ich immer gerne. Es ist doch erfrischend anders als jede andere Kapitale. Die Sprache? Nun ja. Bis zehn zählen kann ich. Wir alle sind davon ausgegangen, dass wir heute Mittag den Rechtsrutsch-Grusel weiter genießen dürfen; und jetzt das. Wählt der Jean-Pierre doch glatt das Unerwartete. Zwei Drittel derer, die wählen dürfen, wählen. Was in Deutschland Erosion heißt, ist in Frankreich Rekordbeteiligung. Von diesen zwei Dritteln, wählen zwei Drittel nicht Rechtsradikale. Oder sollte ich sagen: Rechtsextremisten? Es gehen einem die Worte aus. Da hilft auch kein Uli Wickert. Der ist jetzt echt alt, muss aber herhalten, weil frankophil. Er sagt aber auch Muselmann. Live bei phoenix. Die übertragen nach Schließung der Wahllokale und ich frage mich, warum wir weder bei den Engländern noch bei den Franzosen auch nur ein Winzigstes vom dem Interesse aufbringen, das bei uns eine US-Wahl ein Jahr vorher schon hervorruft.
Immer noch Care-Pakete im Herzen?
Vor ein paar Jahren hätten die Wahlergebnisse in Paris und London 70er-Jahre-Gefühle erzeugt. Dazu Polen, Schweden, und ja: auch Deutschland. Nominell haben wir eine progressive Regierung. Aber Sie merken: dieses Gefühl der ideologischen Überlegenheit will sich nicht mehr einstellen. Ideologien scheinen out. Ein vernünftiger Denker traut keiner der Bewegungen mehr die Kraft zu, wirklich etwas zu verändern. Liegt das etwa auch an uns Wählern? Trennen sich die Gesellschaften mittlerweile tatsächlich in letztlich zwei Lager: die die haben? Und die, die nicht haben. Und die auch nie etwas haben werden? Und dass diese Aussichtslosigkeit und das pure Vorhaben, einfach nur irgendwie durchzukommen, desillusioniert. Oder gehört es zur Wahrheit, dass uns Figuren wie Le Pen immer als Teufel an die Wand gemalt werden, damit alles bleibt, wie es ist. Zumindest für das Establishment. Denn sind wir einmal ehrlich: Madame hat ihren Zenit lange erreicht. Da scheint es selbst im revolutionsfreundlichen Frankreich nicht so viele Rechtsausleger zu geben, die nicht doch beizeiten eingehegt werden können. Die Uli Wickerts werden jetzt warnen vor einem Stillstand, weil Jean-Pierre Koalitionen nicht kennt. Und die Wände werden bis zur Wahl eines neuen Präsidenten*in wieder hochgezogen, auf die Teufel Marine gemalt werden kann. Gestern zeigte das Fernsehen Sommerinterviews, ein aus der Welt gefallenes Ritual einfallsloser Sendungsgefäße:
diesmal zwei Teufel. Der Malermeister aus Görlitz und die Bankerin aus Gütersloh. Nacheinander zur propperen Sendezeit durften sie ihre Lügen ins Volk kippen. Mehr oder weniger unwidersprochen. Denn auch im Jahr 11 der Menschenhasser der AfD fällt deutschen Journalisten nichts ein zu diesen Brandstiftern. Um im Bild zu bleiben: versucht es mal mit dem guten alten ,,Fighting fire with fire". Im Moment ist es Kickboxen gegen Karate.
Das machte man in Frankreich zunächst mal besser: es haben sich ALLE gegen Marine und ihre jugendlichen Schönling Jordan gestellt. Und die Demokraten haben gewonnen. Haushoch. Der Wähler kann es also. Jetzt sollte die Simulation mal ausprobiert werden. Beim französischen Fußball klappt das ja auch. Seit ewigen Zeiten hochgelobt bringen sie ihre Schönheit nicht auf die Märkte der Stadien. Sie tun nur so, als könnten sie. Gewinnen trotzdem alles. In fünf Spielen ohne eigenes Feldtor. Mit eiskalter Mine. Und Nasenschutz. Derweil sitzt der Jungspund Julian weinend auf Pressekonferenzen und versucht zu erklären, wie schön alles gewesen sei. Nimmt uns der Franzmann jetzt auch noch die Effektivität weg?
Bei der letzten Bundestagswahl haben wir naiven Schöngeister geschwärmt, dass jetzt in der Ampel das Beste der Sozialdemokratie, der Öko-Bewegung und des bürgerlichen Liberalismus zusammenflösse. Ein linksliberales Frankreich, ein arbeiterbewegtes England und das Rot-grün-gelbe Deutschland wären eine ,,entende raison", ein Bündnis der Vernunft, das Europa zu echten Partnern dieser aus dem Ruder laufenden Welt machen könnte.
,,Die Botschaft hör' ich wohl, alleine, mir fehlt der Glaube".
Lassen Sie mich doch einmal Goethe zitieren. Und der Parität zuliebe den französischen Philosophen Blaise Pascal: ,,Die Gegenwart ist nie unser Zweck; die Vergangenheit und die Gegenwart sind unsere Mittel; die Zukunft allein ist unser Zweck." Das schreit nach dem Engländer John Locke: ,,Die Stärke unserer Überzeugung ist kein Beweis für ihre Richtigkeit."
Als hätte er Gareth Southgate gekannt.
09.07.24
*Kai Blasberg war 40 Jahre in den privaten Medien in Deutschland beschäftigt
Immer noch Care-Pakete im Herzen?
Vor ein paar Jahren hätten die Wahlergebnisse in Paris und London 70er-Jahre-Gefühle erzeugt. Dazu Polen, Schweden, und ja: auch Deutschland. Nominell haben wir eine progressive Regierung. Aber Sie merken: dieses Gefühl der ideologischen Überlegenheit will sich nicht mehr einstellen. Ideologien scheinen out. Ein vernünftiger Denker traut keiner der Bewegungen mehr die Kraft zu, wirklich etwas zu verändern. Liegt das etwa auch an uns Wählern? Trennen sich die Gesellschaften mittlerweile tatsächlich in letztlich zwei Lager: die die haben? Und die, die nicht haben. Und die auch nie etwas haben werden? Und dass diese Aussichtslosigkeit und das pure Vorhaben, einfach nur irgendwie durchzukommen, desillusioniert. Oder gehört es zur Wahrheit, dass uns Figuren wie Le Pen immer als Teufel an die Wand gemalt werden, damit alles bleibt, wie es ist. Zumindest für das Establishment. Denn sind wir einmal ehrlich: Madame hat ihren Zenit lange erreicht. Da scheint es selbst im revolutionsfreundlichen Frankreich nicht so viele Rechtsausleger zu geben, die nicht doch beizeiten eingehegt werden können. Die Uli Wickerts werden jetzt warnen vor einem Stillstand, weil Jean-Pierre Koalitionen nicht kennt. Und die Wände werden bis zur Wahl eines neuen Präsidenten*in wieder hochgezogen, auf die Teufel Marine gemalt werden kann. Gestern zeigte das Fernsehen Sommerinterviews, ein aus der Welt gefallenes Ritual einfallsloser Sendungsgefäße:
diesmal zwei Teufel. Der Malermeister aus Görlitz und die Bankerin aus Gütersloh. Nacheinander zur propperen Sendezeit durften sie ihre Lügen ins Volk kippen. Mehr oder weniger unwidersprochen. Denn auch im Jahr 11 der Menschenhasser der AfD fällt deutschen Journalisten nichts ein zu diesen Brandstiftern. Um im Bild zu bleiben: versucht es mal mit dem guten alten ,,Fighting fire with fire". Im Moment ist es Kickboxen gegen Karate.
Das machte man in Frankreich zunächst mal besser: es haben sich ALLE gegen Marine und ihre jugendlichen Schönling Jordan gestellt. Und die Demokraten haben gewonnen. Haushoch. Der Wähler kann es also. Jetzt sollte die Simulation mal ausprobiert werden. Beim französischen Fußball klappt das ja auch. Seit ewigen Zeiten hochgelobt bringen sie ihre Schönheit nicht auf die Märkte der Stadien. Sie tun nur so, als könnten sie. Gewinnen trotzdem alles. In fünf Spielen ohne eigenes Feldtor. Mit eiskalter Mine. Und Nasenschutz. Derweil sitzt der Jungspund Julian weinend auf Pressekonferenzen und versucht zu erklären, wie schön alles gewesen sei. Nimmt uns der Franzmann jetzt auch noch die Effektivität weg?
Bei der letzten Bundestagswahl haben wir naiven Schöngeister geschwärmt, dass jetzt in der Ampel das Beste der Sozialdemokratie, der Öko-Bewegung und des bürgerlichen Liberalismus zusammenflösse. Ein linksliberales Frankreich, ein arbeiterbewegtes England und das Rot-grün-gelbe Deutschland wären eine ,,entende raison", ein Bündnis der Vernunft, das Europa zu echten Partnern dieser aus dem Ruder laufenden Welt machen könnte.
,,Die Botschaft hör' ich wohl, alleine, mir fehlt der Glaube".
Lassen Sie mich doch einmal Goethe zitieren. Und der Parität zuliebe den französischen Philosophen Blaise Pascal: ,,Die Gegenwart ist nie unser Zweck; die Vergangenheit und die Gegenwart sind unsere Mittel; die Zukunft allein ist unser Zweck." Das schreit nach dem Engländer John Locke: ,,Die Stärke unserer Überzeugung ist kein Beweis für ihre Richtigkeit."
Als hätte er Gareth Southgate gekannt.
09.07.24
*Kai Blasberg war 40 Jahre in den privaten Medien in Deutschland beschäftigt
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