Früher war alles.

Früher war alles.

Deutschland dreht frei. Und auf der Stelle. Also ist Deutschland ein Bohrer.
Nur: wonach wird gebohrt?

Eine Zeitreise mit Kai Blasberg und einigen Fragen.
Ich bin ja nun langsam in dem Alter, wo man das Vergangene glorifiziert, das Gegenwärtige erträgt und das Zukünftige in seiner Bedeutung negiert.
Mein Vater ging mir so lange ich denken konnte mit seinem ,,das was zählt, ist Erfahrung" auf den Sack.
Ich widersprach ihm nicht selten mit dem Hinweis, dass auch Nichts eine Erfahrung sei.
Die Zukunftskompetenz meines leider viel zu früh verblichenen Namensgebers litt ein wenig, als er zu Beginn des Jahrtausends weissagte: ,,Internet hat keine Zukunft".
Trotzdem weiß ich heute natürlich, dass Erfahrung wertvoll ist, insbesondere für die eigene Gelassenheitskultur.
Ups.
Entschuldigung.
Gelassenheit ist etwas unmodern in diesen Tagen. Jahren. Dekaden.
Gelassenheit steht uns nicht gut zu Gesicht.
Wir, die Deutschen, wir kennen Gelassenheit nur aus den Erzählungen der Anderen.
Böse ausgedruckt: unser Seelenzustand changiert ohne Pause zwischen Hambacher Fest und Auschwitz.
Ok. Überspitzen gehört zum Handwerk. Erst recht ohne Bleistift.
Und jetzt höre ich meine Frau wieder sagen: Das versteht doch keiner.
Komischerweise versteht ausgerechnet die mich am besten, die mir ständig erzählt, dass man mich nicht versteht.
Sie suchen nach einem Sinn dieser Zeilen.
,,Selbst in Schuld" hätte ich als Kind gesagt.
Womit wir wieder beim Bohren sind:
wir Deutschen suchen, bohren nach dem Grunde. Dem Sinn. Dem Fehler.
Helfen Sie mir nur ganz kurz beim Erklären meiner dieswöchigen Frage:
Was ist hier los? Was ist passiert?
Und gehen wir zusammen mit Herbert Grönemeyer händchenhaltend ins Jahr 2014.
Geben wir es zu: es fühlt sich wie gestern an.
Jeder meiner in der Regel über 30-jährigen Leser war auch damals schon erwachsen.
Und doch: 2014 ist eine andere Epoche.
Wenn wir unseren Unfrieden verstehen wollen, hilft uns die Erinnerung an 2014:
Ja klar: Die deutschen Fußballer waren die besten der Welt.
Angela Merkel wurde mit dem Slogan "Sie kennen mich" wiedergewählt.
Mercedes baute gute und schöne Autos.
Die Briten dachten nicht an Brexit.
Und jeder, der Donald Trump sagte, dachte an lächerliche Fernsehshows und auftoupierte prostituierte Ehefrauen.

2014 schickte unser Freund, der Menschenschlächter Vladimir grüne Männer auf die Krim.
Und wir den Frank-Walter, der in Minsk irgendetwas tun sollte.
Vor allem aber die Pipeline retten.
Wir Deutschen hätten dem Baltikum, den Polen und den Ukrainern mit einem Erstschlag gedroht, wenn sie Nordstream 2 kritisiert hätten wie viele Jahre später.
2014 war die AfD abgenippelt, weil es noch keine Fluchtmenschen gab und 2014 waren die gesellschaftsrelevanten Empörungshöhepunkte Männer namens Edathy und Tebarz van Elst. Wenn denn solche Figuren ein Geschlecht haben.
Vor zehn Jahren ging Uli Hoeneß in den Knast und die Moralischeren unter uns dachten:
Das war es jetzt für ihn.
Ich wurde für den Grimme-Preis nominiert und fuhr Motorrad und einen gelben Porsche.
2014 hieß Corona Ebola und war in Afrika.
Lettland bekam den Euro und Griechenland hatte Schäuble überlebt.
Israels Präsident hieß Schimon Peres.
Und Erdogan wurde das gerade erst in der Türkei.
Es gab eine Bewegung, die montags im Osten rumkrakelten. Pergola oder so ähnlich.
Irgendwie will man wieder 2014 sein.
Sind unsere Probleme wirklich größer geworden oder taugen unsere Filter nichts mehr? Saugen wir uns zu viel an Informationen rein oder ist es wirklich alles schlechter? Schlimmer? Teurer?
Oder ist das, was wir uns immer erhofften, einfach nur nicht gekommen?
Wird uns zu viel vorgegaukelt und wir raffen es langsam?
Oder bewegt sich die eine Hälfte der Republik gar nicht, weil bräsig, dick, überversorgt, die andere Hälfte aber zu viel, weil Abstrampeln extrem viel Energie kostet?
Sind wir einfach nur 10 Jahre älter und stimmt das, was alle über das älter werden sagen und sagten?
Ist die Party vorbei?
Oder war es nie eine?
Oder finden wir Partys schon immer einfach nur kacke?
Das erfolgreichste Lied 2014 war ,,Happy".
Der erfolgreichste Kino-Film, die empathische Geschichte ,,Honig im Kopf".
Die beste Serie war ,,Borgen", ein Politdrama aus Dänemark, in der es um die Menschen in der Politik ging. Ohne Affengesichter wie die obengenannten.
Olaf Scholz war das, was er kann: Bürgermeister.
Ok. Ich weiß, was Sie jetzt sagen wollen.

P.S.
Lasst uns das Gefühl 2014 behalten.
Denn nochmal 10 solche Jahre werden wir nicht bestehen.
Aber eins sollten wir von 2014 auf jeden Fall lernen:
Es war das erste Jahr ohne FDP im Bundestag.
Das kommt bald wieder.

14.03.24
*Kai Blasberg war 40 Jahre in den privaten Medien in Deutschland beschäftigt
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