Juli for President

Juli for President

In einer sommerlichen Betrachtung der Ereignisse kommen wir in dieser Woche nicht um Europa herum. Meisterschaft, Wahl, Kommission. Soweit das Auge reicht, Europa. Laut Franzmann Macron kann das ja sterben. Er scheint der Sensenmann sein zu wollen. Europa ist, Standard unserer Zeit, in der Krise und - natürlich alles zeitgleich, das größte Friedensprojekt und die Zukunft schlechthin. Daß das schlichtere Gemüter nicht mehr verstehen, ist verständlich. Kai Blasberg, der superschlaue Mann an der Tastatur, beobachtet:
Heute morgen musste ich herzlich schmunzeln: dazu muss man wissen, dass ich mich in Form diverser Podcasts fast nur noch dem Fußball widme. Das hat ja unser glorioser Frank Walter empfohlen, er höre ja selbst ob der Tristheit des Geschehenen keine Nachrichten mehr. Einer dieser Audio-Werke ist der ,,Stammplatz" vom Springer-Verlag. Ganz solide, wenig journalistisch, viel Gossip und, natürlich, hochkommerziell. Springer halt. Im Rahmen der EM der Kickhandwerker hatte die Volkswagen AG die vergnügliche Idee, einen der Moderatoren des ,,Stammplatz", den lustigen Gesellen Andre Albers, in eine ihrer optisch verunglückten E-Bullis zu setzen und, natürlich werblich verhunzt, auf große Fan-Fußball-Ranwanz-Tour zu schicken. Das erste Signal wurde heute gesendet. Kam es doch, unterwegs auf Deutschlands Straßen, zu erheblichen Friktionen seitens der Ladesäulen für diesen Volkswagen, der unter 60000 Euro allerdings vom Volk gar nicht zu erwerben ist. Hat man die hingeblättert, heißt das noch lange nicht, dass der Stromer auch versorgt werden kann. Denn ach: der Springer-Verlag scheint Kreditkarten zu benutzen, die die Systeme nicht erkennen. Folge: Stillstand. Wenn man einmal annehmen darf, dass die Wolfsburger a) Geld bezahlen um b) einen Werbeeffekt aus diesem Tun zu erlangen, ist die Aktion jetzt schon den derzeit eher hochflutigen Bach runtergegangen. Ein teures E-Mobil im Ruhestand. So lustig ist en miniature der Fortschritt im Elends-Land BRD.
Vor ein paar Tagen saß ich als Mitglied eines Gemeindeausschusses sonntags in einem Wahllokal. Die hochanständige Aufgabe: die Wahl zu überwachen. Die 1954 zu Fritz Walters Zeiten ziemlich genau so stattgefunden haben muss. 34 Parteien auf einem Zettel, eine Stimme. Per Kreuz. Mit Kuli oder Bleistift. Hinter Sichtbarriere (einer) und mit verschließbarer Urne. Den anteilsmäßig meisten der Wahlberechtigten war diese Berechtigung egal, sie wählten nicht. An zweiter Stelle kamen die, denen der Weg ins Wahllokal nicht möglich erschien und die darob Wahlunterlagen per Post bei der Wahlbehörde anforderten. Ob die ausgefüllt zurückgeschickt wurden, ist unermittelt. Ein mindestens aufwendiges Procedere. Zur Wahl selbst gekommen, stellte man nach Auszählung eine leicht überlegene Hinwendung zum Konservatismus wie zum Darwinismus fest. CDU vor AfD. Nur die dümmsten Kälber..., Sie wissen schon. Es sei noch angemerkt, dass im Baltikum das ganze Prozedere online stattfindet. Klappt übrigens.
Vor zwei Wochen riet ich an dieser Stelle zur Abschaffung des Amtes des Bundespräsidenten. Ich möchte mich korrigieren. Der Amtsinhaber führt das Amt so, dass es mich geritten hat. Nun sah ich aber zum wiederholten Male in der Mediathek der ARD die mir über ihre tollen Bücher wohlbekannte Juli Zeh zum ebenso wiederholten Male brillant, nüchtern, klug und sympathisch die Dinge darlegen. Und dachte mir: die ist es!
Denn stellen wir uns vor: eine Bundespräsidentin, die brillant, nüchtern, klug und sympathisch uns Deutschen den Weg weist. Vielleicht sich sogar in einen eigenen, neuen Gedanken versteigend. Himmel, was ist es schön, zu fühlen, dass ich noch träumen kann. Juli Zeh. 2027 schon kann es so weit sein. Eine Frau. Eine mittelmäßig junge. Generation X. Mutter, die mit Mann und Maus in Brandenburg unter Leuten lebt. Die toll schreiben kann, toll reden kann, als Rheinländerin frohsinnig die Dinge gut an Mann und Frau und allem anderen auch adressieren kann. Richterin. Jahrgangsbeste. Reiterin und eine empathische Zeitgenossin ohne Denkhemmung. Und: jetzt kommt es: ohne Parteibuch. Sie ist das neue Deutschland.
Sie ist die erste, die das Amt ausfüllt, WEIL sie nicht von einer Partei kommt. Weil das nämlich 2027 nicht mehr erlaubt sein wird. Sie begleitet die Reformation der Gewalten als Anführerin des neuen Denkens. Sie gewinnt das Vertrauen derer, die an nichts mehr glauben wollen, weil sie so oft von den organisierten Schwafelbolden der Parteien hinter die Fichte geführt wurden. Sie wird erklären, warum es eine europäische Union der Regionen sein wird und der Nationalstaat zu Gunsten einer besseren Idee verschwinden.
Erzählen Sie den Menschen von Juli Zeh. Und von Konstantin Kuhle. Der war auch in der Sendung mit Juli Zeh und von daher eine gute Besetzung, weil er das, was wir überwinden müssen, so exemplarisch und absolut darstellt. Ein Karrieremännchen der siechenden FDP, der von Interview zu Talkshow, von WDR zu phoenix, von einem urbanen Ereignis zum nächsten Sponsorenevent hastet und das mit dem realen Leben verwechselt.
Der einem aufgebrachten Spediteur im Studio tatsächlich und aufrichtig entgegenhielt, dass er doch jetzt nach seiner zweiten Legislatur Gefahr laufe, sein Bundestagsmandat zu verlieren und dann mit leeren Händen dastünde. Ich lass das mal unkommentiert. Nur so viel: wenn ein Bundestagsabgeordneter nach zwei Legislaturen ausscheidet, ist seine Altersversorgung ungefähr die Ihre, lieber Leser. Sie müssen aber 45 Jahre einzahlen. Noch Fragen?
Oh ja, so viele. Aber es ermahnte mich ein Leser, das sei immer so viel Text bei mir.
Nun: ich schreibe. Ich glaube auch pointiert. Vielleicht lohnt der Aufwand des Lesens. Auch wenn ich viele Gedanken abfordere. Wenn Sie es schaffen, können Sie doch stolz sein. Bedenken Sie das doch mal. Am Freitag geht's gegen Schottland. Es wird gelingen. Der Ungar schickt eine gute Truppe. Und die Schweiz wird Dinge tun, die die Schweiz so macht und früh ausscheiden. Trotz Granit Xhaka. Ich habe auch das Halbfinale schon fertig. Deutschland gegen Frankreich und Österreich gegen Dänemark. Falls Sie das schon wissen wollen. Unser Halbfinalgegner wird dann schon wissen, wie es mit seinem Land weitergeht. Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Hat Macron noch alle Latten am Zaun oder ist er ein brillanter Weltenlenker. Leider gibt es offenbar kein dazwischen mehr. Langsam wird immer klarer: die, die wir wählen und bestätigen wollen, sind Zocker. Süchtige. Machtversessene und aber auch en Masse kleine Verpisser. Wenn wir jetzt aufhören zu maulen und die Energie ins neu denken lenken, können Sie, liebe Leser sagen, damals, als Kai das schrieb, hat's angefangen. Juli. Bitte vortreten.

13.06.24
*Kai Blasberg war 40 Jahre in den privaten Medien in Deutschland beschäftigt
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