Luke und Trug

Luke und Trug

Was für Olympia Imane Khelif, ist für die Paralympics der Fall Luke Mockridge. Zumindest in Deutschland zeigen sich einmal mehr die Bruchlinien der gegenwärtigen Kulturkämpfe. Und was dabei grundsätzlich im Argen liegt. Es ein Kinderspiel, sich in einem der Lager behaglich einzurichten. Zu einfach findet der bekennende radikale Zentrist

von Wätzold Plaum.
Zunächst einmal der Plot: Die Kontroverse entzündete sich daran, dass Mockridge im Podcast ,,die Deutschen" zusammen mit den Gastgebern Nizar Akremi und Shayan Garcia geschmacklose Witze auf Kosten von Athleten der Paralympics gemacht hatten. Nach zwei Wochen hob eine Welle heftiger Reaktionen an, unter anderem durch die bekannte Paralympin Kristina Vogel. Sie gehört zu den Initiatorinnen einer Petition, die den Fernsehsender Sat.1 dazu aufforderte, Mockridges anstehendes Debüt ,,Was ist in der Box?" abzusetzen. Der Aufforderung ist der Sender mittlerweile nachgekommen. Die öffentlichen Entschuldigung von Mockridge wurde von vielen als halbherzig und unzureichend empfunden. Eine Verständigung zwischen den Lagern scheint nicht möglich.

Das Format, in dem das Inkriminierende geschah - der Podcast - suggeriert informelle, authentische Gespräche, die - von medialen Vollprofis betrieben - keinesfalls private Plauderei sind. Da liegen Missverständnisse auf der Hand, doch zweifelsohne handelt es sich um Versuche von Unterhaltungskunst. War es eine gezielt inszenierte Provokation zum Thema ,,Cancel-Culture"? So könnte man meinen, sind den geschmacklosen Ausfällen doch Scherze darüber vorausgegangen, wie man sich mittels einer attestierten geistigen Behinderung vor ,,Canceln" schützen könne. Und doch wird diese Prämisse nicht konsequent genug durchgehalten, um glaubwürdig zu sein. In der Tat taugen die Vorfälle nicht als Beispiel für einen ,,Kampf gegen Wokeness". Denn die Podcaster übersehen, dass der vorgetragene Humor auch nach konservativen Maßstäben als geschmacklos zu bewerten ist. Unvorstellbar, dass der im Bildungsbürgertum verankerte und gewiss nicht ,,woke" Vicco von Bülow, alias Loriot, derartige Witze von sich gegeben hätte.
Dennoch sollte man die Kirche im Dorf lassen. Um in der religiösen Metapher zu bleiben: Auf dem Gebiete der Kunst muss die Grenzüberschreitung eine lässliche Sünde sein. Denn sich dem Abgründigen zu nähern, sich mitunter schonungslos den dunklen Seiten des menschlichen Daseins zuzuwenden, ist elementare Aufgabe der darstellenden Kunst. Zum fiktionalen Rahmen der Kunst gehört, dass wir reale Folgen der Abgründigkeit nicht zu tragen haben. Das macht sie zu einem wichtigen Reflexions- und Experimentierfeld der menschlichen Kultur. Bei der Auseinandersetzung mit Abgründen kann man scheitern, und das ist Gegenstand der Kunstkritik. Eine Empörungswelle, die sich darauf konzentriert, ist normaler Teil des Diskurses.

Und in der Tat haben die drei Witzbolde abgründiges offen gelegt. Denn der vordergründigen Albernheit liegt gewiss auch eine tiefsitzende Todesangst oder Angst um die körperliche Unversehrtheit zu Grunde. Wir alle könne jederzeit durch einen Unfall im Rollstuhl landen. Diese Angst wegzukichern mag unreif sein, ist aber irgendwo doch auch nur allzu menschlich.
Ferner bleibt das Verständnis der Grenzen des Humors immer ein Stück weit subjektiv. Für zwei Menschen mit Behinderung mag derselbe Witz als noch tolerierbar oder aber als verletzend empfunden werden. Darüber sollte, darüber muss gesprochen werden.
Doch für Gespräche scheint es zu spät zu sein. Die Initiatorinnen der Petition haben zwar Gespräche angeboten, doch ist das Ausschlagen dieses Angebotes nur zu verständlich. Wer einen substantiellen Angriff auf die materielle Existenz von Menschen initiiert und dann zum Gespräch lädt, gleicht eher der heiligen Inquisition als jemandem, der an einem herrschaftsfreien Diskurs interessiert ist. Die Initiatoren der Petition steigerten sich in einen moralischen Furor hinein, der problematisch ist. Denn es ist ja nicht so, dass wir in der von Sat.1 produzierten Sendung grenzwertigen Humor zu erwarten hätten. Ich gehe davon aus, dass es sich bei den Sendungen mit Mockridge um harmlose Familienunterhaltung gehandelt hat.

Was also vermeintlich dem Kampf gegen Behindertenfeindlichkeit diente, war in Wahrheit ein Rache-Feldzug gegen Luke Mockridge. Und das stellt eine Grenzüberschreitung dar, die schwerwiegender ist als die von den Komikern betriebene. Denn sie stellt einen Angriff auf die materielle Existenz von Menschen dar, nicht nur der beteiligten Comedians. Es geht hier nicht um Gefühle der Gekränktheit, die als moralischer Maßstab ohnehin problematisch sind, sondern darum, dass auch unbeteiligte existentielle Schäden erleiden können. Wer vermeintlichen Hass mit Hass bekämpft, macht die Welt nicht besser. Die selbsternannten Tugendwächter müssen aufpassen, nicht zu enden wie Michael Kohlhaas in Heinrich von Kleists berühmter Novelle aus dem Jahre 1810: Der geprellte und von der Justiz im Stich gelassene Pferdehändler greift zur Selbstjustiz und wird in seinem moralischen Furor schließlich selbst zu einem ganz gewöhnlichen Verbrecher, der schändlich auf dem Schafott endet.
Hat sich Sat.1 richtig verhalten? Der privatwirtschaftlich operierende Sender hat pragmatisch gehandelt und im Sinne einer Kosten-Nutzen-Kalkulation entschieden. Wir sollten uns davor hüten, das Privatfernsehen in die Rolle einer moralischen Instanz zu drängen. Das kann nicht gut gehen.

Eine weitere Schlussfolgerung offenbart sich erst auf den zweiten Blick. Die Verzögerung von zwei Wochen, bis die Empörungswelle Fahrt aufnahm, offenbart eine tiefe Kluft in der Gesellschaft. Das Kernpublikum von Nizar Akremi und Shayan Garcia hat wohl wenig Überschneidung mit dem neu bürgerlichen Milieus vornehmlich vulgärsozialistischer Prägung, welche die Empörungswelle lostraten. Die vermutlich eher bildungsferneren Schichten des Kernpublikums haben wohl ein deutlich anderes Verständnis von Humor. Er mag sehr viel gröber sein, vermutlich auch deshalb, weil diese Menschen es im Leben sehr viel härter haben. So gesehen hat die teilweise zu beobachtende moralische Überempfindlichkeit vor allem von Nicht-Betroffenen mitunter auch den Charakter ständischer Überheblichkeit. Wer Empathie einfordert, sollte sie auch in dieser Richtung leisten.

Was also bleibt? Eine Gesellschaft, die noch nicht einmal Kulturkampf kann. Unterhaltungskünstler, die von ihrer Verantwortung als Kulturschaffende überfordert sind, womit sie sich in trauter Gemeinschaft befinden mit den Jan Böhmermanns und Oliver Pochers dieser Generation. Und Aktivistinnen, die aus einem moralisch legitimen Anliegen Konsequenzen ziehen, deren Querwirkungen mehr schaden als nutzen. Und schließlich: Opfer- und Menschenfeindlichkeitsbingo all überall, sowie eine qualitativ nicht befriedigende Überbrückung des Sommerlochs.
Alles nur schlecht? Keineswegs. Denn in gewisser Hinsicht sind alle Hauptdarsteller dieses Sommerdramas Sieger. Alle haben erheblich an Bekanntheit gewonnen. Das wäre doch Anlass, mal gemeinsam ordentlich einen zu heben. Und zu fortgeschrittener Stunde würde sicher auch der ein- oder andere schmutzige Witz fallen.


17.09.24
Wätzold Plaum ist studierter Physiker mit einer Promotion im Fach Mathematik und einer zweiten in Philoosphie. 2012 erschien politisches Sachbuch ,,die Wiki-Revolution. Absturz und Neustart der westlichen Demokratie", sowie 2022 mit dem ,,Manifest der Radikalen Mitte" eine positive Akzentuierung des politischen Zentrismus. Er betreibt den YouTube-Kanal ,,Wätzolds Welt" und betätigt sich als Musiker.
Schreibe einen Kommentar
Datenschutzhinweis