Mehr Zuckerguss für Brandenburg
Wer Fernsehen heute viel zu schnell findet, der ist bei der ARD gut aufgehoben. Doch auch wertige Handarbeit im laufenden Sendebetrieb hat ihre Tücken - und ist kurz vor der Wahl in Brandenburg weniger beruhigend.
von Alexander Kira
von Alexander Kira
Die Wahl in Brandenburg steht vor der Tür. In diesen unruhigen Zeiten ist es beruhigend, dass die ARD moderner Technik misstraut und auf bewährte Produktionsmethoden der Fernseh-Pionierzeit à la dem Internationalen Frühschoppen mit Werner Höfer setzt. So ist es auch zu verschmerzen, dass dies gelegentlich zu einigen Pannen führt, wie im Bericht aus Berlin am 8. September 2024. Die Sonntagsfrage wies die ungeliebte AFD bei 17 % aus. In der Infografik reichte ihr blauer Balken jedoch weit unter die 15 % der SPD und kaum an die 11 % der Grünen heran.
Die ARD hatte hier sogleich reagiert und ein Versehen eingeräumt. Das hat beruhigend offengelegt, dass sich die ARD dem Trend zur computerisierten Beliebigkeit widersetzt. Werden in anderen Sendern die Grafiken und Balkendiagramme per Computer automatisch nach Eingabe der Zahlen generiert, geschieht dies bei der ARD noch wie in der TV-Pionierzeit in Handarbeit. Doch das ist selbstredend fehleranfällig:
Nachdem die Telefonumfragen der ARD mit Bleistift auf Auswertungsbögen aus rauem Papier notiert sind, müssen sie per Schreibmaschine zusammengefasst werden. Dann werden sie mit Rechenschiebern ausgewertet und schließlich an das Grafikbüro überstellt: Hier entstehen mit farbigen Kunststofffolien am Leuchttisch, mit Schneidmesser und Klebstoff, die eigentlichen Grafiken. So ein Prozess dauert natürlich, weshalb man sie auch erst in letzter Minute per Paternoster ins Sendestudio fahren kann, wo sie im laufenden Sendebetrieb vor die große Kamera mit den vier Wechseloptiken gelegt werden können.
So ein Prozess hat bei aller Wertigkeit naturgemäß seine Tücken: Der Grafiker kann sich auf den langen Fluren im Studiokeller verlaufen. Die Plastikschnipsel können beim Ausschneiden sehr schnell die falsche Länge haben und andere Werte wiedergeben. Auch verschieben sie sich gerne beim Aufkleben. Selbst bei der Endkontrolle im Regieraum kann schnell was schiefgehen; die schwarz-weiß Röhrenmonitore in Schuhkartongröße geben Grafiken allein wegen der Wölbung der Mattscheibe nur verzerrt wieder. Dazu noch der ganze Zigarettenrauch, der sowieso alles blau erscheinen lässt, und der gute Frankenwein aus der Kantine.
Da ist eine falsch wiedergegebene Sonntagsfrage schon eher eine Kleinigkeit im Vergleich zur Sendung der falschen Neujahrsansprache von Helmut Kohl im Jahr 1996. Qualitätsfernsehen birgt eben eigene Gefahren mit sich.
Mit Blick auf die Wahl in Brandenburg wirft dies jedoch aktuell weitere Fragen auf: Was für Gefahren drohen am bevorstehenden Wochenende? Wird man eine Holztafel in das Wahlstudio rollen, wie bei dem Grand Prix in den 60er Jahren? Hier ist Vorsicht angesagt, denn diese kann leicht umkippen. Auch die Getränkeauswahl birgt Gefahren: Wenn wie beim Internationalen Frühschoppe ausschließlich Wein in den Gläsern ist, können die Talkgäste schnell anfangen zu lallen. Ähnlich wie Kommunalpolitiker, die unerwartet noch um 21:30 vor die Kamera gezerrt werden, nachdem sie es in der Feuerwehrremise bereits haben krachen lassen.
Auch fragt sich, wie schnell die Nichtraucher unter den Politikern in der Lage sein werden, trotz ungewohnt tiefer Lungenzüge schlagfertig zu antworten. Hilfreich wird hier sein, dass die Wahlberichterstattung nicht durchgehend gesendet wird. Die zahlreichen Umbaupausen, wie bei der frühen Augsburger Puppenkiste, schaffen für alle Beteiligten Raum zur Lektüre der Telegramme aus den Parteizentralen. Aktuell werden Meldungen bekannt, dass die ARD wohl eine noch sicherere Lösung gefunden hat: In der Sendung ,,Die 100" war scheinbar einer der anwesenden Bürger ein Schauspieler, zufällig der mit dem Schlussstatement. Ein Zufall gewiss, aber vor dem Hintergrund der Fernsehgeschichte verständlich: Selbst 16mm Schwarz-Weiß-Nachrichtenfilm ist so teuer, dass man auch zufällige Statements nicht dem Zufall überlassen sollte; es geht schließlich um Rundfunkgebühren.
Vielleicht gibt es auch einen Notfallplan für die Brandenburgwahl bei der ARD, Best Practices gibt es in den USA: Als man ahnte, dass der bereits schwer erkrankte Ronald Reagan sich bei einer Pressekonferenz zum Haushalt in den Zahlen verlieren würde, war die Lösung ganz leicht: Als es zu arg wurde, stürmte die pragmatische Nancy mit einer riesigen Geburtstagstore den Raum, woraufhin sich alles in Wohlgefallen auflöste. Sein Geburtstag war erst am darauffolgenden Tag. Aber wen interessiert schon die bitte Wahrheit, wenn alles mit etwas Zuckerguss so schön sein kann?
19.09.2024
Alexander Kira hat über internationalen Menschenrechtsschutz provomiert und ist Jurist, Moderator und Kabarettist. Er lebt und schreibt im Herzen von Berlin.
Die ARD hatte hier sogleich reagiert und ein Versehen eingeräumt. Das hat beruhigend offengelegt, dass sich die ARD dem Trend zur computerisierten Beliebigkeit widersetzt. Werden in anderen Sendern die Grafiken und Balkendiagramme per Computer automatisch nach Eingabe der Zahlen generiert, geschieht dies bei der ARD noch wie in der TV-Pionierzeit in Handarbeit. Doch das ist selbstredend fehleranfällig:
Nachdem die Telefonumfragen der ARD mit Bleistift auf Auswertungsbögen aus rauem Papier notiert sind, müssen sie per Schreibmaschine zusammengefasst werden. Dann werden sie mit Rechenschiebern ausgewertet und schließlich an das Grafikbüro überstellt: Hier entstehen mit farbigen Kunststofffolien am Leuchttisch, mit Schneidmesser und Klebstoff, die eigentlichen Grafiken. So ein Prozess dauert natürlich, weshalb man sie auch erst in letzter Minute per Paternoster ins Sendestudio fahren kann, wo sie im laufenden Sendebetrieb vor die große Kamera mit den vier Wechseloptiken gelegt werden können.
So ein Prozess hat bei aller Wertigkeit naturgemäß seine Tücken: Der Grafiker kann sich auf den langen Fluren im Studiokeller verlaufen. Die Plastikschnipsel können beim Ausschneiden sehr schnell die falsche Länge haben und andere Werte wiedergeben. Auch verschieben sie sich gerne beim Aufkleben. Selbst bei der Endkontrolle im Regieraum kann schnell was schiefgehen; die schwarz-weiß Röhrenmonitore in Schuhkartongröße geben Grafiken allein wegen der Wölbung der Mattscheibe nur verzerrt wieder. Dazu noch der ganze Zigarettenrauch, der sowieso alles blau erscheinen lässt, und der gute Frankenwein aus der Kantine.
Da ist eine falsch wiedergegebene Sonntagsfrage schon eher eine Kleinigkeit im Vergleich zur Sendung der falschen Neujahrsansprache von Helmut Kohl im Jahr 1996. Qualitätsfernsehen birgt eben eigene Gefahren mit sich.
Mit Blick auf die Wahl in Brandenburg wirft dies jedoch aktuell weitere Fragen auf: Was für Gefahren drohen am bevorstehenden Wochenende? Wird man eine Holztafel in das Wahlstudio rollen, wie bei dem Grand Prix in den 60er Jahren? Hier ist Vorsicht angesagt, denn diese kann leicht umkippen. Auch die Getränkeauswahl birgt Gefahren: Wenn wie beim Internationalen Frühschoppe ausschließlich Wein in den Gläsern ist, können die Talkgäste schnell anfangen zu lallen. Ähnlich wie Kommunalpolitiker, die unerwartet noch um 21:30 vor die Kamera gezerrt werden, nachdem sie es in der Feuerwehrremise bereits haben krachen lassen.
Auch fragt sich, wie schnell die Nichtraucher unter den Politikern in der Lage sein werden, trotz ungewohnt tiefer Lungenzüge schlagfertig zu antworten. Hilfreich wird hier sein, dass die Wahlberichterstattung nicht durchgehend gesendet wird. Die zahlreichen Umbaupausen, wie bei der frühen Augsburger Puppenkiste, schaffen für alle Beteiligten Raum zur Lektüre der Telegramme aus den Parteizentralen. Aktuell werden Meldungen bekannt, dass die ARD wohl eine noch sicherere Lösung gefunden hat: In der Sendung ,,Die 100" war scheinbar einer der anwesenden Bürger ein Schauspieler, zufällig der mit dem Schlussstatement. Ein Zufall gewiss, aber vor dem Hintergrund der Fernsehgeschichte verständlich: Selbst 16mm Schwarz-Weiß-Nachrichtenfilm ist so teuer, dass man auch zufällige Statements nicht dem Zufall überlassen sollte; es geht schließlich um Rundfunkgebühren.
Vielleicht gibt es auch einen Notfallplan für die Brandenburgwahl bei der ARD, Best Practices gibt es in den USA: Als man ahnte, dass der bereits schwer erkrankte Ronald Reagan sich bei einer Pressekonferenz zum Haushalt in den Zahlen verlieren würde, war die Lösung ganz leicht: Als es zu arg wurde, stürmte die pragmatische Nancy mit einer riesigen Geburtstagstore den Raum, woraufhin sich alles in Wohlgefallen auflöste. Sein Geburtstag war erst am darauffolgenden Tag. Aber wen interessiert schon die bitte Wahrheit, wenn alles mit etwas Zuckerguss so schön sein kann?
19.09.2024
Alexander Kira hat über internationalen Menschenrechtsschutz provomiert und ist Jurist, Moderator und Kabarettist. Er lebt und schreibt im Herzen von Berlin.
Schreibe einen Kommentar
Seite teilen