Was ist bloß mit den Grünen los?

Was ist bloß mit den Grünen los?

Einst war sie die Partei des Friedens, sie war das Bündnis der Ökos, der Freaks und der Ungehörten und Unangepassten. Dann ist etwas passiert und die Grünen wurden plötzlich zu einer neoliberalen Partei mit Machtanspruch und denselben Strukturen wie die Parteien, die sie jahrelang kritisiert haben. Die Grünen haben die Macht entdeckt und sie können seitdem nicht mehr von ihr lassen.

von Serdar Somuncu
Normalerweise weiß man als Politiker, wann es Zeit ist, zu gehen. Dann nämlich, wenn man reihenweise Wahlen verliert und auch in den Umfragen immer deutlicher wird, dass sich die Volksstimmung gegen einen gedreht hat. Es hat viel zu lange gedauert, bis Ricarda Lang ihrem Namen alle Ehre gemacht hat und zusammen mit ihrem Parteifreund und Kollegen Omid Nouripour die Reissleine gezogen und ihren Rücktritt erklärt hat. Dabei war schon seit Längerem klar, dass das, was sich als grün tarnt, schon lange nicht mehr als grün daherkommt. Die Grünen sind zur Partei der Pragmatiker geworden.

Ihnen ist es lieber, ihre zum Teil absurden Ziele durchzusetzen, als dem Wählerwillen gerecht zu werden. Kein Wunder, immer pädagogischer und rechthaberischer sind die Grünen zuletzt aufgetreten und haben so getan, als seien die Wähler ein Haufen Idioten, die nicht kapiert haben, was Umweltbewusstsein und Modernisierung bedeuten. Dabei haben die Grünen selbst durch ihren Dilettantismus wesentliche Grundfesten unserer Wirtschaftspolitik ins Wanken gebracht: Sie haben große Teile der Industrie mit ihrer Einschränkung und Einschüchterung verprellt, und nicht zuletzt das Desaster in der Energiepolitik hat dazu geführt, dass die Menschen die Schnauze gründlich voll haben von den Grünen und sich nicht nur einen ,,Neuanfang" wünschen, sondern einen Abgang in Ehren. Auch die Grünen müssen irgendwann erkennen, dass Wahlen immer nur ein Mandat auf Zeit sind, und wer sich gegen eine große Mehrheit des Volkes stellt und so wie Anton Hofreiter immer lauter und immer arroganter fordert, dass man sich mit weiteren Waffenlieferungen zu Kriegspartei in der Ukraine macht, der muss auch damit leben, dass die Menschen ihm irgendwann nicht mehr das Vertrauen geben und ihn dorthin schicken, wo er hingehört, nämlich auf die Oppositionsbank.

Zu lange haben die Grünen davon profitiert, dass SPD und CDU geschwächelt haben und links und rechts davon keine Alternative zu existieren schien. Aber jetzt, wo die AfD gigantische Sprünge in Richtung Mehrheit macht und auch die sogenannten Parteien der demokratischen Mitte die Themen der AfD übernehmen, bleibt den Grünen nichts mehr übrig, als Restposten eines Systems zu sein, das nicht mehr davon lebt, dass es nichts zu entscheiden gibt und man mit großen Sprüchen und absurden Ideen Perspektiven aufzeigen kann, deren Zukunftstauglichkeit fraglich ist. Ob es der Veggieday war, von dem man sich einst schwärmte, oder die Abschaffung fossiler Energien zugunsten der Atomkraft, ob das die Fehlgeburt des Elektroautos ist oder eine zu liberale Zuwanderungspolitik, die in jedem Migranten eine Bereicherung sieht und Bedrohungen ignoriert: Die Zeit ist schon längst reif für einen Wechsel. Und bevor man die Macht in die Hände derer gibt, die sie durch Populismus und Panikmache an sich reißen wollen, sollte man sie lieber denen überlassen, die die vernünftigeren Lösungen anbieten. Wer das am Ende sein wird, ist offen.

Das BSW schickt sich, eine solche Alternative zur Alternative zu sein, aber auch die SPD und die CDU lernen langsam und allmählich, was es bedeutet, den Anforderungen der Zeit gerecht zu werden, statt sich immer wieder auf das Altbewährte zu berufen. Dazu gehören eine moderne Einwanderungspolitik, genauso wie eine Energiepolitik, die Unternehmen nicht bestraft, sondern belohnt. Es gehören gerechte Steuern genauso dazu wie der Mut, Tabus anzusprechen in der Innen- und Sicherheitspolitik. Und nicht zuletzt eine Entscheidung gegen Beteiligung an Kriegen, ob indirekt oder direkt, könnte dazu führen, dass eine links ökologische Partei in Deutschland wieder die Glaubwürdigkeit erhält, die sie zuletzt mit den Grünen verspielt hat.

25.09.24
©Serdar Somuncu
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*Serdar Somuncu ist Schauspieler und Regisseur
Kommentare
  • TONI
    25.09.2024 21:09
    @Yücel
    Nach meiner Kenntnis steht das griechische Wort DEMOS ursprünglich für 'Abschaum.' Wenn die griechischen Hirten ihr Schafsfett einkochten, bildete sich ein schmutziger Film mit Verunreinigungen an der Oberfläche, Abschaum (Demos) genannt. Gefolgt von Kratos = Herrschaft. Zusammengenommen also `Die Herrschaft des Abschaums` Später etablierte sich das Wort Demos als Definition für 'das Volk'. Dem gegenüber stand die Aristokratie (Herrschaft der Vornehmsten) Die waren von ihrer Entmachtung nicht begeistert und brachten dies in der Begrifflichkeit wohl zum Ausdruck.
    Wie dem auch sei, Demokratie hat nach meinem Ermessen nichts mit der Gruppengröße zu tun, sondern ist eher abhängig von der Möglichkeit der Einflussnahme. Siehe Volksabstimmung in der Schweiz.
  • Matthias
    25.09.2024 19:14
    Serdar hat noch einmal anschaulich den gewaltigen Unterschied zwischen postuliertem und tatsächlichen Selbstverständnis der Grünen dargelegt. Deren Machtversessenheit und Bereitschaft zu faulen Kompromissen waren aber bereits zu Joschka Fischers Zeiten schon gut entwickelt.

    Was die Grünen vor rund 20 Jahren jedoch noch deutlich weniger waren als heute ist ein politisches Sprachrohr saturierter Eliten. Im Kern sind dies von weiße, akademische, biodeutschen Besserverdiener und nachkommen von Besserverdienern, die sich die ganzen Modernisierungsprojekte und Verzichtsangebote der Partei leisten können und wollen:

    Wer drei Kinder hat und auf dem Land wohnt, will die Bude warm haben, zum Einkaufen fahren und hat keine finanziellen Mittel für Wärmepumpe und/oder ein 60.000 €-E-Auto. Lastenfahrradkarsten mit Sabine und Finn-Jochen in der perfekt gedämmten Altbauwohnung haben nur 300 Meter zum Biomarkt zu fahren und können es sich im Winter auch warmfurzen. Die Prozentzahl dieser Lastenfahrradkarstens, die 100 Prozent des grünen Parteiprogramms finanziell mittragen können und wollen wird wohl niemals zweistellig sein.

    Es ist umso schlimmer, dass die eigentlich bitter notwendigen, realpolitischen Klimaschutzmaßnahmen hinter schlecht gemachten Humbug wie dem Heizungsgesetz verschwinden. Die Grünen müssen sich auch endlich klar machen, dass wer eine ausschließlich elektrische Energieversorgung will, diesen Energieträger auch bezahlbar machen muss. Wenn der Strommarkt nicht will, muss die Politik ihn eben regulieren. Soll die FDP doch platzen. Wird sie eh.

    Es ist wirklich traurig, dass mit Ricarda Land und Omid Nouripour genau die Grünen gehen müssen, die am wenigsten für die aktuelle Situation verantwortlich zu machen sind. Lang hat immer wieder auf die Wichtigkeit der sozialen Frage verwiesen, Nouripour gab ebenso nüchterne wie klare Statements zum Zustand der Ampel ab - völlig resigniert, aber wohl auch am nächsten an der Wahrheit.

    Wirklich gehen sollten hingegen Annalena Baerbock, die mit keiner außenpolitischen Initiative überzeugen konnte. Robert Habeck hätte, um sich zu retten, nach dem Heizungsgesetz sein halbes Ministerium feuern sollen. Lisa Pause baut keine Kindergärten und kriegt nichts geschissen. Steffi Lemke kriegt kein Tempolimit durchgesetzt usw. usw.

    Wen die Grünen ihre linke Wurzel nicht wiederentdecken, den identitätspolitischen Quark nicht liegenlassen und den Klimaschutz als wichtigstes Gesellschaftsprojekt nicht in den Vordergrund stellen - und bei dessen Kosten nicht zuerst an die Umverteilung nach unten, sondern an staatliche Investitionen denken - dann hat die Partei weiterhin eine gute Chance. Eine Partei der Lastenfahrradkarstens kann, gemeinsam mit der FDP, auf den Komposthaufen der Geschichte.

  • Rene
    25.09.2024 18:22
    Es ist schon faszinierend: Die Grünen wollten eigentlich die Zukunft gestalten, sind aber jetzt selbst das größte Hindernis auf dem Weg dorthin. Statt die Wähler auf eine grüne Reise mitzunehmen, haben sie lieber den moralischen Zeigefinger gehoben – und am Ende den Wegweiser verloren. Vielleicht sollten sie sich jetzt auf den Oppositionsbänken neu orientieren und sich weniger um Veggiedays und mehr um das Vertrauen der Menschen kümmern. Aber hey, immerhin haben sie jetzt die Reißleine gefunden – auch wenn sie ziemlich tief im Dickicht lag.
  • Yücel
    25.09.2024 16:46
    Um den Wählerwillen kümmern sich in Tat und Wahrheit weder die Grünen noch wird sich die AFD darum kümmern. Der "Volkswillen" - wenn es überhaupt so etwas gibt - kann nur durch aktive, selbstverantwortliche und selbstbewusste Menschen gefordert und wenn nötig, durchgesetzt werden. Das ist meiner Meinung nach die einzig real durchführbare "Demokratie". "Demos" (Altgriechisch) heisst nämlich "das Dorf". Folgerichtig und vernünftig ist, dass "Volksherrschaft" nur im kleineren Rahmen, d.h. in einer Gruppe von Menschen in der Größe eines Dorfes durchführbar ist. Da, wo sich alle gegenseitig kennen ist "Demokratie" überhaupt möglich, weil Korruption praktisch unmöglich ist.
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