Menschenfeindliche Political Correctness

Menschenfeindliche Political Correctness

Wer die moralische Hoheit für sich pachtet, ist nicht selten selbst getrieben von Klischees und menschenfeindlichen Stereotypen. Die Arroganz der angeblichen Kulturkämpfer entlarvt ihr vorgeschobenes Bemühen um das vermeintlich Gute immer offensichtlicher. Was zurückbleibt, ist tiefes Misstrauen und faschistische Impulse.

Von Bent-Erik Scholz
Ist ein Witz über Schwule immer auch gleich ein homophober Witz? Nach dieser Definition müssten wir den jüdischen Humor nahezu vollständig aus dem öffentlichen Diskurs ausschließen, denn wenn ein Witz über Schwule immer auch gleich homophob wäre, so wären die meisten jüdischen Witze auch gleichzeitig antisemitisch. Dass eine derartige Denkweise albern ist, ist völlig offensichtlich. Dennoch fallen immer mehr Leute, denen man eigentlich eine gewisse Intelligenz zumuten könnte, auf solche Muster hinein und vergiften damit das ausgeruhte Nachdenken über unsere Gesellschaft.

Das Wort der Stunde ist ,,problematisch". Ständig plumpst diese Vokabel aus dem Munde angeblich politisch interessierter Kulturbeobachter, sie schlägt dumpf auf dem Boden auf und hinterlässt außer einem Scheppern absolut gar nichts. Denn das Wort ,,problematisch" ist gleichsam bedeutungslos und bevormundend: erstens ist ein Problem nur das, was man daraus macht, zweitens setzt diese Vokabel jedoch voraus, dass das Problem des anderen gefälligst auch meines zu sein habe. Mit dem Wort wird um sich geworfen, als sei es eine universelle Wahrheit. Dabei steckt dahinter nicht selten der Versuch einer moralischen Einvernahme.

Als Stefan Raab sich auf seinem Instagram-Kanal meldete, um einen weiteren Boxkampf mit Regina Halmich zu verkünden, fühlten sich die weißen Ritter des Internets angehalten, aufzusatteln. Dies ist kein ungewöhnlicher Vorgang, im Internet springen gewisse Filterblasen verlässlich über jedes Stöckchen, das man ihnen hinhält. Die Absurdität und Plattheit, mit der hier jedoch im öffentlichen Raum für jeden sichtbar agiert wird, ist nahezu verstörend: ein Nutzer entblödet sich nicht, sch darüber zu empören, dass Stefan Raab einzig und allein zu dem Zweck zurückkehrte, eine Frau zu ,,verprügeln". Ein X-Nutzer fasst es kernig zusammen mit dem Satz: ,,Mann schlägt Frau - für Geld". Hier jedoch entblößt sich ein internalisierter Sexismus. Wer so etwas schreibt, muss von Frauen als per sé schwache Wesen ausgehen, die dem Mann prinzipiell unterlegen und in dieser Boxkampf-Konstellation rein passiv sind. Regina Halmich hingegen war acht Jahre lang Boxweltmeisterin, sie gewann in ihrer Zeit als Profiboxerin 54 ihrer 56 Kämpfe. Von ihr mit der Andeutung einer angeblich geschlechterbedingten Schwäche und Passivität zu sprechen, zeugt von einer enormen inhärenten Frauenfeindlichkeit.

Noch lächerlicher machte sich ausschließlich das Klatsch- und Tratschmagazin der ARD, Brisant, auf seinem Instagram-Account. ,,So ein TV-Comeback von Stefan Raab wäre problematisch. Es gibt nämlich ein großes Aber: [...] Das, was früher bei der breiten Masse gut ankam, [...} kannst du heute einfach nicht mehr bringen", verlautbart dort eine junge Moderatorin in einem Kurzvideo. Eine massive Abgehobenheit steckt in Ausdruck und Betonung, denn hier wird nicht etwa deutlich gemacht, dass dies eine persönliche Ansicht ist, stattdessen wird die Schmuddelkindisierung von Stefan Raab hier wie ein für alle offen ersichtlicher Fakt hingestellt. Aber: Wer entscheidet, was man heute noch ,,bringen" kann oder nicht? Die Redaktion eines Gossip-Magazins, das sich zuforderst mit Hollywood-News oder den Royals beschäftigt, würde ich mit dieser Aufgabe sehr ungern betrauen. Wenig verwunderlich ist diese Selbstermächtigung zur moralischen Instanz dennoch: schließlich ist die Sendung Brisant durch ihre Hauptthemenbereiche inhärent hierarchisch und monarchistisch und somit begeistert an Systemen, in denen es einige wenige Privilegierte gibt, die unhinterfragt über das Fußvolk entscheiden dürfen. Folgerichtig sind Kommentare unter dem Instagram-Beitrag von Brisant auch nicht erlaubt.

Wer so freimütig mit derart viel Selbstbewusstsein der Internetöffentlichkeit erklären möchte, was richtig und falsch ist, in einem herablassenden Oberlehrer-Ton im Zweifel alles immer besser weiß als der Betrachter, der muss sich selbst für ziemlich intelligent, vor allem aber das Publikum für ungeheuer dämlich halten. Es ist ein Argument, das immer wieder kommt, ausgerechnet gerade dann, wenn es um die Bewertung von Satire geht: Stefan Raab, Lisa Eckhart oder Michael Bully Herbig würden mit ihrem Humor ,,Stereotype bedienen". Die Unterstellung ist hierbei nicht, dass diese Personen selbst menschenfeindliche Ansichten in sich tragen, sondern dass andere Leute ihre Ansichten dadurch bestätigt sehen könnten. Dem Künstler wird also sein Publikum zum Vorwurf gemacht, und das Publikum ist im Zweifelsfall tumb, idiotisch, und vorurteilsbehaftet.

Dabei kann das angeblich so rückwärtsgewandte Publikum, dessen angeblich so veraltete Ansichten durch die angeblich problematischen Künstler bedient wird, oft viel besser zwischen einem Witz und der Wahrheit unterscheiden als die angeblichen Robin Hood's der pseudolinken Antidiskriminierungsbewegung, die selbst internalisiert diskriminiert, indem sie klassistische Narrative wiederkäut, auf Menschen mit mutmaßlich niedrigerem Bildungsgrad herabschaut oder angeblich marginalisierten Minderheiten jede Fähigkeit zur Selbstverteidigung pauschal abspricht.

Als Michael Bully Herbig eine Fortsetzung für den Film ,,Der Schuh des Manitu" ankündigte, erschien auf Instagram dazu ein Kommentar, der den ,,queerfeindlichen" und ,,rassistischen" Humor des Films, der erst im nächsten Jahr in den Kinos starten wird, verurteilte. Absenderin war eine weiße, offensichtlich heterosexuelle, relativ gut situierte mehrfache Mutter. Als offen bisexuell lebender Mann möchte ich öffentlich feststellen, dass ich es ablehne, mich von dieser Frau in meinen Interessen vertreten zu lassen. Wenn sie für angebliche Opfer von Queerfeindlichkeit in die Bresche springt, tut sie das gegen meinen ausdrücklichen Willen. Ich habe sie nicht zu meiner Repräsentantin gewählt, ich habe sie nicht um Beihilfe gebeten, ich finde es offen gestanden übergriffig, wenn sie sich an meiner statt über etwas empört, das mich mehr beträfe als sie, woran ich jedoch keinen Anstoß nehme.

Homophobie ist nicht ein nasal sprechender und sich tuntig gerierender Michael Bully Herbig oder ein Stefan Raab in knallenger Sportpelle, der ,,leicht und schwul Gymnastik mit dem Stuhl" tanzt. Homophobie ist auf der Straße beschimpft zu werden, einzig und allein deshalb, weil man Hand in Hand mit seinem Partner läuft. Homophobie ist die Androhung von Schlägen in der U-Bahn. Und ich würde sehr viel Geld darauf wetten, dass der Proll, der mir im Vorbeifahren aus dem Autofenster heraus das Wort ,,SCHWUCHTEL!" hinterherbrüllte, dies nicht tat, weil er den ,,Schuh des Manitu" gesehen hatte.

Wer der breiten Öffentlichkeit, die zu Millionen TV total oder den ,,Schuh des Manitu" guckte, pauschal ein Unvermögen zur Abstraktion über das Gesehene unterstellt, wer ein Lachen mit Zustimmung verwechselt (weil man selbst meist nur noch nach dem Gesinnungsapplaus strebt), und wer glaubt, die Zusammenhänge höchstselbst besser verstanden zu haben als die im Brisant-Beitrag abschätzig so genannte ,,breite Masse", der outet sich als elitaristischer Zyniker, verhaftet in zutiefst klassistischen Denkstrukturen, und somit als Menschenfeind. Von internalisiertem Sexismus, Rassismus und Homophobie gar nicht zu sprechen, die aus der pauschalen Unterstellung von Schwäche und der bevormundenden Stellvertreterempörung heraus triefen. Dieser Pseudomoralismus ist reine Pose und schert sich nicht für die Interessen derer, die er vorgibt, zu schützen, weil er sich an Metadebatten verschwendet, die man nur aus einer sehr bequemen, privilegierten Position heraus führen kann.

Ich hingegen glaube, dass der Durchschnittsmensch eben nicht primitiv ist, nur über Schwächere lacht und sich damit bestätigt fühlt. Ich glaube, dass das Publikum von Raab, Eckhart oder Herbig sehr klug und emotional intelligent ist, dass es lacht, weil es das Falsche erkennt und davon überrascht ist. Ich glaube, dass die Mehrheit nicht im Verdacht steht, schwulenfeindlich zu sein, dass sie homophobe Klischees als Klischees entlarven kann und sie trotzdem lustig finden darf. Und ich glaube, dass dieses Publikum es nicht mehr lange goutiert, wenn ihm von einigen wenigen privilegierten Medienmachern das Abstraktionsvermögen und damit Mündigkeit abgesprochen wird.

05.04.24
*Bent-Erik Scholz arbeitet als freier Mitarbeiter für den RBB
Kommentare
  • Christine Toma
    07.04.2024 21:13
    Manchmal ist es - zumindest für mich - schon fast Medizin, sich alte Raab Folgen oder aktuelle Lisa Eckhart Videos anzusehen.. Man atmet irgendwie innerlich auf, wenn das "Unsagbare" , das früher völlig tabufrei war, plötzlich wieder gesagt wird, einem Publikum "Abstraktionsvermögen und damit Mündigkeit" zugetraut wird. Du hast es in diesem Text perfekt formuliert und dieses schwierige Thema unheimlich gut zusammengefasst.
  • Moritz Tag
    05.04.2024 19:51
    Ein sehr guter Artikel. Und Hut ab vor diesem jungen Mann, der sich traut, auch mal anzuecken, seinen eigenen Standpunkt zu vertreten, ohne irgendwelchen Blasen oder Mainstreams das Wort zu reden.
  • Mr.T
    05.04.2024 18:34
    Lieber Bent- Erik, vielen Dank für diesen pointierten Beitrag.
    Der Großteil des Publikums distanziert sich immer weiter von dieser ideologisch geprägten Meinungsmache - daraus resultiert der Wunsch nach Abschaffung des ÖRR in immer breiteren Teilen der Gesellschaft. Die Übergriffigkeit der möchtegern Bessermenschen nimmt immer mehr zu und breite Gesellschaftsschichten ziehen sich aus dem öffentlichen Diskurs zurück. Ein anderer Teil radikalisiert sich auf der anderen Seite, gegenüber den Gutmenschen. Somit wird der breite Graben innerhalb unseres Landes immer tiefer. Immer öfter wünsche ich mir die liberale Gesellschaft der 80-90er Jahre zurück. Hier war zwar auch nicht alles perfekt, aber die Gesellschaft wurde offener, toleranter, freiheitsliebend. Aktuell bewegt sich aber vieles Richtung Meinungsfaschismus - und das ist das Letzte, was wir im Jahr 2024 brauchen.
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