,,Somuncu, du dumme, populistische, ewig-gestrige bildungsferne Fettsau!"
,,Hallo Du A*** und Dönme-Jude. Bevor du weiter deine großkotziges Maul so weit aufreißt, entschuldige Dich bei den Deutschen und Türken. Sie warten drauf, denn Du hast sie in den Tod getrieben." (Internet Zuschriften)
Von Serdar Somuncu
Von Serdar Somuncu
Wir kennen uns nicht. Beziehungsweise sie kennen mich, denken Sie. Aber ich kenne Sie nicht. Oder vielleicht doch? Seit über 40 Jahren stehe ich nun in der Öffentlichkeit. Ich bin durch unterschiedliche Phasen meiner künstlerischen Arbeit gegangen. Dabei habe ich sicher vielen Menschen Freude, bereitet, aber sicher auch einigen Verdruss. Ich weiß nicht, weshalb Sie mich vielleicht nicht mögen, mich verehren, mich für einen der größten oder den schlimmsten Idioten halten. Es gibt wahrscheinlich irgendeinen Verbindungspunkt, der uns zueinander gebracht hat. Irgendein Video, das Sie von mir gesehen haben oder etwas, das Sie gelesen haben. Irgendeine Meinung, die Sie mit mir teilen oder auch nicht. Unsere Beziehung ist passager. D. h. keiner von uns beiden sollte davon ausgehen, dass diese Leidenschaft, die vielleicht irgendwann einmal entstanden ist, für die Ewigkeit bleibt. Es tut mir wirklich leid, wenn ich Sie enttäuscht habe, aber ich wusste auch nicht, womit ich Sie begeistern konnte. Ich habe das nicht geplant und es war auch nicht meine Absicht. Sondern es war Zufall.
Was mit mir passiert, wenn ich lese, was Sie von mir halten? Bei manchen ist es einfach nur freundlich und es schmeichelt. Bei anderen ist es verletzend und es ärgert. Aber sind wir dann die richtigen Adressaten unserer Sehnsucht. Sollten wir uns diese Gefühle nicht bei echten Menschen holen? Wen vertrete ich, wenn Sie mich für ihren Freund halten? Und zu wem werde ich, wenn ich Ihr Feind bin? Ist es nicht von Anfang an ein trügerisches Vertrauen gewesen, dass sie in mich gesetzt haben und welches jetzt zu Enttäuschung mutiert ist?
Tatsächlich ist die Bühne eine Projektionsfläche für die Sehnsüchte, die Ängste, die Hoffnungen, die Wut, die Verzweiflung und die Trauer, die wir Menschen alle in uns tragen. Der Schauspieler hat die Aufgabe, diese Gefühle sowohl zu senden, sie zu transportieren, als sie auch zu empfangen. Aber sie sind nicht echt. Niemals. Sie sind immer nur ein Trugbild. So glaube ich mittlerweile, dass es eine Auszeichnung ist, von vielen unterschiedlichen Menschen gemocht, aber auch verachtet zu werden. Denn es zeigt am Ende, dass ich mir selbst treu geblieben bin und mich nicht um der Gunst meiner Zuschauer willen angepasst habe an ihren Geschmack. Und der ist bekanntlich sehr unterschiedlich.
Besonders wenn es um politische Dinge geht, trennen sich die Geister. Manche halten mich für einen Revoluzzer, andere für einen Systemling. Es bleibt Ihnen überlassen, mich zu interpretieren, solange ich meiner eigenen Aussage treu bleibe. Und das ist nicht immer einfach. Denn auch als Künstler ist man ein Mensch, der mit den Emotionen der anderen umgehen muss. So sehr einem der Beifall schmeichelt, so sehr kränken die Buhrufe. Hab ich vielleicht sogar den Beruf verfehlt. Denn es lautet ja ,,Don't stay in the Kitchen when you can't stand the heat". Ich glaube nicht. Ich glaube vielmehr, dass unser heutiges Konsumverhalten darauf ausgerichtet ist, möglichst schnell ein Urteil über das zu fällen, was man sieht oder hört und es einzuordnen in eine Kategorie, die mit dem, was man denkt, übereinstimmt. Das ist in gewisser Weise sehr ungerecht und zugleich auch naiv. Denn während man wirklich denkt in einem Kommentar oder einer Kritik, die man verfasst, etwas bewegen und bewirken zu können, geht es denen, die uns diese Plattform zu Verfügung stellen, lediglich um Klickzahlen und Reichweite.
Jede noch so ernst gemeinte Kritik ist also nichts anderes als eine redundante Vervielfältigung dessen, was man kritisiert. Denn je mehr kritisiert wird, desto weniger ist von Bedeutung, was man kritisiert. Hinzukommt, dass durch die Anonymität des Internets auch nicht gewährleistet ist, dass es echte Menschen sind, die einen kritisieren, loben oder hinterfragen.
Deshalb wäre es vielleicht eine Lösung, wieder auf mehr Authentizität zu setzen, beispielsweise durch eine Klarnamen Pflicht oder Identifizierungprozesse und Protokolle. Vielleicht ist es aber auch in Ordnung, so wie es ist. Denn gerade durch die Anonymität entsteht eine andere Form von Ehrlichkeit, die zeigt, dass wir Menschen im Kern unseres Wesens auch etwas Grausames haben. Der Spaß daran, andere zu kränken, sie zu verletzen, sich über sie zu stellen, scheint in uns veranlagt zu sein. Und vielleicht brauchen wir die Plattform des Internets, um dieser Veranlagung zu frönen und uns an der Lust zu laben. Oder aber es ist eine moralische Frage. Kann man dem anderen das zumuten, was man selbst nicht erträgt. Fehlen uns die nötige Empathie und die Gabe, uns in den anderen hinein zu versetzen, wenn wir ihn als etwas wahrnehmen, auf das wir wahllos draufschlagen können? Könnte das Internet nicht auch eine Plattform sein, um zu lernen und Sensibilität zu praktizieren und Respekt? Aber woher sollen wir das kennen? Schon in unserem alltäglichen Umgang fehlen uns diese Werte. Und selbst wenn das konservativ klingen mag, ich bin mittlerweile fest davon überzeugt, dass unsere Gesellschaft immer mehr verroht und primitiver wird. Einem grassierenden Exhibitionismus steht eine Empfindlichkeit entgegen, die nur noch kollabieren und resignieren kann, wenn sie nicht erträgt, was man ihr antut. Psychische Krankheiten haben sich in den letzten Jahrzehnten vermehrt durch Phänomene wie Mobbing und Internetstress. Denn das, was wir der virtuellen Welt im Ansatz initiieren, kehrt irgendwann wieder in unser reales Leben zurück und dann erschrecken wir uns, weil wir konfrontiert werden mit der brutalen Aggression, die uns sonst weit weg zu sein scheint.
Im Grunde genommen ist es ein Krieg, in dem wir hineingeraten sind. Denn es geht auch um die Verteidigung von ideologischen Territorien, denen wir uns zugehörig fühlen. Sobald jemand kommt, der uns dieses strittig macht, empfinden wir ihn als Gegner und versuchen ihn entweder durch verbale Gewalt oder die Wucht der Mehrheit zum Schweigen zu bringen. Dann beginnt der Faschismus in uns sich zu entfalten, und er wird zu einer Kraft, die so unbändig ist, dass man nicht weiß, ob man ihr nicht selbst irgendwann zum Opfer fallen kann. Auch gibt es keine Institutionen mehr, die uns lehren, was die Folgen unseres Verhaltens sind. Wir bleiben also unserer eigenen Inkonsequenz ausgesetzt, wenn wir bedingungslos durchsetzen, was wir für richtig halten, ohne an die Folgen für uns und andere zu denken. In diesem kollektiven Wahn gibt es keinen anderen Ausweg, als sich entweder komplett zu entziehen oder auf Ignoranz umzuschalten.
Aber warum bewegt man sich dann in diesem Raum. Weil es ein Urbedürfnis des Menschen zu sein scheint, gesehen, gehört und wahrgenommen zu werden und vielleicht das zu spüren, was wir alle so sehr vermissen, wenn wir uns in Einsamkeit verlieren: Liebe und Zuwendung, Anteilnahme und Mitgefühl. Ein bisschen Wärme an dem lodernden Feuer, an dem wir uns oft auch die Finger verbrennen, wenn wir glauben, es zu beherrschen.
08.04.24
©Serdar Somuncu
Aktuelles Programm ,,Seelenheil" jetzt downloadbar in Shop
*Serdar Somuncu ist Schauspieler und Regisseur
Was mit mir passiert, wenn ich lese, was Sie von mir halten? Bei manchen ist es einfach nur freundlich und es schmeichelt. Bei anderen ist es verletzend und es ärgert. Aber sind wir dann die richtigen Adressaten unserer Sehnsucht. Sollten wir uns diese Gefühle nicht bei echten Menschen holen? Wen vertrete ich, wenn Sie mich für ihren Freund halten? Und zu wem werde ich, wenn ich Ihr Feind bin? Ist es nicht von Anfang an ein trügerisches Vertrauen gewesen, dass sie in mich gesetzt haben und welches jetzt zu Enttäuschung mutiert ist?
Tatsächlich ist die Bühne eine Projektionsfläche für die Sehnsüchte, die Ängste, die Hoffnungen, die Wut, die Verzweiflung und die Trauer, die wir Menschen alle in uns tragen. Der Schauspieler hat die Aufgabe, diese Gefühle sowohl zu senden, sie zu transportieren, als sie auch zu empfangen. Aber sie sind nicht echt. Niemals. Sie sind immer nur ein Trugbild. So glaube ich mittlerweile, dass es eine Auszeichnung ist, von vielen unterschiedlichen Menschen gemocht, aber auch verachtet zu werden. Denn es zeigt am Ende, dass ich mir selbst treu geblieben bin und mich nicht um der Gunst meiner Zuschauer willen angepasst habe an ihren Geschmack. Und der ist bekanntlich sehr unterschiedlich.
Besonders wenn es um politische Dinge geht, trennen sich die Geister. Manche halten mich für einen Revoluzzer, andere für einen Systemling. Es bleibt Ihnen überlassen, mich zu interpretieren, solange ich meiner eigenen Aussage treu bleibe. Und das ist nicht immer einfach. Denn auch als Künstler ist man ein Mensch, der mit den Emotionen der anderen umgehen muss. So sehr einem der Beifall schmeichelt, so sehr kränken die Buhrufe. Hab ich vielleicht sogar den Beruf verfehlt. Denn es lautet ja ,,Don't stay in the Kitchen when you can't stand the heat". Ich glaube nicht. Ich glaube vielmehr, dass unser heutiges Konsumverhalten darauf ausgerichtet ist, möglichst schnell ein Urteil über das zu fällen, was man sieht oder hört und es einzuordnen in eine Kategorie, die mit dem, was man denkt, übereinstimmt. Das ist in gewisser Weise sehr ungerecht und zugleich auch naiv. Denn während man wirklich denkt in einem Kommentar oder einer Kritik, die man verfasst, etwas bewegen und bewirken zu können, geht es denen, die uns diese Plattform zu Verfügung stellen, lediglich um Klickzahlen und Reichweite.
Jede noch so ernst gemeinte Kritik ist also nichts anderes als eine redundante Vervielfältigung dessen, was man kritisiert. Denn je mehr kritisiert wird, desto weniger ist von Bedeutung, was man kritisiert. Hinzukommt, dass durch die Anonymität des Internets auch nicht gewährleistet ist, dass es echte Menschen sind, die einen kritisieren, loben oder hinterfragen.
Deshalb wäre es vielleicht eine Lösung, wieder auf mehr Authentizität zu setzen, beispielsweise durch eine Klarnamen Pflicht oder Identifizierungprozesse und Protokolle. Vielleicht ist es aber auch in Ordnung, so wie es ist. Denn gerade durch die Anonymität entsteht eine andere Form von Ehrlichkeit, die zeigt, dass wir Menschen im Kern unseres Wesens auch etwas Grausames haben. Der Spaß daran, andere zu kränken, sie zu verletzen, sich über sie zu stellen, scheint in uns veranlagt zu sein. Und vielleicht brauchen wir die Plattform des Internets, um dieser Veranlagung zu frönen und uns an der Lust zu laben. Oder aber es ist eine moralische Frage. Kann man dem anderen das zumuten, was man selbst nicht erträgt. Fehlen uns die nötige Empathie und die Gabe, uns in den anderen hinein zu versetzen, wenn wir ihn als etwas wahrnehmen, auf das wir wahllos draufschlagen können? Könnte das Internet nicht auch eine Plattform sein, um zu lernen und Sensibilität zu praktizieren und Respekt? Aber woher sollen wir das kennen? Schon in unserem alltäglichen Umgang fehlen uns diese Werte. Und selbst wenn das konservativ klingen mag, ich bin mittlerweile fest davon überzeugt, dass unsere Gesellschaft immer mehr verroht und primitiver wird. Einem grassierenden Exhibitionismus steht eine Empfindlichkeit entgegen, die nur noch kollabieren und resignieren kann, wenn sie nicht erträgt, was man ihr antut. Psychische Krankheiten haben sich in den letzten Jahrzehnten vermehrt durch Phänomene wie Mobbing und Internetstress. Denn das, was wir der virtuellen Welt im Ansatz initiieren, kehrt irgendwann wieder in unser reales Leben zurück und dann erschrecken wir uns, weil wir konfrontiert werden mit der brutalen Aggression, die uns sonst weit weg zu sein scheint.
Im Grunde genommen ist es ein Krieg, in dem wir hineingeraten sind. Denn es geht auch um die Verteidigung von ideologischen Territorien, denen wir uns zugehörig fühlen. Sobald jemand kommt, der uns dieses strittig macht, empfinden wir ihn als Gegner und versuchen ihn entweder durch verbale Gewalt oder die Wucht der Mehrheit zum Schweigen zu bringen. Dann beginnt der Faschismus in uns sich zu entfalten, und er wird zu einer Kraft, die so unbändig ist, dass man nicht weiß, ob man ihr nicht selbst irgendwann zum Opfer fallen kann. Auch gibt es keine Institutionen mehr, die uns lehren, was die Folgen unseres Verhaltens sind. Wir bleiben also unserer eigenen Inkonsequenz ausgesetzt, wenn wir bedingungslos durchsetzen, was wir für richtig halten, ohne an die Folgen für uns und andere zu denken. In diesem kollektiven Wahn gibt es keinen anderen Ausweg, als sich entweder komplett zu entziehen oder auf Ignoranz umzuschalten.
Aber warum bewegt man sich dann in diesem Raum. Weil es ein Urbedürfnis des Menschen zu sein scheint, gesehen, gehört und wahrgenommen zu werden und vielleicht das zu spüren, was wir alle so sehr vermissen, wenn wir uns in Einsamkeit verlieren: Liebe und Zuwendung, Anteilnahme und Mitgefühl. Ein bisschen Wärme an dem lodernden Feuer, an dem wir uns oft auch die Finger verbrennen, wenn wir glauben, es zu beherrschen.
08.04.24
©Serdar Somuncu
Aktuelles Programm ,,Seelenheil" jetzt downloadbar in Shop
*Serdar Somuncu ist Schauspieler und Regisseur
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Mache nur bei intoleranten Menschen eine Ausnahme.
Intoleranz kann kann und will ich nicht tolerieren...
Danke für alles, Serdar.
Ich verneige mich vor einem großen Denker und Redner!
Anklagen ist nicht schwer. Den Dialog, auch in Feindeslagern, zu suchen ist eine Fähigkeit, die den meisten abgeht.
https://www.bitchute.com/video/NCa7nfepAsjT/
Ein ganz toller Satz. Brutal gut.
Es scheint kaum noch Sachebenen zu geben. Immer mehr läuft nur noch über die Ebene der Emotion. Diese Menschen scheinen intrinsisch motiviert zu sein, permanent einen Bekenntniszwang nach außen tragen zu müssen. Leider sind die "Toleranten" nur so lange tolerant, bis man sie kritisiert.
Mit freundlichen Grüßen
Matthias Jansen