Meuterei auf der Bounty

Meuterei auf der Bounty

Was für ein Chaos! Die Koalition ist zerbrochen, die Regierung liegt in den letzten Zügen, die Opposition rebelliert, meuchelt und intrigiert, und das Volk schaut ratlos zu, wie eine Clique von Machthabern fernab jeder Realität das Land in den Abgrund steuert. Jeder für sich, alle für keinen.
Es ist ein erbitterter Kampf ums Überleben, in den uns der absehbare Ausstieg der FDP aus der Ampelkoalition gestürzt hat. Und das in einer Zeit, in der wir dringender denn je eine stabile Regierung bräuchten. Denn auch die Welt steht am Abgrund.

von Serdar Somuncu
Ein seit drei Jahren tobender Krieg in der Ukraine, der brennende Nahe Osten, Volksaufstände in Südkorea und Georgien, und wenn man jetzt noch den Iran und Taiwan dazuzählt, dann ist das fast genau der Zustand, in dem sich die Welt vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges befand. Ein zerstrittenes Europa, in dem der Nationalismus immer mehr die Oberhand gewinnt, eine Wirtschaftskrise, Deindustrialisierung und Inflation, dazu Machtwechsel und regionale Konflikte. Fertig ist das Gebräu, aus dem Weltkriege gemacht werden. Dabei hätte alles so einfach sein können. Hätte man der Ukraine von Anfang an reinen Wein eingeschenkt und auf Diplomatie gesetzt, statt Hoffnungen zu schüren und auf weitere Eskalation zu setzen, dann wäre dieser Krieg, der seit seinem Beginn viel zu viele Menschenleben auf beiden Seiten fordert, längst beendet und wir könnten uns auf Wesentlicheres konzentrieren. Stattdessen versteigen sich die üblichen Protagonisten auf wiederkehrende Diskussionen über immer neue Waffenlieferungen, die bereits jetzt schon in eine Eskalationsspirale geführt haben, an deren Ende nur noch der Einsatz von Bodentruppen oder Atomwaffen und damit der sichere Untergang der Zivilisation zu stehen scheint.

Hätten wir im Nahen Osten eine Regierung gehabt, die nicht weiter den Terror unterstützt und auf der anderen Seite scheinheilig das Gedenken propagiert, dann hätten wir uns wahrscheinlich auch eine Menge innenpolitischen Ärger erspart und uns weiter mit der Frage beschäftigen können, wie wir diesen Konflikt endlich friedlich beenden können. Ob es dabei um die Gründung eines freien Palästina oder um eine Zweistaatenlösung in Gaza innerhalb der bestehenden Grenzen geht, ist unerheblich, solange nicht noch mehr unschuldige Menschen sterben und endlich Schluss ist mit Taktieren und leeren Versprechungen.

Gleiches gilt für die inneren Konflikte unserer Gesellschaft. Der ständige Streit einer libertären Oberschicht um immer mehr Restriktionen und auf der anderen Seite der Kampf um immer absurde Freiheiten, lassen die Menschen ratlos angesichts der Arroganz mit der sich die regierende Elite mit sich selbst beschäftigt, statt ihrer Verantwortung gerecht zu werden und sich endlich um die Belange der Menschen in diesem Land zu kümmern. Pflichtgefühl, weit gefehlt. Bildungspolitik, Zuwanderung und innere Sicherheit sind entweder Wahlkampfmunition oder rhetorisches Beiwerk zu den üblichen Phrasen. So wie auch das Scheitern der Programme von Umweltschutz und dem Ausbau der Infrastruktur nur hastige Lippenbekenntnisse geblieben sind. Deutschland hinkt hinterher. Nicht nur der Export schwächelt , sondern auch eine Modernisierung alter Strukturen ist längst überfällig. Fragt man aber die Verantwortlichen, so ist das alles nur ein Problem der Vermittlung. Aha, die Ursachen liegen also im mangelnden Verständnis der Bürger. Sprich, die Menschen sind zu dumm für ihre Politiker.

Dabei handelt es sich um offensichtliche Widersprüche, für die man Erklärungen schuldig bleibt. Eine Regierung die auf der einen Seite E-Autos nur halbherzig subventioniert und damit die Autoindustrie in eine Krise nach der anderen stürzt und auf der anderen Seite weiter auf fossile Brennstoffe setzt und Atomkraft abbestellt ist nicht nur gefangen in ihrem blinden Dogmatismus, sie ist in ihrer Arroganz und Abgehobenheit nicht mehr ansatzweise dazu in der Lage zu erkennen, was die wahren Nöte der Menschen sind. All das wird abgetan und kleingeredet. Entscheidungen werden auf die lange Bank geschoben und Diskussionen werden im Ansatz abgewürgt. Andere Meinungen werden stigmatisiert und sanktioniert und letztendlich jegliche Form von konstruktiver Lösungssuche so verhindert.
Schon längst hätten wir eine gesellschaftliche Diskussion über unsere gemeinsamen Werte und Ziele für die Zukunft führen können, statt sie den Demagogen zu überlassen, die aus unserer Zerstrittenheit ständig Profit schlagen und immer weiter an die Macht drängen, bis sie wahrscheinlich eines Tages in der Lage dazu sein werden, Macht zu verhindern oder selbst zu bestimmen, wen sie dabei unterstützen.
Und jetzt auch noch Neuwahlen, ohne dass die Vertrauensfrage entschieden ist. Was wenn Scholz doch Kanzler bleibt? Kann sich Merz dann noch halten als gescheiterter Oppositionsführer? Mit wem will die CDU noch koalieren, wenn sie selbst ihre Möglichkeiten immer mehr reduziert? Oder besinnt sich die Partei auf den heimlichen Kronprinzen aus Bayern und kürt Markus Söder in einem Handstreich zum neuen Kanzlerkandidaten, der zusammen mit Publikumsliebling Boris Pistorius der abgehalfterten großen Koalition neuen Anstrich gibt? Spannend wärs. Aber ob es gut für Deutschland wäre ist eine anderen Frage.

Was für eine Soap. Ein orientierungsloser Kanzler, der sein Heil in der Annäherung an längst verworfene Ideen sucht und sich im Nachhinein als Diplomatiekanzler präsentieren will, eine CDU, die sich über Brandmauern und Koalitionsoptionen uneins ist. Eine zerbröselnde Linke, die ihre Wählerstimmen immer weiter zersplittert und damit auf lange Zeit keine Aussicht mehr auf Regierungsbeteiligungen hat, und ein immer skrupelloseres Vorgehen der Medien, die im eigenen Überlebenskampf mehr auf Clickbaiting und Fake News setzen als auf fundierte Aufklärung und glaubwürdigen Informationsaustausch. Es ist, so scheint es, so kompliziert wie schon lange nicht mehr, und wenn man abermals einen bangen Blick in die Geschichte wagt, dann fragt man sich, wie diese Lust an der permanenten Eskalation zu einem Happy End führen soll, wenn keiner der Beteiligten mehr wirklich an einvernehmlichen Lösungen interessiert ist und stattdessen die Behauptung der eigenen Interessen im Vordergrund steht. Konstruktive Auseinandersetzungen scheitern stets wenn Beharren auf der eigenen Meinung mehr wert sind als Besonnenheit und Vernunft.

Die Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft sind nach der schwierigen Coronazeit offensichtlich in ein unlösbares Dilemma geraten, das sie so entfesselt hat, dass sie kaum noch über die Auswirkungen ihrer Entscheidungen und Maßnahmen nachdenken und zur Begründung ihres Handelns nur noch fadenscheinig oder hypermoralisch argumentieren. Dabei wäre vor allem auch die Aufarbeitung der Corona-Versäumnisse sowohl der Politik als auch der beteiligten Personen aus der Öffentlichkeit ein weiterer und wichtiger Schritt zur Vertrauensbildung. Etwas, was die nächste Regierung dringend braucht, wenn sie nicht wieder aus reinem Pragmatismus Mehrheiten bilden und sich dabei auf faule Kompromisse einlassen will.

Vier Jahre der Unentschlossenheit, der leeren Versprechungen und der Vorwände sind genug. Wir müssen endlich zu einer lösungsorientierten und pragmatischen Politik zurückkehren, die nicht nur unsere eigenen Bedürfnisse in den Vordergrund stellt, sondern auch unsere Verantwortung für die Welt deutlich macht. Dass Europa und Deutschland am Ende vielleicht sogar den genau entgegengesetzten Weg wie Amerika einschlagen könnten, bedeutet nicht zwangsläufig, dass wir uns aus der atlantischen Bindung verabschieden müssen, sondern dass wir statt eines America First ein Justice for all versuchen, das für mehr Frieden und Freiheit steht als jede Ideologie, die ihr Heil immer nur im Egoismus und in der Durchsetzung eigener Interessen sucht. Es ist Zeit aufzuwachen. Fangen wir endlich damit an!

06.12.24
©Serdar Somuncu
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*Serdar Somuncu ist Schauspieler und Regisseur
Kommentare
  • Orth
    07.12.2024 14:24
    Zwischen dem Laub der letzten Jahre weht am Nikolaustag die Mäcces Tüte zum Schulbeginn den Kindern entgegen.

    Als Zeichen der Gleichgültigkeit, einer Gesellschaft befreit von einer Mindestintegrität und Moral.

    Zwischen theoretischen Erzählungen von Kinderrechten und gelebtem Adultismus freuen sich zumindestens die Schädlinge.

    Die Rattenmutter kann so in den ungepflegten Dornenbüschen dafür Sorgen, dass Sie bald die Zahl der Menschenkinder übertrifft.

    Das grau Ihres Felles gleicht dem manch anderer Schulbewohner, die sich, müde Ihrer Selbst im Dornröschenschlaf durch einige Generationen von Kindern bewegen.

    Walking Dead.

    Umso heller die wenigen Polarsterne leuchten die den Kindern die baldige Weihnacht ankündigen voller Wärme und Licht.

    Gefangen zwischen Regeln die die Gemeinschaft selber nicht befolgt kann sich hier jeder optimal entfalten und entwickeln.

    Also jeder aus der aus der Nagerfamilie.


    Gedanken zur Grundschule 06.12.2024


    Daß wir wieder werden wie die Kinder, ist eine unerfüllbare Forderung. Aber wir können zu verhüten suchen, daß die Kinder werden wie wir.
    Erich Kästner
  • Konstanze Dockowitz
    06.12.2024 20:13
    Erst einmal vielen Dank für diesen wertvollen Text.

    Ich würde mir am liebsten die Haare raufen und heulen, aus Frustration und auch aus Wut, wenn ich sehe, was aus diesem Land geworden ist. Politiker drehen sich nur noch um sich selbst und ihre Macht, dabei halten sie die Bürger für unmündig und kplt Vollpfosten (sorry für diese Begrifflichkeit). Herr Merz, der sich schon als Kanzler sieht, will Russland Ultimaten stellen, als wenn Putin davor Angst hätte. Wir haben ja nicht einmal eine wehrfähige Truppe, die irgend etwas verteidigen könnte. Da wird wie alles in diesem Land zu Tode verwaltet. Und ich will nicht, dass noch mehr gezündelt wird, weil es mir Angst macht. Manchmal habe ich den Eindruck, wir werden so ganz schleichend auf Krieg vorbereitet. Erst gestern Nacht und heute Mittag heulten die Sirenen, wohl zum Probealarm. Mir läuft es jedesmal eiskalt den Rücken runter. So oft wie in letzter Zeit habe ich die Sirenen nur in meiner Kindheit gehört und dann 2 Jahrzehnte nicht mehr. Plötzlich wird die Wehpflicht wieder diskutiert und Herr Merz empfindet dies als ganz normal. Klar, er muss ja nicht an die Waffe und all die, die sich in ihrem Parlamentssessel für viel Geld die Positionen und Macht hin- und herschieben, auch nicht.

    Zur Krönung wollen die wieder Minister werden, die es die letzten 3 Jahre so richtig verbockt haben bzw. reden an Küchentischen von Kanzlerschaft. Die Gesamtheit der Lage ist eigentlich eine Schmierenkomödie, die sich so keiner ausdenken kann, bis auf unsere Politiker.

    Vlt muss es noch schlechter werden, bis es wieder besser werden kann. Auch wenn ich das nicht will, da mich dieser ganze Zustand extrem bedrückt, verunsichert und oft auch lähmt, weil politikseitig kein Silberstreif am Horizont zu sehen ist. Ich weiss, ziemlich düster mein Text...sorry, dabei wäre ich so gerne mal wieder unbeschwert und zuversichtlich, wenn ich an unser Land denke.

    Konstanze
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