Unheilbar - Über die Elefanten im Meinungskorridor

Unheilbar - Über die Elefanten im Meinungskorridor

Nachdenken über Welt- und Demokratiebilder anhand einiger Aussagen des Bundesministers Hubertus Heil bei Markus Lanz am 26.11.2024. Und ja, es ist vielleicht auch ein satirischer Rant und ich muss dabei schon auch etwas weiter ausholen und erwähne sogar Anne Applebaum und das U-Wort. Mein Beitrag könnte auch Spuren von Kriegsmüdigkeit sowie Lebensbegeisterung enthalten.

Von Michael Klade
Hubertus Heil ist nicht für seinen eigenen Namen verantwortlich, weder für das erste noch für das zweite H. Seine Unschuld gilt somit auch für alle möglichen und unmöglichen Konnotationen und Assoziationen, die man von seinem Nachnamen oder auch von seinen Initialen ableiten könnte. Haha. So viel zu seiner Verteidigung. Für seine Aussagen ist Herr H.H. aber selbstverständlich schon verantwortlich, und wenn er haarsträubenden Humbug erzählt, sollte darüber diskutiert werden, zumal Herr H.H. als Bundesminister eine Machtposition einnimmt und dafür bezahlt wird, verantwortlich mit seiner Macht umzugehen.

Fairerweise räume ich ein, dass ich meinen Kommentar nicht mit objektiven Tatsachen begonnen habe: Dass Herr H.H. bei Lanz ,,haarsträubenden Humbug" erzählte, ist meine Auffassung, mein Urteil; und jeder, der sich dafür interessiert, sollte sich die Sendung anschauen (auch wenn es ein bisschen weh tut) und selbst darüber nachdenken. Sapere aude und so weiter... Für mich war, um ganz transparent zu sein, ein Ausschnitt aus besagter Talkshow Anlass, laut über Phänomene nachzudenken, die mich ohnehin gerade beschäftigen. Ich versuche hier also, das Große im Kleinen zu sehen und anhand eines kleinen Beispiels viel größere Probleme unter die Lupe zu nehmen. Ich habe weder endgültige Antworten noch Lösungen, ich verkaufe keine Ideologie und ich möchte mit diesem Beitrag nicht mehr (aber auch nicht weniger), als eine Gelegenheit, meine Gedanken mit anderen zu teilen, um wiederum Gedanken anzuregen und somit zu einem etwas besseren Diskurs beizutragen, wobei die Messlatte hier zugegebenermaßen gerade sehr tief hängt, nämlich in der Welt der deutschen Talkshows.

Wenn Lanz & Co mehr oder weniger prominente Figuren zum Gespräch laden und das Thema kontrovers ist, sitzen im Studio stets auch ein paar Elefanten. Wer den Anglizismus vom Elephant in the Room nicht mag, kann das Sprachbild gerne auch auflösen: Es gibt offensichtliche und bedeutsame Aspekte, die in der Gesprächsrunde durch Abwesenheit glänzen, die einfach völlig ignoriert werden, deren Ausklammerung den Meinungskorridor verengt. Das Ausklammern bestimmter Positionen beginnt mit der Bestimmung der Sendungsthemen und der Auswahl der Gäste, setzt sich fort mit den Fragen der Talkmaster und reicht bis hin zu den Reaktionen (oder der Nicht-Reaktionen) der Talkmaster auf Aussagen der Gäste. Es geht also um Prozesse, die heute gerne mit dem Anglizismus ,,Framing" umschrieben werden, sowie um die Auswahl von Positionen, die bestimmten Narrativen entsprechen. Unerwünschte Beiträge, also Meinungen, die nicht zum jeweils akzeptierten Narrativ passen, werden verhindert, indem man ,,umstrittene" Leute erst gar nicht einlädt (und wenn doch, dann nur im Format ,,Alle gegen Eine(n)", wo dann Talkmaster und Gäste verbal auf die Persona non grata einprügeln, um ihre vermeintlich verwerfliche Haltung bloßzustellen). Dahinter können natürlich alle möglichen Verschwörungen vermutet werden; es genügt aber vermutlich meist eine Kombination aus altmodischem Konformismus und Opportunismus. Um beim Beispiel der Talkshows zu bleiben - Konfrontation ist gut für die Quoten, Konformität ist gut für die Karriere.

Wie wird ein Medienrezipient wie ich aufmerksam auf die Verengung des Meinungskorridors? Nun, da wäre zum Beispiel der internationale Vergleich. Da ich in Finnland lebe und mich privat wie beruflich sowohl mit der englischsprachigen als auch mit der deutschsprachigen Welt befasse, rezipiere ich Medien in drei verschiedenen Sprachen und aus relativ vielen verschiedenen Ländern. Bei kontroversen Themen, die von globalem Interesse sind, wird deutlich, wo Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Berichterstattung liegen; also wie man jeweils mit Framing und Narrativen umgeht. Selbstverständlich gilt das nie für alle Medien in gleichem Maße; ,,die Medien" gibt es ja nicht. Umso bemerkenswerter ist es dann jedoch, wenn sich eine Art Konsens zu bestimmten Themen bildet, wenn sich beispielsweise die Berichterstattung über die Ukraine von TAZ bis Welt an dasselbe ,,offizielle" Narrativ hält. Ansichten, die nicht in den engen Meinungskorridor dieses Narrativs passen, sind in der Regel nur noch in ,,alternativen Medien" zu finden. So sitzen dann die Publizisten, Philosophen, Soziologen, Diplomaten, Ökonomen u.v.a., deren Meinungen nicht genehm sind, seien sie auch noch so berühmte Koryphäen, in diversen Podcasts von diversen YouTubern und lassen sich dort interviewen oder sie beteiligen sich dort an den Diskussionen, die Lanz & Co nicht ermöglichen.

Ohne in diesem Text allzu tief in die Ukraine-Thematik einzugehen, muss ich doch kurz erklären, was ich mit diesem ,,offiziellen Narrativ" meine. Immerhin geht auch Herr H.H. davon aus und macht auch unmissverständlich klar, dass er diesbezüglich keine Abweichungen duldet. Zu den zentralen Behauptungen dieses Narrativs gehört die Verteidigung unserer Freiheit sowie westlicher Werte und Interessen in der Ukraine. Dazu gehört eine sehr selektive, einseitige und unterkomplexe Darstellung der Vorgeschichte des Krieges: Die Schuld liegt allein bei Putin, der Angriff war unprovoziert und der Machthunger der Russen ist die einzige Motivation. Wenn man überhaupt über die Vorgeschichte redet, dann nur, um die Naivität früherer Regierungen anzuprangern; wie falsch man doch lag, als man noch die Annäherung an Russland suchte und an Wandel durch Handel glaubte. In Wirklichkeit, so das Narrativ, wäre es den Russen immer um imperiale Machtgier gegangen. Innerhalb des gestatteten Meinungskorridors kann Putin entweder ,,nur" als Imperialist gesehen werden, der seine Nachbarn bedroht, oder gleich als Hitler des 21. Jahrhunderts, der ganz Europa erobern wird, wenn man ihn nicht aktiv daran hindert. Selbstverständlich gehört auch die Strategie des Westens, (sofern man von einer Strategie sprechen kann), zum Kern dieses Narrativs: Die Ukraine darf nicht verlieren, muss unterstützt werden, bis Putin seinen ,,brutalen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg" beendet, damit die Integrität der Ukraine bewahrt bleibt. Daher müssen immer mehr Waffen geliefert werden, denn sonst droht der Untergang. Und wenn Putin in der Ukraine erfolgreich ist, so die neue Dominotheorie, überfallen seine Horden morgen das nächste Nachbarland und stehen übermorgen vor Berlin.

Die Fortführung des Krieges ist in dieser Version der Wirklichkeit einem ,,Diktatfrieden" unbedingt vorzuziehen, denn der autokratische Aggressor dürfe ja nicht belohnt werden. Lieber nimmt man halt noch ein paar hunderttausend Tote mehr in Kauf und riskiert die Entgrenzung des Krieges, womöglich sogar einen nuklearen Schlagabtausch. Was im kalten Krieg unmöglich schien, wird nun von den lautesten Ukraine-Cheerleadern gefordert: Wir müssen wieder wagen, gute altmodische Kriege zu führen, Atomwaffen hin, nuklearer Winter her! Wir tun einfach so, als gäbe es diese Gefahr nicht (der blufft ja nur) und gehen weit, weiter oder gar ,,all in"! Innerhalb des Meinungskorridors, den man inzwischen in den öffentlich-rechtlichen und in den anderen ,,Mainstream"-Medien zulässt, wird also die grundsätzliche Logik der westlichen Strategie ebenso wenig in Frage gestellt wie die Hintergründe des Kriegs, zumal diese beiden Bereiche untrennbar miteinander verwoben sind. Wer nicht darüber reden möchte, welche Rolle beispielsweise die US-Außenpolitik der letzten Jahrzehnte bei diesem Thema spielte, wird auch die Bedeutung der US-Außenpolitik für die Zukunft der Ukraine nicht richtig einschätzen können. Wer so tut, als wäre die NATO ein ganz liebes Verteidigungsorganisatiönchen, und die doofen Autokraten müssten doch einfach nur kapieren, dass wir sie nicht bedrohen, wird vermutlich nie etwas konstruktiveres als ,,nur ja kein Diktatfrieden" zur Beendigung des Krieges beitragen können.

Diskutiert wird also nur darüber, wie weit man gehen sollte in der ,,Unterstützung der Ukraine", ob Scholz nun ein besonnener Friedenskanzler oder ein feiger Zögerer sei; ob er eine Eskalation des Kriegs verhindern oder seine Wiederwahl ermöglichen will. (In der Lanz-Sendung wurde indirekt mit dem Gedanken gespielt, Scholz könnte möglicherweise einen auf Friedenskanzler machen, der seinen Wählern aus egoistischen Machtinteressen Deeskalation und Sicherheit zu verkaufen versuche.) Wie dem auch sei, es gäbe so viele interessante Perspektiven auf den Krieg und nur so wenige kommen im Diskurs vor! Beispielsweise wird in vielen englischsprachigen Medien die transatlantische Perspektive viel offener und (selbst)kritischer behandelt als in Deutschland (It's about NATO, stupid). Dazu kommen die Perspektiven vieler einzelner Länder, gesamt- und teileuropäische Perspektiven, Perspektiven aus dem ,,globalen Süden", aus China, die Ebene der globalen Machtpolitik (etwas mehr kühler sachlicher John Mearsheimer und etwas weniger trotzige hitzköpfige Anne Applebaum, bitte!), die Ebene der Interessenkonflikte (Rüstungsindustrie und Politik), und ich erspare mir den Rest. Sogar russische Perspektiven könnten Teil des Diskurses sein, vielleicht sogar ukrainische (und nein, ich meine nicht die Perspektive der ukrainischen Regierung). Aber nichts da, wir beschränken uns auf die fragwürdig geframte in-der-Ukraine-wird-unsere-Freiheit-verteidigt-Perspektive - und alles andere wird nicht nur ignoriert, es wird delegitimiert.

Weder die zurückhaltenden Ukraineunterstützer (Russland darf nicht gewinnen) noch die aggressiven Ukraineunterstützer (Russland muss verlieren) aber können erklären, wie sich dieses Nicht-gewinnen oder gar Verlieren Russlands konkret abspielen soll. Wie hat man sich das vorzustellen, besonders heute, gegen Ende des Jahres 2024, da die Lage der Ukraine immer verzweifelter wird und die Russen im Osten der Ukraine immer schneller vorankommen? Immer seltener wird über die Rückgabe der Krim gesprochen oder über all die anderen Maximalforderungen, die man stets als Voraussetzung für Friedensverhandlungen propagiert hat. Heimlich, still und leise scheint man akzeptiert zu haben, dass es ohne Kompromisse wohl nicht gehen wird, aber wie ein fairer Frieden aussehen könnte, ist und bleibt völlig unklar. Was soll sich in der aktuellen Situation für die Ukraine noch verbessern, wofür es sich lohnt, Tag für Tag Menschen an der Front zu verheizen? Könnte mir bitte jemand vom Ende her erklären, wie Russland nicht gewonnen haben wird und ein akzeptabler Frieden erreicht werden konnte? Ohne Entgrenzung der Kampfhandlungen, ohne horizontaler und/oder vertikaler Eskalation, ohne Weltkrieg?
Wie schwer sich die Apologeten der gewählten Strategie tun, zeigt sich an den seltsamen Formulierungen, mit denen sie unsere Ohren quälen und unsere Intelligenz beleidigen. So drückte sich auch Herr H.H. äußerst schwerfällig dazu aus: ,,Wir müssen die Ukraine so lange unterstützen, bis Putin diesen Krieg nicht gewonnen hat", meinte er bei Lanz. Und es soll eine Situation her, in der nicht andere über die Köpfe der Ukrainer hinweg entscheiden, oder so ähnlich. Bis Putin diesen Krieg nicht gewonnen hat? Aha, Herr H.H., sehr interessant! Und es ist umso interessanter, da die Russen auf dem Vormarsch sind, Trump die Wahlen gewonnen hat, Europa gespalten ist und weite Teile des ,,globalen Südens" eher Russland als den Westen unterstützen, und sei es nur ob der unerträglichen Scheinheiligkeit und Arroganz, die westliche Politiker immer wieder an den Tag legen.

Wie geht nicht verlieren, wie geht gewinnen, was soll da jeweils passieren bzw. nicht passieren? Waffenlieferungsforder*innen, bitte erklärt es uns! Auf Wunder oder göttliche Einmischung hoffen kann es ja wohl nicht sein, oder etwa doch? Mich wundert ja langsam nichts mehr! Einen ganz besonders starken Erklärungsnotstand haben meiner Meinung nach Leute wie Anne Applebaum, die eher die extreme ,,Putin = Hitler Position" vertreten und dem entsprechend extreme Forderungen stellen. Als Frau Applebaum den Friedenspreis(!) des Deutschen Buchhandels erhielt und in diesem Zusammenhang eine Rede in der Paulskirche halten durfte, wunderte mich beispielsweise nicht, dass die polnisch-amerikanische Neocon-Publizistin forderte, man müsse den Gewaltkult in Russland militärisch beenden, so wie man ihn 1945 in Deutschland beendete. Ich kannte ja die Schwäche ihrer Argumente ebenso wie die Widersprüchlichkeiten ihrer Logik, und natürlich ignoriert sie, dass etwa 6000 russische Atomsprengköpfe die Kriegslogik à la Berlin 1945 - sagen wir, etwas problematisch machen. Träumt sie vielleicht von der totalen Kapitulation Russlands in einem zerbombten Moskau, mit Putin, der sich im Bunker eine Kugel durch den Kopf jagt? Selbst mit konventionellen Waffen wäre so ein Niederkämpfen der Russen mit unvorstellbar vielen Todesopfern verbunden, doch die entscheidende Frage ist doch, wie man den Einsatz nuklearer Waffen verhindern will? Ich kann mir keine Situation vorstellen, die so sicher in den nuklearen Holocaust führen würde, wie der Untergang des russischen Regimes.

Und nur um es ganz klar zu sagen: Ich würde mir auch den Untergang dieses Regimes und ein ganz anderes Russland wünschen! Aber wer die unschönen Hindernisse nicht sieht oder nicht sehen will, die zwischen der Realität und dem Wunsch liegen, handelt naiv oder lügt. Mich wunderte auch nicht, dass Applebaums Rede keinen Shitstorm auslöste. Indirekt den totalen Krieg zu fordern, liegt innerhalb des erlaubten Meinungskorridors, ein Ende der Waffenlieferungen oder eine weniger konfrontative Russlandpolitik zu fordern, liegt dagegen weit außerhalb.
Doch je enger dieser Korridor wird, desto schwerer tut man sich mit dem Ignorieren des Elefanten: Wie will der Westen seine Ziele erreichen? Wie soll Russland verlieren, ohne, und sei es als letzte Verzweiflungstat, Massenvernichtungswaffen einzusetzen. Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass auch die Aussagen des Herren H.H. keinen Shitstorm auslösen werden, denn ähnliche Aussagen konnte man in den letzten Monaten auch von anderen Regierungs- und Unionspolitikern hören, und soweit ich das einschätzen kann, blieben die Shitstorms stets aus. Es geht auch hier um den inzwischen übererwähnten Meinungskorridor, um die Haltung gegenüber jenen, die es beispielsweise wagen, die Waffenlieferungen zu kritisieren; es geht um das Demokratieverständnis - und es geht auch bei diesem Punkt um Widersprüchlichkeiten. Und Herr H.H. lieferte bei Lanz ein paar vorzügliche Beispiele, die mich ebenso triggerten, wie sein kryptisch-kreatives ,,bis Putin diesen Krieg nicht gewonnen hat".

Schon mehrere Minuten bevor er diesen vermeintlichen Konsens formulierte, auf den wir uns alle einigen sollen, meinte er, man müsse schon mit den Bürgern und Bürgerinnen reden, die Zweifel haben, die kritisch sind - beinahe fühlte ich mich angesprochen! Dabei bin ich gar kein Bürger Deutschlands! Man dürfe diese zweifelnden und kritischen Menschen nicht in eine Ecke stellen, oder so ähnlich, meinte der Bundesminister. Und ja, da stimme ich ihm absolut zu! Bitte stellt mich nicht in eine Ecke, womöglich gar in die Ecke der Putinfreunde! Ich bin kein Freund Putins, fand ihn schon vor 25 Jahren schrecklich, und ich werde auch nicht von Russland dafür bezahlt, die Politik des Westens zu kritisieren. (Sollte mich jemand bezahlen wollen, bitte ich hiermit um Kontaktaufnahme!) Zwinkersmiley. Nein, ich schreibe, weil mich gerade niemand bezahlt und ich daher Zeit habe, meine Gedanken niederzuschreiben. Nicht mehr, nicht weniger.

War ich verwundert über die Weisheit des Herrn H.H.? Ja, tatsächlich, denn keine zwanzig Sekunden zuvor hatte er von ,,AfD-Nasen" und ,,BSW-Aktivisten" gesprochen, die er, vorausschickend, gleich mal ausklammerte, bevor er von zweifelnden und kritischen Bürgern und Bürgerinnen sprach. Damit stellte er einen nicht unwesentlichen Teil der Bevölkerung eben doch in eine Ecke, was ja bei Regierungsvertretern und Unionspolitikern inzwischen eine Art Sport geworden ist. Auch bei Lanz hörte man schon öfter, mal direkt, mal indirekt, dass man diese politischen Ränder gar nicht zu den ,,demokratischen Parteien" zähle. Lanz hinterfragt solche Meldungen nicht. Auch in der hier zitierten Sendung hatte Lanz keine Einwände, als Herr H.H. zwar zweifelnde oder kritische Bürger nicht in eine Ecke stellen wollte, AfD und BSW aber entweder nicht als zweifelnde oder kritische Bürger oder überhaupt nicht als legitime Bürger anerkannte.

Lediglich die abenteuerliche Formulierung ,,AfD-Nasen" hinterfragte der Talkmaster kurz, worauf Herr H.H. die ,,Nasen" zu ,,Menschen" machte. Am Inhalt der Aussage änderte diese kosmetische Korrektur aber nichts. Viel bemerkenswerter als die ,,Nasen" fand ich ohnehin die Begründung des Bundesministers: Er spreche nicht von diesen ,,Menschen" von AfD und BSW, weil diese ,,eindeutig nicht die Interessen dieses Landes und Europas vertreten". Eindeutig ist das für Bundesminister H.H.! So eindeutig, dass er seine Behauptung auch nicht mit Argumenten unterfüttern muss. Ich denke, diese Art von Sicherheit nennt man gemeinhin gerne ,,ideologisch".
Um beim Jargon dieses Textes zu bleiben, Herr H.H. bleibt bei seinem ,,offiziellen Narrativ" und duldet keine Abweichungen, die nicht zu dessen zentralen Prämissen passen. Daraus folgt eine Verengung des Meinungskorridors, was auch auf die Parteienlandschaft erweitert wird. Wer aus der Reihe tanzt, gehört dann ganz einfach nicht mehr zu den ,,demokratischen Parteien", wird zur ,,Nase" erklärt, wird ausgeschlossen und in eine Ecke gestellt, auch wenn man einen Augenblick später behauptet, genau das nicht tun zu dürfen! Soll man da lachen oder weinen?

Vielleicht sollte der Herr Bundesminister ein anderes Volk wählen, denn ich fürchte, umgekehrt wird es bei den bevorstehenden Wahlen nicht besonders gut funktionieren. Er könnte ja das finnische Volk wählen und auswandern. Hier sind die Sozialdemokraten bereits in der Opposition, teilen die Haltung der rechtsrechten Regierung zur Ukrainestrategie und es gibt keine mit Scholz vergleichbaren besonnenen Zögerer! Sounds good? Das ist aber keine Einladung meinerseits, sondern nur satirische Überspitzung! So wie auch der Umstand, dass Herr H.H. in derselben Sendung betont, man könne ja anderer Meinung sein. Aber eben bitte nur, wenn die Meinung genehm ist. Der Elefant mag das Symbol der Republikaner sein, aber hier ist es ein (sozial)demokratischer Elefant, der im engen Meinungskorridor steckt und nicht weiterkommt.


28.11.2024
Michael Klade (46) stammt aus Wien, lebt aber schon seit vielen Jahren in Finnland, wo er Germanistik, Anglistik und Pädagogik studierte. Über die Jahre ist er auf allen Schulstufen zwischen Vorschule und Uni als Lehrer tätig gewesen. Wenn Arbeit und Familie ihn vernachlässigen, richtet er seine Energien gerne auch auf gesellschaftliche Themen. Als alter Auslandsgermanist und Ex(il)-Österreicher im hohen Norden genießt er seine Außenperspektive auf die deutschsprachigen Länder.
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