Nazis im Tarngewand - Wie sich die Rechten organisieren

Nazis im Tarngewand - Wie sich die Rechten organisieren

Der Begriff Nazi war in Deutschland immer schon ein Politikum. Mal nannte man so seine politischen Gegner, mal war man selbst einer. Die Gründe dafür, dass man als Nazi bezeichnet wurde, waren vielfältig und sie sind bis zum heutigen Tage unergründlich geblieben. Aber etwas hat sich geändert. Seit dem Erstarken, der AfD und dem peinlichen Dauerschwächeln der Bundesregierung, tauchen immer mehr Meinungsmacher auf, die man früher nicht als rechtsradikal und schon gar nicht als Nazis verortet hätte.

Von Serdar Somuncu
Es ist eine bunte Mischung aus Geschichtsrevisionisten, Realitätsverklärern und angeblichen Klartextsprechern, die sich anscheinend zur Aufgabe gemacht haben, für eine schweigende Mehrheit in Deutschland zu sprechen. Ob es sich dabei um Dokus angeblich gecancelter Comedians, dubios fremdfinanzierte Meinungskanäle oder harmlos, geflickschustert wirkende Reportagen handelt: Die Dramaturgie ihres Auftretens weist stets die gleichen rhetorischen Elemente auf. "Wir sind diejenigen, die Demokratie praktizieren, weil wir mit jedem reden, auch, wenn er eine andere Meinung vertritt!". Das unschuldig geheuchelte Interesse am andersdenkenden Gegenüber hat inzwischen das ,,Das wird man doch wohl noch mal sagen dürfen" der Siebziger und Achtzigerjahre ersetzt. Unter der Chiffre des Aufbegehrens gegen nie erfahreneres Unrecht, wird so latente Hetzpropaganda zur verbotenen Meinung verklärt.

Dabei gliedern sich die neuen Nationalisten in unterschiedliche Gruppen auf, die zum Teil ähnliche Ziele verfolgen. Das ideale, ideologische Sammelbecken für all die Hoffnungslosen und Verschlagenen scheint zurzeit die AfD zu sein, denn eine glaubwürdige linke Opposition gab es bisher nicht. Und ob Sahra Wagenknechts BSW sie ersetzen wird, bleibt offen. So treiben viele Extremisten, getarnt als harmlose Kommentatoren und Berichterstatter, ihr Unwesen im Netz und sie benutzen dabei ihre Möglichkeiten geschickter, als diejenigen, die sich ihnen entgegenstellen könnten.

Nazi zu sein bedeutet heute etwas anderes, als vor zehn oder zwanzig Jahren. Es bedeutet, die Rolle des Underdogs anzunehmen und damit auf einem ambivalenten Grat so zu balancieren, dass man zwar immer verdächtig ist, aber niemals eindeutig. Es sind die wiederkehrenden Floskeln und Worthülsen, hinter denen sich die Nazis heutiger Tage verstecken. Sie sprechen von Remigration, Überfremdung und Asylfluten. Dabei ist die permanente Übertreibung ihr hauptsächliches Stilmittel. Zahlen spielen selten eine Rolle. Denn würde man die zurate ziehen, dann würden viele der propagierten Ängste der Nazis in sich zusammen fallen. Tatsächlich haben wir, gemessen an den großen Krisen und Konflikten der Welt, so wenig Einwanderung, wie selten zuvor. Obwohl die Gründe dafür, dass Menschen zu uns kommen, nach wie vor bestehen und ungleich mehr geworden sind. Es ist das Ungleichgewicht einer Welt, in der die Profitinteressen der Lobbys den Gerechtigkeitssinn der Allgemeinheit überdecken.
Statt also darüber zu sprechen, welche ungerechte Politik dazu führt, dass Menschen ihre Heimatländer verlassen und die Strapazen einer Flucht auf sich nehmen, tun die Nazis heutiger Tage, so als, hätten sie ein gottgegebenes Eigentumsrecht darauf, mehr von den Privilegien unseres Wohlstands zu profitieren, als ihrer Verantwortung gerecht zu werden, diesen zu teilen.
Die Grenzen zwischen national, konservativ, reaktionär und rechtsextrem sind mittlerweile fließend. Es sind vor allem die verschiedenen Gruppierungen aus Internet Influencern, Coronagegnern und Pseudowissenschaftlern, die sich die Argumentation ihrer Vorbilder aus AfD uns sonstigen rechtsextremen Kreisen immer mehr zu eigen machen und dabei sogar rückwirkend von ihren Förderern und Auftraggebern instrumentalisiert werden. Nach dem Motto, ,,Wenn der Durchschnitt schon selbst so über seine Probleme redet, können wir es doch auch."

Einige schillernde Beispiele verstecken sich nicht mehr hinter Floskeln und Parolen, sondern sie sprechen offen aus, was in diesem Land lange Zeit als unausstehlich galt. Antisemitische Phrasen und radikale Ausländerfeindlichkeit, Hass gegen Minderheiten und Demokratiefeindlichkeit, werden getarnt als Systemkritik und Widerstand eines geschundenen Volkes, dass sich angeblich nicht mehr erlauben darf, die unangenehme Wahrheit auszusprechen. Dabei ergeben sich absurde Konstellationen.
Da sitzt z.B. ein bekannter YouTuber und bekennender AfD Wähler, der als pakistanisches Flüchtlingskind nach Deutschland kam, in der Fußgängerzone und fordert Passanten zum ,,offenen" Gespräch über seine Gesinnung auf, indem er ihnen nur für kurze Momente die Mikrofonhoheit gestattet und selbst als argumentative Stütze für die Vertrauenswürdigkeit seiner Haltung die ,,Distanzierung der AfD" von ,,extremen" Gruppen wie der ,,Hitlerjugend" salbadernd erklärt. Gott sei Dank! Ob es an seiner mangelnden Bildung liegt oder an der bewusst eingesetzten Missverständlichkeit, am Ende bleibt seine dümmliche Herleitung nicht nur ein harmloser Witz, sondern sie ist ein Beispiel dafür, wie sich die Methode der AfD Zweideutigkeiten in den Raum zu werfen, um sie nachträglich als unbedarfte Formulierung auszugeben seit Bernd Luckes ,,Entartung der parlamentarischen Demokratie" und Björn Höckes ,,Mahnmal der Schande" etabliert hat und von nachfolgenden Generationen aufgegriffen und vervielfältigt wird.

Mehr und mehr schließen sich so die Kreise. Scheinbar arglose Berichte über den CSD und sonstige ,,Absurditäten" offenbaren dabei ein zutiefst radikalisiertes Weltbild, welches auf Werten basiert, die in den seltensten Fällen definiert, sondern zumeist unterschwellig propagiert werden. Besonders auffällig ist dabei, dass die Affinitäten zur Szene selbstbewusst gezeigt werden und sich immer obskurere Koalitionen aus Fürsprechern und Multiplikatoren bilden, die sie und ihre Anliegen gesellschaftsfähiger erscheinen lassen. Blickt man aber etwas weiter, dann sieht man schnell die Querverbindungen zu rechten Extremisten, wie zum Beispiel der rechtsnationalen Wochenzeitung ,,Junge Freiheit" oder dem AfD Sprachrohr ,,Deutschland Kurier".
Auch die afroamerikanische Moderatorin eines Internetmagazins, welches aus der Schmiede des immer reaktionärer werdenden Umfelds um BILD Ex-Chefredakteur Julian Reichelt stammt, spricht in ironisch pathetischem Unterton über Migranten und Minderheiten und bemüht dabei nicht selten haarsträubend anachronistische Zerrbilder, um wenig später zu unterstellen, dass sie aufgrund ihrer Hautfarbe gänzlich unverdächtig sei, eine Sympathisantin rechtsextremer Ideologie zu sein.
Nazi zu sein bedeutet aber nicht nur ein Bekenntnis oder eine Gesinnung zu zeigen, sondern Nazi ist, wer Nazitexte spricht, oder ihnen nicht widerspricht .
Nun wäre es einer offenen Gesellschaft zuzutrauen, dass sie diese Auswüchse souverän erträgt und darin vertraut, eine adäquate Gegenkraft zu entwickeln, die ein Bewusstsein dafür hat, welche Verantwortung in diesem Land existiert, anders als in anderen Ländern, das Gedenken aufrecht zu halten und seine Position zu aktuellen Geschehnissen auch immer davon ausgehend zu beziehen und abhängig zu machen.
Die sogenannte ,,Nazikeule" als Symbol, für die übertriebene Vorsicht der öffentlichen Moral zum Umgang mit der deutschen Geschichte zu bemühen, ist dabei ein eindeutiges Bild, welches seit den siebziger Jahren immer wieder von Rechtsextremen eingesetzt wurde, um sich und ihre Absichten hinter der Behauptung eines in Wirklichkeit nicht existierenden, normativen Dogmas zu verstecken.
Indem aber ein Großteil der neuen Rechten weder einen familiären Bezug, noch einen herkunftsbezogenen Kontext zur Geschichte sieht, entkoppelt sie sich von dieser Verantwortung und etabliert so zugleich die perfide Ansicht und Absicht, die hinter ihrem Agieren steckt.

Nämlich die Errichtung einer radikalen politischen Macht, die es den anderen durch Einschüchterung und Verunglimpfung verbietet, Kritik auszuüben, sie mit Spott überzieht und dafür hohlen Beifall generiert. Die Welt wird so eindeutig und ihre Komplexität zu einer Gefahr für das denkende Individuum, das sich verfolgt fühlt, von staatlicher Drangsalierung und Bevormundung, solange sie nicht den Status der gesellschaftlichen Realität bedingungslos akzeptiert.

In dieser simplen Erzählweise, gilt so der Zweifel als konterrevolutionär und derjenige, der Verständnis für das Leid der anderen zeigt, als Volksverräter.
Die zentralen Themen Einwanderung und Überfremdung werden zum paranoid-obsessiven Ostinato und sie werden zur schlagkräftigen Waffe gegen die angeblich desolate Verfassung einer Nation, die aus den Fugen geraten ist und von sprichwörtlich grenzenloser Freizügigkeit geplagt wird. Das Heilmittel für eine Genesung, ist die Rückkehr zu tradierten Werten, der kategorische Ausschluss evidenter Argumente, bedingungsloser Nationalismus und eine einseitige Schuldzuweisung, die das Narrativ der neuen und alten Rechten zu einem wahnhaften Dogma verschmelzen und wiederauferstehen lässt, dessen einziges Destillat ,,Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!" bereits Jahre zuvor klarer und unverfänglicher von der NPD zum Wahlkampfmotto gemacht wurde.
Bedauerlicherweise lassen sich auch die bürgerlichen Mitten und gemäßigten Kräfte vor diesen Karren der Intoleranz spannen, indem sie aus Angst davor, einen Teil der konservativen Klientel zu verlieren, auf ihre Argumentationsweise einsteigen, sie sogar adaptieren und die Diskussion so künstlich am Leben halten.

Fakt ist und bleibt, dass in einer Welt, in der Kriege immer noch funktionieren, weil es eine Waffenindustrie gibt, die kein Interesse daran hat Frieden zu erhalten, sondern Kriege zu schaffen und wirtschaftliche Interessen weit vor Menschenrechten stehen, nicht zu vermeiden sein wird, dass die Folgen dieser Politik irgendwann auch uns erreichen und unsere Antwort darauf vielschichtiger sein muss, als das plumpe Spiel mit Angst.

Dieses anzuerkennen und dagegen anzugehen, dass man es ignoriert, ist die zentrale Aufgabe einer selbstbewussten Gesellschaft, die nicht ihren eigenen Egoismus und ihre Profitgier zelebriert, sondern zurückkehrt zu wahren Werten wie Menschlichkeit und Anteilnahme.


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06.02.24
*Serdar Somuncu ist Schauspieler und Regisseur
Kommentare
  • 06.03.2024 17:04
    Es wäre neben den "weichen Zielen" schon mal interessant, nach Spuren und Zeichen totalitären bzw. faschistischen, jedenfalls nach ganz rechts außen abgedrifteten Denkens (oder "Empfindens") bei (vermeintlich) verantwortlichen (und allein dadurch gefährlichen) Personen wie Habeck, Baerbock, Pistorius oder Katharina Schulze zu suchen. Die Ernte könnte reich werden, die zuletzt genannte Aufgabe noch drängender.
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