,,Nerviger Spachramsch"
Als ich noch als Redakteur in einem öffentlich-rechtlichen Radiosender gearbeitet habe, war ich dort als Sprachpolizist verschrien, weil ich Wert auf exakte Formulierungen legte. Wie oft habe ich allein den Unterschied zwischen ,,anscheinend" und ,,scheinbar" erklärt? Ebenso zucke ich auch heute noch leise zusammen, wenn ich irgendwo ,,größer wie" hören muss. Allerdings kann ich mittlerweile durch aufkommende Altersmilde einiges ,,wegtolerieren". Aber es gibt gegenwärtig bestimmte inflationsartig um sich greifende Redewendungen, die negativperistaltische Erscheinungen bei mir hervorrufen.
Von Jürgen König
Von Jürgen König
Eines vorneweg: Dies wird kein Manifest für oder gegen das Gendern. Diese Diskussion ist mir inzwischen scheißegal. Das kann Er, Sie oder Es völlig frei handhaben, je nach Befinden oder persönlicher Ansicht, denke ich. Nein, vielmehr geht es mir hier um leere oder zumindest unpassende Worthülsen, Füllwörter und Sprachfloskeln, die täglich auf mich einprasseln, egal, ob ich im Bus sitze, den Fernseher anhabe oder mit Freunden in der Kneipe sitze.
,,Wovon redet der alte Mann", werden sie jetzt vielleicht denken. Deshalb will ich hier erst mal ein paar Beispiele ,,in den Ring werfen": ,,Game-Changer" z.B. oder ,,Am Ende des Tages", ,,Perfekt" und besonders hochfrequent: ,,Genau".
Nun dann. Pöbelmodus an!
Alles, was in irgendeiner Weise einen Prozess oder eine Vorgehensweise verändert, ist neuerdings ein ,,Game-Changer". Das mag beim Fußball stimmen, wenn der wichtigste Spieler einer Mannschaft vom Gegner kaputt gefoult wird und er deshalb das Spiel (Game) verlassen muss. Wenn ich aber bei der Ukraine Kriegsberichtserstattung in irgendeinem der vielen Medien hören oder lesen muss, dass dieser oder jener Angriff ein ,,Game-Changer" ist, dann wellt sich mir die Stirn in Zornesfalten. Ein Krieg ist kein Game, verdammt noch mal! Überlegt gefälligst vorher, welche Formulierungen ihr verwendet.
Welcher Tag ist eigentlich gemeint, wenn sich herausstellt, dass ,,am Ende des Tages" alles anders sein wird als jetzt oder gestern oder vorige Woche? Vielleicht ist zu diesem fiktiven Zeitpunkt aber auch alles genau so, wie es jetzt ist. Man weiß es nicht. Nur, dass wir es hier mit einer 1:1 Übersetzung aus dem Englischen zu tun haben, die das kurze deutsche Wort ,,schließlich" durch eine pseudoeloquente Floskel ersetzt.
Und wenn der Taxifahrer - der natürlich von seinem Fahrgast kein Trinkgeld bekommen hat - wenn also dieser Taxifahrer passend auf einen 100 Euro Schein herausgeben kann, dann ist das ,,perfekt". Ebenso, wenn das Essen schmeckt, eine Tür nicht mehr klemmt oder ausreichend Klopapier im Hause ist - alles ist ,,perfekt". Für mich eindeutig eine Nummer zu wichtig formuliert. Perfekt ist bestenfalls ein Schweizer Uhrwerk oder eine funktionierende Mondrakete.
Womit wir bei dem kleinen Wort angekommen sind, dessen Einsatz mittlerweile mit einer Maßlosigkeit praktiziert wird, die ins Unerträgliche tendiert. ,,Genau" ist zum komplett undifferenziert hingesprochenen Füllwort geworden. Auf Sätze wie: ,,Ich bin mir da absolut nicht sicher" folgt oft nach einer kleinen Pause, in der man feststellt, dass man nichts weiter zu sagen hat, ein leises ,,genau". Das gleiche Wort wird auch verwendet, um Unsicherheiten über das gerade leichtfertig Hingesprochene zu kaschieren. Zack, schnell noch ein ,,genau" angehängt. Oder dieses harmlose Gebilde füllt kurze Denkpausen aus, in denen einst schlechte Redner schlicht ,,äh" sagten. Absurderweise sind die meisten mit ,,genau" aufgefüllten Aussagen alles Mögliche, nur eben gerade nicht genau.
Was noch? Dieser germanisierte Anglizismus ,,Ich habe es realisiert" fällt mir da ein. In der Regel ist nämlich nicht damit gemeint, dass jemand etwas erfolgreich in die Tat umgesetzt hat. Nein. Er ersetzt die Mitteilung, dass jemand etwas verstanden hat. Kann man das dann nicht einfach so sagen, anstatt verbal eine höhere Bildung zu simulieren?
Oder sollte man nicht dieses unterwürfig, schleimige ,,Da bin ich ganz bei Dir" durch das weitaus erträglichere ,,Das sehe ich auch so" oder gar ,,Du hast Recht" ersetzen? ,,Merkste selber" könnte man an dieser Stelle ausrufen. Ja wenn auch diese Formulierung nicht schon verbrannt wäre, weil diverse Leute sie benutzen, um bloß nicht konkret eine Kritik am Gegenüber äußern zu müssen.
Bliebe noch die oft einleitend verwendete Floskel ,,Ehrlich gesagt". Damit wird den dann folgenden Entäußerungen eine gewisse Wichtigkeit aufgepfropft. Aber ist es nicht eine Selbstverständlichkeit, immer eine gewisse Ehrlichkeit an den Tag zu legen, ohne sie als angekündigte Ausnahme zu kennzeichnen?
Ich will an dieser Stelle abbrechen. Ja, ich weiß. Sprache entwickelt sich immer weiter und Modeworte hat es schon immer gegeben. Aber vielleicht sollten wir trotzdem etwas aufmerksamer mit unserer Sprache umgehen. Oder wir schmunzeln wenigstens, wenn wir in Zukunft diese vorgestanzten Sprüche bei unseren Mitmenschen hören.
Wir könnten natürlich auch mal wieder Franz Kafka lesen oder Thomas Mann, um zu erleben, was man mit wohlgesetzten Worten so alles ausdrücken kann.
Pöbelmodus aus.
15.04.24
*Jürgen König war 33 Jahre in den öffentlich-rechtlichen Medien beschäftigt*
,,Wovon redet der alte Mann", werden sie jetzt vielleicht denken. Deshalb will ich hier erst mal ein paar Beispiele ,,in den Ring werfen": ,,Game-Changer" z.B. oder ,,Am Ende des Tages", ,,Perfekt" und besonders hochfrequent: ,,Genau".
Nun dann. Pöbelmodus an!
Alles, was in irgendeiner Weise einen Prozess oder eine Vorgehensweise verändert, ist neuerdings ein ,,Game-Changer". Das mag beim Fußball stimmen, wenn der wichtigste Spieler einer Mannschaft vom Gegner kaputt gefoult wird und er deshalb das Spiel (Game) verlassen muss. Wenn ich aber bei der Ukraine Kriegsberichtserstattung in irgendeinem der vielen Medien hören oder lesen muss, dass dieser oder jener Angriff ein ,,Game-Changer" ist, dann wellt sich mir die Stirn in Zornesfalten. Ein Krieg ist kein Game, verdammt noch mal! Überlegt gefälligst vorher, welche Formulierungen ihr verwendet.
Welcher Tag ist eigentlich gemeint, wenn sich herausstellt, dass ,,am Ende des Tages" alles anders sein wird als jetzt oder gestern oder vorige Woche? Vielleicht ist zu diesem fiktiven Zeitpunkt aber auch alles genau so, wie es jetzt ist. Man weiß es nicht. Nur, dass wir es hier mit einer 1:1 Übersetzung aus dem Englischen zu tun haben, die das kurze deutsche Wort ,,schließlich" durch eine pseudoeloquente Floskel ersetzt.
Und wenn der Taxifahrer - der natürlich von seinem Fahrgast kein Trinkgeld bekommen hat - wenn also dieser Taxifahrer passend auf einen 100 Euro Schein herausgeben kann, dann ist das ,,perfekt". Ebenso, wenn das Essen schmeckt, eine Tür nicht mehr klemmt oder ausreichend Klopapier im Hause ist - alles ist ,,perfekt". Für mich eindeutig eine Nummer zu wichtig formuliert. Perfekt ist bestenfalls ein Schweizer Uhrwerk oder eine funktionierende Mondrakete.
Womit wir bei dem kleinen Wort angekommen sind, dessen Einsatz mittlerweile mit einer Maßlosigkeit praktiziert wird, die ins Unerträgliche tendiert. ,,Genau" ist zum komplett undifferenziert hingesprochenen Füllwort geworden. Auf Sätze wie: ,,Ich bin mir da absolut nicht sicher" folgt oft nach einer kleinen Pause, in der man feststellt, dass man nichts weiter zu sagen hat, ein leises ,,genau". Das gleiche Wort wird auch verwendet, um Unsicherheiten über das gerade leichtfertig Hingesprochene zu kaschieren. Zack, schnell noch ein ,,genau" angehängt. Oder dieses harmlose Gebilde füllt kurze Denkpausen aus, in denen einst schlechte Redner schlicht ,,äh" sagten. Absurderweise sind die meisten mit ,,genau" aufgefüllten Aussagen alles Mögliche, nur eben gerade nicht genau.
Was noch? Dieser germanisierte Anglizismus ,,Ich habe es realisiert" fällt mir da ein. In der Regel ist nämlich nicht damit gemeint, dass jemand etwas erfolgreich in die Tat umgesetzt hat. Nein. Er ersetzt die Mitteilung, dass jemand etwas verstanden hat. Kann man das dann nicht einfach so sagen, anstatt verbal eine höhere Bildung zu simulieren?
Oder sollte man nicht dieses unterwürfig, schleimige ,,Da bin ich ganz bei Dir" durch das weitaus erträglichere ,,Das sehe ich auch so" oder gar ,,Du hast Recht" ersetzen? ,,Merkste selber" könnte man an dieser Stelle ausrufen. Ja wenn auch diese Formulierung nicht schon verbrannt wäre, weil diverse Leute sie benutzen, um bloß nicht konkret eine Kritik am Gegenüber äußern zu müssen.
Bliebe noch die oft einleitend verwendete Floskel ,,Ehrlich gesagt". Damit wird den dann folgenden Entäußerungen eine gewisse Wichtigkeit aufgepfropft. Aber ist es nicht eine Selbstverständlichkeit, immer eine gewisse Ehrlichkeit an den Tag zu legen, ohne sie als angekündigte Ausnahme zu kennzeichnen?
Ich will an dieser Stelle abbrechen. Ja, ich weiß. Sprache entwickelt sich immer weiter und Modeworte hat es schon immer gegeben. Aber vielleicht sollten wir trotzdem etwas aufmerksamer mit unserer Sprache umgehen. Oder wir schmunzeln wenigstens, wenn wir in Zukunft diese vorgestanzten Sprüche bei unseren Mitmenschen hören.
Wir könnten natürlich auch mal wieder Franz Kafka lesen oder Thomas Mann, um zu erleben, was man mit wohlgesetzten Worten so alles ausdrücken kann.
Pöbelmodus aus.
15.04.24
*Jürgen König war 33 Jahre in den öffentlich-rechtlichen Medien beschäftigt*
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