Wir leben im Zeitalter des Mikrofaschismus

Wir leben im Zeitalter des Mikrofaschismus

Eine von der Körber-Stiftung 2023 durchgeführte Studie zum Zustand unserer Demokratie enthält bedenkliche Zahlen [1]: So gibt nur noch eine Minderheit von 46% der Befragten an, ein sehr großes oder großes Vertrauen in die Demokratie zu haben. Mit 51% überwiegen die Skeptiker mit weniger großem oder geringen Vertrauen. Und nur 36% sind davon überzeugt, dass die Medien die Politik mit nötiger Unabhängigkeit und Objektivität kontrollieren. Fast alle Indikatoren des Demokratievertrauens haben sich im Vergleich zu Vorjahren verschlechtert.

von Wätzold Plaum.
Es fällt nicht schwer, mögliche Ursachen zu finden: Da wäre zum einen eine Repräsentationskrise des Parlamentarismus, die darin besteht, dass regelmäßig das Meinungsbild in den Parlamenten erheblich von dem in der Bevölkerung abweicht. Das Problem ist nicht neu, war etwa schon bei der Einführung des Euros vor gut 25 zu beobachten. Obwohl damals in der Bevölkerung höchst kontrovers mit etwa einer Gleichverteilung bei Befürwortern und Skeptikern, spiegelte sich dieses Meinungsbild in keiner Weise im Bundestag wider. Nun wäre es sicher zu viel verlangt, durchweg eine Gleichverteilung von Meinungsumfragen und parlamentarischen Abstimmungsergebnissen einzufordern. Doch ab einem gewissen Grade wiederkehrender Diskrepanz zwischen Volks- und Parlamentswille gilt: Das Parlament erfüllt nicht mehr die Funktion, das ihm dem Geiste der Demokratie entsprechend zufällt. Ein demokratisches Parlament soll den Volkswillen gegenüber der Regierung repräsentieren. Und dies geschieht nicht dadurch, dass irgendwie gewählte Vertreter in einem Raum irgendwas beschließen. Denn das gibt es auch für den chinesischen Volkskongress. Da wäre das Vordringen von Notstands-Narrativen und daraus abgeleiteten, vermeintlich ,,alterantivlosen" Maßnahmen. Egal ob Bankenrettung, Klima, Corona oder Ukraine-Krieg - zusehends werden politische Themen von grundlegender Wichtigkeit durch die herrschende politische Klasse in einer zutiefst undemokratischen Weise abgehandelt. Grundlegende Debatten werden nicht geführt und mit dem Verweis auf eine behauptete zwingende Sachlogik ex cathedra vorentschieden.

Da wäre schließlich eine Medienlandschaft, die sich zunehmend vom Ideal der Meinungsvielfalt verabschiedet. Die vermeintlichen Leitmedien, insbesondere der öffentlich-rechtliche Rundfunk, bewegen sich mehrheitlich in einem relativ engen Korridor zwischen diffusem Zentrismus und regressivem Linksliberalismus. Die mittlerweile reichweitenstarken Alternativmedien sind da deutlich diverser und bespielen im wesentlichen ein linksalternatives (Nachdenkseiten), libertäres (Apollo-News), konservatives (Tichys Einblick) bis rechtes (junge Freiheit) Meinungsspektrum. Zwischen beiden Lagern herrscht gegenseitige Ignoranz bis Verachtung. Viele diese Phänomene wurden schon vor 20 Jahren durch den britischen Politologen Colin Crouch und anderen als ,,Postdemokratie" analysiert und kritisiert. Der Erosionsprozess ist seitdem munter weiter gegangen. Wir sollten daher die Tonlage verschärfen. Es ist Zeit für einen neuen Kampfbegriff. Mein Vorschlag lautet: ,,Mikrofaschismus".

Was ist damit gemeint? Soviel vorweg: Mikrofaschismus ist kein Faschismus. Vielmehr kann er als Evolutionsstufe des Faschismus verstanden werden, die jedoch deutlich über diesen hinaus führt. Der Mikrofaschismus ist weder klar links noch klar rechts. Im Unterschied zum Faschismus betreibt er keine offene Agitation gegen den Liberalismus. Er ist eher Arm an Ideologie und operiert Institutionell und nicht über Massenorganisationen. Das gefährliche daran: Der Mikrofaschismus zersetzt die Demokratie durch chronischen Intoxinationen über Jahrzehnte. Wir haben es also mit einer Salamitaktik der Demokratiezerstörung zu tun. Und dabei ist es egal, ob seine Wegbereiter aus Nachlässigkeit, Ignoranz oder echter antidemokratischer Gesinnung handeln.

Die Beispiele für Mikrofaschismus sind Legion: Da wäre das fragwürdige Konzept der ,,trusted flagger". Sie konstituieren ein durch den Digital Service Act der EU aus der Taufe gehobenen Mechanismus zur Bekämpfung von rechtswidrigen Inhalten im Internet. So fungiert etwa die gemeinnützige GmbH ,,HateAid" als ,,trusted flagger". Sie ist mehrheitlich öffentlich finanziert, operiert aber wie ein privates Unternehmen. Von ,,trusted flaggern" bei Online-Dienstleistern zur Anzeige gebrachte Inhalte müssen von diesen bevorzugt behandelt werden. Da es sich aber um keine staatliche Behörde handelt, unterliegt sie nicht der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Es ist weder transparent ob noch juristisch zu belangen falls ,,HateAid" über strafbare Inhalte hinaus auch solche Inhalte bei YouTube & Co zur Anzeige bringt, die unter gewissen Prämissen als politisch unerwünscht gelten. Durch die finanzielle Abhängigkeit vom Staat und damit den amtierenden Regierungen ist die Befangenheit von ,,HateAid" vorgezeichnet. Dem Buchstaben des Gesetzes entsprechend ist das zwar noch keine Zensur, dem Geiste nach aber sehr wohl!

Überhaupt ist die EU das Virtuosenstück des Mikrofaschismus. Hier gelang es, den demokratischen Staaten Europas eine Überstruktur aufzuerlegen, die selbst als Diktatur bezeichnet werden könnte, da sie demokratischen Minimalanforderungen nicht genügt. Der eigentliche Skandal dabei ist, dass dieser Zustand in der Öffentlichkeit zeit Jahrzehnten eben keinen Skandal ist. Soweit die ernüchternde Diagnose. Doch was tun? Auch hier liefert die Studie der Körber-Stiftung wichtige Tendenzen: 87% der Befragten befürworten eine stärkere Einbeziehung der der Bürger in politischen Entscheidungen, auch auf Bundesebene. Das ist zu lesen als klares Plädoyer für direkte Volksentscheide auch auch höchster Ebene. Daneben wären an bereichsdemokratische Reformen zu denken, etwa beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Es ist eine Verhöhnung des Geistes der Demokratie, das dieser teure Luxus in Deutschland, welcher formal die Aufgabe hat, die Arbeit der politischen Klasse kritisch zu begleiten, im hohen Maße finanziell und über die Rundfunkräte auch inhaltlich von eben jener politischen Klasse abhängt. So man den öffentlich rechtlichen Rundfunk erhalten will, sollte er zu einem Musterbeispiel für direkte Bürgerbeteiligung reformiert werden, d.h. alle Aufsichtsgremien müssen durch die Gebührenzahler gewählt werden.

24.06.25
Wätzold Plaum ist studierter Physiker mit einer Promotion im Fach Mathematik und einer zweiten in Philoosphie. 2012 erschien politisches Sachbuch ,,die Wiki-Revolution. Absturz und Neustart der westlichen Demokratie", sowie 2022 mit dem ,,Manifest der Radikalen Mitte" eine positive Akzentuierung des politischen Zentrismus. Er betreibt den YouTube-Kanal ,,Wätzolds Welt" und betätigt sich als Musiker.

*1 Demokratie in der Vertrauenskrise, Körber-Stifgung, 2023:
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