Keiner kann Kanzler: Mister Merz, tear down this Brand-wall!

Keiner kann Kanzler: Mister Merz, tear down this Brand-wall!

Es ist wieder Wahlkampf - insgesamt fünf Parteien schicken Bewerber für das höchste wählbare Amt ins Rennen, und einer ist lächerlicher als der andere. Während sich also mit Kampagnen, Slogans und gegenseitigen Unterstellungen bekriegt wird und die Nation sich fragt, welche dieser fünf Optionen nun die beste oder am wenigsten schlimme ist, behauptet Bent-Erik Scholz: niemand von ihnen ist überhaupt eine Option. Keiner kann Kanzler.

Von Bent Erik Scholz
Die CDU hat ein Problem: von der kurz angebundenen Kartoffelkaiserin klammheimlich in eine sozialdemokratische Partei mit kleinem Jesusfetisch umgepolt, steht die alte Tante Christdemokratie nun ein bisschen verloren im Walde herum, und bedarf dringend einer Neuerfindung. Es braucht dringend jemanden, der die CDU in die Zukunft führt. Ein junges, frisches Gesicht. Lange hat man gesucht und festgestellt: es gibt keine. Stattdessen darf der Opa ran. Das ist nur folgerichtig, schon bei der Kandidatur Adenauers zur Wiederwahl lautete der Slogan ja: ,,Drum sorgt, dass es beim Alten bleibt" - und nun wiederum soll der Alte kommen, um zu bleiben.

Joachim-Friedrich Martin Josef Merz wird dieses Jahr 70 Jahre alt, hat einige Jahrzehnte im Parlament herumgehockt und sich zwischendurch als Lobbyist unter anderem bei BlackRock verdingt, dabei hat er den einen oder anderen Vorwurf eines Interessenskonflikts und eine ganze Menge Asche eingesammelt. Er ist nicht zuletzt durch viel Steuergeld zum Multimillionär geworden, und legt dieses Geld fleißig in Immobilien und Privatflugzeuge an. Mit Fug und Recht könnte man behaupten, Friedrich Merz liegt dem deutschen Bundesbürger auf der Tasche. Und wen überrascht es, dass gerade er ein bekennender Gegner von Sozialhilfen ist. Wenn man Friedrich Merz zuhört, könnte man fast auf die Idee kommen, Sozialhilfen seien der pure Luxus, den man einfach so geschenkt bekäme, und nicht die Abdeckung des gerade nötigen Minimums, die man bekommt, wenn man qua Gesetz, bestätigt durch das Bundesverfassungsgericht, Anspruch darauf hat. Der durchschnittliche Bürgergeldempfänger indes hat dem Staat bisher deutlich weniger geschadet als Friedrich Merz. Aber das nur so am Rande.

Da steht das Sauerländer Frisurenwunder nun also breitbeinig vor der deutschen Öffentlichkeit und bekennt sich in einer Tour zu diesem und jenem, das unterscheidet sich im Prinzip je nach Tagesform und Wettervorhersage. Nur die Brandmauer zur AfD, die steht felsenfest, zumindest, solange sie keine eigenen Mehrheiten gefährdet. Merz ist dabei aber kein Opportunist, nein, selbstverständlich ist er einfach nur ein selbstloser Typ, der morgens nach dem Aufstehen erst einmal abcheckt, was den Pöbel so bewegt, damit er weiß, was er am Abend in der nächstbesten Talkshow monieren soll. Die Demokratie hat sich eben geändert. Früher hatte man als Wähler Prinzipien und hat auf Basis dieser Prinzipien die Partei gewählt, die am ehesten mit dem eigenen Wertekompass übereinstimmt. Wer aber heute Friedrich Merz wählt, bekommt dasselbe, wie wenn man SPD, FDP oder die Grünen wählt, nämlich AfD-Positionen in etwas schickeren Klamotten. Klar, vom Label will man sich distanzieren, die Wähler hätte man natürlich trotzdem gern. Heute ist Politik eben flexibler, das Bild von Rechts und Links ist veraltet. Heute sagen die Parteien im Wahlkampf das, was der Wähler hören will, und sobald der Wähler die Parteien gewählt hat, machen sie das Gegenteil. So bleibt es eben auch erfrischend. Da gibt es auch gar keinen Grund zur Empörung, da braucht es eben beim Wähler auch Mut zur Ambivalenz. Politiker sind doch auch nur Menschen, da darf man jetzt auch nicht zu viel verlangen, indem man zum Beispiel erwartet, dass sie Wort halten. Wenn Friedrich Merz zum Beispiel als Besitzer mehrerer Flugzeuge ihm völlig fremde Kinder als kleine Paschas bezeichnet, muss das kein Widerspruch sein. Vor kurzem kündigte er an, den Ausbau von Windrädern zu stoppen, weil diese hässlich seien. Offenbar hält der Mann Kohlekraftwerke für Meisterleistungen der modernen ästhetischen Architektur.

Vor einiger Zeit sah ich einen Fernsehbeitrag über ein älteres deutsches Ehepaar, das stinkbeleidigt war, weil es sich in seinem bescheidenen Häuschen auf dem Lande plötzlich etwa einen Kilometer entfernt von einem Windpark wiederfand. Die beiden ließen sich lang und breit über die Lärmbelästigung aus, die mit dieser Wohnlage einherginge. Wie gut, dass es jemanden wie Friedrich Merz gibt. Jener würde, ohne auch nur eine Sekunde lang das eigene Vorhaben zu hinterfragen, stante pede einen Hausbesuch bei dem armen Pärchen antreten, die zwei älteren Herrschaften aus der Haustür in den Vorgarten ziehen und ihnen zwei CDU-Fähnchen in die Hand drücken, die sie lächelnd in die Kamera wedeln sollen. Dann würde er ihnen zurufen: ,,Sie haben selbstverständlich vollkommen recht! Wir reißen die Windräder wieder ab und bauen Ihnen zwei Straßen weiter ein schönes Atomkraftwerk!"

Es fehlt eigentlich nur noch, dass Merz sich laut darüber beklagt, wie viele Vögel durch Windräder geschreddert würden, während er sich, wie kürzlich auf seinem Instagram-Account zu sehen, zwischendurch immer mal wieder ein paar Chicken McNuggets in den Schlund schleudert. Auf seinen Plakaten fordert Merz ein Deutschland, auf das man wieder stolz sein könne. Seine Vorgängerin forderte vor einigen Jahren ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben. Beide Aussagen sind von intellektuell ähnlicher Tiefe und, wie zu vermuten ist, auf lange Sicht von ähnlichem, nämlich gegenteiligem Effekt.

Die Bezeichnung als ,,Rechts" findet Friedrich Merz offensichtlich ziemlich unangenehm. Das klingt ihm zu sehr nach Schmuddel, damit will er nichts zu tun haben. Als nach seinem Schulterschluss mit der AfD große Demonstrationen und Lichterketten gegen Rechts anberaumt wurden, war er sichtlich beleidigt. Wo, fragte er da, seien all die Demonstranten denn nach dem 7. Oktober gewesen, als der Antisemitismus in Deutschland wieder um sich gegriffen habe, wo sei da die Solidarität geblieben? Als die Präsidentin einer Berliner Universität verhaftet wurde, weil sie die Polizeimaßnahmen gegen eine friedliche Pro-Pali-Wache vor ihrer Hochschule infrage stellte, war Merz offenbar gerade in seinem Privatjet unterwegs, oder er saß bei Markus Lanz.

Aber natürlich ist Friedrich Merz kein Rechter, nein, sein Antrieb ist einzig und allein die Vernunft. Dieselbe Vernunft, die ihn 1997 dazu veranlasste, im Bundestag gegen das Verbot der Vergewaltigung in der Ehe zu stimmen. Da kann es einen ja gar nicht überraschen, dass er sich heute über die angeblichen Massenschändungen ausländischer Krimineller an deutschen Frauen so echauffiert. Das dürfen die gar nicht, die sind ja gar nicht verheiratet!

Nein, ein Rechter ist Friedrich Merz nicht. Er ist ein Konservativer, und dementsprechend aus Grundsatz daran interessiert, den Status quo beizubehalten. Das zeigt sich auch in dem Fünf-Punkte-Plan zur Migration, mit dem er die angeblich ach so linke Bundesregierung ins Schwitzen bringen wollte. Die Bundesregierung indes las sich das Papier durch und wunderte sich, denn die eine Hälfte davon war mit dem EU-Gesetz nicht vereinbar, und die andere war längst geltendes Recht. So forderte Merz, dass ab sofort jeden Tag abgeschoben werden solle. Was bereits geschieht - letztes Jahr wurden 18.000 Menschen abgeschoben. Wahrscheinlich hat Merz sich nach seiner langen politischen Karriere, während der er immer wieder um Haaresbreite an der nächsten Etappe vorbeischlidderte, wenigstens nach einem Teilerfolg gesehnt. Er hätte auch aufschreiben können: ,,Ich fordere, dass morgen die Sonne aufgeht!", um sich am nächsten Tag auf die Schulter zu klopfen, wenn dieses Phänomen dann tatsächlich überraschend eintritt. Merz schickt sich an, der deutsche Trump zu werden, der Kanada mit Strafzöllen drohte, wenn dieses nicht Maßnahmen gegen die Fentanylkrise ergriff. Wenige Stunden später hatte Trump die Zölle wieder kassiert, da Kanada diese Maßnahmen schon längst eingeleitet hatte, während noch Joe Biden im Amt war. Wer sich als Macher darstellen will, der muss halt tricksen können, wenn es an tatsächlichen Erfolgen fehlt.

Der linken Idee von der Überwindung des Kapitalismus wird immer nachgesagt, dass sie illusorisch sei. Wer dieser Überzeugung anhängt, der muss in Friedrich Merz einen Konsumenten harter halluzinogener Drogen erkennen. Er wünscht sich ein Deutschland, das weniger investiert und Steuern senkt, und das gleichzeitig eine stärkere Wirtschaft hat. Er will das Stromnetz ausbauen, aber ohne dass es jemand sehen muss. Er will Importe aus dem Ausland genauso begrenzen wie die Inflation. Er will qualifizierte Einwanderung bei konsequenter Zurückweisung an den Grenzen. Das Einzige, worin er sich jedoch sicher ist: er will keinen Frieden. Der Status quo muss bestehen. Deutschland will weiter verdienen an Rüstungsexporten, ohne die Konsequenzen durch Eskalation oder Flucht tragen zu müssen. Er setzt auf die seit Jahrzehnten überholte politische Theorie von der Aufrüstung als Abschreckung, die nach dem Ende des Kalten Krieges längst widerlegt wurde. Die Wehrpflicht soll wiederkommen, Deutschland soll wieder wert werden, dass man sich dafür erschießen lässt, Atommächte sollen in die Knie gezwungen werden. Neulich sagte er in einer Rede, Freiheit sei wichtiger als Frieden. Die einzige Freiheit indes, die ohne Frieden möglich ist, ist die Freiheit vom Leben.

Die Ampelregierung hat durch ihre wirtschaftspolitische Ahnungslosigkeit, das unbeholfene Agieren im Ukrainekrieg, und die Abwesenheit von tragfähigen Zukunftsentwürfen Deutschland in einen bemitleidenswerten Zustand versetzt. Die Regierung sei ideenlos, intrigant, korrumpierbar gewesen. So weit, so bekannt. In der deutschen Seele regt sich völlig folgerichtig nun also der Wunsch nach einer neue Antwort, um das Ruder herumzureißen und den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Natürlich kann man Friedrich Merz für diese Antwort halten. Natürlich kann man wütend die Faust recken und schreien: ,,Mir reicht's! Ich nehm das gleiche, nur in dümmer!" Man kann auch im Restaurant das Essen zurückgehen lassen, wenn es einem nicht schmeckt, und stattdessen darum bitten, einen Teller randvoll mit körperwarmer Scheiße serviert zu bekommen. Für viele deutsche Wähler scheint das immer noch besser zu sein als überhaupt keine Veränderung.

19.02.25
*Bent-Erik Scholz arbeitet als freier Mitarbeiter für den RBB

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