Mein lieber Verein

Mein lieber Verein

Fußball ist gelebter Lokalpatriotismus. Wer das Gefühl nicht kennt, im Stadion zu stehen und mit seiner Mannschaft zu fiebern, der weiß nicht, welche Dimension die Begeisterung für diesen Sport haben kann. Zwischen Sieg und Niederlage sind es manchmal nur wenige Augenblicke, die darüber entscheiden, ob man in ein tiefes Tal der Tränen fällt oder vor Begeisterung und Euphorie fast abheben kann. Jede Woche aufs Neue freut man sich auf das Spiel der eigenen Mannschaft und ist fest davon überzeugt, dass diesmal alles besser werden wird.

Von Serdar Somuncu
Man träumt von Meisterschaften und Pokalen, europäischen Gastspielen und Torschützenkönigen. Man verehrt die Helden seiner Mannschaft, genauso wie die Farben seines Vereins. In diesen Momenten ist man wieder Kind. Denn die Begeisterung für einen Fußballverein hat auch sehr viel mit kindlicher Prägung zu tun. In unserer Familie waren alle fußballbegeistert. Meine Brüder und ich haben im Verein gespielt. Und mein Vater stand jeden Samstag am Spielfeldrand. Wenn ich ein Tor geschossen habe, konnte ich die unendliche Freude in seinen Augen sehen und war stolz wie Oskar. Wenn ich aber ausgewechselt wurde, weil ich nicht gut spielte, dann habe ich mich in Grund und Boden geschämt. Genauso wichtig wie die Bindung zur Familie ist die Identifikation mit der Herkunft. Der Verein, für den ich brenne, repräsentiert auch die Region, aus der ich komme. Dieses Lokalkolorit ist nicht nur ein Verbindungspunkt, sondern es ist vor allen Dingen auch ein Blitzableiter für viele Dinge. Denn die Freude daran, dass der eigene Verein besser ist als andere, hat wenig mit der Arroganz zu tun, dass die eigene Herkunft mehr wert ist. Es ist vielmehr ein Erkanntwerden als ein Ringen um Anerkennung. Es sind Gemeinsamkeiten, die man teilt, und nicht Unterschiede, auf die man achtet. Der Fußball verbindet all diese Elemente. Es gibt natürlich auch Vereine, die immer Erfolg haben. Aber das finde ich langweilig. Erst wenn man erlebt hat, wie es sich anfühlt, auch zu verlieren, weiß man den Sieg zu schätzen. Es bedarf erst einer Niederlage, um zu wissen, wie es sich jubeln lässt. In den Jahren meiner Begeisterung bin ich immer weiter an meinen Verein herangerückt. Er ist für mich eine Art Lebensbegleiter geworden. Angefangen von den Erlebnissen meiner Kindheit bis zu den heutigen Tagen ist der Fußball ein roter Faden meines Lebens. Manchmal, wenn ich zu Auswärtsspielen fahre, habe ich das Gefühl, ein Stück Heimat zu begleiten. Und wenn ich dort Fans meiner Mannschaft treffe, ist es so, als wären wir alle eine Familie. Wir leiden zusammen und wir leben zusammen.

Auch wenn der Fußball mittlerweile sehr kommerziell geworden ist und man kaum noch die ursprüngliche Freude an der Einfachheit wiedererkennt, ist doch vieles so geblieben, wie es immer war. Denn Fußball ist auch Tradition. Sich mit seiner Mannschaft zu identifizieren, ihre Farben zu tragen und ihre Hymne zu singen, bedeutet mehr, als nur Teil eines Spektakels zu sein, bei dem es um Verkaufsstrategien und Umsatz geht. Es ist ein Sinnbild für die Sehnsucht des Menschen nach übergeordneter Verbindlichkeit, die sich darin ausdrückt, dass man zusammen mit Gleichgesinnten ein Ideal verfolgt. Dass dieses Ideal zählbar ist in Punkten und Meisterschaften, macht es einzigartig und besonders. Denn während man im richtigen Leben oft Dingen nacheifert, die unerreichbar zu sein scheinen, wie Reichtum oder ewiges Leben, ist es im Fußball durchaus realistisch, an das Unmögliche zu glauben. Und selbst in der Niederlage liegt manchmal etwas Leidenschaftliches und Lustvolles. Denn zu sehen, wie sich die eigene Mannschaft wieder zusammenrauft und kämpft und am Ende vielleicht doch nicht besteht, ist ein Sinnbild für das Leben, in dem wir auch immer wieder vor Herausforderungen gestellt werden, die wir meistern müssen. Auch im wirklichen Leben sind wir nicht immer Sieger, sondern oft auch Verlierer. Und nur durch die Niederlagen, die wir erleben, lernen wir, die Siege zu genießen.

Als ich vor wenigen Tagen bei der Jahreshauptversammlung meines Vereins im Stadion war, musste ich ernüchtert feststellen, dass viele Verantwortliche meines Vereins das Gespür für diese elementaren Empfindungen verloren haben. Für sie ist es die Verwaltung eines Unternehmens, dessen Erfolg darin besteht, möglichst hohe Umsätze einzufahren. Ihr Handeln wird bestimmt durch Bilanzen und Strategien und nicht durch Ziele und Hoffnungen. So klingt das, was man auf solchen Veranstaltungen manchmal hört, wie die Imitation eines Bekenntnisses zu einer Sache, die man im Grunde genommen gar nicht ernst meint. Es hat etwas von Prostitution und Ausverkauf und es ist für mich als Fan sehr ernüchternd und auch frustrierend. In diesen Momenten wünscht man sich das Einfache zurück. Keine aufgesetzten Parolen und Floskeln, sondern ein gemeinsames Ethos von Kameradschaft und Zusammenhalt, von Begeisterung und Ausdauer und vor allem von Wahrhaftigkeit. Würde das alles im Vordergrund stehen, dann ginge es auch nicht mehr um das Große im Ganzen, sondern um das Elementare in der Oberfläche. Sich darauf zu konzentrieren und es zu seinem Ziel zu erklären, müsste eigentlich eine Maxime auch derer sein, die den Fußball nur als Anlass sehen. Aber leider haben viele nicht begriffen, dass das eigentlich der Kern der Sache ist, nämlich, dass man nur erfolgreich sein kann, wenn man auch an sich und das, was man tut, glaubt und glaubwürdig ist.


10.06.24
©Serdar Somuncu
Aktuelles Programm ,,Seelenheil" jetzt downloadbar in Shop
*Serdar Somuncu ist Schauspieler und Regisseur
Schreibe einen Kommentar
Datenschutzhinweis